„Die Maschinenrichtlinie mit ihrer  Risikobeurteilung ist auch auf die sicherheitsrelevanten Gewerke von öffentlichen Gebäuden anwendbar.“

„Die Maschinenrichtlinie mit ihrer Risikobeurteilung ist auch auf die sicherheitsrelevanten Gewerke von öffentlichen Gebäuden anwendbar.“Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Herr Glaser, ich kenne Pilz vor allem aus dem Bereich industrielle Safetylösungen in Kombination mit betriebsmäßiger Automatisierung. Das Hackesche Quartier ist dagegen Gebäudeautomation. Wie kommt Pilz zu diesem Projekt, Zufall oder Strategie?

Wir sind in den unterschiedlichsten Branchen zu Hause, unter anderem werden unsere Komponenten und Systeme auch in der Leittechnik von Gebäuden eingesetzt. Die klassische Gebäudeautomation wie Heizung, Klima, Lüftung, hat dabei allerdings weniger mit unseren Aktivitätsfeldern zu tun. In Großprojekten kommt anderen Bereichen aus dem Umfeld der leittechnischen Gebäudeeinrichtung eine tragende Rolle zu: komplette Sicherheitskonzepte für die Zugangskontrolle oder den Brandschutz. Hier gibt es Bestrebungen, bestehende Industrienormen als Definition von branchenspezifischen Vorgaben zu verwenden.

Wollen Sie künftig das Thema ausbauen, was den Vertrieb oder die eine oder andere Produktentwicklung betrifft?

Unsere Produkte und Funktionen sind für den Weltmarkt und weitgehend auch branchenneutral entwickelt. Selbstverständlich werden auch Anpassungen für lokale oder branchenspezifische Anforderungen vorgenommen. Ein zunehmend wichtiger Akzeptanzfaktor für sicherheitstechnische Lösungen ist die Anpassungsfähigkeit an den individuellen Bedarf. Hier – so wird uns von vielen Anwenderkreisen bestätigt – hat Pilz über die Jahre das breiteste und am besten skalierbare Produktportfolio am Markt platziert.

Unser Dienstleistungsangebot dagegen ist von Anfang an immer auf einen individuellen Einsatz ausgerichtet. Spezielle Anforderungen, die in einer Zielbranche eine Schlüsselfunktion haben, setzt Pilz entsprechend um – im Rahmen unseres Dienstleistungsangebots oder als eine standardisierte Produktfunktion.

War eine Produktentwicklung im Fall der Brandschutzsteuerung im Hackeschen Quartier notwendig?

Nein, beim Projekt Hackesches Quartier konnten wir auf bestehende Funktionen und Zulassungen zurückgreifen. Die Behörden sind deutlich sensibler geworden und orientieren sich inzwischen noch enger an den Vorgaben für industrielle Lösungen, konkret an der Maschinenrichtlinie; auch die Anforderungen an weitgehend softwarebasierte Systeme zur automatisierten und ausfallsicheren Gebäudeautomation sind gestiegen. Die Vorgaben betonen die Wichtigkeit eines strukturierten ­Ablaufs bei der Spezifikation der Sicherheitstechnik. Als erstes ist die Gefahr zu beurteilen.

Armin Glaser, Leiter Produktmanagement bei Pilz: „Beim Hackeschen Quartier wurden wir aufgrund von Empfehlungen als Ausrüster für das Brandschutzsystem gewählt.“

Armin Glaser, Leiter Produktmanagement bei Pilz: „Beim Hackeschen Quartier wurden wir aufgrund von Empfehlungen als Ausrüster für das Brandschutzsystem gewählt.“Redaktion IEE/Renate Schildheuer

Und das wird beim Brandschutz von Gebäuden bislang nicht so systematisch realisiert?

Nach Schadensfällen gibt es meist eine deutliche Bewusstseinsänderung. Auch die Verbände, wie der VDMA, haben sich der standardisierten Vorgehensweise angenommen und so genannte Einheitsblätter formuliert, die einheitlich und belastbar die Vorgehensweisen beschreiben. Diese haben zwar nicht den Charakter einer rechtlichen Bindung, aber sie vermitteln deutlich, was dem Stand der Technik entspricht. Da es vor Brandkatastrophen nichts Adäquates gab, ist das VDMA Einheitsblatt 24200/1 zunächst einmal eine gewisse Richtschnur. Dieses Arbeitsblatt bezieht sich aber auf die IEC EN 61508, eine reine sicherheitstechnische Norm, die international bindend ist. Da Pilz-Steuerungen die entsprechenden sicherheitstechnischen Abnahmen besitzen, sind unsere Systeme hier 1:1 einsetzbar.

Ausgangspunkt der IEC EN 61508 ist eine Risikobewertung. Wie funktioniert das bei Gebäuden?

Komplexe Bauwerke sind mit einer Vielzahl technischer Einrichtungen wie Heiz-, Klima- sowie Brandschutztechnik und ihren vielfältigen Nutzungen vergleichbar mit komplexen Produktionsanlagen: In öffentlichen Gebäuden mit hohem Publikumsverkehr besteht allein die Brandschutztechnik aus einer Vielzahl von Sensoren, Rauchdetektoren, automatisch schließenden und öffnenden Rauchklappen, Rauchdruck- und Löschanlagen.

