Nur selten gelangen die Anrufe so detailgenau zur Notrufzentrale wie hier: „Ein entgegenkommender Kleintransporter ist einem PKW mit 62 Kilometern pro Stunde vor 30 Sekunden in die linke Fahrzeugseite gefahren. Der PKW hat sich überschlagen und liegt an der Wasserburger Landstraße in Richtung München Innenstadt auf Höhe der Phantasiestraße auf dem rechten Gehsteig. Fahrer und Beifahrer sind regungslos. Es wird dringend Hilfe benötigt.“ Diese Nachricht kam allerdings nicht von einer Person, sondern vom verunglückten Fahrzeug selbst. Der nächste freie Notarzt sieht die Einsatzdetails auf einem Bildschirm in seinem Wagen, zusammen mit weiteren Details rund um das Unfallgeschehen. Zeitgleich macht sich die Polizei auf den Weg: das Fahrzeug des Unfallverursachers wurde als gestohlen gemeldet. Auch die Versicherung weiß bereits bescheid. Was klingt wie Zukunftsmusik, kann bald Realität sein. Unternehmen, Behörden und andere Organisationen beginnen mit Fahrzeugen zu kommunizieren. Dafür nutzen die Automobilhersteller Telematikfunktionen auf Basis offener Standards.
Der Weg zur Komplettvernetzung ist jedoch noch weit: Von insgesamt 900 Millionen existierenden Fahrzeugen weltweit sind nur etwa zwei Prozent verbunden. Das liegt daran, dass viele Endkunden und Unternehmen derzeit noch keinen großen Wert in der Telematik sehen – damit verkennen sie die Möglichkeiten, die ihnen die Technologie bieten kann.
Telematik global einsetzen
Die Anforderungen der Automobilhersteller an ein Telematiksystem sind hoch: Es muss sich einfach weiterentwickeln lassen, global verfügbar und dennoch an lokale Besonderheiten anpassbar sein. Damit das möglich wird, bietet WirelessCar ein offenes Framework namens Next Generation Telematics Pattern (NGTP) an, auf dessen Basis Hersteller wie BMW oder Audi bereits heute ihre Fahrzeuge vernetzen.
Auf NGTP aufsetzend liefert WirelessCar eine umfassende Off-Board-Plattform, die Telematics Service Delivery Platform (TSDP). TSDP stellt flexible Komponenten und Schnittstellen bereit, die eine hohe Skalierbarkeit, Wiederverwendbarkeit, regionale Anpassbarkeit und Erweiterbarkeit liefern.
Über die Plattform lässt sich eine Vielzahl von Funktionen entwickeln. Dazu zählen beispielsweise Internetzugang, die Integration von Navigationssystemen oder auch Remote-Funktionen wie das Ver- und Entriegeln von Fahrzeugen per Smartphone. Möglich ist auch die Verfolgung gestohlener Fahrzeuge, eine Echtzeit-Lokalisierung oder die Überwachung der Fahreraktivitäten.
Nicht alle Dienste sind freiwilliger Natur: Hersteller sollen gesetzlich dazu angehalten werden, bestimmte Services zu implementieren – etwa E-Calls (automatische Notrufe), die die EU bis zum Jahr 2015 gerne in jedem Fahrzeug sehen würde.
Wenn Autos das Lernen lernen
Soviel sich in der automobilen Vergangenheit auch getan hat – eines blieb stets gleich: Fahrzeuge, die vom Band liefen, änderten sich nur durch die Hand von Mechanikern. Durch den Einzug moderner Elektronik und die flexible offene Plattform von WirelessCar entkoppelt sich der Fahrzeug-Lebenszyklus von den im Auto installierten Applikationen: Weitere Funktionen lassen sich nachträglich installieren, wobei keine Veränderungen am Fahrzeug nötig sind. Genauso kann das Framework geändert werden, ohne dass es seine Kompatibilität zu den Systemen und Standards von Mobilnetzanbietern, App-Entwicklern oder Automobilzulieferern verliert.
Um das System möglichst flexibel und kompatibel zu halten, basiert es auf neuen, aber auch etablierten Client-Server-Standards wie HTML5, SSL oder XML und lässt sich laufend weiterentwickeln, an neue Technologien anpassen und integrieren. Auch von Mobilfunkstandards ist es unabhängig, sei es GSM, CDMA oder LTE.
