Industrieunternehmen, die die Corona-Krise bewältigen wollen, sollten laut Vector Informatik auf die drei Standbeine Zusammenarbeit, Kommunikation und Kompetenzen setzen.

(Bild: Vector)

Das Coronavirus hat Unternehmen und Länder innerhalb weniger Wochen zum Stillstand gebracht. Die giftige Kombination vergangener Misserfolge in Verbindung mit einer schweren wirtschaftlichen Krise stellt die Geschäftsentwicklung in vielerlei Hinsicht in Frage.

Doch es gibt auch einen Vorteil. Unternehmen und Belegschaft sind gezwungen, sich zu verändern und zu reagieren – und sie sind bereit, dies zu tun. In der Folge werden Portfolios gestrafft, Kompetenzen erweitert, die Produktkomplexität wird verringert und unnötige Gemeinkosten wie Reisen werden reduziert. Unsicherheiten erfordern belastbares Engineering und zukunftsweisende Modelle der Zusammenarbeit.

Wir die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise aussehen könnte.

Wir die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise aussehen könnte. Vector

Abb. 1 zeigt den Beginn der „neuen Normalität“, die auf Belastbarkeit und Innovation aufbaut. Wer es schafft, die Chancen zu nutzen, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und bereitet sich gut auf jede nächste große Herausforderung vor. Vector Consulting hat in diesen dunklen Zeiten mit vielen Unternehmen zusammengearbeitet und in diesem Artikel Anregungen für den Erfolg der Wirtschaft zusammengefasst.

Zusammenarbeit stimuliert Innovation

Mitten in der Wirtschaftskrise investierte Bosch in innovative Produkte und hat damit den Erfolg von morgen befeuert. Andreas Theisen, Daniel Kornek und Hubertus Becker von Bosch zeigen mit „Perfectly Keyless“, wie Konnektivität und Zusammenarbeit ein innovatives Produkt stimuliert haben. Die Idee ist einfach. Mit einem digitalen Schlüssel im Smartphone kann man das Fahrzeug ver- und entriegeln und gleichzeitig zu personalisierten Einstellungen wechseln. Die Innovation ist der Fokus auf End-to-End-Systeme, nicht nur auf Steuerungen. Natürlich müssen solche neuen Produkte in kurzer Zeit geliefert werden und basieren auf einer globalen Zusammenarbeit.

Konnektivität und weltweite Zusammenarbeit.

Konnektivität und weltweite Zusammenarbeit. Vector

Abb. 2 veranschaulicht diese Zusammenarbeit bei einer Erfindung, die ursprünglich in Australien entstand und heute von Mitarbeitern auf vier Kontinenten weiterentwickelt wird. Hier kommt die Zusammenarbeit ins Spiel. Mit Hilfe von umfassender Verantwortung, Systemtechnik und einem hybriden agilen Projektansatz schuf Bosch ein global wachsendes Team, das hoch motiviert ist. Der Übergang von einer Start-up- zu einer nachhaltigen Produktentwicklungsorganisation ist dabei die größte Herausforderung. Theisen unterstreicht ein wichtiges Erfolgsrezept: „Agil darf nie bedeuten, sich von Prozessen zu verabschieden, sondern diese müssen geglättet werden.“ Theisen erläutert es zusammen mit Hubertus Becker am Beispiel ihrer globalen Teams und der Notwendigkeit, über drei Kontinente hinweg zusammenzuarbeiten. Bosch nutzt kurze Meetings im Stehen mehrmals pro Woche, um sich abzustimmen. Mit Hilfe von agilen technischen Tools, die den Entwicklungsstand darstellen, können sie global zusammenarbeiten.

Die Zusammenarbeit zwischen kompetenten Teams ist wichtig bei dem agilen Konzept. Dazu bedarf es einer effektiven Kommunikation – auch in Zeiten der Abschottung und Isolation wegen des Coronavirus und auch über Organisationsgrenzen hinweg. Virtuelle Teamarbeit ist zu einer weit verbreiteten Technik geworden, um mit Randbedingungen umzugehen, für die es wenige Monate zuvor noch hieß, dass sie sich unmöglich kombinieren ließen, nämlich Team und Distanz. Von Vector beratene Unternehmen drängten über viele Jahre hinweg auf Präsenz, wo eigentlich nur Zusammenarbeit nötig war. Hier war die durch das Coronavirus erzwungene Isolierung ein echter Katalysator und änderte das Verhalten auf globaler Ebene. Meetings sind plötzlich über Entfernung möglich und neue Tools wie Blizz und Zoom werden eingesetzt, um Ingenieure zu verbinden, die sich in einigen Fällen noch nie zuvor getroffen haben.

