48642.jpg

32469.jpg

Die Kommunikations-Architektur schließt hierbei neben Kraftfahrzeugen, Fahrradfahrern oder sogar Fußgängern auch Infrastruktur am Straßenrand wie Verkehrsleitsysteme oder Ampeln sowie Mobilfunksysteme mit ein, so dass man allgemein auch von „Car2X“ oder „C2X“ spricht.
Car2X-Kommunikation ist im internationalen Forschungsumfeld nicht neu. Seit einigen Jahren gewinnt diese Technologie jedoch zunehmend an Serienreife, so dass die Europäische Kommission mit dem Mandat M/453 Anfang 2010 formal den Auftrag erteilt hat, Spezifikationen für einen europäischen Standard für kooperative Transportsysteme zu erarbeiten. Die Stan­­dar­­di­­sie-
­rungsgremien CEN (Comitée Européen de Normalisation) und ETSI (European Telecommunications Standards Institute) sind seitdem auf diesem Gebiet aktiv.
Während CEN wegen ihrer Standards aus dem Bereich Verkehrs- und Reiseinformationen (TPEG – Transport Protocol Experts Group) bekannt ist, wird bei ETSI an der Standardserie „Intelligent Transport Systems“ (ITS) gearbeitet. Letztere bildet die Basis für kooperative Fahrerassistenzsysteme. Die Kooperation fußt hierbei auf dem Informationsaustausch herstellerunabhängiger Nachrichten nach einem einheitlichen Protokollstapel wie er in Bild 1 dargestellt ist.

Technische Grundlage

Die technische Grundlage bildet die drahtlose Kommunikation (WLAN), wie sie beispielsweise auch in Laptops zum Einsatz kommt. Während WLAN-Systeme nach IEEE 802.11a/b/g/n/ac immer höhere Datenraten anstreben, um multimediale Inhalte aus dem Internet zu transportieren, setzt Car2X auf IEEE802.11p – eine speziell für mobile Ad-Hoc-Netze konzipierte WLAN-Variante. Im amerikanischen Sprachraum wird dies als (DSRC) bezeichnet. Dieser Begriff bezeichnet jedoch in Europa ein Mauterfassungssystem der CEN. Um Verwechslungen zu vermeiden wird daher der Begriff ITS-G5 verwendet.
Da sich bewegende Fahrzeuge nicht lange in Kommunikationsreichweite bleiben, wurde auf die sonst üblichen Anmeldeprozesse verzichtet, um ohne Verbindungsaufbau direkt Nutzdaten übertragen zu können.

Bild 1: Protokollstapel für C2X.

Bild 1: Protokollstapel für C2X.Delphi

In Europa und in den USA ist ein geschütztes Frequenzband im 5,9-GHz-Bereich für die Car2X-Kommunikation reserviert. Dies gewährleistet eine größtmögliche Robustheit, da dieses Spektrum exklusiv für C2X zur Verfügung steht und das Verhalten der Kommunikationspartner über einen gemeinsamen Standard steuerbar ist. In den freien ISM-Bändern (Industrial, Scientific and Medical Band) kommt es leicht zu Störungen, wenn zum Beispiel eine Bluetooth-Übertragung zeitlich und spektral auf eine WLAN-Verbindung trifft. In sicherheitskritischen Anwendungen sind Störungen soweit technisch möglich auszuschließen. Jedoch ist ein Funkkanal nie fehlerfrei, so dass den Paketverlusten durch Paketwiederholungen entgegengewirkt wird.
Durch die hohe Frequenz ist die Reichweite in erster Näherung lediglich geringfügig besser als eine Sichtverbindung. Um höhere Kommunikationsdistanzen erreichen zu können, leiten Fahrzeuge anhand eines geografischen Routings Nachrichten weiter und spannen ein Ad-Hoc-Netz unter sich auf (Bild 1). Mittels GeoNetworking ist es möglich, eine Warnmeldung durch eine ITS-Barke am Straßenrand in das Fahrzeugnetz zu injizieren und diese in ein entferntes Zielgebiet zu transportieren, in der keine Infrastruktur zur Verfügung steht. Geobasierte Routing-Algorithmen tragen Sorge dafür, dass die Warnmeldung nicht verloren geht und herannahende Fahrzeuge über die Gefahrensituation frühzeitig informiert werden. Verkehrsleitzentralen können diese Infos nutzen, um den Fahrzeugführer auf einer speziellen Route zu informieren: ähnlich wie bei den Durchsagen im Verkehrsfunk.

