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Markus Mierse (rechts, im Gespräch mit Alfred Vollmer, Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK): „Beim Einsatz von APIX-3 sind wir der erste Lizenznehmer. Ein Testchip liegt uns bereits vor, und wir planen zur Embedded-World 2018 unser neues Produkt Indigo-3 mit APIX-3-Schnittstelle vorzustellen.“ (Bild: Alfred Vollmer)

AUTOMOBIL-ELEKTRONIK: Wie laufen die Geschäfte?

Markus Mierse: Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung in unserer neuen Konstellation bei Socionext. Unser Automotive-Grafik-Geschäft wächst stabil, und auch in den benachbarten Bereichen wie zum Beispiel Imaging finden unsere Lösungen mehr und mehr Resonanz in Europa. Unser Entwicklungsstandort in München ist dabei auf die Hardware/Software-Entwicklung, Support und Vermarktung von Grafik-Lösungen sowie kamerabasierten Anwendungen im Fahrzeug ausgerichtet. Letztes Jahr haben wir unser zehnjähriges Bestehen des Standorts gefeiert, der ja noch zu Fujitsu-Zeiten gegründet wurde. Die Nachfrage ist ungebrochen.

Die europäischen Automobil-Premiummarken setzen seit Jahren erfolgreich auf unsere hier entwickelten Lösungen. Es freut uns besonders, dass die von uns entwickelten Technologien in jüngster Zeit in anderen Märkten wie China und Korea zum Einsatz kommen – und zwar auch jenseits des Premiumsegments. Zudem berücksichtigen wir von Anfang an auch die Bedürfnisse unserer Kunden in Japan und den USA. Für uns hier in München ist Automotive maßgeblich; aus strategischen Gründen sind wir hier am Standort für die weltweiten Automotive-Aktivitäten von Socionext verantwortlich. Außerdem profitieren wir von vielen Synergien, die aus Socionexts Aktivitäten in benachbarten Märkten entstehen.

Welche Schwerpunkte setzt Socionext bei seinen Aktivitäten?

Markus Mierse: Socionext wurde vor zwei Jahren aus den LSI-Bereichen von Fujitsu und Panasonic gegründet, um sich als SoC-Anbieter für Speziallösungen auf die Bereiche Imaging, Computing und Networking zu konzentrieren. Socionext setzt ganz bewusst nicht mehr auf ein IDM-Modell, sondern es ist ein Fabless-Unternehmen, das die Synergien aus den ursprünglichen Unternehmen sinnvoll nutzt und flexibel einsetzt. Das aus beiden Firmen mitgebrachte IP-Portfolio und die große Expertise im Bereich SoC-Entwicklung sind ausschlaggebend für den Erfolg. Hier am Standort profitieren wir beispielsweise von den Display- und Imaging-relevanten Technologien aus beiden Firmen. Unsere Kollegen aus dem Network-Bereich haben sich spezialisiert auf ADC-, DAC- und Serdes-Lösungen für den optischen Kommunikationsbereich mit 100-GBit/s- und 400-GBit/s-Anwendungen und sind damit weltweit führend. Das globale Geschäft der Business-Unit wird von Europa aus geleitet und ist hier in Europa durch mehrere Entwicklungszentren vertreten. Der Computing-Bereich umfasst Custom-SoCs, ARM-Server, Edge-Computing und Connectitiy-Lösungen.

Welche Kernkompetenzen sind dabei für Automotive besonders wichtig?

Markus Mierse: Für den Bereich Imaging ist Automotive das zentrale Thema in Europa – und zwar in verschiedenen Ausprägungen: von unserer Hauptanwendung Automotive-Grafik in allen Varianten bis hin zu Kameraanwendungen wie Rundumsicht-, Spiegelersatz- oder Rückfahrkameras.

Bei uns am Standort wurden in diesem Zusammenhang die strategisch wichtigen Technologien entwickelt. Eine unserer wesentlichen Kompetenzen ist die Integration von APIX in unseren Display-Controllern. Seit wir zusammen mit unserem Partner Inova 2007 – damals noch unter Fujitsu-Flagge – das erste Produkt mit integriertem APIX-Interface entwickelt hatten, haben wir die Palette an Display-Controllern und SoCs mit APIX-Schnittstellen stark erweitert. Mittlerweile sind etwa zehn Produkte in Massenproduktion oder in Entwicklung. Mit dieser Produktpalette decken wir den Bedarf an immer weiter vernetzen Displayarchitekturen im Fahrzeug ab. Beim Einsatz von APIX-3 sind wir der erste Lizenznehmer. Ein erster Testchip liegt uns bereits vor und wir planen zur Embedded-World 2018 unser neues Produkt Indigo-3 mit integrierter APIX-3-Schnittstelle vorzustellen.

