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Heutige Infotainment-Systeme im Fahrzeug verfügen über eine Vielzahl von Funktionen und Fähigkeiten. Durch neue Assistenzsysteme und Komfortfunktionen sowie die Einbindung von mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets ist die Komplexität dieser Systeme in den letzten Jahren weiter angewachsen. Aktuelle Trends wie Gestenbedienung, Sprachsteuerung und zunehmende Integration von Online-Diensten in den Alltag der Verbraucher versprechen weitere Steigerungen im Funktionsumfang. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die zunehmende Komplexität der Benutzerschnittstellen im Fahrzeug sowie der steigende Entwicklungsaufwand, um dem Fahrer eine einfache Bedienung zu ermöglichen und ihn möglichst wenig von seiner primären Aufgabe der Fahrzeugführung abzulenken.

Beispiel für ein EB-Guide-Cluster.

Beispiel für ein EB-Guide-Cluster.Elektrobit

Aktuelle Entwicklungsprozesse im Infotainment-Bereich stoßen zusehends an ihre Grenzen, da neben mehr Funktionen auch kürzere Entwicklungszyklen gefordert werden. Die Automobilindustrie als solche sieht sich vor der Herausforderung, dass Infotainment-Systeme mit Smartphones und anderen Consumer Devices verglichen und an den kurzen Entwicklungszeiten von Apps gemessen werden. Während also gleichzeitig mehr Funktionen in kürzerer Zeit entwickelt werden müssen, gilt es, die hohe Qualität und Robustheit automobiler Systeme zu wahren.

Das Projekt Automotive HMI im Überblick

Automotive HMI

Das im Rahmen von Automotive HMI geschaffene Austauschformat Infotainment Specification Format (ISF) erfüllt die industriellen Anforderungen und steht mit dem Konzept des Projekts im Einklang. Das Konzept und das Austauschformat unterstützen die iterative Vorgehensweise, wie sie in heutigen Infotainment-Projekten zu finden ist. Spezifikateure, Designer, Übersetzer, Entwickler und Tester arbeiten gleichzeitig an einem großen Datenmodell, das nach und nach immer mehr das finale HMI verkörpert. Durch das Austauschformat ist der Import und Export in unterschiedliche Software-Werkzeuge einfach, wobei alle Beteiligten weiterhin mit den ihnen vertrauten Werkzeugen arbeiten.

Das Projekt Automotive HMI hat es sich zum Ziel gesetzt, durch neuartige Ansätze aus den Gebieten des Testens und der modellbasierten Generierung die Entwicklungszeit von Infotainment-Projekten zu verkürzen, die interne Konsistenz von Infotainment-Spezifikationen sicherzustellen und die einzelnen Projektmitglieder von repetitiven und automatisierbaren Aufgaben zu entlasten.

Das Projekt, an dem mehrere OEMs und Zulieferer der deutschen Automobilindustrie beteiligt sind, erforscht seit Anfang 2011 neue Wege zur Spezifikation und Umsetzung von Infotainment-Systemen.

Die zentrale Idee hinter dem Ansatz, der im Projekt Automotive HMI erforscht wird, ist eine Verbesserung der Kooperation zwischen den verschiedenen Projektmitgliedern eines Infotainment-Projekts durch Automatisierung der Arbeitsschritte, deren manuelle Ausführung bislang vermeidbaren Aufwand generiert. Verzögerungen in heutigen Prozessen ergeben sich durch parallele Dokumentation, langsame Kommunikationswege und generell hohe „Reisezeiten“ der Projektinformationen innerhalb eines Projekts.

