
„Mit unseren rein kamera- basierten Lösungen können Fahrerassistenzsysteme wie ACC, LKA oder EBA nun auch in Entry-Level-Fahrzeugen Einzug halten.“ Jan Kolanko (links), JOYNEXT (Bild: Alfred Vollmer)
Der Name JOYNEXT ist seit vielen Jahren bekannt für seine IVI-Systeme. Nun schlägt das Unternehmen neue Wege ein. Herr Mathew, was gibt es Neues bei JOYNEXT?
Noby Mathew: Wir freuen uns, dass namhafte OEMs seit über 15 Jahren unseren Lösungen vertrauen. Wir verfügen über sehr viel Know-how für Automobilelektronik und deren Integration. Für AD braucht man genau diese Fähigkeiten. Deshalb haben wir uns entschlossen, auch im Bereich ADAS aktiv zu werden. Mit unserer Erfahrung aus Asien sind wir der ideale Partner für OEMs in Deutschland und Europa, die den digitalen Wandel und die Anforderungen des autonomen Fahrens vorantreiben wollen, aber die Synergien aus Hardware und Software aus eigener Kraft nicht voll ausschöpfen können.
Was heißt das konkret?
Noby Mathew: JOYNEXT gehört zu einem chinesischen Mutterunternehmen, und in China spielen ADAS-Funktionalitäten eine große Rolle bei der Kaufentscheidung der Kunden. Typische Beispiele hierfür sind der Highway-, City- oder der Spurwechsel-Assistent. In China erwarten viele Kunden, dass ihr Auto diese Funktionen übernimmt.
Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen dem chinesischen und dem europäischen Markt: Wenn ein System in über 90 Prozent der Anwendungsfälle funktioniert, dann ist ein chinesischer Kunde damit zufrieden – aber nur solange sie das neuste Feature bekommen, das nahtlos ins Auto integriert ist. Die europäischen Autokunden wiederum fordern in praktisch 100 Prozent der Anwendungsfälle ein bestens funktionierendes System ein.
Jan Kolanko: Genau hier können wir die Stärken unseres Konzerns voll ausspielen. Unsere chinesische Mutter hat bereits sehr viel Erfahrung im chinesischen Markt gesammelt und verfügt über das technische Know-how im Bereich ADAS bis hin zum automatisierten Fahren. Gleichzeitig wissen wir bei JOYNEXT in Dresden als europäische Tochter ganz genau, was die OEMs in Europa wirklich wollen und welche Anforderungen sie stellen. Auf dieser Basis können wir sehr schnell neue Funktionen nach Europa bringen – und zwar kostengünstig.

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Warum sollten OEMs nach Ihrer Meinung jetzt auch bei ADAS/AD auf JOYNEXT setzen?
Jan Kolanko: Das große Problem der OEMs ist der Preisdruck, wenn sie binnen kurzer Zeit neue Funktionen zuverlässig auf den Markt bringen müssen. Genau da können wir die OEMs unterstützen.
Wie lange ist JOYNEXT denn schon im Bereich ADAS/AD aktiv? Wo sehen Sie Ihre Vorteile, wenn Sie jetzt erst in den Markt einsteigen?
Noby Mathew: In China arbeiten wir seit 2021 an Lösungen für ADAS/AD-Applikationen, und seit gut eineinhalb Jahren ist auch das europäische JOYNEXT-Team in Dresden bei diesem Thema sehr aktiv.
Jan Kolanko: Wir müssen uns nicht mit irgendwelchen Techniktrends beschäftigen, die dann am Ende doch nicht in der Breite zum Einsatz kommen. Wir können uns stattdessen ganz gezielt um die ADAS- und AD-Funktionen kümmern, die auch wirklich den Marktbedürfnissen entsprechen. Gerade für das Entry- und Mid-Segment sind unsere Komplettlösungen interessant. Wenn die Kunden ein neues Auto kaufen, dann wollen sie auch neue Funktionen. Genau das ermöglichen wir, sodass die OEMs wirklich konkurrenz-fähig sind. Kurzgesagt bekommen wir oft die Grundtechnologie aus China, und in Dresden machen wir die Produkte marktreif für den europäischen Markt, da wir wissen, wie man derartige Systeme
absichert und an europäische Bedürfnisse anpasst.
Über welche ADAS/AD-Produkte sprechen wir dabei?