Web-Meetings mit Mitarbeitern aus Asien, Europa und Nordamerika

Seien wir ehrlich: Es ist zwar menschlich, sich persönlich treffen zu wollen, aber die traditionelle Arbeitsorganisation zeigt auch, dass es ungerecht ist. Diejenigen, die sich zufällig in nahe beieinander liegenden Regionen aufhalten, können sich treffen, während Mitarbeitern in Australien, Indien oder Korea dies nicht möglich ist. Dieses Risiko wird von Bosch mit seinen täglichen Meetings (Sprints) zu eher ungewöhlichen Zeiten wirksam reduziert, um Teams mit Mitgliedern in Australien, Asien, Europa und Nordamerika zusammenzubringen. Eine wichtige Lektion, die wir gelernt haben, ist: Wenn es eine Herausforderung gibt, werden die Menschen nach Lösungen suchen, während sie in den vergangenen Jahren nach Gründen gesucht haben, warum sie keine Online-Kommunikations- und Kooperationsumgebungen nutzen sollten.

Als ein internationaler Halbleiterhersteller steht Infineon seit langem vor der Notwendigkeit zusammenzuarbeiten. Zusammenarbeit bedeutet jedoch nicht nur, mit Kunden zu kooperieren, sondern auch intern. Thomas Roecker von Infineon, der die Firmware-Entwicklung leitet, zeigt, wie agiles Co-Engineering hilft, die ständig wachsende Komplexität zu bewältigen. Sein Beispiel ist das Zusammenwirken von funktionaler Sicherheit und Cybersicherheit, die derzeit die meisten Branchen betrifft. Konnektivität wie das „Perfectly Keyless“-Produkt von Bosch reicht weit über ein einzelnes Gerät oder System hinaus. Es handelt sich um ein System von Systemen, angefangen von eingebetteter Firmware bis hin zu Cloud-Diensten, Back-Office-IT und zu einem globalen Netzwerk von allgegenwärtigen Diensten.

Roecker bringt es auf den Punkt: „Oft werde ich von Ingenieuren gefragt, was wichtiger ist: Safety oder Security. Meine Antwort ist einfach: Es gibt keinen Schutz ohne Sicherheit“. Cybersicherheit ist eine Voraussetzung für funktionale Sicherheit, die mit einem kombinierten Modell der Sicherheitstechnik erreicht werden kann. Sicherheit und Gefahrenabwehr müssen systemimmanent sein. Ihnen wird keine andere Priorität eingeräumt, sondern sie müssen über den Prozess und das Framework in die Arbeitsprodukte integriert werden. Die Erfahrungen bei Infineon zeigen, dass es einer Zusammenarbeit von Sicherheitsexperten bedarf. Experten müssen explizit für die Sicherheitsanalyse eingesetzt werden. Ein agiles „Laissez-faire“, das von Ad-hoc-Push-Pull-Mechanismen angetrieben wird, wäre gefährlich und teuer, da die Halbleiter kaum repariert werden können, wie man es bei IT-Systemen tun könnte, um Design- und Architekturfehler zu beheben. Sicherheit und Gefahrenabwehr sind zu einem festen Bestandteil des gesamten Produktlebenszyklus geworden.

ZF Friedrichshafen nutzt Hashtags für das Anforderungsmanagement

Intuition schlägt Komplexität. Diese einfache, aber wichtige Erkenntnis unterstreicht Joachim Fox, globaler Chefingenieur für Bremsensoftware bei ZF Friedrichshafen: „Die heutige Ingenieursarbeit, die auf detaillierte Anforderungen eingeht, lässt sich nicht beliebig ausweiten. Der notwendige Detaillierungsgrad ist eine ständige Konfliktquelle und es gibt viele weitere. Wachsende Qualitätsanforderungen und Komplexität sind mit der Technik von gestern nicht zu bewältigen.

