Herbert Rixen, Yazaki

(Bild: Alfred Vollmer)

Herr Rixen, wie laufen die Geschäfte?

Herbert Rixen: Wir sehen natürlich momentan einen großen Umbruch in der ganzen Branche sowie eine gewisse Verunsicherung, aber generell laufen die Geschäfte bei uns gut. Über die letzten Jahre sind wir kontinuierlich gewachsen und konnten das gut managen. Auch die Aussichten für die nächsten Jahre sind gut. Als inhabergeführtes Unternehmen hat Yazaki – mit über 300.000 Mitarbeitern weltweit – die Möglichkeit, längerfristig zu planen und sich mit langem Atem und globaler Vorgehensweise auf Änderungen vorzubereiten.

Wohin geht der Trend bei den Leitungssätzen?

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Herbert Rixen (Yazaki): „Im Prinzip haben wir einen modularen Baukastenansatz in die E/E-Welt übertragen.“ Alfred Vollmer

Herbert Rixen: Bei Kabelbäumen gibt es zwei bestimmende Trends: Ein Thema ist das autonome Fahren, das andere die Elektromobilität. Die Elektromobilität bringt hohe Spannungen, hohe Ströme sowie besondere Anforderungen an die Abschirmung und die Absicherung mit sich. In den Designs für die E-Mobility steht die Übertragung hoher Leistungen im Mittelpunkt, während beim autonomen Fahren die Themen Zuverlässigkeit, Redundanz und operationale Sicherheit eine erheblich stärkere Rolle spielen.

Welche besonderen Anforderungen ergeben sich durch das automatisierte Fahren?

Herbert Rixen: Die größten Herausforderungen sind Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit. Wir arbeiten momentan an einer Lösung, das Bordnetz beziehungsweise die Leitungssätze diagnosefähig zu machen. Die meisten Fehler, die im Bordnetz auftreten, ergeben sich nicht spontan. Ein Kabelbruch ist, abgesehen vom Szenario eines Unfalls, keineswegs ein Standardfehler – er kommt so gut wie nie vor. Eine sukzessive Erhöhung von zu übertragenden Strömen über das zulässige Niveau hinaus ist zum Beispiel ein sehr viel größeres Problem, da es bei den heutigen Absicherungskonzepten keinerlei Vorwarnung gibt. Hier setzen wir mit unserer rein software-basierten Lösung ‚Preemptive Fusing‘ an. Sie funktioniert im Zusammenspiel mit smarter Energieverteilung ohne Schmelzsicherungen. Im Prinzip ist das „Big Data im Kleinen“, da unsere Lösung Daten-Informationen verarbeitet.  Wir werden Preemptive Fusing voraussichtlich innerhalb der nächsten zwölf Monate serienreif darstellen können.

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Herbert Rixen (Yazaki, links, hier im Gespräch mit AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Chefredakteur Alfred Vollmer) über das automatisierte Fahren: „Allein schon aus Gründen der Zuverlässigkeit müssen wir hier von den manuellen Prozessen mit ihrer ganzen Streubreite von Fehlern wegkommen – hin zu einem im Wesentlichen standardisierten und automatisierten Prozess, der auch zukünftige Anforderungen der Rückverfolgbarkeit erfüllt. … Wir haben daher ganz neue Wege eingeschlagen, und die Ergebnisse sind so vielversprechend, dass wir aus technischer Sicht einen SOP um 2021 für realistisch halten.“ Alfred Vollmer

Mit dieser Software registrieren wir auch Veränderungen, die über den Kabelbaum hinausgehen. So können wir beispielsweise erkennen, ob eine Komponente wie etwa die elektrische Lenkung zunehmend mehr Strom zieht. Die Lösung erlaubt es dann auch, davon abhängige Fahrzeugsysteme vorzuwarnen.

Beim autonomen Fahren wird erstmals die ISO 26262 übergreifend zum Einsatz kommen: von der Elektronik, wo sie seit langem Standard ist, bis ins Bordnetz hinein. Bisher weiß noch keiner in der Branche so richtig, wie wir diese Herausforderung massentauglich umsetzen sollen. Die einzelnen OEMs verfolgen dabei teilweise sehr unterschiedliche Ansätze. Von einer standardardisierten Vorgehensweise sind wir momentan noch weit entfernt.

Wie bekommen wir diese Problematik in den Griff?

