Auf der Bühne präsentierte Dr. Burkhard Milke, Director GME Electrical Systems, Infotainment & Electrification bei der Opel AG, als Deutschlandpremiere (parallel zu einem Event in Leipzig) den neuen Opel Adam Rocks, der bei seiner Zielgruppe „fantastisch gut“ ankomme. „Dieses Auto ist in einer Phase entwickelt worden, die ich als die düsterste unserer jüngsten Geschichte beschreiben darf, und dieses Auto ist nur möglich geworden, weil die Power eines Global-Engineerings dahinterstand“, führt Dr. Milke weiter aus, von dem im Übrigen sämtliche Zitate dieses Beitrags über seine Keynote auf dem 18. Fachkongress der Zeitschrift AUTOMOBIL-ELEKTRONIK stammen. Zwischen der Entscheidung, dass ein solches Auto notwendig ist bis zum ersten Auto, das vom Band lief, vergingen gerade einmal „knapp 24 Monate“.
„Hätten Sie gewusst, dass dieses Auto auf einer globalen Architektur aufsetzt, die zu etwa 90 Prozent oder mehr aus Nordamerika kommt?“ Nur damit war es möglich, in derart kurzer Zeit das Fahrzeug umzusetzen.
Für das Infotainment des Adam, bei dem „wir in einem Vergleich auch die geschätzten Kollegen der Premium-Marken abgehängt und den Connected Car Award erhalten haben“, griff Opel auf das IntelliLink-System zurück, dessen Vorentwicklung bei GM in Korea erfolgte. Die Integration und Validierung geschah dann bei Opel. Er beruft sich auf eine KPMG-Studie aus dem Jahr 2010, als er die Schlussfolgerung für die einzig mögliche Strategie zum Überleben als OEM zieht, die „Grow, Partner or Die“ lautet.
Flexible E/E-Entwicklung weltweit
General Motors hat eine globale E/E-Architektur eingeführt, die in allen GM-Fahrzeugen weltweit zum Einsatz kommt. Diese Architektur ermöglicht nicht nur die Wiederverwendbarkeit von E/E-Komponenten sondern auch eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den global verteilten Entwicklungszentren. Da auch die dazugehörigen Entwicklungsprozesse und organisatorischen Elemente global standardisiert wurden, ist es möglich, GM-Fahrzeugprogramme nach ökonomischen Kriterien zwischen den verschiedenen Entwicklungszentren flexibel zu verschieben.
Globales Agieren
Beim globalen Agieren kann ein OEM auf Ressourcen auf der ganzen Welt zurückgreifen und „Experten in Ländern und Organisationen integrieren, ohne ihnen das Gefühl zu geben, das fünfte Rad am Wagen zu sein“. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil: „Wenn ich Entwicklung weltweit habe, dann habe ich jederzeit Zugriff auf alle regionalen Randbedingungen in den Gebieten, in denen ein Fahrzeug funktionieren soll und mehr oder weniger einen 24/7-Arbeitseinsatz, das heißt ‚Engineering never sleeps‘: Wenn die Amerikaner nach Hause gehen, hat Korea bereits mit der Arbeit begonnen – und das nutzen wir tatsächlich, wenn es darum geht, dass man sehr, sehr schnell sein muss.“
„Wenn Sie einen Joint-Venture-Partner in Korea haben und diesen Partner mit koreanischem Engineering aus Ihrem eigenen Haus bedienen können, dann ist das eine ganz andere Grundlage für die Partnerschaft als wenn die Zusammenarbeit aus Europa oder Nordamerika heraus erfolgt.“
Qualität
Während die Fahrzeuge einerseits immer mehr Features bieten, steigen gleichzeitig die Qualitätsansprüche. „Stellen Sie sich doch einfach einmal vor, dass alle Autos, die ein OEM baut, auf den gleichen Teilen basieren, während wir alle Entwicklungszüge dieser Fahrzeuge gleichzeitig nutzen, um die Elemente fehlerfrei zu bekommen. … Genau das tun wir.“
Management
Der grundsätzliche Aufwand für einen derartigen globalen Ansatz sei zwar hoch, aber es zahle sich aus. „Der Aufwand, den Opel Meriva attraktiv und aktuell zu halten, ist im Vergleich zu anderen Fahrzeugen, wo ich mich aus dem globalen Baukasten bedienen kann, immens hoch.“ Daher steht für ihn fest, dass es eine Design-Entscheidung für eine regionale E/E-Architektur „unter meiner Führung nicht mehr geben wird“. Der Opel Insignia war das Pilotprojekt für die sogenannte Global-A-Architektur bei GM, und „seit 2008 arbeiten wir wirklich global“.
