Top-Down ist die übliche Richtung bei der Markteinführung von neuen Technologien. Bei berührungslosen, induktiven Ladesystemen für Elektroautos wird es sich ebenso verhalten. Die deutschen Premium-OEMs werden die Technik ab 2018 am oberen Ende ihrer Fahrzeugpalette einführen. Um die angedachte Rolle als „Enabler“ der Elektromobilität für den Massenmarkt einzunehmen, muss die Technik anschließend in die mittleren Fahrzeugklassen ausgerollt werden. Doch einige Ungewissheiten führen bei OEMs und auch Zulieferern zu abwartenden Haltungen.
Grosser Luftspalt oder bewegliches Element?
Die ersten im Markt erscheinenden Systeme teilen sich in Lösungen mit beweglicher Spuleneinheit auf der Infrastrukturseite und Ausführungen ohne ein bewegliches Element auf. Das System mit beweglichem Element, der sogenannte Z-Mover, passt den Abstand der Infrastruktur- und der Fahrzeugspule auf einen konstanten und verringerten Luftspalt an, sodass für verschiedene Bodenfreiheitsklassen dennoch stets das gleiche System verbaut werden kann. Ein wichtiger Punkt, um mehrfache Entwicklungskosten zu vermeiden. Ohne diese Mechanik sind Anpassungen der magnetischen und elektrischen Auslegung notwendig, sodass Varianten auf der Fahrzeugseite erforderlich werden (Bild 1). Je höher der Luftspalt, desto größer der Materialbedarf und somit auch Package und Kosten der magnetischen Komponenten. Zudem entfällt bei der Lösung mit beweglicher Spuleneinheit durch die Nutzung des Luftspaltes als Regelelement ein Tiefsetzsteller in der Infrastrukturseite, sodass die Kosten für die Hubmechanik in Summe betrachtet mehr als ausgeglichen werden.
Funktionale Vorteile des verringerten Luftspaltes finden sich in einem verbesserten Wirkungsgrad und einer minimierten Abstrahlung unerwünschter elektromagnetischer Streufelder. Der Hubmechanismus kann wetterfest, wartungsfrei und mit gängiger Technik wie beispielsweise einem Scherenhub ausgeführt werden. Mit einem beweglichen Element wären also nur dann Einschränkungen verbunden, wenn dynamisch während der Fahrt geladen werden sollte. Dies führt direkt zur nächsten Unsicherheit im Markt.
Welche Anwendungsfälle sind zu berücksichtigen?
Fiktionen von semi-dynamischen Ladevorgängen beim Halten und Anfahren an roten Ampeln werden häufig herangezogen, um Systeme ohne ein bewegliches Element zu befürworten. Technisch lässt sich eine solche Anwendung durchaus realisieren. Bei einer Standzeit von einer Minute und angenommenen 11 kW Ladeleistung gewinnt der Autofahrer dann allerdings nur etwa 1 km Reichweite. Dieser Anwendungsfall erscheint in puncto Sinnhaftigkeit und Business-Case daher sehr fraglich und wird für die Auswahl der mittelfristigen Ladetechnik wohl eher wenig Bedeutung haben.
Bisherige Nutzerstudien zeigen, dass Elektrofahrzeuge größtenteils zu Hause oder am Arbeitsplatz aufgeladen werden. Dazu kommen der fortschreitende Aufbau von DC-Schnellladestationen entlang der Hauptverkehrsachsen sowie die Erhöhung der verbauten Batteriekapazitäten in den Fahrzeugen auf über 500 km Reichweite.
Für den Anwendungsfall zu Hause oder am Arbeitsplatz kann von langen Standzeiten und in vielen Fällen einer Eins-zu-Eins-Beziehung von Fahrzeug und Parkplatz ausgegangen werden. Ideal für die Komfortanwendung des berührungslosen Ladens und schon jetzt möglich ohne den unbedingten Zwang für interoperable und standardisierte Systeme.
Weniger eindeutig ist die Situation beim stationären Laden im öffentlichen Bereich. Auf der einen Seite erfolgt der Aufbau der DC-Schnellladestation mit 150 kW und mehr an Ladeleistung, um den Nutzergewohnheiten von heutigen Tankstellen sehr nah zu kommen. Sicherlich die ideale Methode für Reisen in den Urlaub oder berufliche Vielfahrer, jedoch in diesen Leistungsregionen nicht mit berührungslosen Systemen für Pkw abzubilden.