ZF wendet Mechanismen aus dem Bereich Social Media wie Hashtags auf das Anforderungsmanagement an, um den Bedarf an hohem Formalismus mit Einfachheit in der Anwendung zu verbinden. Es ist wichtig, klare und lesbare Anforderungen mit dem richtigen Abstraktionsniveau zu schreiben. Die Anforderungen sollten skalierbar sein und das Anforderungsdokument sollte keine Pseudo-Codesegmente enthalten. Hashtags werden wie Hyperlinks verwendet, die als Platzhalter für eine Teilmenge von Anforderungen fungieren. Mehrere Hashtags werden in die Spezifikation eingebettet, um Cluster zu bilden und eine Rückverfolgbarkeit zu erreichen, die aus Gründen der Konsistenz durch zentralisierte Glossare geregelt wird.

ZF wendet Mechanismen aus dem Bereich Social Media wie Hashtags auf das Anforderungsmanagement an.

ZF wendet Mechanismen aus dem Bereich Social Media wie Hashtags auf das Anforderungsmanagement an. ZF Friedrichshafen

Abb. 3 zeigt die praktische Anwendung und wie Rückverfolgbarkeit und Analyse mit solchen konsistenten Hashtags über verschiedene Dokumente und Abstraktionen hinweg realisiert werden. Ein Modul-Repository erleichtert die Wiederverwendung von Hashtags über Abstraktionen hinweg ohne Wiederholungen und Konflikte in Bedeutung und Verwendung. Da dieser Hashtag-Ansatz nicht proprietär ist, sollte er auch in die Lieferkette eingesetzt werden können und so Konsistenz über Organisationsgrenzen hinweg erzwingen.

Kommunikation auf dem Weg zu mehr Agilität

Daimler steht derzeit kurz davor, viele neue Technologien einzuführen. Der gesamte Antriebsstrang verändert sich, was enorme Investitionen erfordert. Heiko Stuis von Daimler in Japan, der das Produkt-Engineering für die E-Mobilität leitet, zeigt die Herausforderungen auf: „Daimler verfügt über ein globales Produktportfolio und muss daher alle agilen Prozesse skalieren, um robust und zuverlässig zu sein.“ Der so genannte eCanter-Ansatz mit seinem Fokus auf Markt, menschliche Faktoren, Technologie, Kosten und Organisation trägt dazu bei, das Lkw-Segment zu elektrifizieren und verschiedene Märkte weltweit zu bedienen.

Daimler nutzt agile Methoden, um eine Plattform für verschiedene Märkte zu entwickeln.

Daimler nutzt agile Methoden, um eine Plattform für verschiedene Märkte zu entwickeln. Daimler

Abb. 4 veranschaulicht die Plattformvariabilität des E-Truck-Portfolios. Daimler hat eine Arbeitsweise mit einer Doppelhelix-Organisation konzipiert, die sich kontinuierlich verändert, um einen Ausgleich zwischen kundenorientiertem Vertrieb und systemorientierter Produktentwicklung zu schaffen. Die größte Herausforderung besteht darin, die Veränderungen beizubehalten und in allen Arbeitsprodukten konsistent zu halten, um eine agile Methodik in ein globales Produkt zu bringen.

Der Ausgangspunkt ist eine grundlegende Plattform-Strategie, nämlich dass ein Elektro-Lkw weiterhin ein Lkw ist, der Güter von A nach B transportiert. Daimler konzentriert sich auf verschiedene Märkte und berücksichtigt deren Besonderheiten wie z.B.: Welche Merkmale haben diese, was wollen die Kunden usw. Einfache Produktskalierbarkeit ist dabei der Schlüssel. Manchmal haben die Lastwagen eine zu hohe Leistung für einen Ort wie Amsterdam, wo diese nur über Brücken über die Kanäle fahren müssen. Dann trifft Agilität auf die Praxis. Produkte für verschiedene Märkte zu schaffen, ist nur möglich, wenn Ingenieure und Produktmanager die Fahrzeuge nicht nur entwerfen, sondern auch selbst fahren und sich so in die Lage der Anwender versetzen. Auf einer solchen Grundlage ist es möglich, ein Produkt mit Mindesteigenschaften mit den notwendigen Fähigkeiten und ohne unbeabsichtigte Komplexität zu entwickeln – eine Lehre, die Bosch und Daimler teilen.

