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Dirk Wollschläger (IBM): „Die Fahrzeuge sind zu rollenden Sensorplatt­formen geworden, die riesige Datenmengen erzeugen.“ Mathis Wienand

Mit Dirk Wollschläger, General Manager Global Automotive Industry bei IBM, trat erstmals ein Vertreter von Big Blue vor die Ludwigsburger Vortragsbesucher, als er über „Big Data als Innovationstreiber“ referierte. Nach der Vorstellung durch Audis E/E-Leiter Ricky Hudi, der durch diesen Teil der Connectivity-Session führte, begann er seinen Vortrag mit den Worten: „Ich habe heute Morgen gelernt, dass dieser Kongress ein Familientreffen ist, und demnach gehören wir zur erweiterten Verwandtschaft.“

Er erklärt, dass die 200 Millionen „Connected Vehicles“, die 2015 unterwegs sein sollen, ein Datenvolumen von 438 Milliarden GByte/Jahr erzeugen. Zahl und Umfang der Fahrzeugvernetzung werde allerdings innerhalb der nächsten fünf Jahre weiterhin deutlich ansteigen. Schätzungen zufolge werden 2020 etwa 90 % aller Neuwagen vernetzungsfähig sein – der Gesamtbestand an vernetzten Fahrzeugen wird dann bei zirka 700 Millionen Fahrzeuge weltweit liegen.

Zusätzlich finde eine weitere signifikante Veränderung statt: das Auto wird vom Datenkonsumenten zum Datenproduzenten: „Fahrzeuge werden always-on als integraler Bestandteils des Internets der Dinge Daten senden und empfangen“, führt Dirk Wollschläger weiter aus.“ Diese strukturierten und unstrukturierten Daten und die echtzeitnahe und intelligente Aggregation und Analyse der Daten im Backend wird dann eine neue Generation datenbasierter Connected-Car-Services ermöglichen. Durch die Intelligenz aus dem Backend kann das Autofahren sicherer, effizienter und komfortabler werden.“

Der Aufbau und Betrieb eines Connected-Car-IT-Backends stelle dabei heute keine Kernkompetenz der Automobilbranche dar. Vielmehr werde deutlich, dass nicht nur Connected-Cars sondern auch Connected-Industries erforderlich seien, da Automobil- und IT-Industrie immer enger verzahnt sind. Auch auf die bestehenden IBM-Technologien zur Unterstüzung zukünftiger Generation von backendbasierter Connected-Car-Services geht er dabei ein.

Aus seiner Sicht kommt es neben einer technischen Lösung auch darauf an, „den Fokus auf echte Mehrwerte wie Sicherheit und Effizienz zu richten, um eine breite Akzeptanz für die nächste Generation von Connected-Car-Services zu schaffen“, wobei er Folgendes hervorhebt: „Hierbei muss eine Versachlichung der Diskussion und Schärfung der Thematik erreicht werden: weg vom Bild des kartenspielenden Autofahrers am runden Tisch hin zum realen Nutzen sowie Datensicherheit und Datenschutz“ – und zwar inklusive einer Überprüfung, ob Daten eventuell manipuliert sind.

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Dr. Michael Strugala (Bosch): „Die Integrationskompetenz in der Automotive-Cloud ist für einen Tier-1 eine logische Erweiterung der traditonellen fahrzeugbezogenen Integrationskompetenz und somit für uns eine wesentliche, weiter zu entwickelnde Fähigkeit. Mathis Wienand

Die Sicht des Tier-1

Dr. Michael Strugala, Senior Vice President bei Bosch Car Multimedia, informierte über Connected Services sowie deren Auswirkungen auf die Wertschöpfungsketten für ADAS und Infotainment. Gleich zu Beginn stellte er fest: „Die Vernetzung ist sicherlich einer der Megatrends unter vielen, aber der Trend, der wahrscheinlich die meisten anderen mit berührt und andere Grundlagen schafft.“ Das entstehende Ökosystem einer Automotive-Cloud umfasse neben den klassischen Zulieferstrukturen (Tier-1, Technologielieferanten oder Tier-2) neue Marktteilnehmer, wie Mobilfunkbetreiber, Service- und Content-Provider, sowie Anbieter von Telematik-Diensten. Oftmals werde hier auch die Möglichkeit einer Allianz oder Kooperation von Partnern gewählt. „In Folge der vielschichtigen Anforderungen aus dem Fahrzeugumfeld entsteht ein System mit besonderen Anforderungen insbesondere an die Integration der Services und Dienste“, erklärt Dr. Strugala. „Während die Bereitstellung von Daten und Services einen unter Umständen sehr fragmentierten Wertschöpfungsbeitrag darstellen, bietet die Integrationsrolle eine erhebliche Gestaltungsmöglichkeit bei der Zusammenstellung der Dienste, ihrer zugehörigen Datenquellen und der Partner für die Gesamtlösung.“

