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"Wir sind offen für individuelle Cloud-Projekte und -Funktionen." Oliver Merget, Leiter des Geschäftsbereichs Automation Systems bei Turck (Bild: Turck)

Was treibt ein mittelständisch geprägter Automatisierungsanbieter, in eine eigene Cloud zu investieren?

Oliver Merget: Turck entwickelt sich immer mehr zu einem Anbieter von Systemlösungen und baut dazu ein ganzheitliches Automatisierungskonzept auf. Unser Ziel ist, kleine bis mittlere Kunden mit Lösungen vom Sensor bis zur Steuerungs- und Beobachtungswelt zu unterstützen.

Gerade Sensoren werden immer intelligenter und stellen eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung, die weit über den eigentlichen Prozesswert hinausgehen. Diese können für Prozessanalysen, predictive Maintenance sowie zur Berechnung von KPIs wie die Produktionseffizienz verwendet werden, wenn sie denn zur Verfügung stünden.

Oliver Merget: Im Idealfall sollten all die Daten nicht mehr ungefiltert über die Automatisierungsnetze bis zu den Steuerungen (PLC/HMI) transferiert werden müssen. Um die Kommunikation zu optimieren, ist eine Cloud-Lösung zur Vor- und Weiterverarbeitung von Daten ideal. Daher haben wir uns entschieden, eine Cloud-Lösung anzubieten, die sich flexibel auf die jeweiligen Bedarfe einzelner Kunden ausrichten lässt. Solche Konzepte entwickeln wir dann gemeinsam mit unseren Kunden weiter.

Die Technologie stammt von Beck-IPC. Was hat denn Ihre Entwickler und Produktmanager an deren Lösung überzeugt?

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Turcks Businessmodell: Jedes Interface/Gateway, das Daten in der Cloud ablegt, braucht eine monatliche Datenflat. Turck

Oliver Merget: Im Rahmen unserer Automatisierungsstrategie hatten wir schon vor längerer Zeit die Entscheidung getroffen, uns mit der Anbindung unserer Komponenten an einen eigenen oder externen Cloud-Dienst zu beschäftigen. Von der Beck-Lösung überzeugt haben uns vor allem die wirklich schlanke Architektur und deren Potenzial. Die Lösung konnte alle von uns an eine Cloud definierten Anforderungen abdecken.

Was sind denn ihre Key-Features?

Oliver Merget: Zu den grundlegenden Anforderungen gehören unter anderem eine mögliche Integration in unsere heutige Produktlandschaft, eine breite Skalierbarkeit, kundenseitige Administrationsmöglichkeiten, Performanz, Alarm- und Messenger-Dienste.

Uns stellte sich natürlich die Frage, wie schnell wir aus eigener Kraft so ein Thema angehen und realisieren können, welche Ressourcen dafür nötig sind? So ein Konzept ist nicht mal eben zwischen Tür und Angel entwickelt und umgesetzt. Deswegen haben wir uns entschlossen, die Grundlagentechnologie von Beck zu erwerben, auf deren Basis wir weitere Funktionalitäten entsprechend unserer Anforderungen entwickeln können. Zudem ist die Technologie wirklich zukunftsorientiert und bietet ein Höchstmaß an Datensicherheit, was in diesem Bereich eine enorme Rolle spielt.

Wenn andere Anbieter die Beck-IPC-Lösung ebenfalls nutzen würden, könnte doch eine breitere Basis geschaffen werden. Würde Turck das unterstützen?

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Aus Asien kommen fast täglich konkrete Projektanfragen Turck

Oliver Merget: Natürlich würden wir so etwas unterstützen, wenn auf dieser Basis weitere Applikationen entstehen, von denen jeder profitieren kann. Es liegt auf der Hand, dass dazu einige Abstimmungen notwendig sind. Wenn letztlich der Kunde von einer breiten installierten Basis profitiert, entspricht das genau dem Credo von Turck: offene Standards unterstützen, wo immer es geht.

