Auf dem 16. Fachkongress „Fortschritte in der Automobil-Elektronik“ in Ludwigsburg lauschten die über 500 Fachbesucher der Keynote von Helmut Matschi, Leiter der Division Interior und Mitglied des Vorstands der Continental AG zum Thema „Das vollständig vernetzte Fahrzeug – Herausforderungen und Wege“. Der Referent knüpfte in seiner Präsentation an Inhalte des Trend- und Zukunftsforschers Matthias Horx an, der am Abend zuvor die Dinner-Speech zum Thema „Die Macht der Megatrends“ hielt. Zwar sieht Helmut Matschi Connectivity und HMI klar „im Megatrend Information“, aber „Connectivity und HMI strahlen auch richtig aus in alle anderen Megatrends“.

Außerdem werde das Fahren durch Connectivity sicherer und umweltschonender. So habe „das Forschungsprojekt „Aktiv“ gezeigt, dass weniger Motorradfahrer überfahren werden, wenn Connectivity vernünftig mit im Spiel ist“, und kurz darauf zitierte er die Oliver-Wyman-Studie von 2011, derzufolge in 2016 etwa 80% aller Neufahrzeuge vernetzt sein werden. Außerdem wies er darauf hin, dass in Deutschland drei Viertel aller Menschen online sind, um dann folgendes festzustellen: „Eine Mindestanforderung an Connectivity ist ein absolut wichtiger Bestandteil des Fahrzeugs.“

Helmut Matschi (Continental) zum Thema vollständig vernetztes Fahrzeug: „Für mich ist es nicht die Frage, dass es kommt, es ist nur noch die Frage, wann.“

Helmut Matschi (Continental) zum Thema vollständig vernetztes Fahrzeug: „Für mich ist es nicht die Frage, dass es kommt, es ist nur noch die Frage, wann.“Fotografie Natalie Balleis

Standardisierung ist notwendig

„Damit Steuergeräte Funktionen über Fahrzeuge hinweg austauschen können, ist Standardisierung unbedingt notwendig“, appelliert Helmut Matschi an das Auditorium, in dem unter anderem auch praktisch das gesamte obere Automobil-Elektronik-Management der deutschen OEMs und Zulieferer vertreten war. Standardisierung heißt für ihn zunächst einmal Autosar. Continentals Beitrag zur Unterstützung offener Plattformen liege im Bereich Genivi, und  „Ethernet unterstützen wir genauso“.

Helmut Matschi plädiert für den Blick aufs große Ganze: „Connectivity und HMI sind ein domänenübergreifender Ansatz auch Richtung Clean-Power und Zero-Accidents, der auch domänenübergreifend zu betrachten ist.“

Zwei Lösungswege

Egal ob es sich um eine Entwicklung für das Low-, Mid- oder High-Segment handelt, seien jedes Mal die Ansprüche im Laufe der Entwicklung größer geworden. Es habe sich gezeigt, dass stets mehrere Wege zum Ziel führen, wobei Continental zwei Wege geht, wobei die eine Lösung sich mit offenem Infotainment auf Genivi-Basis beschäftigt; ein erster großer Auftrag in diesem Bereich wird 2014 in Serie gehen – eine genivi-basierte Headunit mit Radio, Audio, 3D-Navigation und Internet-Browser. Außerdem arbeite Continental parallel zu Genivi auf der Microsoft-Plattform weiter, und auch hier habe das Unternehmen weitere Kundenaufträge gewonnen. „Auf der einen Seite müssen wir die Koexistenz der verschiedenen Themen mit betrachten, aber auf der anderen Seite ist eine gewisse Fokussierung notwendig, um sich nicht zu verzetteln.“

Fahrerablenkung und Connectivity

Je mehr Connectivity, desto mehr muss auf das HMI Rücksicht genommen werden, um so die Fahrerablenkung niedrig zu halten, betont Helmut Matschi, aber das Thema Fahrerablenkung sei nicht nur ein Thema im Bereich Infotainment und Connectivity: „Wir müssen die Ablenkung mit einbeziehen in das Gesamtkonzept. Wenn eine risikobehaftete Verkehrssituation auftritt, dann soll das Infotainment in diesem Moment nicht auch noch ein ankommendes Telefonat zum Fahrer durchstellen, denn nichts kann so wichtig sein, dass es nicht einmal 10 s Zeit hätte.“

Auch eine Müdigkeitserkennung sei absolut wichtig, und eine Innenraumkamera kann dabei zusätzlich zur Auswertung von Lenkverhalten etc. weitere Inputs liefern. Zudem sei Komfort wichtig, „denn wer sich wohl fühlt, hat weniger Probleme mit Ablenkungen“. Er zitiert die 100Car-Naturalistic-Driving-Study, die feststellte, dass bei 23,5% der Fahrten die Fahrer mit ablenkenden Aktivitäten befasst sind. Gleichzeitig spielen in 90 % aller Unfälle menschliche Unfallursachen-Faktoren eine Rolle.