Jan Kolanko: Sehr gute Beispiele sind unsere Smart Camera sowie die zentrale Recheneinheit. Die Smart Camera ist jetzt verfügbar, an dem Zentralrechner arbeiten wir gerade. Wir sind bereits in intensiven Gesprächen mit europäischen OEMs, die sich im Bereich Entry-Level-Fahrzeuge für unsere Smart Camera interessieren. Sie vereint Datenerhebung, -verarbeitung und -steuerung in einem kompakten Gerät. Außerdem gibt es Ausbaustufen mit zusätzlicher Innenraumkamera, über die sich auch das Driver Monitoring abdecken lässt. Das Produkt entstand im Rahmen einer Kooperation. Wir waren für die eigentliche Kamera zuständig. Das israelische Unternehmen Autobrains steuerte die Perception-Software bei. Autobrains ist somit an dieser Stelle für die Detektions-Algorithmen inklusive Klassifizierung etc. zuständig und setzt hierfür selbstlernende KI-Algorithmen ein. JOYNEXT sorgt hingegen für die Sensordatenfusion, und unsere Software berechnet dann die erforderlichen Trajektorien, aber sie generiert auch die entsprechenden Steuerbefehle. Die Funktionstüchtigkeit der Smart Camera haben wir im November 2024 auf dem Lausitzring erfolgreich unter Beweis gestellt – und zwar mit dem Demonstrator-Fahrzeug, das auf dem Cover dieser Ausgabe zu sehen ist. Dort haben wir verschiedene Funktionalitäten, wie zum Beispiel den Abstandsregeltempomat und den Spurhalteassistenten der Smart Camera getestet. Die Ergebnisse waren überzeugend, sodass wir die Smart Camera voraussichtlich bald auf den Markt bringen können.

Für welche Level des automatisierten Fahrens will JOYNEXT Systeme anbieten?
Jan Kolanko: Wir arbeiten an Level 2, bei dem die Verantwortung beim Fahrer verbleibt. Ab Level 3 geht viel Verantwortung auf das System über; dafür müssen noch diverse Regularien und Randbedingungen festgelegt werden. Unser Fokus liegt aktuell darauf, so viele Funktionen wie möglich für Level 2 anzubieten. Wenn wir später unsere Systeme entsprechend abgesichert haben, werden wir auch Level 3, 4 oder 5 anvisieren. Mit unseren rein kamerabasierten Lösungen können Fahrerassistenzsysteme wie ACC, LKA oder EBA auch in Entry-Level-Fahrzeugen Einzug halten. Das System ist ausbaubar und kann Sensordatenfusion mit Radarsensoren abdecken.
Noby Mathew: Wir setzen im Rahmen unserer Strategie auf die Zusammenarbeit mit kompetenten Partnern. Im Rahmen unserer Kooperation mit Autobrains oder mit einzelnen Tier-1-Zulieferern kommt es dann zu einer Coopetition, also zu einer Kombination aus Kooperation und Competition.
Wie könnte eine Coopetition aussehen?
Noby Mathew: Es gibt zwei Ansätze, die beide interessant sind. Man kann zum Beispiel im Rahmen einer solchen Coopetition gemeinsam intensiv an einer Entwicklung arbeiten, aber dann später im Rahmen der Kommerzialisierung ganz klar auf dem Markt konkurrieren – und zwar sowohl bei den Funktionen als auch bei den Geräten. JOYNEXT kann aber auch als Tier-1 auf dem Markt agieren und dann Komponenten sourcen, in denen Partnerunternehmen gewisse Arbeitspakete zugeliefert haben, wobei JOYNEXT hier die Gesamtverantwortung für das Produkt übernimmt. Wir sind für beides offen. Durch derartige Zusammenarbeit können die OEMs sich Kosten in beachtlichem Umfang sparen, und gleichzeitig besteht oft die Möglichkeit des Dual-Sourcings.
Welche Bedeutung hat das SDV für JOYNEXT?
Noby Mathew: JOYNEXT hat historisch einen klassischen Ansatz mit zahlreichen einzelnen ECUs verfolgt, strebt jedoch klar in Richtung Software-defined Vehicle. Derzeit konzentrieren wir uns in Europa hauptsächlich auf die Absicherung, Testung, Validierung, Verifikation und Zertifizierung, während die Software-Entwicklung vorwiegend in China stattfindet. Zukünftig soll dieser Bereich auch in Europa wachsen. Unser Standort Dresden kann dabei seine Erfahrung einbringen, insbesondere bei der Einhaltung von Euro-NCAP-Vorgaben und nordamerikanischen Anforderungen. Um es kurz zu sagen: Das Software-defined Vehicle ist unser klares Ziel, und wir investieren gezielt in Innovation und Expertise, um die notwendigen Technologien und Strukturen zu etablieren.
Jan Kolanko: Wir können dann sowohl die Hardware- als auch die Software liefern. Und da der OEM die Software von uns übernehmen kann, kann er sich ausschließlich auf die gewünschten Funktionen konzentrieren und entsprechend seine Ressourcen optimal bündeln.