Der neue Ansatz verspricht ein oder mehrere Informations-Repositories, die den Projektpartnern eine Kommunikation und Kollaboration in Echtzeit erlauben. Dabei ist es allerdings möglich, Informationen nur für eine Gruppe (zum Beispiel nur Mitarbeitern des OEMs) freizugeben, sodass dort interne Arbeiten durchgeführt werden können, ohne die darin enthaltenen Geschäftsgeheimnisse gleich mit allen am Projekt beteiligten Zulieferern und sonstigen Beteiligten teilen zu müssen. Vielmehr können die Zulieferer auf den zuletzt freigegebenen Stand zugreifen, während im System bereits ein neuerer vom OEM definiert wird. Durch einen Knopfdruck wird dieser dann freigegeben und kann automatisch mit den bereits entstehenden Entwicklungen der Zulieferer abgeglichen werden. Je nach Automatisierungsgrad beim Zulieferer sind somit die Änderungen und ihre Auswirkungen in Sekundenschnelle sichtbar und erlauben so eine bessere Abschätzung des zusätzlichen (oder wegfallenden) Aufwands.

Bild 1: Die Phasen der Infotainment-Systementwicklung.

Bild 1: Die Phasen der Infotainment-Systementwicklung.Elektrobit

Neben den kollaborativen Aspekten soll ein herstellerneutrales Datenformat für Spezifikationen geschaffen werden, das die Ablage und automatisierte Verarbeitung von Spezifikationsinformationen ermöglicht. Diese Verarbeitung reicht vom Import und Export in Mockup-, Design- und Entwicklungstools bis zu internen Konsistenzüberprüfungen, ob zum Beispiel bei allen Grafikelementen im Projekt die minimalen Größen, erlaubten Farben und Abstände zu den Rändern eingehalten sind.

Durch eine Beschreibung des Infotainment-Systems, unabhängig von konkreter Zielhardware und -software, ist es für die Projektbeteiligten möglich, gemeinsam über Aussehen und Verhalten des Systems zu diskutieren, ohne dass jeder Beteiligte über das Spezialwissen der Entwickler verfügen muss. Gleichzeitig erlaubt diese Form der Beschreibung die Erstellung von Codegeneratoren, die das gleiche Infotainment-System auf unterschiedliche Targets bringen können. Daraus ergeben sich völlig neue Möglichkeiten, wie eine höhere Wiederverwendungsrate bei neuen Projekten oder der einfachere Wechsel auf eine andere Plattform.

Bild 2: Während der Grobspezifikation können erste Mockups aus Widget-Bibliotheken aufgebaut werden.

Bild 2: Während der Grobspezifikation können erste Mockups aus Widget-Bibliotheken aufgebaut werden.Elektrobit

Ergebnisse des Projekts

Im Rahmen des Arbeitspakets „Modellierungssprache“ wurde auf Basis von Anforderungen aus der Industrie ein Austauschformat namens Infotainment Specification Format (ISF) geschaffen, das die industriellen Anforderungen erfüllt und mit dem Konzept des Projekts im Einklang steht.

Das Konzept und das Austauschformat unterstützen die iterative Vorgehensweise, wie sie in heutigen Infotainment-Projekten zu finden ist. Spezifikateure, Designer, Übersetzer, Entwickler und Tester arbeiten gleichzeitig an einem großen Datenmodell, das nach und nach immer mehr das finale HMI verkörpert. Durch das Austauschformat ist der Import und Export in unterschiedliche Software-Werkzeuge einfach und ermöglicht den Beteiligten, weiterhin mit den ihnen vertrauten Werkzeugen zu arbeiten.

Bild 3: Unterstützung der Entwickler durch Möglichkeiten zur Vorschau auf das finale Screen-Design.

Bild 3: Unterstützung der Entwickler durch Möglichkeiten zur Vorschau auf das finale Screen-Design.Elektrobit

Ein zentraler Aspekt des Austauschformats ist die semantische Beschreibbarkeit, die es erlaubt, auf hohem Niveau sowohl das Aussehen als auch das Verhalten des HMI zu beschreiben. Während Bäume von UI-Widgets die Darstellung und die vorhandenen Elemente auf dem Bildschirm beschreiben, kann durch Zustandsmaschinen das Verhalten auf leicht verständliche Weise abgebildet werden. Gerade in frühen Phasen unterstützen die schnellen Iterationen aus Gestaltung und Ausprobieren den Interaktionsgestalter bei der schnellen Evaluation verschiedener Interaktionskonzepte.