Und was haben Ihre Entwickler seit Anfang des Jahres auf der Cloud-Technologie aufgesetzt?

Oliver Merget: Die Entwicklung hat sich zunächst einmal in die gesamte Technologie eingearbeitet. Wir haben das entsprechende Protokoll zur Kommunikation in unsere Firmware implementiert, damit unsere Geräte mit der Cloud kommunizieren können. Im nächsten Schritt gehen wir dazu über, die Cloud in einem externen Rechenzentrum zu hosten.

Bei unseren Weiterentwicklungen ist es uns besonders wichtig, Funktionen für den Maschinen- und Anlagenbau so zu ergänzen, dass ein direkter Mehrwert für den Anwender entsteht. Das Handling von Daten muss dabei stets einfach bleiben.

Das wird alles auf der SPS IPC Drives zu sehen sein?

Oliver Merget: Wir zeigen in Nürnberg eine Vielzahl der Möglichkeiten und werden die meisten unserer Exponate auch in die Cloud einbinden. Besucher können unter anderem mit ihrem eigenen Smartphone Daten von Messe-Exponaten beobachten und sogar bedienen. Auf der SPS IPC Drives zeigen wir übrigens auch universelle IoT-Funk-Gateways zur drahtlosen Anbindung an Cloud-Lösungen. Damit lassen sich Maschinen und Anlagen sowie Messstellen an entfernten Orten einfach in Automatisierungsnetzwerke einbinden.

Wie weit lässt sich die Cloud skalieren, bis runter zu kleinen Steuerungsknoten, die einzelne Maschinenmodule cloudfähig machen?

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Insgesamt sechs Exponate transferieren auf der SPS IPC Drives ihre Daten in der Turck-Cloud und können von dort auch bedient werden. Turck

Oliver Merget: Ja, auch das funktioniert. Die Frage ist, welches Modell der Kunde bevorzugt. Will er seine Daten im externen Daten-Center von Turck hosten lassen, in einer anderen Cloud oder lokal bei seiner Maschine oder gar in seinem eigenen Daten-Center speichern, also ‚on-premise‘? All diese Optionen unterstützen wir.

Für eine externe Übertragung empfehlen wir auf jeden Fall eine Verschlüsselung der Daten. Dies erfordert eine gewisse Performance der entsprechenden Gateways. Daher wird es nicht möglich sein, eine Übertragung in die Cloud von jedem einzelnen Modul aus zu ermöglichen. Will der Kunde seine Daten wiederum lokal halten, könnte er aus jedem IO-Modul oder Ethernet-basierten Device die Daten direkt in seine private Cloud übertragen.

Warum brauchen Automatisierungs- und Sensoranbieter wie Turck denn unbedingt eine eigene Cloud?

Oliver Merget: Aus dem gleichen Grund, weshalb so viele Maschinenbauer ihre eigene Cloud entwickeln. Zum einen wollen sie ihren Kunden moderne Services anbieten, aber auch eine vertrauensvolle Sicherung der Daten ermöglichen. Für Turck gibt es zwei wesentliche Gründe: Einerseits sehen wir, dass immer mehr unserer Sensor-Daten zur weiteren Verarbeitung nicht mehr nur in eine PLC gehen, sondern zukünftig auch in überlagerte Systeme zur weiteren Auswertung.

Der zweite Grund ist, dass wir im Rahmen unserer Automatisierungsstrategie gerade kleineren Maschinenbauern eine Möglichkeit geben wollen, auf Basis unserer Cloud Service-Modelle für Wartung oder predictive Maintenance anbieten zu können. Cloud-Anwendungen für hochautomatisierte Maschinen werden künftig immer spezifischer und individueller.

Wie sieht Ihr Geschäftsmodell hinter der Cloud aus.

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Datensicherheit spielt bei Cloud eine enorme Rolle. Turck

Oliver Merget: Wir werden pro Interface/Gateway, das Daten in der Cloud ablegt, eine entsprechende Gebühr mit einer monatlichen Datenflat anbieten.

