Whisker

Eine Beschichtung der Pins mit Bismut soll das Risiko der Whiskerbildung beim Anschluss von Leiterplatten minimieren. (Bild: TE Connectivity)

Anschlusstechnik, die im Automotive-Umfeld zum Einsatz kommt, muss leistungsfähig, robust und langlebig sein. Angesichts des stetig wachsenden Elektronikanteils in Fahrzeugen nutzen Komponentenhersteller verstärkt die Einpresstechnologie Press-Fit als Anschlussverfahren für Leiterplatten (PCB). Dabei werden speziell konstruierte Stiftkontakte (Pins) in passende Aufnahmebohrungen in das PCB gesteckt, wobei die Zinnoberflächen auf dem Pin und der Hülse durch Kaltverschweißen beide Schichten gasdicht intermetallisch verbinden. Die so entstandene Kontaktierung ist langzeitstabil und weist nach Erhebungen des Verbindungstechnikherstellers TE Connectivity eine zehn- bis hundertfach niedrigere Fehlerhäufigkeit als Lötverbindungen auf.

Störfaktor Whisker

Ein unerwünschter Nebeneffekt des Verfahrens liegt jedoch darin, dass – bedingt durch die relativ hohe Kontaktnormalkraft bei der Herstellung der Verbindungszone – die Wahrscheinlichkeit der Bildung von metallischen Whiskern auf der Zinnfläche steigt. Whisker sind winzige metallische Filamente, die als Entlastungsreaktion von Zinnschichten auf mechanischen Druck hervorwachsen. Zwar weisen diese lediglich einen Durchmesser von 1.4 Mikron und eine Länge von bis zu mehreren Millimetern auf. Durch ihre hohe Leitfähigkeit sowie ihr unkontrolliertes Wachstum können sie im schlimmsten Fall jedoch andere Pins erreichen und Kurzschlüsse verursachen.

Im Automotive-Umfeld betrifft die Whiskerbildung besonders Anwendungen mit Signalen im Milliampere-Bereich. Dies ist zum Beispiel bei Sensorsignalen der Fall. Die Tendenz zur Miniaturisierung mit höheren Packungsdichten und verringerten Abständen zwischen den Pins lässt das Risiko der Whiskerbildung zusätzlich steigen.

Steht ein Whisker-Revival bevor?

Das Phänomen der Whiskerbildung ist seit mehr als 75 Jahren bekannt. Zwischenzeitlich galten Whisker bereits als ausgestorben: Blei, das als Bestandteil der elektrischen Kontaktbeschichten und Lotzusammensetzung eingesetzt wurde, unterband oder minderte die Entstehung dieser Filamente erheblich. Mittlerweile ist die Verwendung von Blei in Loten durch Richtlinien wie die Restriction on Hazardous Substances (RoHS) jedoch stark eingeschränkt. Zwar zählen Automotive-Anwendungen wegen der harten Einsatzbedingungen  bisher zu den wenigen Ausnahmen des Verbots, jedoch werden die bestehenden Ausnahmegenehmigungen im Jahr 2019 erneut bewertet.

Es wird allgemein erwartet, dass die Genehmigung für die Verwendung von Blei in automobilen Anwendungen, nicht erneuert wird. Die meisten Komponentenhersteller verzichten vor diesem Hintergrund bereits auf die Verwendung von Blei in der Automotive-Anschlusstechnik. Als Ersatz für bleihaltige Legierungen dienen vor allem Lösungen aus Rein-Zinn. Dies lässt das Problem der Whisker-Bildungen jedoch erneut akut werden. Angesichts zunehmend sensiblerer Steuerungen und der besonderen Robustheit, die das Zunehmen des autonomen Fahrens erfordert, gilt es dieses Problem zu adressieren.