Fahrerablenkung reduzieren und akzeptieren

Wichtig ist es, den Fahrer im optimalen Flow zu halten.

Wichtig ist es, den Fahrer im optimalen Flow zu halten.Continental

Den ersten Ansatz zur Lösung des Problems sieht Helmut Matschi in einer Reduzierung der Fahrerablenkung, und dabei spielten Vernetzung und Integration eine ganz große Rolle. „Wir müssen die mentale Belastung des Fahrers immer im optimalen Flow halten“, betont Matschi. Dazu gelte es, die richtige Balance zu finden zwischen Unterforderung durch Müdigkeit und Monotonie auf der einen Seite und Überlastung durch Stress und Anspannung auf der anderen Seite. „Wir können machen was wir wollen, aber es wird ein Rest Fahrerablenkung bleiben“, gibt er zu bedenken. „Uns bleibt somit nichts anderes übrig, als die Fahrerablenkung aufzugreifen und damit zu arbeiten.“

An dieser Stelle kommt sein zweiter Lösungsansatz ins Gespräch: „Wir tun gut daran, wenn wir akzeptieren, dass es zu bestimmten Zeiten anderer Priorisierungen durch den Fahrer gibt als den Bereich Fahreraufgabe.“ Eine typische Priorisierung auf die Ablenkung vom Fahrgeschehen ergibt sich beispielsweise, wenn ein (Enkel-)Kind auf dem Rücksitz diese Priorisierung einfordert. In einem solchen Ablenkungsfall übernimmt das Auto die Kontrolle, so dass man in diesen Momenten vom automatischen Fahren sprechen kann. Schon heute gebe es ja mit Funktionalitäten wie City-Safety, Notbremsassistenten etc. eine Art temporäres automatisches Fahren unter dem Motto „Mein Fahrzeug hilft mir“, und er konstatiert: „Der Weg in diese Richtung wird nicht revolutionär sondern evolutionär sein.“

HUD mit Augmented Reality

Eine richtige Lösung in diese Richtung ist für ihn das Head-Up-Display  (HUD) mit Augmented-Reality, das bereits 2016 in Serie gehen könnte. Bei einem Navigationssystem würde das HUD beispielsweise den Abbiegepfeil genau mit der richtigen realen Fahrspur optisch überlagern, wobei dieser Pfeil während des Fahrens ständig angepasst werden muss. Hierfür sei für die Tiefenwirkung neben einem etwa 2 m nach vorn blickenden HuD auch ein HuD notwendig, das 7,5 m nach vorn reicht. Für eine sinnvolle Implementierung ist Helmut Matschi zufolge aber auch eine vernetzte Navigation erforderlich, und für eine exakte Positionierung hilft dann eine Innenraumkamera, welche die Augenposition erfasst.

Zusätzlich zum HuD sind Außenkameras sowie Positions- und Fahrdynamiksensoren erforderlich. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, zu ermitteln, wie akkurat der Fahrer die Kurve anfährt sowie durchfährt; dadurch lasse sich Wissen über die Güte der Fahrsituation gewinnen. „Wenn wir solche Daten dann fünf Jahre später einer Lenkung und einem Antriebsstrang zur Verfügung stellen, dann ist das keine große Kunst mehr“, hebt Helmut Matschi hervor. „Damit würden wir uns sukzessive an das automatische Fahren heranführen, ohne dass es ein fatalistischer Ansatz ist. Wir würden viel mehr ganz gezielt und mit einer ganz klaren Richtung vorgehen.“ Aus diesem Grund könne man Connectivity und HMI nicht voneinander losgelöst sehen.

Schlussfolgerungen

Für Helmut Matschi ergeben sich daraus mehrere Schlussfolgerungen. Connectivity und HMI sind essenzielle Bestandteile, um das vollständig vernetzte Fahrzeug zu realisieren: „Für mich ist es nicht die Frage, dass es kommt, es ist nur noch die Frage, wann.“ Im Bereich Fahrerablenkung ergebe sich die Chance, neue Funktionen und neue Differenzierungsmerkmale zu etablieren – und all dies ginge nur in Verbindung mit Systemintegration über Domänen- und Organisationsgrenzen hinweg. „Daran müssen wir sowohl auf der Zuliefererseite als auch auf der Seite der OEMs arbeiten, weil wir alle in Organisationen drin stecken; je flacher die Hierarchien sind, umso besser können wir diese Lösungen nach vorn bringen. Das wird uns den nächsten Schub geben zum vollständig vernetzten Fahrzeug – und das Rückgrat davon sind Connectivity und HMI.“

Alfred Vollmer

ist Redakteur der AUTOMOBIL-ELEKTRONIK.

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