Herr Hort, wie laufen die Geschäfte?
Es läuft sehr gut. Wir haben vor etwa anderthalb Jahren unsere Strategie auf Vertikalisierung ausgerichtet. Das heißt, wir fokussieren uns auf bestimmte Industrien. Die größte Fokusindustrie ist das Automotive-Geschäft. Und das kommt nicht von ungefähr: Denn T-Systems ist aus dem Zusammenschluss von Telekom-Einheiten mit dem debis Systemhaus von DaimlerChrysler entstanden. 2005 hat T-Systems die IT-Tochter von Volkswagen gekauft. Automotive ist also Teil unserer DNA. Unser Vertical Automotive wächst. Wir managen unser älteres Geschäft und wachsen mit neuen Themen. Kurz gesagt: Wir sind zufrieden.
Wo liegen Ihre Hauptschwerpunkte?
Bei unseren Schwerpunkten geht es immer wieder um das Software-defined Vehicle. Unser Portfolio setzt an diesem Endprodukt an und entwickelt sich dann über die ganzen Prozesse in die Unternehmens-IT. So betreuen wir die Software-Updates via Mobilfunk von mehr als 30 Millionen Fahrzeugen weltweit. Unser zweites großes Betätigungsfeld ist die Digital Customer Journey, also wie wir als Endkunden unsere Fahrzeuge kaufen. Zudem haben wir ein großes Feld, das wir Industry-X nennen. Dort ist die Entwicklung beheimatet, aber auch solche neuen Projekte wie Catena-X. Und grundsätzlich schreiben wir jegliche Art von Software, wir bringen unsere Kunden in die Cloud und sind auch sehr stark im Betrieb von hochkomplexen Systemen.
Save the date: 29. Automobil-Elektronik Kongress
Am 24. und 25. Juni 2025 findet zum 29. Mal der Internationale Automobil-Elektronik Kongress (AEK) in Ludwigsburg statt. Dieser Netzwerkkongress ist bereits seit vielen Jahren der Treffpunkt für die Top-Entscheider der Elektro-/Elektronik-Branche und bringt nun zusätzlich die Automotive-Verantwortlichen und die relevanten High-Level-Manager der Tech-Industrie zusammen, um gemeinsam das ganzheitliche Kundenerlebnis zu ermöglichen, das für die Fahrzeuge der Zukunft benötigt wird. Trotz dieser stark zunehmenden Internationalisierung wird der Automobil-Elektronik Kongress von den Teilnehmern immer noch als eine Art "automobiles Familientreffen" bezeichnet.
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Fungiert Ihr Unternehmen da als Entwicklungsdienstleister?
Ja, wir haben eine eigene Entwicklung, in die wir investieren und die eigene Software-Artefakte erstellt; Das sind keine fertigen Produkte, sondern recht weit entwickelte Elemente, die dann jeweils an die Kundenbedürfnisse angepasst werden. Ein sehr großer Teil unseres Geschäfts ist dann der des Entwicklungsdienstleisters, der Kunden Kapazitäten und Fähigkeiten bereitstellt.
Welche Rolle spielt dabei die Zugehörigkeit zum Telekom-Konzern?
Als Teil der Deutschen Telekom sind wir schon sehr lange in der Automobilindustrie tätig, wodurch wir die existierenden Prozesslandschaften sehr, sehr gut kennen. Zudem können wir sehr tief in das Thema Connectivity eintauchen. Beim Software-defined Vehicle haben wir zum Beispiel durch unser Mutterhaus sehr einzigartige Einblicke in 5G-APIs, und wir haben eine sehr lange Historie im Bereich Security.
Inwiefern wird die Connectivity in Zukunft eine noch größere Rolle spielen, als sie es jetzt schon tut
Das ist eine sehr gute Frage. Die Connectivity als Basisfunktion oder als Basismöglichkeit, Software in das Fahrzeug zu bringen, wird absolut an Bedeutung zunehmen. Wir werden immer schnellere Softwarezyklen sehen, wie Software durch entsprechende Updates ins Fahrzeug gebracht wird. Wir können die Bandbreite im Netzwerk aktiv steuern und in Zeiten mit geringerem Netzwerk-Traffic bestimmte Over-the-air-Kampagnen fahren.
Nachts ist der Datenverkehr geringer...
