Snap in Action

(Bild: Rinspeed)

Warum Snap? Selbstfahrende Autos, vollgestopft mit schnelllebigen IT-Komponenten, werden in absehbarer Zukunft die Verkehrsprobleme nicht nur im urbanen Raum lösen helfen. Dafür hat die Schweizer Ideenschmiede Rinspeed mit dem aktuellen Concept Car „Snap“ ein ganz spezielles Mobilitäts-Ökosystem entworfen, bei dem die alterungsanfällige Hard- und Software in die nutzungsintensive, Skateboard genannte, Fahrplattform integriert ist.

Auf Wunsch begleitet sogar ein „Personal Assistant“ in Form eines selbstfahrenden intelligenten Roboters im Snap die Insassen.

Auf Wunsch begleitet sogar ein „Personal Assistant“ in Form eines selbstfahrenden intelligenten Roboters die Insassen. Alfred Vollmer

Das Skateboard ist von der langlebigeren Fahrgastzelle, dem Pod, getrennt. Fortan gehen beide eigene Wege, wobei das Pod sogar immobil sinnvoll werden kann, wenn man extremere Varianten betrachtet: vom variablen Shopping-Pod, zum geräumigen Camping-Pod und dem gemütlichen Kuschel-Pod bis hin zum atemberaubenden, vollvernetzten Nutzererlebnis für die Insassen der Personenkabine. Hier setzt nur die Fantasie den möglichen Ausgestaltungen Grenzen.

Das Skateboard des Snap.

Das Skateboard des Snap. Alfred Vollmer

Seit Jahrzehnten präsentiert Rinspeed-Boss Frank M. Rinderknecht jedes Jahr eine neue Fahrzeugstudie, aber erst seit er diese Studie bereits auf der CES erstmals zeigt, dann eventuell gleich nach Detroit zur NAIAS weiterzieht und schließlich auf dem Autosalon in Genf die Europapremiere hat, bringt er – auch in punkto Elektronik – stets ein echtes Innovationsfeuerwerk, das jeweils viele wesentliche Aspekte aufgreift, die für die Automobilbranche aktuell von großer Bedeutung sind.

Obwohl man als Brancheninsider eigentlich die geopolitischen Megatrends genauso kennt wie die technischen Trends der Automobilbranche, gelang es Frank M. Rinderknecht auch 2018  wieder, einen komplett neuen Aspekt in den Vordergrund zu stellen, indem er bei seinem mittlerweile 24. Konzeptfahrzeug die stark unterschiedliche Lebenszyklen diverser Autokomponenten voneinander entkoppelt: Das Skateboard trägt die langlebige Mechanik und die alterungsanfällige IT-Technik und wird nach intensiver Nutzung bei Erreichen der vorgesehenen Laufleistung nach wenigen Jahren recycelt, während der weitaus weniger beanspruchte Pod um viele Jahre länger seinen Dienst tun kann, bevor auch er der Wiederverwertung zugeführt werden muss. Dies nutzt der Umwelt, weil Ressourcen in erheblichem Umfang geschont werden.

Das Pod des Snap lässt sich auch rein stationär sinnvoll nutzen.

Das Pod des Snap lässt sich auch rein stationär sinnvoll nutzen. Alfred Vollmer

Die diversen technischen und optischen Finessen stammen dabei aus Rinderknechts bewährtem Netzwerk. So stammen die beiden gelenkten Achsen samt integriertem E-Antrieb von ZF. Damit kann sich der Snap beinahe auf der Stelle drehen und ist emissionsfrei im Stadtverkehr unterwegs. Er tut dies auf gewichtsoptimierten Leichtmetallrädern (7×18) von Borbet, auf denen verbrauchsoptimierte Reifen der Größe 225/35-18 aufgezogen sind.

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Alfred Vollmer

Mehr über die Sensorik im Snap, den Innenraum und die Kommunikation erfahren Sie auf den beiden nächsten Seiten.

Viel Sensorik im Snap

Der Stadtflitzer enthält Sensorik in vielerlei Ausprägung. So steuert das US-Unternehmen Gentex den Iris-Scanner zur Insassenerkennung sowie dimmbare Scheibenelemente in Front und Heck bei, wie sie auch im Boeing Dreamliner zu finden sind. Ibeo lieferte die Lidar-Sensorik für das automatisierte Fahren. Die ins Skateboard integrierte „Harman Autonomous Drive Platform“ nutzt die Sensorfusionslösung „BlueBox“ von NXP, um Snap automatisiert durchs Verkehrsgeschehen zu lenken. Für die sichere Kommunikation mit der Außenwelt sowie für die Hochgeschwindigkeitsanbindung an die Harman Ignite Cloud Platform sorgt eine von NXP und Harman gemeinsam entwickelte intelligente Antenne, die über 5G, Car2X, Radioempfang, Bluetooth und Wifi die volle Bandbreite an drahtloser Vernetzung abdeckt.

Der Zugang zum Snap erfolgt per Iris-Scan.

Der Zugang zum Snap erfolgt per Iris-Scan. Gentex

NXP steuert zudem mit der Pod-Erkennung und der individuellen Smart-Access-Lösung weitere Technologien bei. Europas führendes Unternehmen für Geschäftssoftware, SAP, unterstützt die digitalen Ökosysteme mit Technologien und Software-Lösungen in den Bereichen Smart Cities, Connected Health, Connected Mobility sowie Transportation. Tomtom wiederum liefert HD-Kartenmaterial für automatisiertes Fahren und Navigationstechnologien, die vorausschauendes Fahren für den Komfort der Insassen ermöglichen. Die Verbindungstechnologie HDBaseT Automotive des israelischen Startups Valens schließlich ist für die schnelle und sichere Übertragung selbst hochauflösender Multimediasignale zwischen den zahlreichen Fahrzeugkomponenten verantwortlich.

