Für den Umgang mit dieser großen Dynamik gibt es unzählige Ratschläge: Agilität und Übertragung von Verantwortung sind gefragt und Firmen, die schneller und am besten digital lernen. All dies setzt Veränderungen voraus, die es am besten auch noch zügig umzusetzen gilt.
Aber wie passen die verschiedenen Ansätze zusammen, vor allem hinsichtlich des eigenen Unternehmens? Wie kommen die Menschen mit? Wie lässt es sich vermeiden, dass die gesamte Organisation des Prozesses an den hektischen Veränderung erstickt und damit das aktuelle Geschäft gefährdet? Wie gelingt die Balance zwischen der nötigen Stabilität, Sicherheit und Orientierung und der für den Wandel nötigen Flexibilität und dem Aushalten von Unsicherheit und Ungewissheit?
So kann Veränderung aussehen
Es gibt keinen Königsweg für das Navigieren durch einen Veränderungsprozess, das heißt jedes Unternehmen muss hier seinen eigenen Weg finden. Dennoch gibt es einige Aspekte, die die Verantwortungsträger zu Beginn und während der Reise im Blick haben sollten. Dazu ein Beispiel:
Ein Hersteller von Luxus- und Sportwagen entschied sich vor einigen Jahren, seine Produktpalette auf die obere Mittelklasse, Oberklasse und SUV auszudehnen. Es war beabsichtigt auf das bestehende Image, das Design und die Ausstattung aufzubauen, um der neuen Zielgruppe ein für sie bisher unbekanntes Fahrerlebnis zu vermitteln. Dies war ein wesentlicher Hebel zur Differenzierung von den Marktführern. Neben anderen Maßnahmen, wie veränderten Prozessen beim Einkauf oder der Ausweitung der Kapazität in der Produktion, lag ein Schwerpunkt auf den Händlern und Verkäufern. Hier gab es als Vorgabe eine konkrete Wachstumsstrategie mit entsprechenden Verkaufszahlen.
Durch Interviews mit Händlern, Mystery Shopping und weiteren Untersuchungen sowie durch Wettbewerbsvergleiche bei den Fahrzeugen war herausgearbeitet worden, dass es eine andere als die bisher übliche Art der Kundenansprache geben musste. Eine neue Haltung und ein verändertes Verhalten waren erforderlich, um die bisherige Käuferschaft zu erweitern und die Verkaufsziele zu erreichen. Denn es war klar, dass es sich bei den neuen Käufern um eine Personengruppe handeln würde, die es deutlich aktiver, zielgenauer und individueller von Händlern und Verkäufern zu adressieren galt.
Der gesamte Veränderungsprozess war auf mehrere Jahre ausgelegt, wobei der Schwerpunkt auf den ersten beiden Jahren lag. Dabei kamen folgende Elemente zum Einsatz:
Für die Händler- und Verkäuferebene kam eine eigens entwickelte Business-Simulation zum Einsatz, ein sogenanntes Serious Game. Dieses hatte zum Ziel, eine Sensibilisierung für und eine Auseinandersetzung mit den Anforderungen der neuen Käuferschaft zu erreichen. Dabei wurde im Rahmen der Simulation besonders Wert auf die Wahrnehmung der Unterschiede zu den bisher gewohnten Käufern und Kunden gelegt und welche Änderungen in der Ansprache dadurch in Zukunft notwendig sind. Ein weiterer Inhalt war die Erkundung der Triggerpunkte der potenziellen Neukunden und die Entwicklung eines darauf basierten Angebots aus der Nutzerperspektive. Nicht zuletzt galt es, auf diese Triggerpunkte dann über das Erleben während der Probefahrt einzugehen.
Da diese Haltungs-, Denk- und Vorgehensweise für langjährige Händler und Verkäufer eine gravierende Änderung bedeutete, gab es weiterführende Maßnahmen. Zum einen nahmen die Verkäufer nach dem Einstiegsseminar mit dem Serious Game an einem mehrstufigen individuellen Coaching und Sparring teil, mit dem Ziel, den Transfer nachhaltig und über eine längere Zeit abzusichern. Zum anderen lief parallel der Ausbau des Händlernetzes, um einerseits die Verkaufskapazität in der Fläche weiterzuentwickeln, aber auch, um solche Händler an die Marke zu binden, die bereits Erfahrungen im Volumengeschäft besaßen. Beide Maßnahmen sollten sicherstellen, dass sich über die Zeit ein verändertes und die Ziele förderndes Agieren im Verkauf ausprägte. Zeitgleich löste ein auf das erwünschte Vorgehen beim Verkauf abgestimmtes CRM-System das Vorgängermodell ab. Entsprechende Trainings und verbindliche Vorgaben zur Nutzung wurden ebenfalls ausgearbeitet und mit den verhaltensorientierten Inhalten abgeglichen und verknüpft.
Die Beteiligten müssen die Ursachen verstehen
Aus diesem Beispiel lassen sich wichtige Erkenntnisse für jeden Veränderungsprozess ableiten. Ist ein geändertes Verhalten das Ziel, beginnt man oft damit, ausführlich darzustellen, wie der aktuelle Stand ist und welche Entwicklungen vor sich gehen. Dies hilft den Mitarbeitern beim notwendigen Verständnis der Situation.