Herbert Rixen: Es bietet sich an, ähnlich wie bei der ISO 26262 selbst alle Beteiligten im Rahmen eines Gremiums, von Tier-2 über Tier-1 bis OEM, an einen Tisch zu holen, um die Ausweitung der relevanten Aspekte auf die Gesamt-E/E-Architektur zu besprechen. Auf Basis dieser Gespräche könnten wir viel schneller zu passenden Resultaten kommen. So ist zum Beispiel die FIT-Ratenberechnung bisher nur für Elektronik-Einzelkomponenten, aber noch  nicht für einen kompletten Leitungssatz definiert. Wir würden uns auf jeden Fall an einem derartigen Gremium beteiligen, weil wir in diesem Bereich derzeit sehr aktiv sind. Hier gilt es, die richtige Balance zu finden, die einerseits die funktionale Sicherheit gewährleistet, andererseits aber einen überkomplexen Ansatz vermeidet.

Welche globalen Ansätze es hierzu gibt und was die großen Herausforderungen der Zukunft sind, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Wie gehen Sie dabei vor? Gibt es globale Ansätze?

Herbert Rixen: Die Herangehensweisen, wie technische Lösungen erarbeitet werden, wie die Systemanforderungen sind oder welche Märkte abgedeckt werden sollen, erweisen sich weltweit als sehr unterschiedlich. Das gilt für autonomes Fahren ebenso wie für alle weiteren großen Branchentrends. Tendenziell entwickeln wir in Europa die Autos sehr kundenbezogen, beispielsweise für die deutschen OEMs mit vielfältigen Ausstattungsoptionen und damit mit einem sehr kundenspezifischen Ansatz. Demgegenüber gibt es in Nordamerika meist nur wenige vordefinierte Ausstattungspakete: Dort wollen die Kunden ein Neufahrzeug wie Waren in einem Supermarkt kaufen und sofort mitnehmen.  Das bedeutet aber auch für den Designansatz eine komplett andere Vorgehensweise, da weniger Systeme aufeinander abgestimmt und entwicklungsseitig abgesichert werden müssen. Deshalb verfolgt Yazaki stets das Ziel, die Grundsysteme und Grundanforderungen wie Elektromobilität in jeweils einfachere, kleinere und vielfach einsetzbare Elemente herunterzubrechen, um sie dann modular für einzelne Regionen anzupassen.  Anders ausgedrückt: Als global aufgestellter Lieferant arbeiten wir an einem Baukasten, um die regionalen Ausprägungen der Mega-Trends möglichst effizient zu bedienen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Herbert Rixen, Yazaki

Herbert Rixen (Yazaki): „Als global aufgestellter Lieferant arbeiten wir an einem Baukasten, um die regionalen Ausprägungen der Mega-Trends möglichst effizient zu bedienen.“ Alfred Vollmer

Herbert Rixen: Ein klassisches Beispiel dafür ist 48 V: Mit der Erklärung E/E-Leiter auf dem Automobil-Elektronik Kongress in Ludwigsburg 2011 war die Entwicklungssicherheit gegeben. Etwas später sprangen auch die Amerikaner und die Asiaten mit auf den Zug auf. Während 48 V in Europa zunächst vor allem für energiehungrige Anwendungen wie Wankstabilisierung oder elektrisch angetriebene Kompressoren in hochmotorisierten Premiumfahrzeugen konzipiert war, diente 48 V in anderen Märkten primär zur Umsetzung einer Mild-Hybridisierung, um die Verbrauchs- und CO2-Werte zu verringern.

Spätestens bei den E/E Architekturen treffen sich diese beiden Anwendungswelten wieder, weil stets dieselben Fragestellungen auftreten: Managementsysteme für zwei parallele Batterien, eine Lichtbogen-Unterdrückung oder passende Steckverbinder sind in allen Anwendungsfällen notwendig – und dafür sind geeignete Lösungen beziehungsweise  Produkte gefragt. Wenn wir ein solches Arc-Supression-System erst einmal entwickelt haben, können wir es in alle Regionen verkaufen – und das jeweils passend gestaltete Bordnetz gleich mit dazu. Dieses Beispiel zeigt unseren grundsätzlichen Ansatz: Mit einem Gleichteileprogramm versuchen wir, die Anforderungen der OEMs so umzusetzen, dass sie von der Lowline bis zur Highline möglichst viele Anwendungsbereiche abdecken können, ohne parallel entwickeln zu müssen. Im Prinzip haben wir einen modularen Baukastenansatz in die E/E-Welt übertragen.

Was sind Ihre großen Herausforderungen?