Traditionell übernimmt bisher im automobilen Ökosystem der OEM, gegebenenfalls auch für Teilfunktionen der Tier-1, die Rolle des Systemintegrators, aber zunehmend stelle sich jedoch „bei der ausgeführten steigenden Vielschichtigkeit der entstehenden Automotive Cloud der Bedarf nach Skaleneffekten durch OEM-übergreifende Wiederverwendung, was Beiträge des Tier-1 wertvoll und sinnvoll erscheinen lassen“. So könne ein Tier-1 das System unter verschiedenen Aspekten gestalten, zum Beispiel durch Schaffung von Integrations-Expertise von cloud-basierten Diensten im Umfeld Mobilität, durch Bedienung unterschiedlicher Kundenschnittstellen für OEM, End- und Geschäftskunden sowie „durch Einsatz von Data-Analytics und Crowd-Sourcing zusammen mit Partnern zur Erzeugung aktueller und genauer Daten – zum Beispiel für das hochautomatisierte Fahren“.

In der traditionellen Zulieferstruktur habe sich eine Organisation auf Basis von kompetenten Domänenstrukturen bewährt, die sich sogar in den modernen E/E-Architekturen im Fahrzeug widerspiegle. Die Bereitstellung von Connected Services stelle jedoch zusätzliche Anforderungen an eine vernetzte Organisation, die sich in weiteren Arbeitsmodellen, beispielsweise für die Umsetzung einer erfolgreichen Integrationsrolle niederschlagen. Auch das Zusammenspiel der Teilnehmer verändere sich damit.

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Arnd Weil (Nuance): „Das HMI wird nicht nur intelligent und natürlichsprachlich bedienbar sein, sondern es wird auch zunehmend eine Personalität mitbringen“ – langfristig sogar über verschiedene Endgeräte hinweg.“ Mathis Wienand

Spracherkennung

„Intuitive, relevante und sichere Lösungen für das vernetzte Auto“ titulierte Arnd Weil, Vice President & General Manager bei Nuance Communications, seinen Vortrag. Automobilhersteller müssen abwägen zwischen der Nachfrage nach Vernetzung und Diensten einerseits und möglichen Risiken durch Ablenkung, Bedienbarkeit, Entwicklungszeiten und Kosten andererseits. Zu Beginn erwähnt er, dass „Kinofilme uns einiges vorgemacht“ haben: „Das Auto der Zukunft – das haben wir gestern schon gehört – fährt selbstständig. Wir sorgen dafür, dass es spricht, dass es hört und dass es versteht.“ Dabei stelle sich die Frage, was wirklich sinnvoll ist, denn immerhin sei Sprachtechnologie nicht alles, sondern Teil von vielen Technologien im Rahmen einer optimalen Anwenderschnittstelle.

Innerhalb der letzten 15 Jahre habe sich die Vokabulargröße im Rahmen der Spracherkennung verzehntausendfacht – und um diese Datenmenge zu verarbeiten, biete sich die Cloud eben an. Hierfür benötigen die Dienste Konnektivität (eine Internet-Anbindung), aber die Netzabdeckung ist auch heute noch nicht jederzeit und überall garantiert, insbesondere nicht in vielen der wichtigen Schwellenländer, sodass hybride Lösungen erforderlich seien, die dem Fahrer eine zuverlässige Verfügbarkeit bieten. „Natürliche Sprachbedienung ermöglicht es dem Fahrer, … die Augen auf den Verkehr zu richten, und so das Ablenkungsrisiko zu minimieren.“ In diesem Bereich investiere sein Unternehmen derzeit am stärksten. Dabei gab er zu bedenken, dass es bei weitem nicht nur um cloud-basierte Funktionen geht: „Wenn ich eine POI-Suche mache, dann muss das System auch Fragmente des Namens, Restaurantnamen aus anderen Sprachen und Ähnliches erkennen.“ Außerdem sei das Dialog-Design von zentraler Bedeutung. „Wir reden in Zukunft über Millionen Elemente im Vokabular, die dann auf der Headunit verarbeitet und dargestellt werden müssen.“ Ein Problem bei Sprachsystemen mit visueller Interaktion ergebe sich jedoch, denn „dann werden die Menschen … selbst wenn es nicht notwendig ist zum Display statt auf die Straße schauen“.

Da häufig mehrere Fahrer ein Fahrzeug benutzen, genauso wie ein Fahrer häufig verschiedene Fahrzeuge fährt, werde die Personalisierung des Infotainment-Systems durch Fahrerprofile immer wichtiger. In diesem Rahmen wies er auch auf die Identifikation des Fahrers mit dem Fahrzeug hin: „Ein gutes HMI kann das Branding sogar noch verstärken und damit immer mehr zu einem Differenzierungsmerkmal werden.“

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Keilei Shen (Harman): Die Apps sind die entscheidenden Elemente, die dafür sorgen, dass aus einem „good device“ ein „great device“ wird. Mathis Wienand

Automotive-Apps

Über das „Ökosystem der Automotive-Apps“ sowie der Infotainment-Apps referierte Kelei Shen, Senior Vice President, Global Innovation and Development bei Harman International.

