Automatisiertes Fahren ist in aller Munde. Auch Bosch treibt die Entwicklung mit Nachdruck voran – vor allem mit dem Ziel, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Bis 2050 werden nach UN-Schätzungen mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Mehr Menschen bedeuten aber auch ein deutlich höheres Verkehrsaufkommen und damit ein wachsendes Risiko für Verkehrsunfälle. Jedes Jahr sterben schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen weltweit im Straßenverkehr. Dabei sind etwa 90 Prozent aller Unfälle auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Autofahrer in unübersichtlichen oder eintönigen Situationen mit automatisierten Fahrfunktionen von der Fahraufgabe zu entlasten, kann daher Leben retten. Zudem führt die zunehmende Automatisierung zu einer stärkeren Synchronisierung des Verkehrs. Dadurch sinkt das Staurisiko, und die Energieeffizienz von Fahrzeugen steigt.

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Die einzelnen Stufen des automatisierten Fahrens sind klar definiert. Bosch

Bei aller Euphorie: Bis Autos vollautomatisiert von Haustür zu Haustür fahren und während der Fahrt alle Situationen vollkommen alleine meistern, wird noch viel Zeit verstreichen. Vor der zweiten Hälfte der nächsten Dekade ist damit nicht zu rechnen. Die grundlegenden technischen Herausforderungen werden zwar bis Ende dieses Jahrzehnts weitgehend gelöst sein. Daneben müssen aber vor allem auch noch einige rechtliche Hürden überwunden werden. So bildet die Wiener Straßenverkehrskonvention von 1968 die Basis für die aktuelle Rechtslage in vielen Ländern von Zentral- bis Osteuropa und Südamerika. Das Übereinkommen schreibt jedem Autofahrer vor, sein Fahrzeug jederzeit beherrschen zu müssen. Zugleich untersagt es alle anderen Tätigkeiten als das Führen des Fahrzeugs.

Überarbeitungen der Vorschriften sind bereits intensiv in der Diskussion. Geplant ist es, automatisierte Fahrfunktionen zumindest dann zu erlauben, wenn der Fahrer sie jederzeit übersteuern oder ausschalten kann. Änderungsbedarf an geltenden Vorgaben besteht auch im Rahmen der ECE-Regelung R.79 der Europäischen Union. Diese erlaubt automatische Lenkeingriffe derzeit nur bis zu einem Geschwindigkeitsbereich von 10 Stundenkilometern. Weiter unklar ist jedoch, inwieweit Aktivitäten wie Lesen oder Surfen im Internet erlaubt sein werden, während ein Auto selbstständig fährt. Auch die deutsche Straßenverkehrsordnung regelt dies bislang noch nicht eindeutig.

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Auf dem Weg zum vollautomatisierten Fahren sind wir in vielen kleinen Teilschritten unterwegs. Bosch

Für Anpassungen des rechtlichen Rahmens besteht aber insofern noch Zeit, als dass sich automatisiertes Fahren schrittweise entwickelt. Ausgangspunkt sind immer umfassender unterstützende Fahrerassistenzsysteme. Diese helfen Autofahrern schon heute, sicher und komfortabel an ihr Ziel zu gelangen, indem sie automatisch die Geschwindigkeit und den Abstand zum Vordermann halten. Andere Systeme warnen vor Staus oder helfen am Reiseziel, das Auto ganz einfach in kleinste Parklücken zu manövrieren. Automatisiert werden damit Fahraufgaben, die dem Mensch häufig Probleme bereiten. Dazu gehören beispielsweise auch Notbremsungen. Heutige, in modernen Fahrzeugen verfügbare Assistenzsysteme adressieren bereits 45 Prozent der derzeitigen Unfälle. Je höher die Ausstattungsrate mit Fahrerassistenzsystemen ist, desto mehr Verkehrsunfälle lassen sich vermeiden.