Ja, die Nacht bietet sich an, wenn das Fahrzeug auch nicht unbedingt in der Nutzung ist. Als Teil der Magenta-Familie können wir aber trotz hoher Belastung des Netzwerks die Daten ans Ziel bringen, wenn es wirklich notwendig ist, ein Software-Update mit hoher Priorität auszuliefern. Im Rahmen solcher Sliced Networks stehen dann dedizierte Bandbreiten für das Software-Update zur Verfügung.
Was tut T-Systems im Bereich Security?
Security fängt ganz vorne beim Design der Software und bei der Softwareentwicklung an. An dieser Stelle treten wir auch beratend auf, machen entsprechende Risikoanalysen und Code-Reviews, um die Softwarearchitektur so aufzubauen, dass sie eben den Anforderungen entspricht und sicher ist. Außerdem kennen wir uns rund um das Thema sichere Over-the-air-Updates sehr gut aus. Entscheidend ist aber auch der Blick auf die Flotte, denn es geht darum, ständig den gesamten Flottenbetrieb zu monitoren, und eventuelle Anomalien schnell zu erkennen. Es gilt, zu entscheiden, ob das ein normaler Vorgang ist oder tatsächlich eine Bedrohung. Das läuft bei uns in sogenannten Vehicle Security Operation Centers. An dieser Stelle kommen viele unserer Fähigkeiten zusammen: das Automotive-Know-how aus T-Systems, aber auch das Security-Operation-Center-Know-how einer Deutschen Telekom. Wir versuchen natürlich, Cyber-Angriffe zu verhindern. Die Angriffe kommen überwiegend über das Backend, weniger direkt über das Fahrzeug, da sich Angreifer Lücken in anderen Unternehmensbereichen zu eigen machen.
Wo ist T-Systems im SDV jenseits der OTA-Updates unterwegs?
Wir managen heute mehr als 30 Millionen Fahrzeuge auf unserem Backend, und die nächsten Schritte, die wir sehen, ist die Software-Orchestrierung. Das bedeutet, dass die Entwicklercommunity die Software idealerweise auf dem Backend entwickelt, validiert und testet, und am Ende gar nicht mehr direkt bemerkt oder weiß, wo die Software zum Laufen kommt. Je nach Auslastungszustand des Fahrzeuges beziehungsweise des Backends fließt dann die Software in einem Software-Kontinuum zwischen dem Backend und dem Fahrzeug. Das ist der nächste große Punkt, auf den wir uns konzentrieren: Wir bauen eine Abstraktionsebene für die Entwicklercommunity. Damit wird alles noch mal einfacher. Denn die Entwickler müssen nicht mehr alle Spezifika des Fahrzeuges kennen. Das Thema Homologation ist dabei eine große Herausforderung. In Zukunft könnten fast täglich neue Updates in ein Fahrzeug kommen, jeweils abhängig von den entsprechenden Services. Ich gehe davon aus, dass es im Software-defined Vehicle so wird wie beim Smartphone: Es wird wöchentlich Updates geben, mindestens aber einmal im Monat.
»Ich gehe davon aus, dass es im SDV so wird wie beim Smartphone: Es wird wöchentlich Updates geben, mindestens aber einmal im Monat. «
Christian Hort, T-Systems
Was tut sich im Bereich virtuelle Entwicklung?
In der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK gab es ja schon Berichte über das Thema Shift-Left. Dabei geht es darum, bereits in einem frühen Entwicklungsstand einen virtuellen Chip oder eine virtuelle Hardware zu bekommen, um die eigene Software früh daran anzupassen. Ich habe kürzlich von einem großen OEM gelesen, der zuerst das gesamte Fahrzeug in seiner gesamten Natur, nicht nur die Software, sondern auch alle anderen Komponenten, digital und virtuell entwickelt, die er dann auch virtuell erprobt. Diese Erprobung des Fahrzeugs erfolgt unter physikalisch korrekten Bedingungen, allerdings nicht in der realen Welt, sondern rein virtuell in der Software. Es mag jetzt noch ein bisschen übertrieben erscheinen, das Fahrzeug über Nacht einer Wintererprobung oder einer Sommererprobung zu unterziehen, aber durch Parallel-Rechenleistung wird das möglich sein. Hier kommt dann T-Systems ins Spiel, um einerseits die Hardware als Service anzubieten und andererseits die notwendigen Prozesse, die Tool Chains zusammenzuführen, die für eine solche Simulation notwendig sind. Ziel ist es, dass der Kunde sich wirklich auf den Inhalt konzentrieren kann. Wir stellen dann quasi den entsprechenden Rahmen aus dieser gesamten Menükarte zusammen.