Der zentrale Bereich unseres Kompetenzfeldes sind die 2D/3D-Grafikengines, die wir seit Beginn unserer Tätigkeit hier am Standort München entwickelt haben. Viele dieser eigenen Grafik-Lösungen finden sich sowohl in den eigenen SoCs, aber zunehmend auch in Produkten von Drittanbietern.

Zudem haben wir auch für die Bedürfnisse unserer europäischen Kunden eigene Lösungen für den Surround-View-Markt entwickelt, die wir teilweise zusammen mit Partnern umsetzen. Hierbei sind die Ansprüche in Europa deutlich höher als in anderen Regionen, bezüglich der Qualität der Kamerabilder und deren Übertragung.

Unsere Kollegen am Standort Linz haben außerdem seit einigen Jahren mit ihrem Produkt CGI-Studio ein eigenes Software-Tool für 3D-HMIs im Fahrzeug entwickelt, wodurch wir eine Systemlösung für HMIs im Fahrzeug anbieten können.

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Markus Mierse, Socionext: „Die Anzahl der Displays pro Fahrzeug wird in Zukunft stark ansteigen.“ Alfred Vollmer

Welche Trends sehen Sie in der Zukunft bei Display-Architekturen für das Fahrzeug?

Markus Mierse: Unsere Kunden und Partner benötigen zunächst höhere Display-Auflösungen, was durch die Entwicklung der Consumer-Displays und die Kundenerwartung getrieben wird. Das stellt neue Herausforderungen nicht nur an den Display-Controller sondern auch an den Display-Link. Bisher stellte HD eine gewisse Obergrenze dar, aber in Zukunft sind sowohl 2k- als auch 4k-Displays geplant. Die Link-Bandbreiten steigen dann von etwa 3 Gbit/s auf 6 Gbit/s und höher an. Mit dem Einsatz von APIX-3 sind wir auf den Trend bestens vorbereitet.

Außerdem steigt die Anzahl der Displays pro Fahrzeug in Zukunft stark an: Neben dem klassischen Hauptdisplay und dem Zentraldisplay gibt es Ideen, dem Beifahrer ein eigenes Display zu spendieren. Hinzu kommen noch ein abgesetztes Display im Klimabedienteil, die Spiegelersatz-Thematik und Head-up-Displays. So kommt man schnell über 10 Displays, wobei die Displays für das Rear-Seat-Entertainment noch nicht eingerechnet sind.

Steuert dann ein zentrales Steuergerät alle Displays?

Markus Mierse: Wir erkennen einen allgemeinen Trend zur Konsolidierung der Steuergeräte. Es wird somit immer leistungsstärkere ECUs im Fahrzeug  geben, die mehrere hochauflösende Displays aus einer Silverbox treiben. Damit steigt auch die Anforderung an hochintegrierte HMI-Computer und natürlich an die Software. Das wird zudem neue Herausforderungen an die Vernetzung stellen.

Wenn zunehmend Displays die klassischen Anzeigeinstrumente ersetzen, werden Safety-Features immer wichtiger. Wie gehen Sie damit um?

Markus Mierse: Eingefrorene Anzeigenkomponenten oder schlicht falsche Darstellungen auf der Hauptinstrumentierung können fatale Folgen haben. Daher ist es unbedingt erforderlich, die ganze Kette abzusichern, und es müssen entsprechende Safety-Maßnahmen eingebaut werden.

Unsere neuesten Display-Controller der Indigo-Familie bieten einerseits höhere Link-Bandbreiten, andererseits enthalten sie auch zahlreiche Safety-Features – und die werden auch für Displayanwendungen immer wichtiger. Bestimmte Anzeigen wie Check-Control, die Ganganzeige im Kombi-Instrument und die Bilder aus verschiedenen Kameras muss das System verzögerungsfrei und zu jedem Zeitpunkt korrekt anzeigen. Beispielsweise könnten eingefrorene Bilder einer Rückfahrkamera oder falsche Warnmeldungen unmittelbar zu einem Unfall führen.

Wie verändert das automatisierte Fahren die Display-Landschaft?

Markus Mierse: Durch das aufkommende autonome Fahren wird es einen verstärkten Fokus auf Entertainment und User-Experience geben. Der Fahrer wird zu bestimmten Zeiten zum Passagier, und Displays im Fahrzeug werden somit weniger die heutigen fahrerbezogenen Funktionen aufweisen müssen. Displays sollten damit wenigstens rekonfigurierbar werden, damit sie sich auch zu Entertainment-Zwecken einsetzen lassen. Gleichzeitig gibt es fast keine Notwendigkeit mehr, bestimmte Werte anzuzeigen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Drehzahlmesser.