Teamarbeit im verteilten Team braucht omnipräsente Kommunikation

Produktivität zählt. Remote-Arbeit braucht auch einen Maßstab zur Messung der Produktivität. Agile mit seinem Fokus auf die Erledigung von Aufgaben ermöglicht einfache Nachverfolgungsmechanismen. Ein Produkt, das fertig ist und installiert werden kann, wird als Fortschritt angesehen. Teams, die den Arbeitsfortschritt auf der Grundlage wertorientierter Ergebnisse verfolgen, sehen immer, was richtig und was falsch gelaufen ist. Eine klare Definition des Erledigten (DOD) ist entscheidend und kann anhand von Statusindikatoren in jedem Produkt verfolgt werden. Halten Sie es einfach. Es geht nicht um viele Stati, sondern eher um einen Binärstatus: erledigt oder offen. Einer der häufigsten Gründe für Misserfolge bei agilen Teams und Projekten liegt darin, dass es kein vereinbartes DOD mit messbaren Ausstiegskriterien gibt. Zum Beispiel empfiehlt Vector test-orientiertes Requirements Engineering (TORE). Stellen Sie bei der Erhebung und Spezifikation von Softwareanforderungen sicher, dass diese als Testfall dienen können und dass sie zu den Marktanforderungen rückverfolgbar sind.

Alexander Dobry, der die Entwicklungsprozesse bei Knorr-Bremse leitet und schon früh den Ansatz verteilter Teams unterstützte, fasst seine Erfahrungen zusammen: „Echte Teamarbeit in einem verteilten Team braucht omnipräsente Kommunikation.“ Um virtuelle Teams erfolgreich zusammenarbeiten zu lassen, könne man verschiedene Techniken wie z.B. ein Whiteboard einsetzen, um mit einer Trennung von ‚Start Doing‘, ‚Stop Doing‘, ‚More Of‘, ‚Less Of‘ und ‚Keep Doing‘ zusammenzuarbeiten. Konzepte wie Scrum würden der Zusammenarbeit eine Struktur geben und das Engagement fördern. Dieses Engagement sei wichtig, um die Effektivität und Produktivität des Teams zu verbessern. „Es kann in Form von Online-Happy-Hour-Meetings, täglichen Kaffeepausen-Chats und dem Austausch von Kudos-Karten stattfinden“, sagt Dobry.

Es sei immer hilfreich, wenn man sich persönlich trifft, aber wenn das nicht möglich ist, sei es gut, sich als Paar oder mit einem Mentor zusammen zu tun. Pairing und Mentoring würden beim gegenseitigen Kennenlernen helfen. Wenn es nicht möglich ist, sich physisch zu treffen, seien Online-Sitzungen eine gute Möglichkeit, sich gegenseitig kennen zu lernen. Mit Pairing, Shadowing und Reviewing könne man sich auf einer persönlichen Ebene kennen lernen und dies würde der Organisation zu gute kommen. „Motivation ist entscheidend, besonders wenn die Leute von isolierten Arbeitsräumen aus arbeiten“, meint Dobry. Wie misst man Motivation und Zufriedenheit? Die einfache Antwort sei, die Menschen zu fragen. Es gebe nichts, was in dieser Hinsicht automatisiert ist. Es gebe keinen Maßstab, um Glück zu messen, außer im Gespräch miteinander.

Kompetenzen für eine wirtschaftliche Erholung

Bis vor kurzem bedeutete „New Work“ in erster Linie, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit reduzieren mussten, während es mehr als genug zu tun gibt. Dieses Muster hat sich während der wirtschaftlichen Herausforderungen durch das Coronavirus schnell geändert. Bei New Work geht es heute darum, die Arbeit in Zeiten von VUCA auszubalancieren, d.h. von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit.

Ausgewogenheit bedeutet nicht nur, mit schnell wechselnden Arbeitsaufgaben fertig zu werden, sondern auch, die Freizeit zu nutzen, um Kompetenzen zu erweitern. Ein Arbeitgeber kann keine Beschäftigung garantieren, wie wir in dramatischer Konsequenz gesehen haben. Aber ein Arbeitgeber kann die Beschäftigungsfähigkeit seiner Mitarbeiter fördern. Das schnelle Tempo der Einführung neuer Technologien wie in ACES, d.h. Autonomie, Konvergenz, Effizienz und Dienstleistungen, ist ein Beispiel dafür. Niemand bringt alle notwendigen Kompetenzen mit, weder ein frischgebackener Hochschulabsolvent mit den neuesten Algorithmen noch ein erfahrener Ingenieur mit einem reichen Erfahrungsschatz. Kompetenz braucht Kommunikation und Zusammenarbeit.