Innenraum

Im Snap sorgt NXP-Hardware für die Security.

Im Snap sorgt NXP-Hardware für die Security. Rinspeed

Harman steuert die „True Level 5“-HMI bei, ein direkt auf die Bedürfnisse wechselnder Passagiere in einem vollautonomen Fahrzeug zugeschnittenes Bedienkonzept. Ziel der Entwicklung ist eine höchstmögliche automatische Individualisierung bei gleichzeitig optimalem Schutz persönlicher Daten. Die Authentifizierung des Nutzers erfolgt je nach Grad der gewünschten Personalisierung in drei Stufen: Per Smart Access öffnet sich das Fahrzeug und individualisiert die Anzeigen, nach der Gesichtserkennung ist persönlicher Cloud-Content verfügbar. So kennt der sprachgesteuerte intelligente persönliche Assistent die Vorlieben und Gewohnheiten jedes Passagiers und schlägt beispielsweise das für alle passende Restaurant vor. Sollten darüber hinaus beispielsweise Gesundheitsdaten des Passagiers erfasst und ausgewertet werden, wäre eine zusätzliche biometrische Identifizierung erforderlich.

Für die Interaktion stehen jedem Fahrgast drei Displays zur Verfügung: Über das „Personal Control Panel“ mit interaktivem Drehregler nehmen Passagiere individuelle Einstellungen vor; auf den touch-gesteuerten „Hover-Tabs“, die per Schwenkarm in Position gebracht werden, erscheinen persönliche Inhalte und individuelle Benachrichtigungen; zwei große zentrale Bildschirme bieten Routeninfos und Spielfilme. Das Surround-Soundsystem der Harman-Tochter Lexicon sorgt jeweils für ein entsprechendes Audioerlebnis.

Auf Wunsch begleitet sogar ein „Personal Assistant“ in Form eines selbstfahrenden intelligenten Roboters die Insassen. Dieser hilft auch gerne bei Besorgungen, beim Tragen der Einkäufe oder nimmt andere lästige Arbeiten ab.

Fahren im Snap

Für die erstmalige Nutzung des Snap-Fahrzeugs muss der Fahrer einen kurzen Initialisierungsprozess durchlaufen, bei dem die Iris durch das Modul erkannt und ihr einzigartiges Muster durch den Algorithmus ausgewertet wird. Nutzer können sich auch über das Mobiltelefon und einer entsprechenden App im Fahrzeug registrieren. Einmal registriert, reicht ein Blick zur Irisscan-Kamera aus, um den Fahrer eindeutig zu erkennen und somit die Identität ans Fahrzeug zu bestätigen. Sobald dies geschehen ist, werden die Fahrberechtigung, personalisierte Profile und persönliche Fahreinstellungen wie Musik, Navigation und Klima automatisch so aktiviert wie zuvor vom Fahrer eingestellt und gespeichert.

Das biometrische Verfahren bietet zudem einen sicheren Zugang zu einer Vielzahl cloudbasierter Dienste, die mit dem Fahrzeug vernetzt sind. Der Fahrer kann zum Beispiel durch die Iriserkennung auf Firmendaten zugreifen, an virtuellen Meetings teilnehmen, Service-Apps von Drittanbietern nutzen und Bezahlungen von Maut- oder Parkgebühren oder das Tanken beziehungsweise Laden veranlassen.

Visuelle Kommunikation

Über sechs Projektionen kommuniziert Snap visuell mit der Außenwelt: Zwei nutzen die Front- und Heckscheibe, um vollfarbige Botschaften an andere Verkehrsteilnehmer zu senden wie „Vorfahrt gewährt“ oder „Achtung, Kinder“. Vier Laserprojektionen auf den Seitenscheiben dienen der Kommunikation mit zusteigenden Fahrgästen. Die dazu notwendigen funktionalen Laminate für die Rundumverglasung stammen vom japanischen Hersteller Sekisui.

Snap kommuniziert auch mit Fußgängern.

Snap kommuniziert auch mit Fußgängern. Rinspeed

Auch im Äusseren des Snap stecken technische Innovationen, zum Beispiel von Osram Opto Semiconductors, das digitale Kennzeichen sowie die komplette Rundumbeleuchtung installierte – inklusive Innenraum-LEDs, welche mit ultraviolettem Licht Bakterien unschädlich machen und damit die Hygiene verbessern. Front- und Heckpanels sowie Lichtelemente in den Seitenschürzen sind multimedial und -funktional bespielbar und stammen vom US-Unternehmen Techniplas. Damit besteht die Möglichkeit, das Branding oder Nachrichten in der Fahrzeughülle nach außen hin anzuzeigen, was nicht nur für das Car-Sharing sehr interessant sein dürfte.

Ein „Market Place“-Net von MHP macht es möglich, die Variantenvielfalt von Pods und Skateboards individualisiert mit vielen verschiedenen Serviceprovidern zu nutzen. Auch nicht alltäglich bei einem Konzeptfahrzeug: Die Daten- und Informationsübertragung wurde unabhängig und neutral vom weltweit agierenden Prüf- und Zertifizierungsspezialisten Dekra getestet und zertifiziert. Harting wiederum steuert das Schnelllade-Kabel mit Hochvolt-Technologie bei. Beim Wechseln der Pods kommen dann spezielle Leichtbaustützen der Schweizer Firma Georg Fischer zum Einsatz.

Alfred Vollmer

Alfred Vollmer
Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK und all-electronics.de

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