Ich rechne auf der SPS IPC Drives mit einigen Cloud-Vorstellungen. Wann wird es zu einer Marktbereinigung kommen?

Oliver Merget: Ich glaube nicht, dass es zu einer Bereinigung kommt. Die Anwender sind so heterogen und vielschichtig. Jeder hat spezielle Anforderungen, die nicht jede große Cloud erfüllen kann. Zudem haben die Kunden, die mit Firmen wie Turck zusammenarbeiten, dann auch die Möglichkeit, ihre Wünsche und Anforderungen einzubringen und das System für sie zu optimieren. Wenn wir über Bereinigung sprechen, dann findet diese eher im Bereich der Protokolle statt. Hier hätte jeder gerne standardisierte Übertragungswege, beispielsweise OPC-UA oder MQTT.

Wie sieht das Hintertürchen von Turck aus, um in andere Cloud-Infrastrukturen zu migrieren, die Ihnen große Endanwender mit Sicherheit diktieren werden?

Oliver Merget: Unsere Strategie basiert nicht nur auf der eigenen Cloud. Auch wir wissen, dass wir Connectoren benötigen, die mit großen Cloud-Lösungen wie AWS, Google, SAP, Microsoft Azure oder Siemens Mindsphere kommunizieren. Dafür werden wir Standard-Protokolle wie OPC UA oder MQTT anbieten.

Zudem werden wir die Möglichkeit bieten, auf unseren Plattformen Connectoren zu installieren, die direkt mit SAP, Microsoft und weiteren kommunizieren können. Diese Möglichkeiten des Datenaustausches kann sowohl aus unserer Cloud wie auch aus unseren Feldgeräten zukünftig erfolgen.

Wie weit ist das Thema eigentlich in den USA? Über Ihren Kooperationspartner Banner haben Sie bestimmt tiefe Einblicke in diesen Markt

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Die Lösung von Beck-IPC war im Rahmen unserer Bewertungskriterien die am besten geeignete Plattform. Turck

Oliver Merget: Auch in den USA nimmt das Thema an Fahrt auf. Wir haben hier nicht nur durch unseren Partner Banner Engineering, sondern vor allem durch unsere eigene Landesgesellschaft einen großen Marktzugang, der uns einen tiefen Einblick ermöglicht.

Entscheidender als Nordamerika ist für mich beim Thema Cloud der asiatische Markt, der sich rasant entwickelt. Unsere Kollegen dort kommen fast täglich mit neuen Anfragen von Kunden und konkreten Applikationen auf uns zu. Mit unserer Lösung können wir viele dieser Anforderungen erfüllen.

Ihr Technologielieferant wurde Anfang September von HMS gekauft. Bereitet Ihnen das keine Sorgen?

Oliver Merget: Nein, in keiner Weise. Wir haben einen Vertrag über den Kauf und Nutzung des Technologie-know-hows, der unabhängig vom Firmeneigentümer ist. Zudem war unser Konzept von Anfang an so angelegt, dass wir auf Basis der Technologie und nach Abschluss des Technologie-Transfers die Lösung auch eigenständig weiter entwickeln können. Die entsprechenden Ressourcen zur Weiterentwicklung haben wir inzwischen aufgebaut, arbeiten aber nach wie vor eng mit Beck IPC beziehungsweise HMS zusammen.

HMS ist ebenso Anbieter von Kommunikationsinterfaces. Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die Zusammenarbeit.

Oliver Merget: Ja, aber nicht nur HMS, auch Beck IPC hat eine Vielzahl sehr innovativer Interfaces, die wir bei Bedarf auch unter eigenem Namen in unser Portfolio aufnehmen werden. Ein Beispiel sind die IoT-Funk-Gateways für UMTS und WLAN.

Das Interview führte IEE-Chefredakteur Stefan Kuppinger

SPS IPC Drives 2018: Halle 7, Stand 250

(sk)

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