Herbert Rixen: Eine der ganz großen Herausforderungen ist gerade hier auf dem europäischen Markt die Tatsache, dass wir mit den bisherigen Konzepten für Bordnetze wirklich an die Grenzen stoßen. Die Kabelbäume werden einfach zu groß und zu komplex. Der eine Megakabelbaum, der sich ohne Unterbrechung in einzelne Bereiche von vorne bis hinten durch das Fahrzeug zieht und dann auch noch kundenspezifisch für jedes Fahrzeug individuell hergestellt wird, ist irgendwann nicht mehr beherrschbar. Mittlerweile übersteigt ein solcher Kabelbaum allein schon hinsichtlich seiner Größe das, was ein Montagearbeiter noch handhaben kann. Da stellen sich auf einmal ganz praktische Fragen: Wie bekommt man den Leitungssatz mit 70 kg Masse überhaupt noch aus der Verpackung heraus?  Wie bewegt man solch ein System sicher und ohne Beschädigungen innerhalb des Fahrzeugs?

Die zweite Herausforderung ist die notwendige Automatisierung der Produktion. Ein großer Treiber ist hier das automatisierte Fahren: Allein schon aus Gründen der Zuverlässigkeit müssen wir hier von den manuellen Prozessen mit ihrer ganzen Streubreite von Fehlern wegkommen – hin zu einem im Wesentlichen standardisierten und automatisierten Prozess, der auch zukünftige Anforderungen der Rückverfolgbarkeit erfüllt. Mit den aktuell auf dem Markt verfügbaren Anlagen lassen sich die gigantischen Leitungssätze allerdings nicht automatisch fertigen. Konventionelle Automatisierung ist derzeit ansatzweise nur bei Leitungssätzen kleiner bis mittlerer Größe möglich und wird dort auch schon angewendet. Wir haben daher ganz neue Wege eingeschlagen, und die Ergebnisse sind so vielversprechend, dass wir aus technischer Sicht einen SOP um 2021 für realistisch halten.

Um mehr über die notwendigen Problemlösungs-Strategien und zur Architekturoptimierung zu erfahren, klicken Sie bitte weiter.

Wie wollen Sie das Problem lösen?

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Herbert Rixen (Yazaki): „Die Kabelbäume werden einfach zu groß und zu komplex.“ Alfred Vollmer

Herbert Rixen: Das geht nur, indem wir uns von den vielen funktionsbezogenen ECUs verabschieden und eine ganz andere Fahrzeugarchitektur aufsetzen.  Wenn ein oder zwei zentrale Domain-Steuergeräte mit mehreren I/O-Knoten – von kleinen busgesteuerten Knoten etwa für die Innenbeleuchtung oder andere einfache Lasten bis hin zu lokalen Steuergeräten, die vor Ort Sensordaten einsammeln und Aktuatoren steuern –verbunden sind, dann benötigt man im Grunde nur eine Spannungsversorgung und eine ausreichend schnelle Datenverbindung. Damit  entfällt ein nicht unerheblicher Teil der Verkabelung. Beide Arten von Geräten müssen dann aber hochzuverlässig ausgelegt sein und werden aus Redundanzgründen untereinander mit einer Ringtopologie verbunden. Letztlich benötigt man nur noch eine einheitliche Kernstruktur, die das Rückgrat bildet. Ein Teil der Bordnetzkomplexität wandert damit in die Software, ein anderer in lokale kleine Kabelbäume, die von den I/O-Knoten ausgehen.

Derzeit ermitteln wir, welche Anforderungen in punkto Datenraten auf der Sensor- sowie auf der Aktuatorseite bestehen. Wir wollen dann wirklich komplette Lösungen anbieten, die über das reine Bordnetz hinaus und in Richtung einer optimierten E/E-Architektur gehen.

Gerade bei diesem zentralen Rückgrat dürfte es doch eine gute Basis für Gleichteile geben…

Herbert Rixen: Ja, das wäre wünschenswert. Momentan gibt es Bestrebungen einiger OEMs hin zu standardisierten Lösungen. Der Idealfall wäre wirklich eine Art Open-Source-Ansatz, auf dem man aufsetzen kann und bei dem Software-Funktionalitäten auch in punkto Hypervisor-Technologien etc. offengelegt werden – also eine Nachfolgegeneration von Autosar. Lieferanten von Elektronikprodukten könnten darauf aufbauen, um letzten Endes Software ähnlich wie im App-System aufzuspielen und wiederzuverwenden.