Was heute schon alles möglich ist

Fahrerassistenzsysteme zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Autofahrer entweder bei der Längs- oder der Querführung des Fahrzeugs unterstützen. Das Portfolio reicht von der automatischen Abstands- und Geschwindigkeitsregelung ACC bis hin zum vorausschauenden Notbremsassistenten. Bereits diese Einzelsysteme haben einen großen Einfluss auf die Verkehrssicherheit: ACC hält selbst bei dichtem Straßenverkehr immer den eingestellten Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und passt die gefahrene Geschwindigkeit durch Gas geben und Bremsen automatisch dem Verkehrsfluss an. Studien haben ergeben, dass ACC in Kombination mit einem Auffahrwarnsystem die Zahl der starken Bremsmanöver auf Autobahnen um 67 Prozent reduzieren kann. Gleichzeitig treten 73 Prozent weniger kritische Abstände zum vorausfahrenden Fahrzeug auf.

Großes Potenzial zur Unfallvermeidung hat auch der automatische Notbremsassistent. Erkennt das System in der Fahrspur voraus ein Hindernis, warnt es den Fahrer und bereitet die Bremsanlage auf eine Vollbremsung vor. Reagiert der Fahrer nicht, löst der Assistent automatisch eine Notbremsung aus. Auf diese Weise könnten allein in Deutschland bis zu 72 Prozent aller Auffahrunfälle mit Personenschaden verhindert werden, wenn alle Fahrzeuge ein solches System an Bord hätten. Nicht immer aber reicht eine Notbremsung aus, um einen Unfall zu verhindern. Deshalb unterstützt der Ausweichassistent auch bei Ausweichmanövern. Sobald der Fahrer den Lenkvorgang einleitet, erhöht das System automatisch das Lenkmoment. Dadurch wird der maximale Lenkeinschlag 25 Prozent früher erreicht und ein Hindernis bis zu 60 Zentimeter früher passiert, wie Studien zeigen. Um einen Aufprall zu verhindern, entscheidet jede Sekunde und jeder Zentimeter.

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Der Stauassistent kombiniert die Funktion von ACC mit der eines Spurhalteassistenten und ermöglicht schon heute stressfreie Staufahrten bis 60 km/h. Bosch

ESP: Die Basistechnologie

Das sind nur ein paar Beispiele für verfügbare Fahrerassistenzsysteme, die aber alle eines gemeinsam haben: Basistechnologie ist immer das elektronische Stabilitäts-Programm ESP. Mit dessen Erfindung hat Bosch Mitte der 1990er Jahre den Grundstein für einen Straßenverkehr mit immer weniger Unfällen gelegt. Seit der Markteinführung in Europa konnten laut einer Bosch-Untersuchung dank ESP etwa 190.000 Unfälle vermieden und mehr als 6000 Leben gerettet werden. Ohne Zutun des Fahrers kann ESP jedes Rad individuell bremsen und so 80 Prozent aller Schleuderunfälle verhindern. Durch die Vernetzung des ESP mit modernen Umfeldsensoren mit Radar-, Video- und Ultraschalltechnik lernen Autos, ihre Umgebung immer besser wahrzunehmen. Leistungsfähige Rechner stellen sicher, dass die Assistenzsysteme auf Basis der Sensorinformationen blitzschnell reagieren und mitdenken können – wie ein guter Autofahrer.

Moderne Autos übernehmen so Schritt für Schritt immer öfter das Steuer. Dabei verändert sich auch stufenweise die Aufgabe des Fahrers. Und zwar in dem Maße, wie die Automatisierung voranschreitet. Fahrerassistenzsysteme müssen permanent überwacht werden, die Verantwortung bleibt beim Fahrer. Gleiches gilt auch noch auf der nächsten Stufe der Automatisierungsgrade für teilautomatisierte Fahrfunktionen. Anders als Fahrerassistenzsysteme übernehmen diese dafür in einzelnen Fahrsituationen sowohl die Quer- als auch die Längsführung eines Autos. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Stauassistent, welcher die Funktion von ACC mit der eines Spurhalteassistenten kombiniert. In dichtem Verkehr auf Autobahnen folgt das Auto dem Vordermann innerhalb der eigenen Fahrspur bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h automatisch.