Es entstehen viele neue Anforderungen, die Ingenieure zusätzlich zu ihrer bisherigen Tätigkeit berücksichtigen müssen. Nicht nur mehr Arbeitsbelastung für weniger Leute, da Unternehmen bestrebt sind, die Kosten zu senken, sondern es gibt auch neue Aufgaben. Zum Beispiel verschlingen die Themen Produkthaftung und Governance heute immer mehr kostbare Arbeitszeit von Ingenieuren, um Normen und Gesetze zu erfüllen. Als Anwender und Kunden wissen wir das zu schätzen, doch der Anteil der Produktentwicklungszeit und -kosten wächst. Während in den frühen 2000er Jahren die funktionale Sicherheit bei kritischen Systemen etwa 10 Prozent der Entwicklungskosten verschlang, ist dieser Anteil heute auf 20 bis 40 Prozent gestiegen, insbesondere im Zusammenhang mit der Cybersicherheit.

„Es fehlen Anleitungen, wie Normen umgesetzt werden sollen“

Die Erholung von der wirtschaftlichen Krise durch das Coronavirus wird nicht schnell erfolgen. Viele Innovationen wurden aufgeschoben. Da autonome Systeme in den Bereichen Medizin, Transport und Automobil mehr Qualität und Effizienz erfordern, wird ihre Entwicklung viel länger dauern. Vor zehn Jahren gab es noch Vorhersagen für vollständig (SAE-5) autonome Fahrzeuge. Die Ambitionen wurden auf SAE-3 zurückgestuft. Dies ist nicht nur auf die wirtschaftliche Situation zurückzuführen, sondern auch auf eine höhere Nachfrage in unserer Gesellschaft nach einer qualitativ hochwertigen und transparenten Homologation. Neue Entwicklungsparadigmen und Teststrategien scheinen die angestrebte Funktionalität zu gewährleisten. SOTIF (Safety of the intended Functionality) ist ein primäres Beispiel dafür, wie ein neues Paradigma im Requirements Engineering, d.h. der Umgang mit unbekannten Unsicherheiten, das traditionelle Engineering völlig verändert.

Arnulf Braatz, der das Security-Kompetenzzentrum bei Vector Consulting leitet, ist mit der derzeitigen Entwicklung von Standards nicht zufrieden: „Viele neue Normen tauchen auf, aber es fehlen Anleitungen, wie diese umgesetzt und auf Technologien angewendet werden sollen“. Ingenieure würden oft allein gelassen, was zu Fehlinterpretationen führen könne, wie im letzten Jahrzehnt bei dem Thema Kraftstoffeffizienz sichtbar wurde.

Bei der Festlegung der Systemeigenschaften müssen viele Governance-Regeln beachtet werden.

Bei der Festlegung der Systemeigenschaften müssen viele Governance-Regeln beachtet werden. Vector

Abb. 5 zeigt die wachsenden Unsicherheiten bei der Anpassung an neue Normen. Unsichere Szenarien treffen auf unzuverlässige und instabile Szenarien. Alle Eigenschaften werden als wesentlich erachtet, aber nicht alle sind in jeder Situationen realisierbar, da sie sich widersprechen und sicherlich die Produktkosten erhöhen. Die Technik muss sich nicht nur an die neu entstehenden Standards für Verfügbarkeit, Sicherheit und Schutz halten – sie muss auch die Entwicklung von Standards vorantreiben, damit diese pragmatisch bleiben. Viele führende Unternehmen haben ihr Engagement für die Normung verlangsamt, wie von IEEE und SAE beobachtet wird. Gleichzeitig werden Normen und Klagen von Innovationstrollen missbraucht, um ihre eigene proprietäre Technologie zu fördern, wie zum Beispiel bei Hybridautos, aber auch in der 5G-Kommunikation sichtbar wurde.

Thomas Roecker von Infineon hat eine Diskussion über die Kombination von Sicherheit und Cybersicherheit angestoßen. Funktionale Sicherheit wird heute zwar verstanden, wächst aber schnell durch verwandte Bereiche der Cybersicherheit, Verfügbarkeit und Automatisierung. Vector empfiehlt einen starken Fokus auf Systems Engineering und Architektur, um nicht nur die Nachvollziehbarkeit von Anforderungen, sondern auch die Konsistenz mit der sich ständig ändernden Funktionalität zu gewährleisten.

