Bild 1. Wertmäßiges jährliches Wachstum für Abstandswarner, Spurhalteassistenten und Totwinkelüberwachung (2012 bis 2020).

Bild 1. Wertmäßiges jährliches Wachstum für Abstandswarner, Spurhalteassistenten und Totwinkelüberwachung (2012 bis 2020).Strategy Analytics

Noch 2007 gab es bei den Kleinwagen praktisch keinen Bedarf an elementaren Fahrerassistenz-Funktionen wie Abstandswarner, Spurhalteassistent oder Totwinkel-Überwachung. Obwohl sie mehr als 25% der Pkw-Produktion ausmachten, hatten Fahrzeuge des A- und B-Segments (zum Beispiel Fiat Panda oder VW Polo) einen Anteil von weniger als 1% an den Ausgaben der Automobilhersteller für diese Systeme. Dagegen entfielen auf Fahrzeuge des E- und F-Segments (beispielsweise die 5er-Reihe von BMW oder die Mercedes S-Klasse) über 40% der weltweiten Nachfrage, während der Anteil dieser Oberklasse-Fahrzeuge an der Gesamt-Pkw-Produktion unter 5% lag.

Erst seit sehr kurzer Zeit werden diese Sicherheitssysteme auch in kleineren, billigeren Fahrzeugen angeboten. Strategy Analytics prognostiziert sogar, dass die Modelle des A- und des B-Segments den Anbietern von Fahrerassistenzsystemen die besten Wachstumsperspektiven bieten. Die Nachfrage nach elementaren ADAS-Technologien für Fahrzeuge des A- und des B-Segments wird demnach von 2012 bis 2020 um über 70% pro Jahr zunehmen (Bild 1).

Aufgrund dieses rapiden Wachstums wird der Gesamt-Weltmarkt für zentrale ADAS-Funktionen in Modellen des A- und B-Segments bis 2020 über 1,1 Milliarden US-Dollar betragen. Dieser Betrag wird ungefähr der Nachfrage für Modelle des E- und des F-Segments entsprechen. In Europa wird der Gleichstand zwischen kleineren und größeren Fahrzeugmodellen sogar schon früher, nämlich 2017 erreicht sein.

Euro-NCAP erhöht die Nachfrage

Der starke Nachfragezuwachs für kleinere und billigere Automobile erfolgt hauptsächlich aus zwei Gründen: So wird Euro-NCAP den Einbau von Techniken wie etwa eines autonomen Notbremssystems, eines Spurhalteassistenten und einer Fußgängererkennung schon bald direkt honorieren. Fahrzeuge, die nicht serienmäßig mit mindestens einem dieser Systeme ausgestattet sind, werden es immer schwerer haben, die Sicherheits-Bestnote von 5 Sternen zu erhalten. Gesetzgeber und Prüfinstitutionen überall auf der Welt planen ähnliche Änderungen. Sollten diese Neuerungen bald umgesetzt werden, könnte die Nachfrage seitens der kleineren Fahrzeuge noch höher ausfallen als erwartet.

Außerdem steigt die Nachfrage der Konsumenten nach diesen Systemen im Vorgriff auf gesetzliche Regelungen erheblich an. So hat der Automotive-Consumer-Insights-Service von Strategy Analytics ermittelt, dass das Interesse an entscheidenden ADAS-Techniken in den USA seit 2009 um mindestens 20 Prozentpunkte zugenommen hat. Das Interesse an Spurhalteassistenten wuchs gar um 34 Prozentpunkte, nämlich von 47 % (2009) auf 71 % (2013).

Konsequenzen für die Lieferkette

Das Umschwenken der Nachfrage auf kleinere Fahrzeugmodelle hat wichtige Folgewirkungen für Zulieferer entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wenn Fahrerassistenzsysteme Einzug in die Serienausstattung von Massen-Modellen halten sollen, zählen mehr denn je die Kosten. Für die Zulieferer wird es deshalb entscheidend, auf skalierbare Plattform-Strategien zu setzen, damit sie mit ihrer Lösungspalette das gesamte Preis-Leistungs-Spektrum abdecken können.