Neue Anforderungen

Car2X-Kommunikation stellt neue Anforderungen an die Kommunikationssysteme im Fahrzeug. Dies beginnt schon bei der Antenne. Zum einen werden immer mehr Dienste in den sichtbaren Antennensystemen zusammengefasst. Hier gilt es, ein oder zwei weitere Strahler für 5,9 GHz zu integrieren ohne bestehende Antennen anderer Dienste negativ zu beeinflussen. Zum anderen ist die Richtcharakteristik zu beachten. Während Antennen für Mobilfunk- und Satellitendienste wie zum Beispiel SDARS oder GPS nach oben schauen, müssen Car2X-Antennen horizontal ausgerichtet sein.

Bild 2: Car2X-Kommunikationsszenario – Eine Unfallwarnung wird mittels Nachrichtenweiterleitung an herannahende Fahrzeuge weitergeleitet.

Bild 2: Car2X-Kommunikationsszenario – Eine Unfallwarnung wird mittels Nachrichtenweiterleitung an herannahende Fahrzeuge weitergeleitet.ETSI

Dies stellt bei aerodynamisch optimierten Fahrzeugprofilen eine neue Herausforderung dar, da die Antennen oft im bereits abfallenden Teil des Daches positioniert sind und somit Signale in Fahrtrichtung eine größere Dämpfung erfahren. Als Lösung kommen Antennen in Frage, die diesen Einfluss auf die Richtcharakteristik ausgleichen können, oder alternative Verbauorte der Antennen im Fahrzeug.
 Obwohl die Car2X-Kommunikation unter günstigen Bedingungen Distanzen über einen Kilometer überbrückt, ist die Kabeldämpfung von nur einem Meter Leitung nicht zu vernachlässigen. Die von Delphi favorisierte Lösung (Bild 3) kombiniert daher die Antenne mit der Sende- und Empfangseinheit, um kostenintensive Hochfrequenzleitungen zu vermeiden.

Eigene WLAN-Chips fürs Auto notwendig

Zu Beginn der Entwicklungen bediente man sich der herkömmlichen WLAN-Technik im Glauben, diese mit wenigen Modifikationen auch im Automobilsektor einsetzen zu können. Jedoch zeigte sich in Delphis Feldversuchen, dass der Übertragungskanal aufgrund der hohen Geschwindigkeiten besondere Maßnahmen erfordert. Klassische WLAN-Chipsätze schätzen den Kanalzustand für jedes zu empfangene Paket lediglich einmal. Diese Schätzung nutzt der Empfänger, um Signalverzerrungen durch die Übertragung vor der Decodierung korrigieren zu können.

Der Übertragungskanal zwischen Fahrzeugen ist insbesondere bei fehlender Sichtverbindung schneller veränderlich als die Dauer einer einzelnen Paketübertragung. Daher ist es notwendig, die Kanalschätzung während des Empfangs nachzuführen, um eine geringe Paketfehler-Wahrscheinlichkeit zu erreichen. Diese Notwendigkeit macht dedizierte Chipdesigns für die Automobilindustrie erforderlich.
Ein Großteil der Standardisierungsarbeit umfasst die Spezifikation der Nachrichtenformate. Zum einen müssen diese möglichst kompakt sein, um die begrenzte Datenrate des Funkkanals optimal zu nutzen.

Bild 3: Gesamtarchitektur gemäß ETSI ITS.

Bild 3: Gesamtarchitektur gemäß ETSI ITS.ETSI mit Modifikationen von Delphi

Zum anderen erhalten sämtliche Pakete digitale Signaturen. Signaturen schützen die Nutzdaten vor Verfälschungen und garantieren die Authentizität des Absenders. Unautorisierten Personen ist es somit nicht möglich, das Car2X-System missbräuchlich zu nutzen. Ebenso wird für die Privatsphäre der Teilnehmer Sorge getragen. Durch die Nutzung von Pseudonymen sind sämtliche empfangbaren Identifikationsmerkmale weder fahrzeug- noch personenbezogen. Des Weiteren werden verwendete IDs in regelmäßigen Abständen gewechselt, so dass auch eine Nachverfolgung von gefahrenen Routen unmöglich ist.