IT und Embedded Systems werden verschmelzen

Eine vordefinierte Referenzarchitektur erleichtert eine transparente Architekturanalyse und -bewertung wie ATAM (Architecture Trade-off Analysis Method) im Hinblick auf potenziell widersprüchliche Qualitäts- und Geschäftsziele. Die Industrie braucht stärker harmonisierte technische Lösungen und mehr serienmäßige Verfügbarkeitsklassen, wie z.B. Fail-Operational mit bestimmten Teilausfall-Schemata. STPA (Systemtheoretische Prozessanalyse) hat das Potenzial, FMEA und FTA auf Systemebene zu ersetzen, da sie auch als Sicherheitsanalyse-Technik angewendet werden könnte. Nach effizienten Sicherheitstests besteht derzeit eine wachsende Nachfrage.

Braatz erwähnt die Grey-Box-Pen-Testing-Methoden- und Werkzeugsuite von Vector, die im direkten Wettbewerb mit dem klassischen Pen Testing eine 50%ige Effizienzsteigerung erbracht und gleichzeitig kritische Schwachstellen aufgedeckt habe. Er fasst zusammen: „Sicherheit und Cybersicherheit müssen auf soliden ingenieurwissenschaftlichen Methoden und Fähigkeiten basieren und zusammen mit einem kompetenten Partner realisiert werden“.

Der übergreifende Trend ist die Konvergenz von IT und Embedded, die die Grundlage des „New Normal“ in technologischer Hinsicht bildet. Bertrandt Tavernier, Vizepräsident für Forschung und Technologie bei Thales, hat eine Vision für das Ingenieurwesen: „Die digitale Transformation wird nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Technologie umgestalten. Cloud und Arbeitsbereich werden sich zu einem System von Diensten wandeln.“ Mit dem Aufkommen der digitalen Transformation verschmelzen die Bereiche IT und eingebettete Systeme. Integrierte IT (Informationstechnologie) und OT (Betriebstechnik) sind beide notwendig, um die VUCA-Welt zu beherrschen. Sie brauchen einander und sind methodisch voneinander abhängig, z.B. in der Datenwissenschaft mit Echtzeit-Datenerfassung.

Konvergenz ermöglicht die Berherrschung der kritischen Entscheidungskette.

Konvergenz ermöglicht die Berherrschung der kritischen Entscheidungskette. Thales

Abb. 6 zeigt die branchenübergreifenden Abhängigkeiten. Die transparente und nachvollziehbare Validierung von autonomen Systemen ist ein offensichtliches Beispiel. Es geht auch darum, Muster bei der Produkt- und Dienstleistungs-Nutzung festzustellen, um die Benutzererfahrung zu verbessern. Themen sind ferner die Datenanalyse für die vorausschauende Wartung und Cybersicherheit nach der Entwicklung.

Thales sieht in Open-Source-Systemen Vorteile im Bereich Robustheit und Effizienz. Safety und Security seien zur größten Herausforderung für die Entwicklung zuverlässiger und sicherer HW/SW-Stacks geworden. Open Innovation bei der Hardware sei eine Entwicklung, die zu einer digitalen Revolution in der physischen Welt, d.h. von der Cloud bis zum Feld, führt. Aus diesem Grund beteiligt sich Thales an RISC-V-Initiativen zur Bereitstellung sicherer Methoden für Open-Source-Hardware-Communities.

Viele junge Embedded-Ingenieure bringen Informatik-Wissen mit

Open Innovation betrifft nicht nur offene Standards und Open Source, sondern das gesamte Ökosystem von der Wissenschaft bis zur Wirtschaft und von den Werkzeugen bis zur Kultur. Dies führt zu neuen Kompetenzen für die wirtschaftliche Erholung. Ingenieure im Bereich Embedded müssen sich mit IT beschäftigen und Informatiker müssen ihre System- und Embedded-Kompetenzen ausbauen.

Der ständige Wechsel zwischen den Domains ist dabei keine Antwort, da er Zeit kostet und Schnittstellenfehler verursacht. Tavernier stellt fest, dass immer mehr junge Embedded-Ingenieure viel Informatik-Wissen mitbringen. Sie haben die Doppelkultur besser verstanden als ihre IT-Pendants. Diese Ingenieure haben einen Informatik-Hintergrund zusätzlich zu ihren Kenntnissen im Software-Engineering, sie kennen sich zum Beispiel aus im Bereich Komplexität von Algorithmen, Vorhersagbarkeit, Determinismus und Edge-Computing.