Praktischer Einsatz

Zur Verdeutlichung des Ansatzes ein praktisches Beispiel: Ein OEM hat beschlossen, ein neues Infotainment-System zu beauftragen, und bereits erste Ideen, Designs und Funktionsanforderungen aufgestellt. Diese Daten befinden sich in Grafik-Dateien und Office-Formaten und sind aktuell auf verschiedenen Rechnern und Netzlaufwerken beim OEM verstreut. Mit dem neuen Ansatz könnten diese Informationen direkt in das System eingepflegt werden – und zwar entweder als reiner Text oder per Verlinkung von Dokumenten. Der Vorteil liegt hier in der zentralen Ablage aller projektrelevanten Informationen sowie einer automatischen Versionierung. Ein Mitarbeiter kann somit eines der verlinkten Dokumente öffnen, editieren und speichern, ohne sich um gleichzeitig stattfindende Änderungen durch andere Mitarbeiter Sorgen machen zu müssen. Ähnlich wie bei einem heutigen Software-Versionierungssystem merkt sich das System alle Änderungen mit Zeit, Datum und Mitarbeiter. Sollte es zu Konflikten kommen (wenn beispielsweise ein gleicher Absatz gleichzeitig editiert wurde und nun in zwei Versionen vorliegt, die sich inhaltlich unterscheiden), dann können diese erkannt und einfach zurückverfolgt werden, so dass die betroffenen Mitarbeiter die entsprechenden Widersprüche möglichst effizient ausräumen können.

Bild 4: Grafische Darstellung der Übergänge zwischen den einzelnen Screens.

Bild 4: Grafische Darstellung der Übergänge zwischen den einzelnen Screens.Elektrobit

Der OEM gibt nun eine erste grobe Version der Spezifikation an verschiedene Zulieferer aus. Dazu kann ein automatischer Export aus dem Datenbestand erfolgen, der zum Beispiel alle nicht als vertraulich markierten Informationen enthält. Die Daten werden in das Infotainment Specification Format (ISF) exportiert, das im Projekt Automotive HMI entwickelt wurde. Das Format selbst ist offen und erlaubt verschiedenen Herstellern und Firmen die einfache Erstellung eigener Tools oder die Integration in bestehende Software-Werkzeuge.

Die Zulieferer verfügen entweder über eigene Werkzeuge zur Analyse der vom OEM ausgegebenen Daten oder haben die Möglichkeit, die vom OEM ausgegebenen Daten in ein anderes Dokumentformat zu transformieren, um die Analyse dann auf Basis der transformierten Daten durchzuführen.

Nachdem der OEM einen oder mehrere Zulieferer ausgewählt hat, kann er aktuellere Versionen auf die gleiche Art exportieren und den Zulieferern zur Verfügung stellen. So soll zum Beispiel ein Zulieferer die Headunit fertigen und ein zweiter das Kombiinstrument herstellen. Für beide Zulieferer sind die Informationen des jeweils anderen aber nur in Teilen relevant. Daher bietet die neue Lösung dem OEM die Option, seine Daten-Exporte aus dem Datenmodell seiner Spezifikation individuell auf jeden Zulieferer zuzuschneiden.

Bild 5: Beispiel für ein EB-Guide-Cluster.

Bild 5: Beispiel für ein EB-Guide-Cluster.Elektrobit

Die Zulieferer beginnen mit der Software- und Hardware-Entwicklung und fügen relevante Informationen (von Dokumentation über Quellcode bis zu Hardware-Informationen) in ihren Datenbestand ein. Es ist leicht möglich, die aktuellen Änderungen auf Zuliefererseite zu exportieren und an den OEM zu senden, sodass dieser jederzeit den aktuellen Stand beim Zulieferer vor Augen hat. Das Austauschformat ist explizit dazu gedacht, separat veränderte Modelle leicht ineinander zu integrieren. Der OEM kann also einen einfachen Import in seinen Datenbestand fahren und Zulieferer-Informationen hinzufügen, ohne die eigenen Daten zu verändern oder zu beschädigen.

Dipl.-Inf. Marius Orfgen

arbeitet beim DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz)

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Moritz Kümmerling

arbeitet beim DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz)

(av)

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