Auf der anderen Seite wird vom sogenannten „Snack-Charging“ gesprochen. Man lädt eine halbe Stunde vor dem Supermarkt oder zwei Stunden vor dem Kino und füllt die Batterie bei mehreren Gelegenheiten mit kleineren Ladungen immer wieder nach. Induktive Ladesysteme könnten hier aus rein technischer Sicht ihre Anwendung finden. Für Besitzer von Pkw mit 500 km Reichweite und einer Ladestation daheim ist dies jedoch nicht vonnöten. Ob Bordstein-Parker Snack-Charging bevorzugen würden oder lieber einmal die Woche zur DC-Schnellladestation fahren, ist schwer einzuschätzen.
Das wohl wahrscheinlichste Szenario bildet eine Kombination aus induktivem Laden zu Hause oder am Arbeitsplatz für den täglichen Bedarf und dem vereinzelten DC-Schnellladen bei längeren Reisen. Sollte das berührungslose Laden dennoch den Weg in den öffentlichen Raum schaffen, sind zwei Dinge erforderlich: Zum einen ein ebenerdiger Einbau der Bodenspule als Anforderung der Betreiber und zum anderen eine abgeschlossene Standardisierung um Interoperabilität zwischen Systemen verschiedener Hersteller zu gewährleisten.
Warten auf den Standard?
Der Hauptgrund für die abwartende Haltung vieler Fahrzeugbaureihen als auch Automobilzulieferer liegt wohl in der Ungewissheit, wie der Standard künftig aussehen wird. Jetzt ein System zu entwickeln, welches dann in Kürze wieder hinfällig sein könnte, blockiert die Bereitschaft in berührungslose Ladesysteme zu investieren. Um diese Blockade zu lösen, sollte man sich zwei Punkte vor Augen führen.
Zum einen ist die Notwendigkeit der Standardisierung nur bedingt gegeben, wenn der Hauptanwendungsfall dieser Technik doch wie zuvor beschrieben beim Laden daheim im privaten Bereich liegt. Zum anderen bestehen berechtigte Zweifel an einem baldigen Abschluss der Standardisierungsbemühungen, da es noch viele offene Themen gibt und zudem Erfahrungen aus dem Feld fehlen.
Das größte Paradoxon hierbei ist der bisherige Fokus der Gremien auf Systeme für On-Ground-Installation (Bild 2). Standardisierung wird wenn, dann für den öffentlichen Bereich benötigt, und dort sind ebenerdige Einbauten gefordert. Der Leistungstransfer (unter Einbehaltung gesetzlicher EMF-Grenzwerte) bei ebenerdiger Installationsart bringt erhöhte Komplexität durch den zusätzlich vergrößerten Luftspalt mit sich. Seitens der Befürworter von Systemen ohne bewegliche Elemente fehlen hierfür jedoch bislang Vorschläge für die Standardisierung.
Angenommen die Standardisierung des Leistungstransfers gelingt, so müssen noch die Subfunktionen Positionieren und Fremdobjekt-Erkennung geklärt werden. Ein Positionierungssystem ist unerlässlich, um das Fahrzeug mit der benötigten Genauigkeit über der Bodenspule zu parken. Die Fremdobjekt-Erkennung (Bild 3) ist die wichtigste Sicherheitsfunktion induktiver Ladesystemen, um ein Aufheizen oder gar Entzünden systemfremder Metallobjekte im starken Magnetfeld des Luftspaltes zu verhindern. Die Beschreibung von Prüfkörpern ist der bislang eingeschlagene Weg. Doch wie wird der ladewillige Pkw von unerwünschten Objekten unterschieden? Bei beiden Subfunktionen ist noch offen, wie ein interoperables System aussehen sollte, und bis zum funktionierenden Standard ist es noch ein langer Weg.
Das Warten auf einen fertigen Standard als Startschuss für Entwicklung und den Einsatz von berührungslosen Ladesystemen kann angesichts der vielen Baustellen nicht der zielführende Weg sein. Vielmehr sollte im Umkehrschluss der Mut gefasst werden, schnell Systeme in den Markt zu bringen, um dann mit Felderfahrungen und funktionierenden Systemen den Gremien Vorarbeit zu leisten.
Hohe Ladeleistung oder geringe Kosten?