Erfolgreiches Produkt- und Dienstleistungsdesign muss die IT- und die Embedded-Kultur zusammenführen und auf die Produktentwicklung anwenden. Ein prominentes Beispiel ist der wachsende Fokus auf Continuous X (kontinuierliche Weiterentwicklung). Während die kontinuierliche Bereitstellung als die einzige Antwort auf zunehmende Cybersicherheitsrisiken und flexiblere Geschäftsmodelle gesehen wird, hat sie viele Herausforderungen an die Produktsicherheit mit sich gebracht. Wie kann sichergestellt werden, dass selbstlernende und adaptive Systeme den Erwartungen entsprechen? Wie Arnulf Braatz von Vector beobachtet hat, wird die beabsichtigte Funktionalität oft weder ausreichend spezifiziert noch getestet. Dies erfordere tiefgreifende Kompetenzen in Bereichen wie Systemtechnik, Anforderungen und Test, die oft nicht von Universitäten vermittelt werden.

New Work in der neuen Normalität

Unter dem Begriff New Work wird seit einiger Zeit über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben diskutiert. Jetzt gibt es eine echte Dynamik, den zugrunde liegenden Arbeitsstil in der neuen Normalität zusammenzufassen.

Während des wirtschaftlichen Abschwungs durch das Coronavirus mit isolierten Teams traten viele Risiken in der Produktentwicklung auf. Auslöser sind harte Faktoren wie z.B. Projektabgabefehler, unzureichende Qualität aufgrund unzureichender Kommunikation und Kostendruck, Produktivitätseinbußen im Home-Office und durch Isolation, Konflikte durch die Entfernungen und im Bereich Kultur in virtuellen Teams, schlechte Qualität von Arbeitsprodukten und Lieferantenleistungen aufgrund unzureichender Management- und Kontrollpraktiken, Instabilität mit zu hoher Änderungsrate aufgrund von Prozessschwäche und Fehlern aufgrund unzureichenden Kompetenz- und Wissensmanagements während der Isolationsperiode.

Dieser Bericht hat die besten Praktiken der Industrie in Zeiten der Abriegelung und Anpassung der Technik an die neue Normalität zusammengefasst. Er gliedert sich in drei Haupttreiber, die bei vielen aktuellen Transformationsprojekten zu beobachten sind:

  • Zusammenarbeit. Entwicklung agiler Prinzipien zur Bewältigung von Komplexität und Unsicherheit bei gleichzeitiger Erhaltung der Prozessfähigkeit. Menschen zur Zusammenarbeit anregen – immer und immer wieder und gegen alle Widerstände.
  • Kommunikation. Konzentration auf kurzfristige Ergebnisse. Augen für Effizienz öffnen. Erleichtern Sie das Wissensmanagement über Teams, Produkte und Lieferkette hinweg.
  • Zuständigkeiten. Reduzierung der Produktkomplexität. Wertorientierte Technologieentscheidungen umsetzen. Innovieren Sie Lösungen mit Produkten und Dienstleistungen.
Treiber und Erfolgsfaktoren für das New Normal.

Treiber und Erfolgsfaktoren für das New Normal. Vector

Abb. 7 fasst diese drei Hauptantriebskräfte zusammen und veranschaulicht, wie sie sich auf Vorteile wie Flexibilität, Innovation und Effizienz auswirken und damit die zugrunde liegenden Ursachen des Wirtschaftsabschwungs durch das Coronavirus bekämpfen. Der berühmte Stuttgarter Philosoph Hegel, dessen 250. Geburtstag wir derzeit begehen, unterstreicht die Notwendigkeit von Veränderungen: „Die Angst vor dem Irrtum ist der Irrtum selbst“. Innovation darf nicht durch Denkweisen alten Stils und Gedankenblockaden behindert werden.

Wie könnte der Weg zur neuen Normalität aussehen? Wandel und Transformation geschehen nicht einfach so.  Erfolgreiche Veränderung ist das Ergebnis harter Arbeit. Führung und Kompetenz sind im Tun sichtbar. Das größte Risiko für den notwendigen Wandel ist die Entmutigung und das Nachsinnen.

Dr. Christof Ebert

Managing Director of Vector Consulting Services

(gk)

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