Wenn es um das Laden von Elektrofahrzeugen geht, herrscht bei Elektromobilisten noch Informationsbedarf. Und dieser wird noch weiter steigen, denn altbewährte Wechselstrom-Ladekonzepte mit 3-phasigem Netzanschluss und vielleicht 11 kW Leistung wachsen durch die Digitalisierung des Ladevorgangs an Funktionalität. Neben Ferndiagnosen oder Abrechnung des Zuhause geladenen Stroms eröffnen sich neue Möglichkeiten vor dem Laden, währenddessen und danach.
Die Digitalisierung bereichert den Ladevorgang
Während sich der Zeitbedarf an häuslichen oder öffentlichen Ladestationen aufgrund höherer verfügbarer Ladeleistung verkürzt, tragen smarte Ladekonzepte mit Charging-Apps zum Finden von Ladesäulen bei und ergänzen RFID-Ladekarten als digitale Schlüssel zur Authentifizierung an Ladestationen.
Die Charging-Apps helfen zusätzlich, unterschiedliche Preise im Roaming-Ladenetzwerk zu vergleichen. Neue elektrische Antriebslösungen sind dank ISO/IEC 15118 und der Powerline-Kommunikation über die Ladeschnittstelle effizient in der Steuerung des Ladeprozesses sowie im Ladungsausgleich. Ganzheitliche Ladetechnologien sind dadurch gekennzeichnet, dass die technischen Systemgrenzen zwischen Fahrzeug, Ladeeinheit, Gebäude, Energieerzeugung und Energiespeicherung optimal aufeinander abgestimmt sind. Das Wettbewerbsfeld der smarten Wallbox wird noch umkämpfter werden, wenn eine durchgängige Digitalisierung neue Kundennutzen schafft.
Auch die Digitalisierung der Ladeinfrastruktur schreitet voran: So ist es ein Ziel, mit dem dritten Förderaufruf 2019 weitere 10.000 Normal- und 3000 Schnellladepunkte in Deutschland zu errichten. Mit der Integration elektrisch angetriebener Mobilität im Alltag steht eine weitere Revolution beim Laden von Elektrofahrzeugen an und eröffnet neue Funktionen wie das Suchen der nächsten Ladesäule oder des nächsten Ladepunkts wie auch die Nutzung von weiteren Datenströmen als Basis für Komfort-, Reporting-, Monitoring-, Abrechnungs-, Service- und Wartungsfunktionen OTA (Over-the-Air). Diese erzeugten Daten bereichern den simplen Ladevorgang und bilden die Basis für neue Dienstleistungen auf Grundlage datengetriebener Geschäftsmodelle wie etwa die vorausschauende Wartung. Die Voraussetzung ist, dass eine Konnektivität über eine eingebaute SIM-Karte oder WLAN besteht.
Wer sich in der Mobilitätsbranche – vor allem im Hinblick auf die Megatrends elektrisches, vernetztes und emissionsloses Fahren unter Beachtung neuer plattform- und servicebasierter Geschäftsmodelle wie Facebook, Amazon, Microsoft, Google und Apple – den FAMGA – durchsetzen wird, ist derzeit ein offenes Rennen (Bild 1).
Digitale und physische Welt schaffen neue Funktionen
Am 1. Januar 2018 gab es 53.861 rein batteriebetriebene Elektrofahrzeuge in Deutschland. Diese Fahrzeuge sind definitiv auf eine Ladeinfrastruktur angewiesen. Selbst bei dieser geringen Zulassungszahl in diesem Fahrzeugsegment und nur fünf Ladevorgängen pro Woche, bedeutet das in einem Jahr ungefähr 14 Millionen Ladevorgänge. Bei einer Million Elektrofahrzeuge in Deutschland wären das um die 260 Millionen Ladevorgänge an den Ladepunkten. Das ist ohne Digitalisierung nicht zu bewältigen.
Die großen Player im Bereich Digitalisierung werden allmählich die physische Welt mit ihren Transaktionen entdecken, um diese und die digitale Welt im Sinne neuer Kundennutzen und Ertragslogiken am Ladepunkt zusammenzubringen (Bild 2).
Für Elektromobilisten entstehen physische und digitale Funktionen, die den täglichen Komfort in der Steuerung des Ladepunkts erhöhen. Dies erfolgt beispielsweise über Reporting und Monitoring, um Auswertungen zu Ladegewohnheiten und Abrechnungen erstellen zu können.