„Hier bin ich“-Meldung als Basis

Die Basis für die Wahrnehmung kooperierender Fahrzeuge ist die sogenannte Cooperative Awareness Message (CAM). Die Nachricht fungiert als „Hier bin ich“-Mitteilung, weil alle ITS-Stationen sie periodisch aussenden; sie enthält Angaben über Typ, Position, Geschwindigkeit und Fahrtrichtung. Eine Integration der empfangenen CAM über die Zeit führt zur Kenntnis des direkten Fahrzeugumfeldes. Dieses Wissen steht dem Fahrerassistenzsystem zusätzlich als Basisinformation zur Verfügung (Bild 5).
Je nach Ausstattung des Fahrzeugs lassen sich diese Daten mit fahrzeug-eigenen Sensoren fusionieren, um eine verbesserte Umfelderfassung (elektronischer Horizont) zu ermöglichen. Während fahrzeuglokale Sensoren mit ihrer Reichweite immer vom Standpunkt der eigenen Position das Umfeld erfassen, kann der Sensor „Car2X“ aus einer anderen Perspektive verdeckte Vorgänge auflösen. Ein Abstandsregelsystem auf Basis eines Radarsensors kann keine Fahrzeuge erkennen, die durch vorausfahrende Fahrzeuge verdeckt sind. Das kooperative ITS-System vermag in dieser Situation Informationen über Bremsmanöver vorausfahrender Fahrzeuge zu liefern, um so einen Gewinn an Sicherheit und Effizienz für den Fahrer zu erreichen.

Gefahrenmeldung

Im ITS-Management ist ein Regelmechanismus verankert, der die Senderate für CAMs steuert. Zum einen sollen die Anforderungen der Anwendungen erfüllt werden, zum anderen darf der Funkkanal nicht überlastet werden. Das ITS-Management ist die zentrale Instanz für schichtenübergreifende Optimierungsaufgaben. Die Senderate für CAMs wird situationsbezogen angepasst. In ungefährlichen Situationen mit geradem Straßenverlauf ist die Senderate auf 1 Hz begrenzt. Die Senderate lässt sich in Situationen mit Gefahrenpotenzial auf bis zu 10 Hz erhöhen. Dies kann zum Beispiel in Kreuzungsbereichen oder bei kurvigem Straßenverlauf notwendig sein, um die Trajektorien kooperierender Fahrzeuge prognostizieren zu können. Auf dieser Grundlage lassen sich wertvolle Informationen gewinnen; ein gutes Beispiel hierfür ist die frühzeitige Erkennung einer missachteten Vorfahrt. Dies kann dem Fahrer den erforderlichen Zeitgewinn geben, auf die Situation angemessen zu reagieren, um Unfälle zu vermeiden oder deren Auswirkungen zu verringern.

Bild 4: Prototyp einer Multi-Standard-Antenne von Delphi mit integrierter Sende- und Empfangseinheit.

Bild 4: Prototyp einer Multi-Standard-Antenne von Delphi mit integrierter Sende- und Empfangseinheit. Delphi

Tritt ein kommunikationswürdiges Ereignis auf, werden situationsbezogene Nachrichten von Typ Decentralised Environmental Notification Messages (DENM) versendet. Diese enthalten Detailinformationen über die Gefahrenstelle beziehungsweise die Situation und deren geografische Ausdehnung. Die Anwendungen reichen von der Verkehrszeichen-Übertragung über die Stauende-Detektion bis hin zu Gefahrenwarnungen über Baustellen oder Glatteis.
Das ITS-System macht sich die fahrzeuglokale Sensorik ebenso zunutze wie Informationen über den Sensor Car2X. Wenn mehrere Fahrzeuge auf einer Autobahn im direkten Umfeld voneinander zeitgleich ihre Geschwindigkeit verringern, befindet sich dort mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Stauende. Dieses Wissen wird aggregiert und herannahenden Fahrzeugen mitgeteilt. Im Vergleich zum Verkehrsfunk kann das C2X-System Daten in Echtzeit liefern. In Verbindung mit Infrastruktur-Komponenten lassen sich Car2X-Systeme als fahrende Sensoren betrachten. Schnittstellen zu TPEG-basierten Informationsdiensten, die über das Autoradio empfangbar sind, ermöglichen eine Nutzung von Car2X-Informationen auch in Fahrzeugen ohne diesen Kommunikationskanal, wenn auch nicht in Echtzeit.