Welche Projekte in den Bereichen ADAS/AD und SDV laufen bereits bei JOYNEXT?
Noby Mathew: Wir sind in Gesprächen mit verschiedenen OEMs. Ein Projekt mit einem chinesischen OEM wird 2025 auf den asiatischen Markt sowie bald darauf in 2026 auf den
europäischen Markt kommen. Ein Projekt mit einem europäischen OEM soll dann 2028 SOP haben.

Welche Unterschiede sehen Sie in der Herangehensweise der chinesischen OEMs und der europäischen OEMs?
Noby Mathew: In China ist die Time-to-Market das Allerwichtigste. Jedes Jahr müssen – wie beim Smartphone – neue Funktionen angeboten werden, damit man als OEM weiterhin ein attraktiver Verkaufspartner für Autos ist. Um dieses Ziel konsequent umzusetzen, ist man in China auch bereit, Einschränkungen hinzunehmen. Natürlich müssen die Lösungen erheblich über dem universitären Level und über Machbarkeitsstudien liegen, aber die Europäer verlangen in puncto Zuverlässigkeit und Sicherheit einfach noch mehr.
Jan Kolanko: Während es in China oft in Ordnung ist, wenn eine Funktion nur bis zu einer Geschwindigkeit von beispielsweise 60 km/h funktioniert, ist die Erwartungshaltung in Europa ganz anders, denn hier muss die Funktion auch bei 130 oder gar 140 km/h noch ordnungsgemäß funktionieren. Das erfordert dann natürlich ein ganz anderes Timing und eine ganz andere Abstimmung. In Dresden können wir diese Qualitätsstandards durch unser Know-how gewährleisten. Dabei setzen wir sowohl auf virtuelle Lösungen wie Hardware-in-the-Loop- und Software-in-the-Loop-Systeme als auch auf Testfahrten im Realverkehr. In der Vergangenheit haben wir viele Testfahrten auf europäischen Straßen durchgeführt und dabei eine beachtliche Strecke zurückgelegt, um unterschiedliche Bedingungen und Fahrgewohnheiten in den wichtigsten Ländern zu erfassen. Die dabei gewonnenen Videodaten sind ein wertvolles Instrument, um unsere Systeme und KI-Modelle zu trainieren und zu testen. Diese Aufnahmen können wir selbstverständlich wiederverwenden, um die Reproduzierbarkeit unserer Tests sicherzustellen.
Bereits 2025 wird JOYNEXT einen ersten SOP im ADAS-Bereich haben…
Noby Mathew: …ja, und zwar bei einem chinesischen OEM, denn es war von Anfang an unser Ziel, einen chinesischen OEM in den europäischen Markt zu begleiten – mit Systemen, die sämtliche europäischen Regularien erfüllen. Dabei ist es für die chinesischen OEMs attraktiv, dass ihr Produkt durch uns hier in Dresden bereits für den europäischen oder amerikanischen Markt gemäß NCAP, -NHTSA- und anderen Vorgaben zertifiziert ist. Die OEMs können da gegenüber herkömmlichen Systemen durchaus 30 bis 40 Prozent der Kosten einsparen. Und mit gut 30 Millionen installierten Systemen auf dem Markt konnten wir unsere Massentauglichkeit bereits gesichert unter Beweis stellen.
Inwiefern unterstützen Sie auch chinesische Unternehmen, ihre Produkte auf den europäischen Markt zu bringen?
Noby Mathew: Wir kooperieren mit verschiedenen Unternehmen, die zum Beispiel Sensoren anbieten, aber noch nicht in Europa etabliert sind, um deren Produkte auf den europäischen Markt zu bringen. Die hierfür nötige Absicherung übernehmen wir dann direkt in Europa und auch die Hardware könnten wir hier vor Ort produzieren. Ein gutes Beispiel ist ein Radarsystem, das ein viel teureres Lidarsystem ersetzen kann; hier sind wir schon eine Kooperation eingegangen. Wir haben die Fähigkeiten, die für solch ein Vorhaben benötigt werden und sind darüber hinaus in der Lage, unsere Fertigungskapazitäten in Europa relativ zügig zu erweitern. Die große Stärke von JOYNEXT besteht hier nicht darin, dass wir als kompletter Systempartner auftreten. Wir kooperieren vielmehr ganz bewusst auf allen Ebenen mit Partnern, die auf dem Markt schon eine starke Position haben. Diese Partner können genauso Entwicklungsdienstleister wie IAV als auch Halbleiterhersteller, Testunternehmen oder auch Perception-Spezialisten wie Autobrains sein. (na)
Das Gespräch führte Alfred Vollmer, selbständiger Fachjournalist, Autor und Moderator.