Wir bieten unseren Kunden an, während der Konzeptphase einer neuen Fahrzeugplattform beziehungsweise Fahrzeuggeneration eine komplette Architekturoptimierung durchzuführen. Dabei analysieren wir die existierende Lösung und überlegen dann gemeinsam mit dem OEM, wo das Verbesserungspotenzial liegt. Eine dabei typische Frage lautet, wie sich Elektronik-Funktionalitäten zusammenlegen lassen und wo sie am besten physikalisch im Fahrzeug platziert werden. Wenn ein Steuergerät hinten links eine Funktion vorn rechts steuert, dann liegt da eine riesige Leitungslänge dazwischen… Die gesamte Optimierung bieten wir im Vorfeld als Dienstleistung an, um dann daraus zusammen mit dem Kunden ein Gesamt-E/E-Konzept zu entwickeln.

Wie läuft eine Architekturoptimierung ab?

Herbert Rixen: Auf dem freien Markt gibt es viele CAD- und IT-Tools, die sich jeweils auf einzelne, teils ziemlich enge Bereiche fokussieren. Wir haben gemeinsam mit einer Hochschule über einen sehr langen Zeitraum hinweg unser eigenes Tool namens epdsPRO entwickelt, mit dem wir bei sehr geringem administrativem Aufwand existierende Datenmodelle von Schaltplänen, Leitungssätzen, Elektronik etc. über standardisierte Schnittstellen importieren. Auf einer grafischen Oberfläche können wir mit diesen Modellen spielen, um zu sehen, wo das Optimierungspotenzial ist. So sind wir in der Lage, kurzfristig eine quantitative Bewertung als Dienstleistung zu liefern – auch für Hochvoltsysteme.

Alles zu den Vorteilen des Gebrauchs zusätzlicher Steckverbinder und mehr finden Sie auf der letzten Seite.

Welche Vorteile ergeben sich dadurch, dass Yazaki nicht nur Leitungssätze, sondern auch Steckverbinder fertigt?

Herbert Rixen: Während der Designarbeit für eine neue Fahrzeuggeneration können wir den gesamten Bordnetzbereich aus einer Hand abdecken, was beim Thema Design-for-Manufacturing einen großen Pluspunkt darstellt – gerade wenn kurzfristiger Handlungsbedarf besteht. Außerdem können wir bei den Komponenten die Komplexität signifikant verringern oder neueste Trends effektiv unterstützen.  Im Übrigen bieten wir alle Steckverbinder auch auf dem freien Markt an.

Welche Datenraten fragen die OEMs bei Ethernet-Neuentwicklungen nach? Welche Veränderungen sehen Sie bei den Bus-Systemen?

Herbert Rixen: Im Bereich Ethernet geht die Nachfrage für die SOPs 2020 und 2021 zusätzlich zu den heutigen Lösungen von 100 Mbit/s ganz klar in Richtung 1 Gbit/s und für die nächsten Generationen auch noch deutlich darüber hinaus. Wir haben mittlerweile auch schon Anfragen im Bereich von 10 Gbit/s oder für Systeme wie APIX in der neuesten Generation vorliegen. Diese neuen Bus-Systeme werden zumindest noch einige Zeit lang mit den älteren Lösungen wie Flexray, CAN etc. koexistieren, weswegen wir skalierbare Lösungen anstreben, eine Familie sozusagen. Wir beschränken uns dabei jedoch nicht nur auf elektrische Lösungen; wir verfolgen auch optische Systeme, zum Beispiel für Einsatzbereiche wie Batteriesysteme, die eine hohe EMV-Festigkeit erfordern. Da ergeben sich viele Vorteile.

Welche Bedeutung hat der Automobil-Elektronik Kongress in Ludwigsburg für Sie?

Herbert Rixen: Für mich hat der Automobil-Elektronik Kongress in Ludwigsburg eine ganz herausragende Bedeutung. Ich kenne global keine andere Veranstaltung, auf der Themen so zukunftsorientiert und so direkt auf die Automobilelektronik fokussiert vor einem so kompetenten und erfahrenen Publikum angesprochen werden wie in Ludwigsburg. Für mich ist das eine einmalige Pflichtveranstaltung mit einem ganz besonders hohen Stellenwert. Dort treffe ich erfahrene und einflussreiche Branchenvertreter, die auch Signale setzen und über langfristige Strategien sprechen können. Ich habe mich schon für 2020 angemeldet.

 

(aok)

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