Mit strategischer Kooperationspolitik zum Marktführer
Bezogen auf die Marktmacht der FAMGA ist in den letzten Jahren klar zu erkennen, dass diese den Netzwerkeffekt zur Positionierung für sich nutzen konnten. Das von Metcalfe beschriebene Phänomen sagt aus, dass Netzwerke nach der Überwindung einer kritische Masse eine dominante Marktposition einnehmen können („The Winner takes it all“). Ob eine starke Position für etablierte Unternehmen auch im entstehenden Markt der Elektromobilität eine Selbstverständlichkeit sein wird, steht aufgrund neuer und komplexer mobiler Wertschöpfungsketten in Frage. Um eine kritische Masse zu überschreiten, ist vielmehr eine strategische Kooperationspolitik von Energieunternehmen, Automobilzuliefern, Cloudbetreibern und Komponentenherstellern in einem unternehmens- und branchenübergreifenden Sinn erforderlich. Da ist nur erreichbar, wenn Unternehmens- und Netzwerkziele in Übereinstimmung sind, ein Kontrollverlust kompensiert und interorganisationales Lernen im Kontext der Digitalisierung gelebt wird.
Eine treffende Differenzierung der Bundesnetzagentur von 2015 zur Digitalisierung unterstreicht: „Im Kern geht es bei diesem Transformationsprozess nicht darum, Maschinen und bestehende Prozesse digital zu steuern – dies ist schon seit Jahrzehnten möglich. Es geht darum, durch die digitale Vernetzung Verfahrens- und Wertschöpfungsketten und deren Ausrichtung auf den Kunden vollständig neu zu denken“.
Neue Elemente der automobilen Wertschöpfungskette sind die Flussgrößen Strom (Kilowatt) und Information (Kilobyte), ergänzt etwa um das OCPP-Standardprotokoll (Open Charge Point Protocol). Digitale Technologien und das Internet ermöglichen eine Trennung von Zeit (tarifoptimiertes Laden über Einstellung von Ladezeiten), Ort (Auskunft und Navigation zu Lademöglichkeiten) und Raum (Steuerungszentrale für installierte Ladesäulen mit Fernwartungsmöglichkeiten) und kreieren somit neue Formen der Bedienbarkeit rund um den Ladepunkt. Die Anbindung der Ladeeinheit an ein Backend-System über das Standardprotokoll OCPP macht dies möglich (Bild 3).
Transparenz und Funktionenvielfalt
Übersetzt in Komponenten ist das der eichrechtskonforme Zähler, der mittels einem Fenster zum Ablesen dann auch in Deutschland oder Österreich gesetzeskonform ist, wenn der Abrechnungsweg von Wallbox zum Backend sicher vor Manipulation ist. Mit einer Kommunikationselektronik, einem EE-Bus und einer GSM- oder WLAN-Verbindung per Modem, ist der Datenaustausch zwischen Ladesäule und Backend möglich. Die Digitalisierung erzeugt also Transparenz in Ladevorgängen und gleichzeitig eine Funktionenvielfalt.
Die verstärkte Einführung digitaler Technologien erleben wir gerade bei der Ladetechnik. Statt nur Strom in das Fahrzeug zur Aufladung der Batterie zu bringen, ermöglicht die Digitalisierung Funktionen im Bereich Komfort, Reporting und Monitoring, aber teilweise sogar auch bei der Abrechnung und stellt somit eine Erweiterung konventioneller Ladetechnologien dar. Ein EE-Bus des Fraunhofer Instituts dient als Standard-Kommunikationsschnittstelle im HEMS-Bereich (Home Energy Management Systeme), welche herstellerunabhängig Verbraucher wie Wallboxen mit anderen Energieflüssen in Einklang bringt. Der EE-Bus ist vor allem eine standardisierte Softwareschnittstelle, die in der Zukunft der Internet of Things Teilsysteme miteinander verbinden wird. Neben Plug-and-Charge gemäß ISO/IEC 15118 ist zukünftig auch Plug-and-Go im Sinne einer komfortablen Nutzung und Steuerung möglich.
Gesetzliche Regelungen der Digitalisierung
Das Messstellenbetriebsgesetz oder die Ladesäulenverordnung aus dem Jahr 2016 mit späteren Ergänzungen regelt den Betrieb von Ladepunkten im öffentlichen und nicht öffentlichen Raum und definiert etwa für das Laden die Typ-2-Steckdose als Standard. Weitere wesentliche Gesetzesauflagen stehen an: Über eine Wallbox ist in vielen Fällen eine Verbindung von einem Elektrofahrzeug mit einem Gebäude hergestellt. Der Gesetzgeber sieht ab einem Stromverbrauch größer 6000 kWh/Jahr eine Ausstattung mit intelligenten Messsystemen (iMSys) vor. Der Ladevorgang eines Elektrofahrzeuges erfordert etwa 15 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Um eine Fahrtleistung von 15.000 Kilometern pro Jahr zu erreichen, bedarf es ungefähr 2250 kWh. Ein Haushalt mit vier Personen benötigt zcirka 4000 kWh. Als Elektrofahrer mit einer häuslichen Wallbox ist es demnach nicht unrealistisch, dass der Wert 6000 kWh/Jahr überschreitet.
