Da die Insassen in Zukunft nicht mehr mit dem Fahren beschäftigt sind, können sie während der Fahrt andere Sachen machen.

Da die Insassen in Zukunft nicht mehr mit dem Fahren beschäftigt sind, können sie während der Fahrt andere Sachen machen. (Bild: NTT Data)

Die Automobilindustrie steht vor einem enormen Wandel. E-Mobilität ist bereits seit Jahren ein Thema, doch egal, was ein Fahrzeug künftig antreiben wird: Autonom fahrende und vernetzte Autos sind neben dem Ende des Verbrennungsmotors vermutlich die größte Herausforderung seit Bestehen der Automobilbranche. Denn auch wenn bereits ein hoher Anteil an Software und Rechenleistung in den Fahrzeugen von heute steckt, ist noch eine weitaus größere Menge an Technologie notwendig, um das autonome Fahren sicher zu ermöglichen. Nichtsdestotrotz arbeiten Fahrzeughersteller daran, zumindest ein gewisses Maß an autonomem Fahren bereits bis 2020 zu realisieren. BMW will etwa bis zum Jahr 2021 das erste autonome Fahrzeug, den I-Next, auf den Markt bringen. Die Mehrheit der OEMs ist sich jedoch einig, dass autonomes Fahren in einer Reihe von Entwicklungsschritten vor sich geht – und dass das Fahrzeug nicht autark, sondern in eine vernetzte Umgebung eingebettet sein wird.

Um eine solche vernetzte Umwelt zu entwickeln, müssen Unternehmen aus verschiedenen Segmenten zusammenarbeiten. Dazu gehören beispielsweise elektronische Bezahlservices für Mautstellen, hochgenaue Sensortechnologien, Speicher- und Analyse-Software, um die vom Auto generierten Daten zu verarbeiten, Technologien für 3D-Kartenmaterial, Lidar und Radar sowie Fahrerassistenz-, Navigations- und Security-Systeme. All dies ist jedoch ohne flächendeckende 5G-Verbindung nicht möglich. Auch die Gesetzgeber müssen handeln und gesetzliche Vorschriften für den Betrieb komplett autonomer Fahrzeuge erstellen und diese länderübergreifend verabschieden, um entsprechende Grenzübertritte zu ermöglichen.

Sind diese Vorgaben erfüllt, wird auch die Einführung von autonomen Fahrzeugen einen deutlichen Aufschwung nehmen. Bis zum Jahr 2050 soll die Marktdurchdringung bei knapp 50 Prozent liegen, davon geht die Beratungsfirma NTT Data in ihrem selbst aufgestellten Szenario aus. Wie bei den meisten neuen Technologien finden sich diese zunächst im Premium-Segment und kommen anschließend auch in den mittleren und unteren Segmenten zum Einsatz. Allerdings sind alle Technologien nur die Basis für einen gesellschaftlichen Wandel, dem die Automobilhersteller auch ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen.

Geschäftsmodelle sind das Stichwort. Hier wird sich der Großteil der Veränderungen für die OEMs abspielen. Der Trend geht unter anderem zum Carsharing. Bereits heute zeigen Hersteller wie BMW (Drive Now) oder Mercedes (car2go), dass sie diesen Trend erkennen und ihre Modelle anpassen wollen und können.

2050: Überwiegend autonome Fahrzeuge sind auf den Straßen

Cockpit der Zukunft: In Zukunft erfolgt die Anzeige von wichtigen Daten und Infotainment-Systemen über ein LED-Armaturenbrett.

Cockpit der Zukunft: In Zukunft erfolgt die Anzeige von wichtigen Daten und Infotainment-Systemen über ein LED-Armaturenbrett. NTT Data

Ab dem Jahr 2050 wird es überwiegend autonome Fahrzeuge auf den Straßen geben. Sie beeinflussen das Ökosystem rund um das Fahrzeug und sind ein wichtiger Bestandteil in intelligenten Städten. In der Automobilbranche geht jedoch der umfassendste Wandel vonstatten. Da durch autonomes Fahren weniger Unfälle passieren, sind weniger Reparaturen zu erwarten. Den daraus entstehenden Umsatzrückgang müssen Werkstätten ausgleichen, zum Beispiel mit neuen, personalisierten Produkten und Services. Dazu gehören ein personalisierter Innenraum, Infotainment-Systeme oder eine entsprechende Ausstattung, denn das Fahrzeuginnere wird sich deutlich verändern, wenn kein Fahrer mehr notwendig ist. Lenkrad, Gas- oder Bremspedal sind überflüssig. Stattdessen lässt sich das Auto in ein komplett vernetztes Büro auf vier Rädern verwandeln, mit Skype zum Telefonieren, flexiblen Displays und Videokonferenz-Möglichkeiten.

Die zunehmende Nutzung von Carsharing und autonomen Taxis verändert auch die bestehenden Geschäftsmodelle, besonders den Bereich Aftersales. Der Löwenanteil an Aftersales wird bei Geschäftskunden liegen, die eine entsprechend große Flotte autonomer Fahrzeuge unterhalten und die für ihre Aufträge sicherlich entsprechend rabattierte Verträge aushandeln. Der eher B2C-lastige Aftermarket wandelt sich somit in ein eher B2B-basiertes Modell.