Displays können aber auch die Hürde zum autonomen Fahren verringern; die Fahrer können so feststellen, was das System erkannt hat, und sich auf dieser Basis leichter dem Fahrzeug anvertrauen. Wenn sie sehen, was der Fahrzeugrechner erkennt, trauen sie sich eher, dem Fahrzeug die Kontrolle zu überlassen.

Für das Handover, also die Übergabe der Steuerungsaufgabe zwischen Mensch und Maschine werden auch neue Konzepte wie AR-HUDs (Augmented-Reality-Head-Up-Displays) mehr an Bedeutung gewinnen. Ein AR-HUD kann den Fahrer effektiv auf die Wiederaufnahme der Fahrzeugkontrolle vorbereiten und ihm dabei in kurzer Zeit alle wichtigen Informationen bereitstellen. Das Motto lautet hier klar „Weniger ist mehr“.

Wie erfolgt dabei die Abgrenzung zwischen Elementen, die gemäß ISO26262 sicherheitsrelevant sind und den nicht so kritischen Elementen?

Markus Mierse: Aus allgemeinen Anforderungen wie dem Fußgängerschutz entstehen Anforderungen an bestimmte Anzeigesysteme im Fahrzeug, denn sie müssen dem Fahrer bestimmte Zustände immer sicher und zuverlässig übermitteln. Sicherheitsrelevante Anzeigen sind zum Beispiel Check-Control-Meldungen, Ganganzeige, aber auch Rückfahrkameras und digitale Außenspiegel. Nicht kritisch sind dagegen Drehzahlmesser, Klima-Bediendisplays, Rear-Seat-Entertainment und Ähnliches.

ASIL-kritische Informationen aus dem Grafik-erzeugenden Steuergerät, beispielsweise der Headunit, muss die Displayanbindung garantiert fehlerfrei übertragen. Falls ein Fehler auftritt, muss das System Störungen oder falsche Daten selbstständig erkennen und darauf reagieren.

Was heißt das in der Praxis?

Markus Mierse: Zur Unterstützung dieser Anforderung haben unsere Entwickler in die Display-Controller der Indigo-Reihe mehrere Funktionen implementiert. Hierbei handelt es sich um SoCs, die speziell für Remote-Displays geeignet sind und deren Funktion es ist, Video- und Steuersignale über den integrierten APIX-Receiver zu empfangen und aufzubereiten. Dabei fungieren sie als Kommunikations- und Videobrücke zu den Displays und den angeschlossenen Peripheriegeräten.

Die Indigo Display-Controller ermöglichen eine abgesicherte Kommunikation des Display-Datenstroms. Im Fehlerfall werden die Übertragungsfehler  über die APIX-Automotive-Shell mit einem integrierten zyklischen Redundanz-Check (CRC) und einer Wiederholung der Übertragung begegnet. Eine Signature-Unit ermöglicht sowohl bitgenaue Algorithmen, als auch mehr Robustheit gegen verlustbehaftete Komprimierung, Rauschen und Ähnliches. Außerdem stellt sie sicher, dass in einem bestimmten Displaybereich, der vorher mit einer rechteckigen Maske festgelegt wurde, die gewünschte Grafik bitgenau erscheint.

Ganz wichtig ist die integrierte Freeze-Detection. Dabei handelt es sich um einen nicht-sichtbaren Frame-Counter, den die Kamera-Einheit in den Frame einträgt, um zu erkennen, ob ein Kamerabild eingefroren ist oder nicht. Dies geschieht mit Zählern, die im Kamerabild versteckt sind. Auf der Displayseite prüft das System kontinuierlich, ob der Zähler inkrementiert.

Auch der integrierte Panic-Mode ist ein wesentliches Feature, denn er ermöglicht in einem Notfall-Modus die Darstellung von bestimmten Inhalten bei völligem Signalverlust. Das wird durch ein Alive-Sender und Watchdogs ermöglicht. Hinzu kommen noch andere Funktionen wie CRC-Checker, Clock-, Betriebsspannungs- und Temperatur-Überwachung.

Die Tier-1s haben diesen Sommer vermehrt Lösungen für den Ersatz der Spiegel durch elektronische Lösungen gezeigt. Welche Aktivitäten laufen dabei?