Während bei Plug-In Hybriden 3,6 kW Ladeleistung als ausreichend betrachtet wird, sind bei Baureihen mit vollelektrischen Fahrzeugen höhere Ladeleistungen von berührungslosen Ladesystemen gefragt. In Diskussion sind aktuell Leistungsstufen von 3,6 kW, 7,2k W und 11 kW. Höhere Ladeleistungen sind unter den Bauraumzwängen und gesetzlichen EMF-Grenzwerten wahrscheinlich auch nur bei Systemen mitbeweglichem Element machbar. Doch wie passt dieser Wunsch zu den Preisvorstellungen von Endkunden, gerade wenn man an die Ausbreitung in das Mittelklasse-Segment denkt? Und sind 3,6 kW wirklich zu wenig?
Systeme mit 3,6 kW Leistung können so ausgeführt werden, dass die Elektronik und die Spuleneinheit der Infrastrukturkomponente im gleichen Gehäuse unterhalb des Pkws untergebracht werden können. Bei höheren Leistungen wird aus Package- und Entwärmungsgründen eine Aufteilung zwischen der Spuleneinheit unter dem Pkw und einer zusätzlichen Wallbox für die Elektronik notwendig (Bild 4). Neben den Effekten aus der Leistungsskalierung kommen also weitere Kosten für das zusätzliche Gehäuse und die Interfaces hinzu. Daher liegt der große Preissprung zwischen 3,6 kW und 7,2 kW, während für die weitere Erhöhung von 7,2 kW auf 11 kW dann ein kleineres Kostendelta zu erwarten ist.
Gegenwärtig stehen viele Fahrzeugentwickler vor dem Dilemma, dass die gewünschte Leistung nicht mit dem beabsichtigten Zielpreis zu vereinbaren ist. Der unschöne Weg damit umzugehen ist, dann auf den Einsatz induktiver Ladetechnik zu verzichten. Besser ist da die Prüfung, ob nicht doch eine geringere Ladeleistung für die Anwendungsfälle des Endkunden ausreichend ist und das zu einem für die Mittelklasse vertretbaren Preis.
Der hauptsächliche Anwendungsfall des berührungslosen Ladens liegt, wie zuvor beschrieben, zu Hause oder am Arbeitsplatz. In beiden Fällen sind lange Standzeiten gegeben. Daher können schon mit 3,6 kW Ladeleistung ohne weiteres täglich 150 bis 200 km geladen werden. Und für die wenigen Tage im Jahr mit größeren Distanzen gibt es die DC-Schnellladestation oder eventuell ist die Fahrzeugbatterie durch kürzere Strecken an den vorhergehenden Tagen sogar noch gefüllt.
Der Wunsch nach 11 kW Ladeleistung scheint verständlich, um über Nacht jede Batterie komplett füllen zu können. Doch könnten leistungsstarke Systeme dadurch zu hochpreisig werden und einer großen Verbreitung damit hinderlich sein. Sinnvoller erscheinen Produkte mit 3,6 kW Ladeleistung, um zu akzeptablen Preisen den Großteil der Anwendungsfälle abzudecken.
Fazit
Berührungslose Ladesysteme sollten schnellstmöglich in den Markt eingeführt werden, um die Akzeptanz für Elektromobilität bei den Endkunden weiter zu erhöhen. Weitere Jahre auf einen funktionierenden Standard zu warten sollte vermieden werden, gerade da er für den Hauptanwendungsfall des induktiven Ladens im privaten Bereich nicht zwingend erforderlich ist.
Systeme mit unnötig hohen Leistungen und entsprechenden Kosten könnten, abgesehen vom absoluten Luxussegment, die Preisvorbehalte gegenüber der Elektromobilität noch verhärten. Für die Einführung und Ausbreitung im Massenmarkt sollten 3,6-kWSysteme zu kleinen Preisen daher das Mittel der Wahl sein.
Neben den Stückpreisen fließen auch die Entwicklungs- und Betriebskosten in die Bewertung mit ein. Vor diesem Hintergrund sollten Systeme mit einem beweglichen Element in Betracht gezogen werden, um seitens der OEM eine Gleichteilstrategie fahren zu können und seitens der Endkunden durch die höchstmögliche Effizienz aufgrund des reduzierten Luftspaltes die tägliche Ladung des Pkws kostengünstiger durchführen zu können als bei Systemen mit großem Luftspalt.
(ku)