Die technische Bewertung und Risikobeurteilung ist daher sehr komplex. Für jedes Objekt beziehungsweise für jede Gefahrenstelle muss eine individuelle Gefährdungsanalyse vorgenommen werden. Die automatisierte Steuerung muss im Ernstfall eigenverantwortlich ein Entrauchungskonzept starten, das die Feuer- und Rauchentwicklung lokal begrenzt, für den Rauchabzug den direktesten Weg wählt, nicht betroffene Bereiche abschottet und so den im Gebäude befindlichen Personen in jedem Fall rauchfreie Rettungswege sichert. Also viele Szenarien, die sich eigentlich nur mit einem leistungsfähigen, sicheren Automatisierungskonzept umsetzen lassen.

Wer hat diese Szenarien erstellt?

Das war Aufgabe des Systemintegrators VM-Technik-GmbH mit Sitz in Hamfelde bei Hamburg, den wir unterstützt haben. Wenn notwendig und gewünscht, arbeiten wir intensiv mit Systemintegratoren zusammen. So, wie es auch typisch für den Maschinenbau ist, also bei den eher ‚klassischen‘ Industrielösungen. Dieses Vorgehen von Pilz ist ebenfalls branchenunabhängig und wird von uns im Umfeld der Gebäudeautomatisierung nicht anders gesehen.

Das Mengengerüst der Applikation ist umfangreich, allein 3.000 Brandschutzklappen. Sind die Einsatzgrenzen ihres Automatisierungssystems damit erreicht?

Die Masse an Datenpunkten sorgt für eine gewisse Grundlast des Automatisierungssystems. Über Standardausgänge werden zusätzlich Meldeleuchten eines Tableaus in der Brandmeldezentrale angesteuert. Eine der zentralen Anforderungen im Projekt war die Verfügbarkeit der Netzwerkinfrastruktur für die sichere Kommunikation zwischen den Teilnehmern. Alle Systemkomponenten sind über eine LWL-Ringleitung miteinander verbunden. Wird diese an einer Stelle unterbrochen, sorgen die installierten SafetyNETp Switches automatisch dafür, dass Datenpakete andere Wege zum Empfänger finden. Bei einer ungewollten Unterbrechung sorgen die Redundanzmechanismen der Switche so für eine störungsfreie Kommunikation.

„Unsere Produkte konzipieren wir so universell wie nötig, unsere Beratungsleistungen so individuell, wie es das Projekt erfordert.“

„Unsere Produkte konzipieren wir so universell wie nötig, unsere Beratungsleistungen so individuell, wie es das Projekt erfordert.“Redaktion IEE/Renate Schilheuer

Welche Unterstützung hatte VM-Technik durch Pilz im Bereich Programmierung und Visualisierung?In der Gebäude- und Brandschutztechnik gibt es sicher spezielle Symbole.

Pilz liefert Steuerungen, E/A-Module, die Kommunikationsanschaltungen zusammen mit den entsprechenden Tools für die Programmierung oder Kommunikation. PSS 4000 arbeitet rückwirkungsfrei zwischen sicheren und nichtsicheren Funktionen, garantiert nullspannungssichere Speicherung von Programmen zur Steuerung von Entrauchungsszenarien und schließt unbefugte Zugriffe auf das Programm aus. Aus gutem Grund werden Steuerungssysteme der allgemeinen Gebäudeleittechnik und solche für Sicherheitsanlagen auch in Zukunft unabhängige Systeme bleiben. Die Kopplung beider Systeme zu Diagnose- und/oder Visualisierungszwecken hingegen ist Stand der Technik.

Wie sieht es mit Standard-Funktionsbausteinen aus, zum Beispiel für die Brandschutzklappen?

Wir stellen mit unseren Tools eine offene Plattform und mit der Pilz-Bibliothek standardisierte, zertifizierte Sicherheitsfunktionen zur Verfügung. Die kann jeder Anwender in seinen individuellen Arbeitsvorrat integrieren und auch jederzeit eigene, auf diesen Grundfunktionen basierende, Funktionen, Makros oder Bausteine generieren. Durch die sicherheitstechnische Abnahme und anschließende ‚Versiegelung‘ der Pilz-Funktionsbausteine entsteht für den Nutzer eine deutlich höhere Anwendersicherheit: Der Einsatz von zertifizierter Hardware, einer zertifizierten Toolumgebung und abgenommenen Funktionsbausteinen lässt in der Umsetzung keine Lücke mehr für eine sicherheitstechnische Interpretation.

Wenn in Zukunft mehr Anfragen aus dem Bereich Brandschutzanlagen kommen, wäre es doch interessant, wenn Pilz diese Vorarbeit in Form einer Bibliothek ‚Brandschutz‘ leistet.

Wenn entsprechender Bedarf an solchen Sicherheitsfunktionen für Entrauchungsklappen, Brandschutzklappen oder die Ansteuerung von Bedientableaus entsteht, werden wir das zukünftig berücksichtigen und dann auch in unsere Bibliotheken als standardisiertes Bausteinpaket integrieren.

Stefan Kuppinger

, Chefredakteur IEE.

(sk)

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