Wir haben zwei große Projekte in diesem Bereich gewinnen können und machen dort momentan noch Umsätze im niedrigen zweistelligen Millionenbereich, aber wir sehen den Markt sehr, sehr stark wachsen. Das erfordert unglaublich viel IT-Wissen und Fach-Know-how, um solche Serverfarmen 24/7 ohne Ausfall zu betreiben und entsprechend in die Entwicklungslandschaften zu integrieren.
Welcher Aspekt benötigt beim Software-defined Vehicle mehr Aufmerksamkeit?
Wir sprechen immer sehr stark über Entwicklung, um eine Software oder einen Softwarestand zu bauen, der dann in das Fahrzeug gebracht wird. Aber was immer zu kurz kommt und was einen sehr, sehr großen Anteil des Aufwands beim Software-defined Vehicle ausmacht, ist das Thema Betrieb – und zwar in Form von kundennahem Service, funktionalem Betrieb und Basisbetrieb. Funktionaler Betrieb bedeutet die Überprüfung, ob der Service in seiner intendierten Art tatsächlich funktioniert. Der Basisbetrieb umfasst zum Beispiel das Bereitstellen der entsprechenden Infrastruktur und Middleware-Software, auf der die Services im Einzelnen dann dauerhaft funktionsfähig laufen. Wir beschäftigen uns schon seit Jahren überwiegend mit dem funktionalen Betrieb und dem Basisbetrieb. Unsere Spezialität liegt darin, sicher zu stellen, dass die Flotte an sieben Tagen der Woche und 24 Stunden pro Tag fehlerfrei funktioniert: in immer mehr Regionen mit immer mehr Mobilfunkdienstleistern und über eine ständig wachsende Anzahl von Generationen hinweg, während gleichzeitig die Komplexität mit Zunahme der Services wächst.
Wie viele Entwickler arbeiten bei T-Systems?
Derzeit arbeiten zirka 4.000 bis 5.000 Automotive-Experten bei T-Systems, mit stark steigender Zahl. Davon arbeiten derzeit sicherlich 3.000 Menschen als Entwickler. Von unseren über 3.500 Mitarbeitenden in Indien ist ein großer Teil im Bereich Automotive tätig, aber wir haben auch Teams in Brasilien, China und den USA. Daher sind wir in der Lage, einen globalen OEM international flächendeckend zu bedienen.
5G – Was es zum Mobilfunkstandard zu wissen gibt
5G gilt als Schlüsseltechnologie in vielen Bereichen. Größere Datenmengen bei höheren Übertragungsgeschwindigkeiten sind der Grund. Wie funktioniert die Technologie? Welche schnell ist es? Die Antwort auf diese und andere Fragen finden Sie in unsere Übersicht.
Wie arbeiten Sie mit chinesischen OEMs zusammen?
Wir erhalten zunehmend Anfragen von chinesischen Kunden, die aus China heraus in den europäischen Markt wollen beziehungsweise dort Fuß fassen wollen. Die Herausforderung: Die gesamte Datenstruktur und Data Governance ist mit einer direkten Verbindung in eine Cloud in China nur sehr schwierig darstellbar. Da sind wir natürlich prädestiniert als ein großer Anbieter einer eigenen Cloud, der Open Telekom Cloud, die schon lange etabliert ist, um als lokaler Anbieter, als deutsches Unternehmen die Daten von unseren deutschen Kunden oder von den deutschen Endverbrauchern der chinesischen Hersteller zu verwalten. Und es gilt, sicherzustellen, dass diese Daten entsprechend gemanagt werden. Von daher erfreuen wir uns da sehr großer Ansprache aus dem chinesischen Markt, um zu eruieren, wie auch unsere Backend-Betriebsfähigkeiten für den europäischen Markt genutzt werden können.
Wir versuchen aber ausdrücklich nicht, chinesische Anbieter für den chinesischen Markt zu gewinnen. Umgekehrt betreuen wir natürlich jeden OEM oder Tier-1-Lieferanten, der den Schritt nach China macht, mit den lokalen Gegebenheiten, weil wir uns da auch sehr gut auskennen. Aber es muss immer klar sein, wir fokussieren uns auf die DACH-Region.
Worin sehen Sie eine besondere Herausforderung auf dem Markt?