Auch das Verhältnis zwischen OEM und Kunden verändert sich signifikant. Autonome Fahrzeuge generieren bei jeder Fahrt große Datenmengen. Momentan schätzen Experten, dass bei jeder achtstündigen Fahrt knapp vier Terabyte an Daten gesammelt werden. OEMs erhalten dadurch ein enormes Wissen über den Kunden, gleichzeitig sind sie dafür verantwortlich, dass diese Informationen vor Cyber-Angriffen geschützt sind. Damit Verbraucher ihre Daten nicht komplett und unkontrolliert an den OEM übergeben, müssen sie in der Lage sein, über diese Informationen volle Transparenz zu haben und auch zu 100 Prozent darüber entscheiden zu können, was mit ihren Daten passiert.

Wie es ab 2060 auf den Straßen aussehen soll, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Mehr IT als Blech

Neben den Geschäftsmodellen wandelt sich auch das Fahrzeug selbst: Aus einer Kombination von Elektronik und Blech wird ein rollender Computer. Dieser Trend ist bereits heute deutlich zu beobachten. Entsprechend verändert sich auch die Arbeitswelt des Kfz-Mechanikers. Sie benötigen immer häufiger IT-Wissen zu technischen Komponenten wie ADAS, der Fahrzeugsensorik sowie Navigations-, Infotainment- und Konnektivitätssystemen. Dieser Wandel wird mit komplett vernetzten und autonomen Fahrzeugen deutlich verstärkt und wird auch nach 2050 anhalten. Deshalb sollten OEMs und Werkstätten besonders auf die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter ihr Augenmerk richten. Nur Unternehmen, die mit der höheren Digitalisierung und Vernetzung Schritt halten, werden am Ende erfolgreich am Markt bestehen, der ab 2060 nur noch von rein autonomen Fahrzeugen geprägt sein wird.

2060: Eine Welt ausschließlich autonom fahrender Autos

Auch die Insassen auf den Rücksitzen sollen nicht zu kurz kommen. Über ein Touchdisplay lassen sich verschiedene Infotainmentsysteme steuern.

Auch die Insassen auf den Rücksitzen sollen nicht zu kurz kommen. Über ein Touchdisplay lassen sich verschiedene Infotainmentsysteme steuern. NTT Data

In diesem Szenario gibt es keine vom Menschen gesteuerten Autos mehr. Mittels Vernetzung kann jedes Fahrzeug dank integrierter, selbstlernender Intelligenz (Machine Learning) auf den Erfahrungsschatz und die Daten Millionen anderer Fahrzeuge zurückgreifen. Damit verändert sich der gesamte Straßenverkehr hinsichtlich des deutlichen Rückgangs von Staus, mehr Sicherheit und gesteigertem Komfort.

Viele dieser Fahrzeuge sind Teil eines Carsharing-Pools, Neuwagenverkäufe gehen weiterhin deutlich zurück. OEMs sind daher ein weiteres Mal zu einem Umdenken gefordert. Zurzeit werden Autos nur fünf Prozent der Zeit wirklich genutzt, die restlichen 95 Prozent bleiben sie ungenutzt. In Zeiten des komplett autonomen Fahrens auf Stufe 5 erwarten Experten eine Nutzung von 60 Prozent, auch dank einer deutlich höheren Carsharing-Rate. Dies hat auf der einen Seite einen negativen Effekt auf den PKW-Absatz im Jahr 2060 und darüber hinaus, andererseits sinkt die Zahl der benötigten Parkplätze. Zeitgleich dazu sinkt die Markenloyalität gegenüber den OEMs. Andere Kriterien wie Zuverlässigkeit, Preis, Pünktlichkeit oder Sauberkeit stehen dann eher im Vordergrund.

Herausforderungen gibt es aber nicht nur für die OEMs. Auch die Politik muss sich der neuen Realität des autonomen Fahrens stellen und Regularien entwickeln, die dieser Veränderung Rechnung tragen. Denn wer trägt bei einem Unfall die Schuld? Der Carsharing-Dienst, der Hersteller oder der Zulieferer? Diese Fragen müssen geklärt sein, bevor voll autonome Fahrzeuge ohne möglichen Eingriff eines Fahrers auf den Straßen rollen.

Der Wandel wird Alltag

Kaum eine andere Industrie ist in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einem solchen Wandel unterworfen wie die Automobilbranche. Sie muss ebenso mit einem kontinuierlichen technologischen Wandel leben wie mit neuen, bislang branchenfremden Wettbewerbern. Die dargestellten Szenarien für die Automobilindustrien in den Jahren 2050 und 2060 sind denkbar und sind auf Basis des heutigen Wissenstandes realistisch.

Wichtig ist, dass das Fahrzeug künftig nicht mehr als autarke Einheit gesehen wird, sondern als ein vernetztes Bauteil in einem größeren Ganzen wie etwa in einer vernetzten Stadt, in der Autos mit Verkehrsleitzentralen und anderen Fahrzeugen kommunizieren. Dies erfordert nicht nur ein Umdenken der OEMs, sondern auch von Stadt- und Infrastrukturplanern. Für sie erschließen sich neue Geschäftsmodelle. Auch wenn autonomes Fahren bereits signifikante Vorteile bietet: Erst ein vernetztes Auto innerhalb einer Smart City spielt alle Trümpfe aus.

Christian Seider

(Bild: NTT Data)
Vice President Automotive Suppliers & Discrete Manufacturing bei NTT Data

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