Den Fahrer im PKW abholen
Mit einer solchen Flexibilität eröffnet sich den Herstellern ein weites Geschäftsfeld: Erstmals besteht die Möglichkeit für OEMs und Händler, einen direkten Kontakt zum Eigentümer und zum Fahrzeug herzustellen. Ziel ist es, einen reaktiven Prozess in proaktive Dienstleistungen umzuwandeln – etwa im Service-Bereich. Wenn nach einigen Tausend Kilometern eine Warnleuchte im Fahrzeug aufleuchtet, bedeutet das zum Beispiel lästige Terminvereinbarungen mit der Werkstatt. Mit entsprechenden Telematik-Services kann der OEM jedoch unmittelbar, beispielsweise per E-Mail, mit dem Fahrer in seinem Fahrzeug Kontakt aufnehmen und ihm einen Termin in einer seiner Werkstätten anbieten. Das Auto hat die nötige Spracherkennungssoftware an Bord und liest die E-Mail vor. Der Fahrer bestätigt den Termin sofort – ohne die Hände vom Steuer zu nehmen – und hat den Kalendereintrag im Smartphone oder Desktop-Computer. Das senkt die Hürden für einen zügigen Reparaturbesuch merklich und stärkt die Kundenbindung.
Lebensretter Telematik
Soviel zu Kosteneinsparungen, Gadgets und Komfort. Der aus rein rationaler Sicht wichtigste Vorteil für Fahrer ist jedoch eine erhöhte Sicherheit beim Fahren. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Auto in einer Unfallsituation automatisch einen Krankenwagen ruft – zum Beispiel wenn dessen Insassen nicht mehr ansprechbar sind. Oder dass die Rettungskräfte das Fahrzeug per Fernzugriff entriegeln. Darüber hinaus können vom Fahrer aktivierte Notfall- und Pannenhilfe-Funktionen den Fahrzeuginsassen ein direktes Gespräch mit Callcenter-Mitarbeitern ermöglichen. Das ist nützlich, wenn sich der Tankinhalt dem Ende neigt oder die Orientierung abhanden kommt. Im idealen Fall schreitet die Telematik rechtzeitig ein und informiert den Fahrzeugeigner über unerwartete Probleme, bevor es zu Fehlfunktionen des Fahrzeugs kommt.
Vorteile für Händler
Eine Zielgruppe, die Telematik bisher wenig nutzt und dennoch ganz besonders davon profitieren könnte, sind Händler: Deren Zahl ist seit Jahren stark rückläufig. Das liegt unter anderem daran, dass der Handel immer noch traditionelles Marketing betreibt. Darauf zu warten, dass der Kunde von allein vorbei kommt, ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Ein neues Vertriebskonzept ist notwendig, das potenzielle, aber auch Bestandskunden aktiv anspricht. Dafür benötigt der Händler ein zentrales CRM-System, das seine Daten aus der Fahrzeug-IT erhält. Solche Lösungen könnten helfen, neue Optimierungspotenziale für den Kundenservice zu erschließen.
Hohe Sicherheit, auch für die Daten
Die Menge an gesammelten Daten von Einzelpersonen, Fahrzeugen und Unternehmen wirft die Frage auf, wie sicher die Informationen sind. Um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, nutzt WirelessCar eine B2V-Verbindung (B2V: Business to Vehicle), nicht V2V (Vehicle to Vehicle). Das bedeutet, dass jedes Fahrzeug nur mit der Plattform verbunden ist – nicht aber Fahrzeuge untereinander. Selbst bei Diensten, die eine Interaktion zwischen zwei Autos erfordern könnten, dient das System als Hub zur Verwaltung und Weiterleitung von Informationen. So erreicht es mehr Sicherheit und einen höheren Grad der Datenaggregation.
WirelessCar verwendet eigene Datenverschlüsselungsmethoden, kann aber praktisch jede Art von Verschlüsselung, die ein OEM-Kunde fordert, umsetzen. Es ist außerdem kein offener Zugang für Drittanbieter erlaubt. Vielmehr müssen diese vom OEM beauftragt und autorisiert werden, worauf der WirelessCar die relevanten Authentifizierungsangaben oder Zertifikate bereitstellt. Anschließend können die Drittanbieter durch sichere Schnittstellen auf die Plattform zugreifen. Um die Identität der Fahrzeugeigner zu prüfen und zu authentifizieren, wird bei Vertragsabschluss mit dem OEM eine einmalige Benutzer-ID erstellt. Die Eigner können diese Identität dann für die Anmeldung bei Webportalen verwenden oder festlegen, welche Mobilgeräte Zugriff auf das Fahrzeug haben dürfen.
Auf einen Blick
Quo vadis, Automobilindustrie?
Das Auto der Zukunft wird ein voll vernetztes Fahrzeug sein, zu dem die Fahrer ebenso wie OEMs und externe Entwickler und Unternehmen Zugang erhalten. Pioniere in diesem Bereich nutzen dazu nicht länger fixe Silo-Strukturen, sondern öffnen sich für herstellerübergreifende Standards. Wer dieses Engagement nicht aufbringt, bleibt auf der Strecke.
(av)