Wer einen Rückstand aufholen will, muss schneller laufen als der, den es einzuholen gilt. Doch wer in der Krise steckt, beschäftigt sich vor allem: mit sich selbst. Und so steckt die Automobilindustrie in einer paradoxen Situation – die neuen Strategien scheinen zur Bürde zu werden. E-Fahrzeuge verkaufen sich deutlich schleppender als geplant. Trotz Milliarden-Investments in neue Technologien, Software-Hubs und kontinuierlichen Entwicklungsprozessen kommen die Fahrzeuge Jahre zu spät und funk-tionieren dann noch immer nicht. Over-the-Air Updates führen zu Kontrollverlust im Feld. Der Wow-Effekt in vielen Cockpits: übersichtlich, aber immerhin funktioniert es manchmal wieder. Der chinesische Markt verabschiedet sich auf längere Zeit, und auf dem amerikanischen schlagen Tesla, Rivian & Co. die deutschen Hersteller um Längen, was Absatzzahlen und Hoffnungsträger angeht.
„Shift left“ versprochen – „Shift right“ regiert.
„Zurück auf los“ also? Die Kochrezepte zur Krisenbewältigung sind Reflexe aus dem Rückenmark: Keine Experimente mehr, Innovationen vertagen, und keine Besprechungskekse.
Doch das wird diesmal nicht reichen. Denn der Wettstreit dreht sich nicht mehr um das beste Produkt: Es geht vielmehr um die Frage, wer das beste Produktentstehungssystem baut. Wer am schnellsten vom Konzept in die Serienproduktion kommt, wer in der Lage ist, diese Prozesse möglichst schlank und automatisiert durchzuführen. Wer ein Ökosystem an eigener Wertschöpfung und fähigen Partnern aufgebaut hat, und wer seine Fahrzeugflotte auch über den Lebenszyklus attraktiv halten kann – über eine kostengünstige Software.
Getting digital done: Die Kolumne von Dr. Christof Horn, Accenture
Software-defined ist kein Wettlauf um Technologien, sondern um Vorgehensweisen, Geschwindigkeit und Mindset. Was dazu gehört beschreibt Dr. Christof Horn in seiner Kolumne, die auf all-electronics und in der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK erscheint. Die Beiträge zum Nachlesen
Never waste a good crisis
Qualitätsprobleme verlieren an Bedeutung, wenn ein Fahrzeug innerhalb von wenigen Tagen remote upgedatet werden kann. Ein Missgriff bei einem Fahrzeugmodell ist weniger schlimm, wenn das nächste bereits nach 18 Monaten beim Händler stehen kann.
Und wichtig: Die Kunden entscheiden letztlich, was „Qualität“ bedeutet. Und in vielen Weltregionen es ist schon lange nicht mehr das Spaltmaß, sondern der Gadget-Faktor.
Das alles lässt sich auch in Geld übersetzen. Schlankere Prozesse, sauberere Architekturen und Schnittstellen, reduzierte Fehlerkurven und weniger Menschen auf sinnfreien Tätigkeiten. Oder anders übersetzt: Was machen wir zukünftig nicht mehr (weil es vielleicht nie wertschöpfend war), wo setzen wir auf Disziplin (statt auf freie Ingenieursentfaltung), und wo bauen wir dort System auf, wo wir sonst eine Einmallösung gebastelt hätten.
Aber sind wir nicht alle schon agil geworden? Leider ist das Imitat selten so gut wie das Original. Denn eingeführt wurden nicht unbedingter Kundenfokus, Technologietiefe oder mutige Entscheidungen, sondern TÜV-geprüfte agile Frameworks wie SAFe. Mit einer Menge an Rollen, Prozessen und Meetings, die in ihrer Komplexität der bisherigen Governance verdächtig ähnlich sind. Mit unangenehmen Nebenwirkungen: Kontrollverlust, endlose Gesprächsrunden, alle informiert und keiner verantwortlich, Wertschätzung ohne Wertschöpfung und sinkendem Output.
Save the date: 29. Automobil-Elektronik Kongress
Am 24. und 25. Juni 2025 findet zum 29. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) in Ludwigsburg statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.
Sichern Sie sich Ihr(e) Konferenzticket(s) für den 29. Automobil-Elektronik Kongress (AEK) im Jahr 2025! Folgen Sie außerdem dem LinkedIn-Kanal des AEK und #AEK_live.
Noch gibt es Heimvorteile
Sicherlich ist dies ein zu negativer Befund, denn es gibt viele Teams, die sich ganz hervorragend neu erfunden haben – und schnell abliefern. Es gibt OEMs mit herausragenden Produkte mit Appeal und Innovationen. Aktuelle Benchmarks zeigen: Noch haben die etablierten Hersteller durchaus Heimvorteile.
Und weiterhin mutige Entscheider, die ins Risiko gehen. Mein Plädoyer ist daher einfach: Lasst uns diesen Weg der Modernisierung weitergehen, diszipliniert, mutig und schnell – nicht trotz, sondern wegen der Krise.