Eine aktuelle Herausforderung in der Automobilindustrie hängt mit der Frage zusammen, wie sich das System nach dem Kauf des Autos aktualisieren lässt. Dafür gibt es Hardware- und Software-Lösungen. „Was die Software anbelangt, so lassen sich Funktionen am besten durch das Herunterladen von Apps upgraden oder updaten; das hat sich in der Smartphone-Industrie bereits in großem Maße bewährt“, erklärt Kelei Shen. „Doch der Erfolg dieses Konzeptes hängt stark von der Größe des App-Ökosystems ab: Je größer das App-Ökosystem ist, umso brauchbarer ist es für den Endverbraucher und umso motivierter sind die App-Entwickler.“ Die Apps seien die entscheidenden Elemente, die dafür sorgen, dass aus einem „good device“ ein „great device“ wird. Sein Credo zum Thema Apps lautet: „Open-Source wird uns die Entwickler bringen.“ Wichtig dabei wird auch die Nutzung von HTML 5 sein – und warum das so ist, das erklärte er den Fachbesuchern ausführlich.

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Robert Kattner (Volkswagen): „Wenn wir als OEMs mit einer Meinung auf die Unternehmen Google, Apple oder Microsoft zugehen, dann haben wir ... eine andere Herangehensweise an das Thema. Hier sollten wir enger zusammenrücken.“ Mathis Wienand

Consumer-Elektronik einbinden

„Einbindung von Consumer-Elektronik in automobile Entwicklung und deren Herausforderungen aus Sicht des OEMs“ nannte Robert Kattner, Leiter „Mobile Online Dienste und Funktionen” bei Volkswagen, seinen Vortrag. Er erwähnt zu Beginn, dass kaum eine Entwicklung der vergangenen Jahre einen derartigen Einfluss auf den Lebensalltag der Menschen ausgeübt hat wie die Einführung mobiler Endgeräte durch die Consumer-Elektronik. Bereits heute gibt es weltweit mehr als fünf Milliarden Mobiltelefone, von denen über eine Milliarde Smartphones sind – Tendenz stark steigend – und auch im Fahrzeug sollen CE-Funktionen verfügbar sein.

Zu den Herausforderungen zählt die komplexe Wirkkette, die sich über eine Vielzahl von beteiligten Komponenten und Systemen erstreckt, die von teils unterschiedlichen Parteien verantwortet werden. Dies führt unter anderem zu unterschiedlichen Entwicklungszyklen und Qualitätsansprüchen, die synchronisiert werden müssen. Eine weitere Herausforderung ist die Heterogenität der CE-Landschaft: Es gibt unterschiedlichste Hersteller, Betriebssysteme und Display- und Gerätegrößen. Zudem ist es nicht vorhersehbar, welche Gerätetypen den kommenden Trend darstellen (Tablets, Smartwatches und Ähnliches). Dies erschwert wiederum die Sicherstellung eines langfristigen Betriebes sowie die Gewährleistung der End-to-End-Sicherheit über die Wirkkette hinweg. Zudem liegen unterschiedliche Anforderungen an die Qualität der Komponenten seitens OEMs und CE vor.

Dabei richtet er folgenden „Appell an die Gemeinde hier“: „Wenn wir als OEMs mit einer Meinung auf die Unternehmen Google, Apple oder Microsoft zugehen, dann haben wir eine andere Marktmacht und eine andere Herangehensweise an das Thema. Hier sollten wir enger zusammenrücken.“ Allein schon vor dem Hintergrund einer sicheren Einbindung ins Fahrzeug sei dieser „enge Schulterschluss“ notwendig. Robert Kattner erklärt, dass „das Thema Onlinedienste in den nächsten Jahren kontinuierlich weiterwachsen wird und die aktuellen Entwicklungen lediglich den Beginn des Car-2-X-Zeitalters darstellen“.

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Rainer Oder (XS Embedded): „Die richtige Plattformstrategie für Infotainmentlösungen ist der differenzierende Faktor der Zukunft in Bezug auf User Experience, Skalierbarkeit, Kosteneffizienz und Entwicklungsgeschwindigkeit.“ Mathis Wienand

System Solution Provider

Rainer Oder hielt seinen Vortrag „Plattformstrategie: Consumer Electronics-Entwicklungsgeschwindigkeit im Infotainment“ noch als Geschäftsführer von XS Embedded (XSe), aber schon kurz danach hat Mentor Graphics XSe übernommen. Er erklärt unter anderem, warum die Entwicklung von Automotive-Infotainment so viel mehr Zeit beansprucht als von CE-Geräten. Auch auf die Grundlagenarbeit für strategische Plattformen der CE-Hersteller geht er ein, um daraus zu folgern, welche Weichenstellungen in Zukunft notwendig sind. Dabei macht er auf die Bedeutung von „System Solution Providern“ wie XSe aufmerksam: „System Solution Provider haben in hochkomplexen Teilbereichen der Entwicklung eine Expertise, die von unterschiedlichen Kundengruppen genutzt wird und erheblichen Einfluss auf Innovationsfähigkeit und strategische Plattformentwicklung hat.“

Alfred Vollmer

ist Redakteur der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

(av)

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