Bild 2. Die Automatisierung des Fahrzeugs nimmt immer stärker zu.

Bild 2. Die Automatisierung des Fahrzeugs nimmt immer stärker zu.Strategy Analytics

Die zunehmende Notwendigkeit, Autos des Low-End-Segments mit ADAS-Funktionen auszustatten, wird voraussichtlich auch die Nachfrage nach Kameras für Kraftfahrzeuge anheizen. Schließlich lassen sich zwei der drei von Euro-NCAP propagierten Techniken nur per Kamera implementieren, nämlich die Spurverlassenswarnung und die Fußgängererkennung. Bei der dritten Funktion, dem autonomen Notbremssystem, kann dagegen eine Radar- oder Lidar-Lösung leistungsfähiger sein – auch wenn von den Zulieferern zu hören ist, dass sich Kameras auch hier erfolgreich einsetzen lassen. Für Großserien-Autohersteller ist die Perspektive, alle drei Lösungen mit einem einzigen Bildsensor implementieren zu können, auf jeden Fall höchst reizvoll.

Für die traditionellen Lieferanten von Automotive-Halbleitern birgt der Bedarf an billigen und leistungsfähigen sichtbasierten Systemen neue Herausforderungen. Die Aussicht auf hohe Wachstumsraten hat nämlich auch Unternehmen wie Nvidia und Qualcomm auf den Plan gerufen, die sich bisher nicht dem Kfz-Markt widmeten und stattdessen in der Massenproduktion hochintegrierter SoC-Bausteine für die mobile Kommunikation sowie für Tablet-Computer tätig sind. Angesichts der Synergien mit den Sicherheits- und Bildverarbeitungs-Anwendungen im Auto sind diese Unternehmen darauf aus, etwaige Chancen zu nutzen.

Obwohl also das Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, kleinere und kostengünstigere Autos mit ADAS-Funktionen auszustatten, bleibt ein großer, wachsender Markt für High-End-Systeme in Fahrzeugen der Luxusklasse bestehen. Je mehr die einfachen Systeme an Verbreitung gewinnen, umso stärker sind die Premiumhersteller gefordert, noch mehr und noch fortschrittlichere Systeme anzubieten, um ihre Marke gegenüber den Mainstream-Modellen abzusetzen.

Wie weit ist das autonome Fahren?

Die ultimative Ausprägung dieser Entwicklung ist der aktuelle Hype um das autonome Fahren. Ungeachtet der Chancen, die sich hier tatsächlich auftun, müssen Automobilhersteller und ihre Zulieferer darauf achten, die Kontrolle zu behalten. Strategy Analytics betrachtet die sukzessive Entwicklung hin zum autonomen Fahren als normale Konsequenz der Weiterentwicklung in der Automobiltechnik. Schließlich ist das Auto seit seiner Erfindung immer mehr automatisiert worden (Bild 2). Neu ist nur, dass der Wandel immer mehr an Tempo gewinnt.

Wir sind ohne Zweifel auf dem Weg zum autonomen Fahren, das jedoch nicht auf einmal kommen wird. Wir befinden uns hier noch auf der ersten Stufe, auf der uns einzelne Systeme in bestimmten Fahrsituationen unterstützen. Die Entwicklung begann, als Mitte der 1990er Jahre die Geschwindigkeitsregler mit Abstandssensor (ACC) auf den Markt kamen. Derzeit beginnt Stufe 2 dieser Entwicklung: die Systeme werden mehr und mehr verknüpft und integriert, um die Lücken zwischen den Szenarien, in denen uns das Auto beim Fahren unterstützen kann, zu schließen. Erst wenn diese Stufe erfolgreich bewältigt ist, wird das wirklich autonom fahrende Auto kommen.

Bis es so weit ist, wird die massenweise Einführung von Fahrerassistenzsystemen in den unteren Fahrzeugklassen den Markt voranbringen und den größten Einfluss auf die Fahrsicherheit haben.

Ian Riches

ist Director Global Automotive Practice bei Strategy Analytics.

(av)

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Strategy Analytics GmbH

Sebastiansplatz 5
80331 München
Germany