Eine große Herausforderung für alle bei uns auf dem Automotive-Markt besteht darin, dass wir selbstgestrickte, große Applikationen über Jahre betreut haben, die aber nicht mehr technologisch auf Augenhöhe sind. Jetzt geht es darum, diese Applikationen zu nehmen, alte Programmiersprachen ad acta zu legen, zu modernisieren und Cloud-native anzubieten. Dabei nutzt man sogenannte Micro Services, die dann an den Cloud-Stack oder an die Cloud-Software andocken und die ganzen Fähigkeiten der Hyperscaler nutzen. Man will vermeiden, diese alten Applikationen weiter zu betreuen beziehungsweise fortzuführen, weil das sehr kostspielig ist und diese auch nicht mehr performant genug sind.
Wir bieten sozusagen die gesamte Menükarte an, und der Kunde kann dann entscheiden. Vielleicht ein Trend noch, wo wir gerade über die Cloudifizierung sprechen: Ich glaube, dass die Souveränisierung der Daten in der Automobilindustrie zunehmen wird.
Was meinen Sie damit?
Das bedeutet, dass Sie als Eigentümer der Daten in voller Kontrolle bleiben, was mit den Daten passiert, auch wo die Daten liegen, und dass die Daten absolut sicher gespeichert sind. Wie erreichen wir das? Wir arbeiten dort mit Google zusammen, wir haben vor einem guten Jahr die T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud ins Leben gerufen als der erste am Markt zum Thema Sovereign Cloud. In der Praxis nehmen wir den öffentlichen Software-Stack von Google mit den Features und fügen mehrere Security- und Souveränitäts-Schichten so dazu, dass die Kunden in der Lage sind, ihre Souveränitätsprinzipien entsprechend umzusetzen. Diese Daten sind verschlüsselt, und die entsprechenden Schlüssel liegen nur bei T-Systems oder beim Kunden. Damit wird vermieden, dass irgendjemand aus den USA über das Umfeld des Hyperscalers sagt, gib mir mal die Daten von Kunde X.
Das heißt, die Daten liegen ständig verschlüsselt mit diesem speziellen Verschlüsselungssystem in einer physikalisch vorbestimmten Region. Wenn daher die Daten Deutschland nicht verlassen dürfen oder die Daten in Deutschland liegen müssen, dann liegen die auch nur in unseren Rechenzentren in der Region Frankfurt sowie bei Bedarf auch gerne in einem eigenen Cage, auf den nur ganz bestimmte Personen Zugriff haben. So weit gehen wir mit den Souveränisierungsprinzipien, dass wir sogar die Serverfarmen abschirmen. Wir haben Einsicht in den Google-Code, wir können Code Reviews machen. Wir hosten bei T-Systems die Schlüssel für alle Daten, die da drauf sind, und sind somit in der Lage, das Souveränisierungskonzept in Europa vollumfänglich umzusetzen.
Welche Bedeutung hat der AEK, also der Automobil-Elektronik Kongress in Ludwigsburg, für Sie?
Eine sehr hohe, weil ich schon seit Beginn meiner Karriere immer die Möglichkeit hatte, dort viele Branchen-Insights zu erfahren. Und vor allem treffe ich dort die Kollegen. Auf dem AEK trifft man Entscheidungsträger, Kunden, Meinungsbildner in der Industrie und kann sich in einem sehr lockeren Umfeld unterhalten. Das schätze ich sehr, und ich freue mich auch, dass wir dieses Jahr vor Ort sein können und teilnehmen dürfen.
Der Autor: Alfred Vollmer
Alfred Vollmer interessiert sich nicht nur für Technik per se in vielen Facetten und Einzelheiten sondern auch dafür, wie sich diese Technik im wirtschaftlich-gesellschaftlichen Rahmen sinnvoll anwenden, umsetzen und nutzen lässt. Der Dipl.-Ing. hat bereits während des Studiums der Elektrotechnik sein Faible fürs Schreiben entdeckt und ist mit über 30 Jahren Branchenerfahrung ein bestens vernetztes Urgestein der europäischen (Automobil-)Elektronik-Fachpresse. Er fragt gerne detailliert nach und lässt dabei auch die ökologischen Aspekte nicht aus. Mit vielen seiner (Elektrotechnik-)Prognosen lag er richtig, aber manchmal sorgten auch sehr spezifische Marktmechanismen dafür, dass es ganz anders kam…