Simulation bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen mit dem digitalen Zwilling

Bild 1: Das frühestmögliche Testen in einer simulierten Umgebung minimiert den Bedarf an teuren Prototypen und ermöglicht Designänderungen zu einem früheren Zeitpunkt im Entwicklungszyklus. (Bild: Mentor)

Die große Herausforderung ein Elektrofahrzeug zu bauen, besteht aus einer Reihe von komplizierten Aufgaben, Kompromissen und viel Geduld. Das Unternehmen, das die Probleme beim Energiemanagement am besten lösen kann, dürfte wahrscheinlich mehr Erfolg haben und einen größeren Marktanteil gewinnen.

In den nächsten drei Jahren kommen voraussichtlich über 200 Elektrofahrzeugmodelle auf den Markt. Start-ups entwickeln vermutlich neue Konzepte für ihre Fahrzeugplattformen, während OEMs eher auf die konventionellen Plattformen setzen. Bei der Weiterentwicklung neuer Technologien gibt es keinen klaren Favoriten.

Simulation bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen mit dem digitalen Zwilling

Bild 1: Das frühestmögliche Testen in einer simulierten Umgebung minimiert den Bedarf an teuren Prototypen und ermöglicht Designänderungen zu einem früheren Zeitpunkt im Entwicklungszyklus. Mentor

Ein Weg zur Elektrifizierung führt über die Hybridisierung. Hybridantriebe sind jedoch noch komplexer als solche mit einer einzigen Energiequelle, wie sie zum Beispiel in konventionellen Fahrzeugen oder Elektrofahrzeugen zu finden sind. Es liegt in der Verantwortung der Ingenieure, die von jeder Energiequelle angeforderte Leistung so zu balancieren, dass sie die gewünschten Zielgrößen erreichen. Dies erfordert funktionierende Regelkonzepte und Kompromisse zwischen mehreren physikalischen Domänen wie der Elektrochemie für die Batterie, Elektrik für die elektrischen Maschinen, Mechanik für das Getriebe sowie den thermischen Aspekten im Fahrzeug.

Eck-Daten

Die Entwicklung elektrifizierter Fahrzeuge erfordert nicht nur das Beherrschen mehrerer physikalischer Domänen, sondern auch die Zusammenarbeit verschiedener Experten in unterschiedlichen Phasen des Entwicklungsprozesses. Simulations- und Validierungswerkzeuge vereinfachen diesen komplexen Prozess. Die Einbeziehung eines ganzheitlichen digitalen Zwillings in jeden Prozessschritt von der Idee bis zur Realisierung ermöglicht es den Herstellern, die Simulation zur Entwicklung von Elektrofahrzeugen zu nutzen. Das frühestmögliche Testen in einer simulierten Umgebung minimiert den Bedarf an teuren Prototypen und gestattet Designänderungen zu einem früheren Zeitpunkt im Entwicklungsprozess.

Schließlich geht es darum, mit den verfügbaren Werkzeugen entweder die notwendigen Änderungen zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs eines Fahrzeugs vorzunehmen oder ihn vollständig durch Elektrifizierung zu ersetzen. Viele der ersten Schritte zu einem besseren Energiemanagement beinhalten eine Verkleinerung des Motors durch Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Die Änderung einer Fahrzeugeigenschaft kann sich dann jedoch durch komplexere Zusammenhänge ungewohnt auf den Rest des Fahrzeugs auswirken.

Es ist nötig, komplexe Systeme und Subsysteme zu verifizieren und zu validieren. Unterdessen gestaltet sich das Erstellen von Prototypen immer ressourcenintensiver. Dies belastet die Budgets der Ingenieur- und Konstruktionsteams und verzögert die Markteinführung neuer Produkte. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es daher wichtig, neue Produkte bereits während der Entwicklungsphase in einer Simulationsumgebung zu testen und Fehler zu beheben (Bild 1).

Baic Motors nutzte die modellbasierte Systementwicklung MBSE zur Bewertung sehr unterschiedlicher Fahrzyklen mit häufigen Geschwindigkeitsänderungen im Wechsel mit Abschnitten bei konstanter Geschwindigkeit über längere Zeiträume. Mittels Simulation und intelligenter Auswertung konnten sie die Daten der vielen Szenarien erfolgreich verarbeiten. Durch Berücksichtigung verschiedener Umweltfaktoren wie extreme Hitze und Kälte war das Unternehmen in der Lage, das Energiemanagement des Fahrzeugs zu optimieren und die Zielgrößen für den Kraftstoffverbrauch zu erfüllen. Der Aufbau digitaler Zwillinge mittels 1D-, 3D, und CFD-Simulation ermöglichte es zudem, Zeit, Budget und andere Ressourcen einsparen.