Adaptive Grüne-Welle-Empfehlung

Eine Anwendung aus dem Bereich Verkehrseffizienz ist die Übertragung von Ampelphaseninformationen. Die Anwendung Green-Light-Optimal-Speed-Advisory (GLOSA) nutzt Nachrichten von Typ „Signal-Phase and Timing“ (SPAT) im Zusammenspiel mit Topologie-Nachrichten (TOPO). Beide zusammen ergeben ein genaues Bild vom Straßenverlauf mit allen Spuren einer Ampelkreuzung. Anhand des Zustandes des lokalen Blinkers oder aktiver Routenführung einer Navigation kann ein Fahrzeug Empfehlungen zur kraftstoffsparenden Fahrweise berechnen. Das Prinzip der Grünen Welle wird durch Kenntnis der nächsten Ampelschaltzeitpunkte unterstützt, um dem Fahrer Geschwindigkeitsempfehlungen zu geben.

C2X-Markteinführung in 2015

Die langjährige Forschungsarbeit in diesem Bereich trägt Früchte. Aktuelle Systeme haben den Prototypen-Status verlassen. Stand in früheren Forschungsprojekten Technikentwicklung im Vordergrund, untersuchen laufende Projekte die Wirkungen der Car2X-Anwendungen. Bislang ließ sich nur simulativ abschätzen, wie Car2X die Verkehrseffizienz erhöht oder Unfälle vermeiden hilft. Nationale Aktivitäten wie simTD (Deutschland) oder Score@F (Frankreich) sowie europäische Projekte wie DRIVE C2X liefern Daten aus großangelegten Feldversuchen über die Wirksamkeit der Car2X-Anwendungen.

Bild 5: Delphi-Systemansatz für die Car2X-Kommunikation.

Bild 5: Delphi-Systemansatz für die Car2X-Kommunikation.Delphi

In den USA wird im nächsten Jahr auf Basis solcher Daten eine regulatorische Entscheidung des Verkehrsministeriums zur verpflichtenden Einführung von Car2X-Systemen erwartet.
Um in Europa eine ähnliche Hängepartie wie bei der Einführung von eCall zu vermeiden, haben die 12 Automobilhersteller des „Car-2-Car-Communication Consortium“ eine Absichtserklärung veröffentlicht, unabhängig von regulatorischen Maßnahmen das Car2X-System 2015 auf den Markt bringen zu wollen. Eine Ausrüstungsquote von zehn Prozent gilt für viele Anwendungen als erforderliches Minimum. Je mehr Automobilhersteller gemeinsamen agieren, desto schneller lässt sich das Henne-Ei-Problem zur Markteinführung überwinden. Eine möglichst schnelle Marktdurchdringung kann nur mit Unterstützung durch Nachrüstlösungen erreicht werden.
Das Departement of Transportation (DOT) führt in den USA aus diesem Grund auch einen Pilotversuch mit Aftermarket-Geräten durch. Diese nachträglich integrierbaren Geräte verfügen über einen reduzierten Funktionsumfang, stellen für andere Car2X-Fahrzeuge jedoch eine wichtige Informationsquelle dar.

Auf einen Blick

C2X wird Realität

Im Jahr 2015 wollen 12 Automobilhersteller Fahrzeuge mit C2X-Systemen auf den Markt bringen. Über spezielle WLAN-Chips senden die Fahrzeuge dann „Hier bin ich“-Meldungen (CAM) sowie Infos zur Situation (DENM) – beispielsweise zur Grüne-Welle-Geschwindigkeit, über Gefahren etc.

Dipl.-Ing. Sven Kopetzki

ist in der Vorausentwicklung bei der Delphi Deutschland GmbH als Forschungs- und Entwicklungsingenieur tätig. Er betreut das Thema Car2X seit über fünf Jahren.

(av)

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Delphi Deutschland GmbH

Delphiplatz 1
42119 Wuppertal
Germany