Im Beispiel sind das die Wachstumschancen in den bisher nicht bedienten Modellsegmenten, was in der Folge ein verändertes Verhalten an der Kundenschnittstelle im Verkauf bedeutet. Welche Handlungsweise und welches geänderte Verständnis in Zukunft notwendig sind, und wie im Vertrieb mit den neuen Kunden umzugehen ist, leitet sich aus den Untersuchungen in der Zielgruppe und bei den aktuellen Händlern ab.
Die formale Seite ist ein wichtiger Ansatzpunkt
Es ist aber erwiesen, dass eine alleinige Konzentration auf die eben skizzierte sogenannte „Schauseite“, also die Außenwahrnehmung, meist nur einen geringen Effekt hat. Aus diesem Grund sollten die oben erwähnten Ansätze und Maßnahmen auch kombiniert werden. Mehr Wirkung bei Veränderungsvorhaben lässt sich über Änderungen auf der formalen Seite der Organisation erreichen. Sie definiert sich über festgelegte Strukturen, Regeln, Prozesse und Ähnliches und wirkt direkt auf das Verhalten von Mitarbeitern.
Im Beispiel sind dies der Aufbau von Kapazitäten auf der Produktionsseite und die Veränderung der Prozesse im Einkauf. An der Kundenschnittstelle sind formale Veränderungen in Form von Zielvorgaben oder durch die Erweiterung des Händlernetzwerks sichtbar. Ebenfalls eine deutliche formale Veränderung ist die Ablösung des alten CRM-Systems, mit neuen Vorgaben zur Nutzung und zu den einzugebenden Daten.
Auf die menschliche Seite des Wandels achten
Jedes Unternehmen oder jede Organisation besitzt noch eine weitere Ebene: die informale Seite. Hierbei handelt es sich um Verhaltensweisen und Regeln, die zwar niedergeschrieben sind, aber gelebt werden. Auch unausgesprochene Vereinbarungen gehören dazu. Sie ist wichtig, da die formale Ebene nie alles abdecken kann, was an Entscheidungen notwendig ist – vor allem, wenn sich im Umfeld gravierende Umbrüche ergeben. Die oft in Veränderungsprojekten adressierte Unternehmenskultur zählt hier ebenfalls dazu.
So wichtig und wirksam die informale Ebene auch ist: direkt beeinflussbar ist sie nicht. Es ist wichtig zu beobachten und abzuschätzen, wie sich Veränderungen im Unternehmen darauf auswirken – vor allem, weil hier die Widerstände oder Blockaden entstehen, die es zu vermeiden gilt.
Im Beispiel wirken die Verantwortlichen auf die Menschen mit Hilfe des Serious Games und des Coachings über längere Zeit ein. Damit gelingt es, die erforderliche Sensibilisierung und Aktivierung für die neuen Ziele zu erreichen. Es wird ein Diskurs darüber initiiert, wie sich die Strategie auf das bisherige Agieren im Verkauf auswirkt und welche Erwartungen hinsichtlich des Verhaltens bestehen. Aber nicht die Wissens-Vermittlung, sondern das aktive Einüben und Begleiten bei diesem Transformationsprozess sind der Kern der Simulation und der Betreuung. Dieser intensive Prozess verdeutlicht über eine längere Zeit, welche neuen Verhaltensweisen sich herausbilden und ob diese der Zielrichtung förderlich sind.
In der Praxis zeigte sich insbesondere in der Coaching Phase, dass bei einigen wenigen Verkäufern kaum eine Veränderung des Verhaltens festzustellen war. Dies wurde aber auf Grund der Auswirkung der veränderten Vorgaben und Ziele sowie der Erweiterung um neue Händler gefahrlos in Kauf genommen.
Vor allem das begleitende Coaching verringert etwaige Unsicherheiten und sichert das Lernen im realen Geschehen ab. Unter der Annahme, dass sich nicht alle aktiv und mit Elan dem neuen Vorgehen anschließen, setzt die Erweiterung des Händlernetzwerks hier flankierend an. Zum einen dient sie dazu, das Wachstum durch neue Vertriebskapazität zu fördern, aber auch zur Kompensierung punktueller Widerstände. Somit übt die formale Seite ebenfalls Veränderungsdruck aus.
Viele Wegen können zum Ziel führen
Zusammenfassend bedeutet das, dass es einen Königsweg zu einer Veränderung nicht gibt. Nötig ist zum Erzielen der Wirkung vielmehr eine auf das Unternehmen und auf die Auslöser und Ziele der Veränderung abgestimmte Vorgehensweise. Das Beispiel zeigte, dass die dazu erforderlichen Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen der Organisation greifen müssen. Es ist wichtig, die menschliche Seite des Wandels zu betrachten und aktiv einzubeziehen. Diese allerdings als einzigen Ansatzpunkt zu sehen, wäre genauso fahrlässig, wie nur auf der formalen Ebene für neue Strukturen zu sorgen.
(aok)