„Autos von heute enthalten oft über 70 Steuergeräte, bei denen die Kommunikation nicht sauber geregelt ist, und jedes Steuergerät kann mit jedem reden; wir haben 20.000 Signale und unendlich viele Permutationen“, berichtet Giuseppe Mascolino aus der Praxis. „Wir bauen lieber etwas Neues, weil wir die Seiteneffekte nicht abschätzen können, wenn wir etwas Etabliertes ändern.“ Somit sei eine Ordnungsstruktur erforderlich, um zum Beispiel eine funktionale Trennung durchzuführen oder um Latenzen zu beherrschen. In einer definierten Hierarchie ist klar festgelegt, wer mit wem kommuniziert und über welchen Weg, so dass sich das Infotainment-Cluster vom Fahrwerks-Cluster trennen lässt, um dannim  Infotainment kürzere Innovationszyklen einzuführen – und zwar mit dem Ziel „Das Infotainment in der Serie schneller entwickeln und austauschen“.

Giuseppe Mascolino: „In 2015 werden wir von einer Einzelanwendung zu einem Systembus kommen und 2018 einen Ethernet-Backbone haben.“

Giuseppe Mascolino: „In 2015 werden wir von einer Einzelanwendung zu einem Systembus kommen und 2018 einen Ethernet-Backbone haben.“Fotografie Natalie Balleis

Seit 2008 nutzt BMW Ethernet zur Programmierung (Flashen). „In 2013 werden wir erstmals Videodaten im Fahrzeug per Ethernet übertragen“, berichtet Giuseppe Mascolino. „In 2015 werden wir von einer Einzelanwendung zu einem Systembus kommen und 2018 einen Ethernet-Backbone haben.“ Der Vorteil von Ethernet liege auf der Hand: „Wir müssen bei Ethernet gar nicht viel tun, das wird sowieso weiterentwickelt.“ Allerdings kommt aus Kostengründen im Auto kein Cat5-Kabel zum Einsatz sondern verdrillte Zweidrahtleitung ohne Abschirmung (Unshielded Twisted Pair). Um Ethernet zum Standard im Auto zu machen, sollten möglichst viele OEMs und Tier-1s Mitglied der OPEN-Alliance werden.

Das (r)evolutionäre Bordnetz

Mit den Worten „Das Bordnetz fällt normalerweise nur dann auf, wenn es einmal nicht funktioniert – und das gilt es zu vermeiden“ beginnt Georg Sterler, Leiter Entwicklung EMV, Bordnetze und Antennen bei der Audi AG, den gemeinsam mit Udo Hornfeck, Bereichsleiter Technologie- und Innovationsmanagement bei der Dräxlmaier Group, gehaltenen Vortrag zum Thema „Das (r)evolutionäre Bordnetz“. Er gewährt einen Blick auf einen etwa 23 kg „schweren“ Leitungssatz in einem Audi A4, bei dem die Leitungen und die Isolierung knapp über 50 % der Masse ausmachen. Danach kommen die Steck-Gehäuse mit 12,6 % und die Kabelkanäle mit 9,6 %. In Audis Modulbaukasten auf Kupfer-Basis sind etwa 5.500 Teile vorhanden, und das Bordnetz eines Audi A8 besteht aus etwa 4000 Teilen, wobei ein kompletter Leitungssatz mit Kosten in Höhe von etwa 400 bis 1000 Euro zu Buche schlägt.

Udo Hornfeck (links) und Georg Sterler (rechts): „Das Bordnetz muss Just-in-Time und Just-in-Sequence in einer Variantenzahl zur Verfügung stehen wie kein anderes Bauteil im Fahrzeug“

Udo Hornfeck (links) und Georg Sterler (rechts): „Das Bordnetz muss Just-in-Time und Just-in-Sequence in einer Variantenzahl zur Verfügung stehen wie kein anderes Bauteil im Fahrzeug“Fotografie Natalie Balleis