Elektrifizierung von Fahrzeugen durch Simulation

Die wachsende Komplexität in der Entwicklung von Elektrofahrzeugen rührt daher, dass immer mehr Systeme miteinander interagieren müssen. Hinzu kommt, dass der Wettbewerb weiter zunimmt. Der Bedarf an kostengünstigeren Produkten, eine frühere Marktreife und an regionale Vorschriften angepasste Fahrzeugvarianten wächst stetig. Auch die sich wandelnden Nutzeranforderungen haben die Art und Weise verändert, wie Ingenieure ein Auto konzipieren und konstruieren.

Methoden der Simulation

Bild 2: Die Kombination zugeschnittener physikalischer Tests mit Simulationsmethoden ermöglicht weiteres, tiefergehendes Verständnis des Fahrzeugsystems. Mentor

Das Nutzen eines ganzheitlichen digitalen Zwillings in jeden Prozessschritt von der Idee bis zur Realisierung ermöglicht es den Herstellern, die Simulation zur Entwicklung von Elektrofahrzeugen zu nutzen und ein verbessertes Energiemanagement sicherzustellen. Über die IoT-Fähigkeiten lassen sich die Daten in einem geschlossenen Regelkreis konsistent zurückführen und zur Verbesserung des Fahrzeugdesigns nutzen. Mittels Simulation können Ingenieure die Leistung unter realen Bedingungen testen und sehen, wie sich eine Vielzahl von Faktoren, zum Beispiel extreme Hitze und Kälte oder die erforderliche Energie, um einen Hügel hinaufzufahren, auf die Leistung auswirkt (Bild 2).

Außerdem können Ingenieure systemische Ansätze implementieren, die bei vergleichsweise moderaten Kosten einen umfassenden Überblick ins Systemverhalten geben. Die Vorteile sind im Vergleich zur Analyse einzelner Komponenten enorm. Simulationen und intelligente Auswertungen, die alle Zielgrößen und alle Subsysteme berücksichtigen, sind deutlich kostengünstiger und weniger zeitaufwendig als der Bau eines Prototyps. Die Integration dieser Bausteine in einen einzigen Prozess führt schneller zu zufriedenstellenden Ergebnissen.

Ein brennendes Auto fährt nicht

Jede Einführung neuer Technologien birgt Nachteile, die es zu berücksichtigen gilt. Um diese Probleme zu lösen, müssen die Verantwortlichen zwischen Attributen wie Komfort, Fahrverhalten, Reichweite, Leistung oder Sicherheit sowie Subsystemen wie Batteriepacks, Elektromotoren, Kühlsystemen, elektrischer Architektur und Infotainment abwägen. Die richtige Balance aus einer Vielzahl möglicher Architekturen zu finden, ist eine Herausforderung, die weiterhin im Mittelpunkt der Entwicklung steht.

Für Ingenieure, die neuentwickelte Batteriedesigns und die Elektrifizierung in einem Fahrzeug umsetzen müssen, stellt beispielsweise das Wärmemanagement eine Herausforderung dar. Batterien haben nur einen begrenzten Arbeitstemperaturbereich, was Überhitzung und Brandgefahr zu einem echten Problem macht. Zusätzlich zu einem effizienten Kühlsystem, das für einen konventionellen Motor und den Komfort im Fahrgastraum ausgelegt ist, ist es entscheidend, die Temperatur der elektrischen Plattform zu regeln und anzupassen. Einfach ausgedrückt: Ein brennendes Auto fährt nicht.

Aufabenteilung

Bild 3: Die Aufgabenstellung bestimmt die erforderliche Modellierungstiefe und damit Genauigkeit, Bedatung und Rechenzeit. Mentor

Um diese Herausforderungen zu meistern, müssen Ingenieure je nach Aufgabenstellung unterschiedlich detaillierte Modelle mittels einer Multi-Level-Modellierungsplattform einführen, damit sie das richtige Modell zur richtigen Zeit verwenden. Um mit einer Multi-Level-Modellierungsplattform genaue und spezifische Ergebnisse zu erzielen, benötigen Modelle mit höheren Detaillierungsgrad mehr Daten und mehr Rechenleistung. Level 1 ist die Basisstufe, oft auf Basis von Kennlinien, mit denen sich zum Beispiel eine Batterie generisch modellieren lässt. Auf Level 4 sollten Batteriemodelle bereits in der Lage sein, thermische Verluste und Alterungsprozesse abzubilden (Bild 3).