Was unsere Ingenieure gerade entwickeln

In den folgenden Jahren wird der Funktionsumfang des Stauassistenten schrittweise erweitert. Mit leistungsfähigeren Umfeldsensoren wird sich die maximale Geschwindigkeit erhöhen und auf Wunsch des Fahrers ein Spurwechsel möglich sein. Bis 2020 fahren Autos mit dem Autobahnpiloten von Bosch dann hochautomatisiert von Autobahnauffahrt bis -abfahrt. Hochautomatisiert bedeutet, dass der Fahrer die Verantwortung zumindest vorübergehend an das Auto übergeben kann.

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Seit Anfang 2013 fahren einzelne angemeldete Fahrzeuge hochautomatisiert auf der Autobahn A81 im Raum Stuttgart. Bosch

Mit dem Übergang vom teil- zum hochautomatisierten Fahren ergeben sich eine Reihe technischer Herausforderungen. Voraussetzung für eine hochautomatisierte Fahrt ist eine sichere und zuverlässige Umfelderfassung. Das Fahrzeug bewegt sich in definierten Anwendungsfeldern wie Autobahnfahrten selbstständig durch den Verkehr. Dafür muss es alle relevanten Verkehrsteilnehmer im gesamten Fahrzeugumfeld erkennen und zuverlässig den richtigen Fahrspuren zuordnen. Jeder Bereich des Fahrzeugs wird dabei von mehreren Sensoren mit unterschiedlichen Messprinzipien überwacht. Der Einsatz redundanter Sensoren erhöht die Zuverlässigkeit und Robustheit der Informationen. Ein Großteil der benötigen Sensoren ist übrigens bereits heute in Serie.

Neben der robusten Umfelderfassung erfordert das hochautomatisierte Fahren eine hochpräzise Erfassung der Fahrzeugposition. Die Lokalisierung über GPS ist zu ungenau. Um vorausschauend auf dem richtigen Weg zu bleiben, sind stattdessen hochgenaue und hochaktuelle Navigationskarten erforderlich. Neben der absoluten Positionsbestimmung ist die relative Positionsbestimmung, zum Beispiel zur Fahrbahnbegrenzung, entscheidend. Zur Ableitung der Fahrstrategie benötigt das Auto zudem immer aktuelle lokale Informationen zur Verkehrslage, zu Geschwindigkeitsbegrenzungen, Baustellen oder etwaigen Unfällen. Diese Informationen können nur über die Vernetzung des Fahrzeugs mit einem Server bereitgestellt werden.

Redundanz!

Hochautomatisiertes Fahren beeinflusst alle Bereiche im Fahrzeug – Antrieb, Bremse und Lenkung. Die gesamte Systemarchitektur des Fahrzeugs wird sich ändern. Die Steuergeräte erfordern eine deutlich höhere Rechenkapazität und müssen noch stärker vernetzt werden. Während bei heutigen Fahrerassistenzsystemen im Falle eines Fehlers oder beim Ausfall einer Komponente auf den Fahrer als Absicherung zurückgegriffen wird, übernimmt das Auto beim hochautomatisierten Fahrmodus vorübergehend die Verantwortung. Im Falle eines Fehlers muss daher zwingend eine Basisfunktionalität aller sicherheitsrelevanten Systeme gewährleistet sein – zumindest solange, bis der Fahrer nach einem entsprechenden Warnhinweis in der Lage ist, das Fahrzeug zu übernehmen und auf ein technisches Problem zu reagieren.

Eck-Daten

ADAS macht die Straßen sicherer, aber bis zum hochautomatisierten Fahren mit Serienfahrzeugen müssen die Zuständigen noch einige Hausaufgaben in den Bereichen Recht, Sensorik, Datenverarbeitung und Testverfahren erledigen. Allerdings ist die Branche schon gut unterwegs: Die Rahmenbedingungen sind klarer, die Akzeptanz der Verbraucher ist da, und die Roadmap steht.