„Das Bordnetz muss Just-in-Time und Just-in-Sequence in einer Variantenzahl zur Verfügung stehen wie kein anderes Bauteil im Fahrzeug“, hebt Georg Sterler hervor. Nicht nur vor dem Hintergrund der ständig steigenden Kupferpreise sondern auch, um die Fahrzeuge leichter zu machen, ist die Branche ständig auf der Suche nach Alternativen. Etwa ab 2015 soll es möglich sein, mit den Nano Kontakten die Kammergröße eines Steck Kontakt des praktisch zu halbieren. „Wenn wir größere Ströme brauchen, dann dürfen wir nicht größere Kontakte einsetzen sondern dann müssen wir diese zunächst einmal ausreizen“, führt Georg Sterler weiter aus, um dann ein Beispiel zu geben. Noch im Jahr 2000 hatte ein 4,80KK-Kontakt die Eckdaten 22 A/130 °C auf Zinn-Basis. 2007 brachte es ein vergleichbarer Zinn-Silber-Kontakt bereits auf 37 A/150 °C, und 2014 wird ein Silber-Nickel-4,8QKK für 57 A/180 °C ausgelegt sein.

Thomas Piasecki (links) und Michael Weber (rechts): „Wir harmonisieren gerne miteinander Absicherungstechnologien, die uns nicht im direkten Wettbewerbsumfeld voranbringen“

Thomas Piasecki (links) und Michael Weber (rechts): „Wir harmonisieren gerne miteinander Absicherungstechnologien, die uns nicht im direkten Wettbewerbsumfeld voranbringen“Fotografie Natalie Balleis

Udo Hornfeck erläutert anschließend den Weg zu wirtschaftlichen Lösungen höchster Qualität, wobei er einen Punkt besonders hervorhebt: „Ein kundenspezifischer Kabelbaum bedeutet eine Losgröße von 1; dabei handelt es sich um ein endkundenspezifisches Produkt, nicht um ein OEM-spezifisches Produkt.“ Neben der Qualifizierung neuer Materialien und Komponenten, der Industrialisierung technischer Verfahren, der Steigerung des Automatisierungsgrads, Investitionen in modularer Prüfsysteme sowie in das Entwicklungs- und Produktionsnetzwerk ist für Udo Hornfeck vor allem „die enge Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten bereits in sehr frühen Phasen einer der wichtigsten Aspekte, um die neuen Themen beherrschen zu können“. Sein Schlusssatz lautet: „Wenn ich mir das Lieferanten-Netzwerk in Deutschland anschaue, dann ist das aus meiner Sicht ein entscheidender Standortvorteil, den wir hier haben.“

Ludwigsburg spezial: Daimler und BMW gemeinsam

In einem Vortrag, der den Geist der Ludwigsburger Konferenz „Fortschritte in der Automobilelektronik“ in vollem Umfang widerspiegelt, stehen ein Vertreter der Wettbewerber Daimler und ein Vertreter von BMW gemeinsam auf der Bühne: Michael Weber, Abteilungsleiter E/E und Software, Spezifikation und Test bei der Daimler AG, und Thomas Piasecki, Abteilungsleiter Elektrik/Elektronik und Fahrererlebnisplatz, Absicherung Systemfunktionen bei BMW, berichten gemeinsam über die „Virtuelle Absicherung zur Beherrschung der Komplexität und Varianz von E/E-Systemen“.

„Wir harmonisieren gerne miteinander Absicherungstechnologien, die uns nicht im direkten Wettbewerbsumfeld voranbringen“, erklärt Michael Weber diese ungewöhnliche Form der Zusammenarbeit. Das Ergebnis sind kostengünstigere und schnellere Entwicklungen durch eine virtuelle Absicherung zur Beherrschung des Themas. Dies geschieht durch den Einsatz von VAP genannten virtuellen Absicherungsplattformen für die frühzeitige Integration von Serien-Software. Die Testbibliotheken selbst bleiben jeweils bei den Testern, aber an der prinzipiellen Methodik und deren Verbesserung arbeiten die Wettbewerber gemeinsam. Dabei ermöglichen die Methoden die durchgängige Absicherung von virtuellen Steuergeräten – über den Mischbetrieb bis zum Einsatz auf der realen Ziel-Hardware.

Alfred Vollmer

ist Reakteur der Zeitschriften AUTOMOBIL-ELEKTRONIK und emobility tec sowie von all-electronics.de.

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