Voraussichtlich ab dem Jahr 2021 wird der Einbau eines Smart-Meter-Gateways als intelligentes Messsystem, welches alle Verbraucher misst, Vorschrift werden. Das betrifft dann alle abrechnungsrelevanten Vorgänge. Ein weiteres Argument für die Notwendigkeit der Digitalisierung betrifft das Stromnetz an sich. Mit einem dezentralen intelligenten Energiemanagement lassen sich Stromangebot und Stromnachfrage besser in Balance bringen. Ein lokales Lastmanagement regelt Lastspitzen digital aus. Hierfür bedarf es eines Anreizsystems, um beispielsweise mit tarifoptimiertem Laden ein netzgerechtes Ladeverhalten zu erzeugen. Algorithmen steuern den Ladevorgang intelligent und stellen einen kundenorientierten Ladezustand und eine Mindestreichweite sicher.
Cyber Security und das Johari-Fenster
Digitalisierung kann nur mit zuverlässigen (digitalen) Produkten Innovationstreiber sein. Individuelle und firmenübergreifende Testkonzepte sind deswegen notwendiger Bestandteil von strategischen Kooperationen. Automatisierte Testwerkzeuge untersuchen zwar eine Wallbox samt ihrer Verbindung zum Backend auf Schwachstellen, eine manuell angeleitete und durchgeführte Analyse ist jedoch unersetzbar und kann von automatisierten Tools übersehene Sicherheitslücken aufdecken. Die mangelnde Identifikation von Fehlern liegt auch an starken Compliance-Regelwerken, denen sich meistens Tester unterwerfen müssen, wenn sie cloud-gehostete Backends im Betrieb haben. Gründe hierfür sind insbesondere darin begründet, dass die unter Umständen öffentlich gemachte Verwundbarkeit dieser Clouds einen erheblichen Imageverlust für den Betreiber und den Anbieter bedeutet.
Fehler in der Authentifizierung bei der Ladesäule oder bei der Verwaltung des Ladevorgangs können mehrere Ursachen haben. Diese sind Lese-/Schreibfehler von Dateien; Programmierfehler, die zu SQL-, Code- oder Befehlsinjektion führen; Logische Fehler, die das Management des Steuerungsflusses ermöglichen oder die ungeprüfte Übernahme von Benutzereingaben, welche bei der Objektserialisierung zum Einsatz kommen und einem Angreifer damit die Ausführung eines eigenen Codes ermöglichen.
In Analogie zum Johari-Fenster, einer bekannten Feedback-Methodik aus der Persönlichkeitsentwicklung, lässt sich für die Wallbox in ihrem Ökosystem diese Methodik zweckentfremden. Beim Johari-Fenster geht es um unbewusste Merkmale im Verbund (Bild 4). Wichtig ist, den blinden Fleck im Verbund zu finden, um Cyber-Sicherheit gewährleisten zu können. Es ist notwendig, das Unbekannte zu testen und mit kreativen Hacking-Methoden auf die Probe zu stellen. Alles andere ist nicht realitätsnah und bedeutet eine Simplifizierung von komplexen sozio-technischen Vorgängen. Denn einem Hacker geht es oftmals eher um Anerkennung als um monetäre Vorteile.
Fazit
Digitalisierung wird unseren Ladealltag als Elektromobilisten in Zukunft stark beeinflussen. In der Ladeinfrastruktur schafft sie neue Kundennutzen und generiert Ertragslogiken am Ladepunkt. Um mehr Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen und dieses neue Wettbewerbsfeld zu erobern, ist eine strategische Kooperationspolitik erforderlich. Damit Digitalisierung ein Innovationstreiber für Unternehmen werden kann, bedarf es zusätzlich leistungsfähiger und gleichzeitig moderner organisatorischer Formen der Leistungserstellung. Dies ist notwendig, um Auflagen des Gesetzgebers zu erfüllen, der etwa eine Ausstattung mit intelligenten Messsystemen plant. Am Ende kann Digitalisierung nur dann ein Innovationstreiber sein, wenn Hersteller zuverlässige Produkte anbieten. Individuelle und firmenübergreifende Testkonzepte sind deswegen notwendiger Bestandteil von strategischen Kooperationen.
(jwa)