Um jederzeit zu wissen, ob der Fahrer überhaupt in der Lage ist, die Kontrolle über das Fahrzeug wieder zu übernehmen, muss dieser überwacht werden. Zudem stellen sicherheitsrelevante Fahrzeugkomponenten wie Bremse und Lenkung spezielle Anforderungen an die Fahrzeugarchitektur. Um eine absolute Zuverlässigkeit auch im Falle eines Ausfalls einer Komponente garantieren zu können, müssen diese doppelt ausgelegt sein. Mit dem elektromechanischen Bremskraftverstärker iBooster von Bosch und dem Bremsregelsystem ESP ist es bereits heute möglich, unabhängig voneinander ein Auto abzubremsen, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. Wie ESP kann auch der iBooster den Bremsdruck völlig selbstständig aufbauen. Er ist dabei sogar dreimal schneller als das Bremsregelsystem und kann damit in kritischen Situationen das Fahrzeug früher zum Stehen bringen.

Was die Autofahrer darüber denken

Wie weit die Entwicklung bereits vorangeschritten ist, zeigt Bosch schon heute mit seinen Erprobungsfahrzeugen, die seit Anfang 2013 hochautomatisiert auf der Autobahn A81 im Raum Stuttgart fahren. Für angemeldete Entwicklungsfahrzeuge ist der Testbetrieb auf öffentlichen Straßen in Deutschland problemlos möglich. Übrigens nicht nur hier, sondern auch in einzelnen Bundesstaaten der USA. So ist Bosch auch im kalifornischen Palo Alto mit Testfahrzeugen unterwegs. Viele tausend Testkilometer sind auf diese Weise bereits abgespult worden.

Zwischen Test- und Serienbetrieb steht die Validierung. Nach gängiger Herangehensweise müssten zur Freigabe eines vollautomatisierten Autopilot-Systems über 250 Millionen Testkilometer absolviert werden. Auch hier arbeitet Bosch an neuen Ansätzen, um den Aufwand deutlich zu reduzieren. Den ersten Serieneinsatz von hoch- und vollautomatisierten Funktionen werden wir zunächst beim Parken erleben. In wenigen Jahren wählt der Fahrer für ein Parkmanöver nur noch die entsprechende Parklücke aus und startet das Parkmanöver bequem per Fernsteuerung von außerhalb des Fahrzeugs. Dabei kann er sich ganz auf die Kontrolle des Einparkvorgangs konzentrieren. In der weiteren Entwicklung befinden sich auch sogenannte „Valet Parking“-Lösungen. Damit ist gemeint, dass der Fahrer sein Auto zum Beispiel an der Einfahrt zu einem Parkhaus abstellt. Über einen Befehl per Smartphone-App sucht sich das Fahrzeug dann ganz alleine einen Stellplatz.

In derartigen Funktionen kommt die ganze Faszination der Technik zum Tragen – getreu dem Bosch-Motto „Technik fürs Leben“. Darüber wird auch die Akzeptanz für das automatisierte Fahren noch weiter steigen. Schon heute steht eine Mehrheit dem Thema aufgeschlossen gegenüber. Eine 2013 durchgeführte Bosch-Umfrage in sieben europäischen Ländern – Deutschland, Frankreich, England, Italien, Spanien, Belgien, Niederlande – hat ergeben, dass 59 Prozent der Befragten automatisiertes Fahren befürworten, vorausgesetzt sie können die Funktion aktiv ausschalten. Eine andere Studie zeigt, dass Autofahrer auch bereit sind, für solche Funktionen bis zu 3000 Euro mehr zu bezahlen. Das sind gute Voraussetzungen.

Automatisiertes Fahren kommt – nicht von heute auf morgen, aber schrittweise. Das wird nicht nur die Sicherheit der Mobilität, sondern auch die Faszination am Autofahren weiter erhöhen. Daran arbeitet Bosch.

Gerhard Steiger

ist Vorsitzender des Bosch-Geschäftsbereichs Chassis Systems Control.

(av)

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