Markus Mierse: Hier ergeben sich sinnvolle Synergien, da diese Lösungen eine spezielle Ausprägung unserer AVM-Anwendung darstellt.  Im Prinzip sind Spiegelersatzlösungen ja auch wieder Außenkamera-Anwendungen, die auf eine ganz bestimmte Darstellungsart adaptiert sind; man kann dem Fahrer Warnungen besser präsentieren, beispielsweise, wenn plötzlich Personen auftauchen. Wir unterstützen dabei Funktionen wie Freeze-Detection, Helligkeitsanpassung oder Detailzoom.

Socionext hat Image-Signal-Prozessoren, die dafür zum Einsatz kommen. Ganz besonders hilfreich ist das im Nutzfahrzeugbereich. Die sehr großen Spiegel von Lkws könnten durch unsere Surrround-View-Anwendung ersetzt werden. Der Kraftstoffverbrauch sinkt, weil sich der Windwiderstand dadurch verringert, und das ist bei Nutzfahrzeugen besonders interessant. Die OEMs planen spiegellose Fahrzeuge etwa ab 2020 anzubieten, für großflächigere Ansichten eher ab 2021 beziehungsweise 2022.

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Markus Mierse, Socionext: „Bei der 360-Grad-Rundumerfassung geht der Trend insgesamt zu mehr Kameras, höherer Auflösung sowie zu digitaler Signalübertragung mit mehr Bildverarbeitung.“ Alfred Vollmer

Welche Trends sehen Sie bei der 360-Grad-Rundumerfassung im Fahrzeug?

Markus Mierse: Insgesamt geht der Trend zu mehr Kameras, höherer Auflösung sowie zu digitaler Signalübertragung mit mehr Bildverarbeitung. Ein großes Thema ist auch die Sensorfusion, also die Erzeugung von 3D-Bildern der Umgebung mit all ihren Objekten basierend auf verschiedene Sensordaten von Ultraschall-, Kamera- aber auch Radar-Sensoren.

Die Rundumsicht kann natürlich bei einem Schadensfall, also bei Versicherungsfragen, einen hervorragenden Beitrag leisten, indem man die kompletten Kamera-Streams permanent aufzeichnet. Dies könnte in einer Blackbox erfolgen, die beim Auslösen des Crash-Sensors die Aufzeichnung einfriert. So lässt sich im Schadensfall das Szenario des Unfalls auslesen. Wenn ein solches System sogar in mehreren unfallbeteiligten Fahrzeugen vorhanden ist, dann wird die Situation nahezu eindeutig. In Europa ist das noch nicht ganz akzeptiert, aber in Asien führen wir viele Gespräche, wo die Fahrzeughersteller dies mit Nachdruck wünschen. Wir haben hierfür Lösungen, die wirklich gut funktionieren.

Auch Sonderfahrzeughersteller sind an der Rundumsicht sehr interessiert. Wir verstehen uns in diesem Bereich nicht nur als reiner Hardware-Lieferant, denn wir werden Lösungen auf der Systemebene anbieten, sind allerdings kein Tier-1.

Welche Bedeutung hat die Security in diesem Bereich, und wie lässt sie sich umsetzen?

Markus Mierse: Die immer ausgefeilteren Cyberangriffe in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass auch der Schutz der Fahrer, Passagiere und Fußgänger vor Bedrohungen aus dem Netz mehr in den Mittelpunkt rückt. Speziell bei stark nach außen vernetzten, autonom fahrenden Fahrzeugen ist das Schadenspotenzial sehr hoch.

Egal ob Ransomware, Spyware, Remote-Übernahme oder gar Car-Cloning: die Palette ist besorgniserregend. Die Automobilsicherheit lässt sich grob in unterschiedliche Bereiche unterteilen: in die interne und die externe Kommunikation. Für Anzeige-Systeme ist die interne Kommunikation vorrangig. Diese muss zwischen normalen und unbefugten Aktivitäten unterscheiden können, um zum Beispiel eine gehackte Kommunikation zwischen den Bordnetzen zu verhindern.

Fast schon selbstverständlich ist eine ausreichend gut verschlüsselte Kommunikation wie etwa HDCP, was aber alleine nicht ausreicht. Als eine weitere Methode eignet sich das Application-Whitelisting, das alle Zugriffe für die Darstellung auf dem Display verbietet, die nicht ausdrücklich erlaubt sind.

Die Hersteller von Headunits und ähnlichen Steuergeräten müssen außerdem effektive Firewalls und weitere Intrusion-Prevention-Maßnahmen implementieren. Aufgrund der deutlich höheren Zeitkonstanten in der Automobil-Elektronik-Entwicklung ist das Risiko für einen Angriff hoch, und es ist noch viel zu tun. Unsere Automotive-Chips verfügen alle über eine eindeutige ID, die sich gut für Security-Zwecke nutzen lässt.

Alfred Vollmer

Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

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