Vorgehensweise
Innerhalb der GM-Organisation gibt es Elemente, die versuchen, Probleme generisch zu lösen. Die entsprechenden Lösungen stellen sie quasi in ein Global Repository genanntes Regal, und aus diesem Repository können sich Teams, die ein Fahrzeug zur Serienreife entwickeln sollen, entsprechende Lösungen herausnehmen. „Früher haben wir fast für jedes Projekt das Regal neu gebaut und neue Lösungen eingestellt, um uns dann daraus zu bedienen. Heute streben wir an, die Größe dieses Regals konstant zu halten. Wenn somit eine neue Lösung hereinkommt, muss eine andere heraus, um die Engineering-Complexity im Griff zu halten.“
Zum Füllen dieses Regals gibt es Spezialisten-Teams: In Nordamerika liegen die Schwerpunkte auf Architekturthemen, Infotainment, Aktive Sicherheit und Elektrifizierung des Antriebsstrangs, während der Schwerpunkt in Europa auf den Bereichen Aktive Sicherheit und Chassis liegt. In Brasilien liegt die Expertise für die Emerging-Markets, in Korea für Infotainment, und in Indien gibt es ein Software-Kompetenz-Zentrum.
Analog dazu sind die Zuständigkeiten für die Fahrzeugsegmente aufgeteilt: „Per se haben wir in Europa die weltweite Engineering-Hoheit über alle B- und C-Segment-Fahrzeuge, die General Motors weltweit entwickelt. So entwickeln wir in Rüsselsheim gerade neue Kompaktklassen-Fahrzeuge für Buick, Chevrolet, Opel, für die ganze Welt.“ Nordamerika kümmert sich um das D- und Luxury-Segment sowie um Trucks und SUVs, während Korea für das A-Segment verantwortlich ist und Brasilien die Fahrzeuge für Emerging-Markets verantwortet.
„Das Ganze hat einen äußerst positiven Nebeneffekt, den ich Coopetition between Tech-Centers nenne. Wir haben fünf Tech-Center, die mehr oder weniger nach den gleichen Methoden und Mechanismen arbeiten und sich gegenseitig unterstützen.“ Da GM globale Metriken anwende, „wird ziemlich leicht sichtbar, welche Aspekte der Entwicklung in welchem Tech-Center warum auch immer besser oder schlechter laufen als in einem anderen“. Mit diesen Vergleichen werde es möglich, zu erkennen, wo GM am Optimum arbeitet und wo noch Verbesserungspotenzial besteht.
3P Challenge
Das erfolgreiche Management einer global verteilten Matrix-Organisation ist im Wesentlichen von der 3P Challenge und damit von den drei Hauptfaktoren Product (Produktentwicklung), Process (Prozessentwicklung) und People (Mitarbeiterorganisation) abhängig. „Ein Aspekt ist dabei ganz wichtig: Das Ergebnis, der Erfolg dieser Globalisierung im Engineering ist das Produkt dieser drei Elemente.“
Im weiteren Verlauf erklärt er im Detail, wie Produktentwicklung, Prozessentwicklung und Mitarbeiterorganisation im Detail ablaufen. So sollte beispielsweise der E/E-Architekturlevel auf Basis des entsprechenden Fahrzeuglevels erfolgen. Dabei können neue Features mit jedem wesentlichen Release hinzugefügt werden, während gleichzeitig alle Subsysteme mit den entsprechenden Architektur-Releases kompatibel sein müssen. Als Konsequenz daraus spezifiziert die globale E/E-Architektur nicht nur die technischen Aspekte sondern auch die organisatorischen Rahmenbedingungen und die Entwicklungs-Methodologie. Die globale Architektur fungiert dabei als eine Art Kleber zwischen den einzelnen Spezialisten-Teams (Infotainment, Aktive Sicherheit, …).
Time-to-Market
Auch auf die Nachteile geht er ein: „Das erste Auto innerhalb des kompletten GM-Verbundes, das ein neues Feature haben muss, braucht mit diesem Ansatz mehr Zeit.“ Daher sei in frühen Phasen mehr Aufmerksamkeit erforderlich. „Wenn ein neues Feature aber erst einmal im Regal ist, dann ist es quasi über Nacht in allen Fahrzeugen applizierbar. Das heißt, dass wir rein elektronisch von der Architektur her in den Adam alles hineinpacken könnten, was GM derzeit an Know-how auf der Pfanne hat.“
Weitere Aspekte
Das Prinzip der permanenten Optimierung gilt bei der globalen E/E-Entwicklung ganz besonders. Zu den wesentlichen Herausforderungen zählen auch hier die zunehmende Produkt- und Entwicklungs-Komplexität bei gleichzeitig immer kürzer werdenden Entwicklungszyklen in Kombination mit immer höheren Qualitäts-Targets.
(av)