 

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Basis für schlanke Einpress-Verfahren

Eine mögliche Alternative zu Blei liegt in der Verwendung von anderen Metallen für die Legierung. Statt Zinnblei lässt sich neben einer reinen Zinnschicht beispielsweise auch Zinnsilber einsetzen. „Bei diesem komplexen Verfahren sind allerdings sehr genaue Mischverhältnisse gefordert“, sagt Dr. Frank Schabert, Senior Manager Research & Development vom Verbindungstechnikhersteller TE Connectivity. „Es ist deswegen für viele Anwendungen ungeeignet.“

Ein internationales Team aus Physikern, Chemikern und Ingenieuren verschiedener Fachrichtungen, das seinen Hauptsitz im TE-Forschungszentrum im hessischen Bensheim hatte, suchte für den Konzern nach einem Verfahren, das auch für robustere Automotive-Anwendungen geeignet sein sollte. Dabei kristallisierte sich das Schwermetall Bismut als Basis einer Beschichtungslösung heraus. „Dieses ,grüne‘ Schwermetall ist gesundheitlich unbedenklich und wird in der Kosmetikindustrie etwa für entzündungshemmende Puder genutzt“, erklärt Schabert. „Es ist aber auch im Automobilbereich sehr verbreitet und in großen Mengen verfügbar.“ Eigentlich eine gute Grundlage für einen einfachen, kosteneffizienten Prozess.

Keine Elektrolyte für Bismut

Whisker

Dr. Frank Schabert, Senior Manager Research & Development, entwickelte zusammen mit einem internationalen Forscherteam ein schlankes Beschichtungsverfahren für Leiterplattenkontakte. TE Connectivity

Eine gewisse Schwierigkeit liegt jedoch darin, dass es keinen Elektrolyten für Bismut gibt. Für TEs Einpressbeschichtungsverfahren Litesurf musste eine proprietäre Elektrolytlösung entwickelt werden, die es ermöglicht, das Bismut direkt auf die Kupferlegierung zu applizieren, aus der der jeweilige Pin besteht. Die Schichtdicke liegt dabei deutlich unter einem Mikrometer, was erheblich dünner ist als typische Zinnschichten. „Das Verfahren selbst ist schlank, denn es gibt nur wenige Elemente, mit denen Bismut reagiert“, erläutert Frank Schabert. „Eine Bismut-Legierung funktioniert somit nicht nur als Funktionsschicht, sondern zugleich als Diffusionssperre zum Grundwerkstoff.“

Zwar ist die Bildung von Whiskern auch mit einer Bismut-Beschichtung nicht gänzlich ausgeschlossen. Eine von TE durchgeführte Studie, die die Reaktion von zinn- mit Bismutbeschichteten Pins im Einpressverfahren verglich, ergab jedoch, dass bei jeweils 900 untersuchten Stiften bei den bismutbeschichteten Pins keine Whisker von einer Länge von mehr als 100 µm Länge nachzuweisen waren. Dies entspricht einer Auftrittswahrscheinlichkeit von unter 0,1 Prozent.

Zinn-Whisker mit der gleichen Länge waren hingegen in etwa vier Prozent der Fälle zu beobachten. Hinzu kommt, dass Bismut eine um den Faktor 10 geringere Leitfähigkeit aufweist als Zinn. „Das Risiko von Interferenzen reduziert sich damit noch einmal erheblich“, sagt Schabert.

Nach vier Jahren Forschung und Entwicklung soll die Litesurf-Technologie nun im Automotive-Umfeld ausgerollt werden. „Wir befinden uns derzeit in der Phase vor dem Serienanlauf“, erläutert Frank Schabert. So ist die Technologie derzeit noch in keinem konkreten Fahrzeug verbaut, doch der Konzern arbeitet für die ersten konkreten Anwendungen eng mit mehreren Tier-1-Automobilzulieferern zusammen und rechnet für 2018 mit ersten Implementierungen.

Therese Meitinger

ist Redakteurin bei AUTOMOBIL-Elektronik

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