Durch Simulation des Batterieverhaltens in einer realistischen Umgebung lässt sich feststellen, wie die Batterie funktioniert und ob ein Betrieb im erlaubten Bereich möglich ist. Die Simulation von Umgebung und Betriebsbedingungen ermöglicht zudem die Überprüfung von Sicherheit, Leistung, Lebensdauer und eventuellen Einschränkungen.

Für die Beantwortung spezifischer Fragen lassen sich auch Modelle verschiedener Level in ein Systemmodell integrieren. Für das Thema Fahrleistung und Verbrauch reichen meist Modelle mit einfacher Modellierung (Level 1) über eine Vielzahl von Subsystemen wie Elektromotor, Batterie, Fahrwerk, Getriebe und Antriebsstrang aus. Die Analyse des Wärmemanagements kann jedoch eine Reihe von Komponenten in verschiedenen Stufen der Modellierungstiefe beinhalten. Zum Beispiel muss ein Ingenieur dabei die Batterie detaillierter modellieren als den Verbrennungsmotor. Wenn die nächste kritische Frage auftaucht oder die Zeit kommt, ein neues Modell zu bauen, können die Ingenieure jedes Subsystem mit einbeziehen, ohne dass sie alles von Grund auf neu erstellen müssen. Dies ermöglicht einen kontinuierlichen Workflow mit einem einzigen Tool.

Komplexe Prozesse vereinfachen

Die Entwicklung von elektrifizierten Fahrzeugen erfordert nicht nur das Beherrschen mehrerer physikalischer Domänen, sondern profitiert auch von der Zusammenarbeit verschiedener Experten in unterschiedlichen Phasen des Entwicklungsprozesses. Innovation verlangt, dass diese Experten die Komplexität überwinden und Risiken bewältigen. Simulations- und Validierungswerkzeuge vereinfachen einen komplexen Prozess und ermöglichen das Umsetzen komplexer Designänderungen vor dem Bau physikalischer Prototypen.

Diagramm Systemintegration

Bild 4: Systemintegration ist zwingend erforderlich. Aber das Ausbalancieren aller Zielgrößen ist eine große Herausforderung im Entwicklungsprozess. Mentor

Unabhängig davon, welche Art von Fahrzeug der Hersteller produzieren will – je früher Entscheidungen im Entwicklungszyklus-Erfolgen, um so einfacher und kostengünstiger lassen sich die notwendigen Änderungen umsetzen. Simulation, Verifikation und Validierung können Systemkontinuität, die Rückverfolgbarkeit über mehrere Domänen und Entwicklungsschritte sowie die funktionale Sicherheit gewährleisten. Dies hilft sowohl bei der Trade-off-Analyse als auch bei Kompromissen zwischen den Attributen und ermöglicht eine effizientere Integration (Bild 4).

Die Renault-Nissan Alliance Group beispielsweise setzt mit ihrer Test- and-Digital-Engineering-Abteilung bei ihren Entwicklungen CAE-Methoden (Computer-Aided Engineering) und numerische Modelle konsequent ein. Die Ingenieure verfügen dazu über die Werkzeuge, um die Zielvorgaben für den Energie- und Kraftstoffverbrauch schnell zu überprüfen und in Multiphysik-Simulationsumgebungen zu testen.

Letztendlich muss die Simulation aber nicht enden, wenn sich das Fahrzeug auf der Straße befindet. Die gleichen Modelle, die zur effizienteren Entwicklung zum Einsatz kommen, können die praktischen Tests ergänzen, bei denen Hersteller während der Lebensdauer des Elektrofahrzeugs Feedback sammeln. Wenn die Fahrzeuge unterwegs sind, empfangen die Entwicklungsteams kontinuierlich eine Fülle von Daten, die Aufschluss über das Fahrverhalten und die Nutzung geben. Sobald genügend davon vorliegen, nutzen die Entwicklungsingenieure diese Informationen, um das aktuelle Simulationsmodell für Fahrzeug und Architektur für ein effizienteres, kundenorientiertes Elektrofahrzeug weiterzuentwickeln.

Lionel Broglia

Software Business Development Manager für Systemsimulation bei Siemens Digital Industries

(aok)

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