Innerhalb von fünf Jahren hat das Konstanzer Beratungsunternehmen Kontrapunkt Technology den Produktentwicklungsprozess bei europäischen Mittelständlern aus unterschiedlichen Bereichen durchleuchtet und ist dabei auf insgesamt sieben grundsätzliche, branchenunabhängige Schwachstellen im Prozess gestoßen. Im ersten Teil dieses Beitrags hat sich herausgestellt, dass viele Probleme bereits in den Projektanfängen entstehen und später nur mit viel Aufwand zu beheben sind. Oft sind es nicht durchdachte Prozesse, unklare Zuständigkeiten und mangelhafte Kommunikation, die die rechtzeitige Markteinführung eines Produkts verhindern.

Die Überlappung von Verantwortlichkeiten und unklar definierte Rollen sind der Ausgangspunkt vieler Konflikte in einer Organisation - deshalb müssen die grundlegenden Zuständigkeiten klar geregelt und allen Beteiligten bekannt sein.

Die Überlappung von Verantwortlichkeiten und unklar definierte Rollen sind der Ausgangspunkt vieler Konflikte in einer Organisation - deshalb müssen die grundlegenden Zuständigkeiten klar geregelt und allen Beteiligten bekannt sein.

Aber auch wenn aus Zeitgründen oder Bequemlichkeit an regelmäßigen Tests und vorbeugendem Risikomanagement gespart wird oder die Projektführung nicht klar geregelt ist, behindert das die Produktentwicklung:

5. Unvollständige Testkonzepte

Nur selten werden Projektergebnisse konsequent gegen Projektziele abgeglichen und getestet.

Neben den bereits erwähnten zwei grundlegenden Bausteinen im Produktentwicklungsprozess, der sorgfältigen Spezifizierung der Anforderungen zu Beginn eines Projektes und der Segmentierung der Phasen während der Umsetzung, wird der dritte Baustein oft sträflich vernachlässigt: die kontinuierliche Überprüfung der Projektergebnisse in Hinblick auf die Projektziele. Dabei sind drei Verhaltensmuster zu beobachten: 1. Es wird gar nicht oder kaum getestet, oft aus vermeintlichem Zeitmangel oder wegen fehlender Ressourcen. 2. Lediglich der Entwickler selbst führt die Tests durch und das meist widerwillig, denn schließlich hat er ja sorgfältig gearbeitet und das nächste Aufgabenpaket wartet bereits. 3. Es gibt zwar eine umfangreiche Testphase, aber erst ganz am Ende des Projekts, nach der Systemintegration. Fehler zu korrigieren, die sich erst so spät offenbaren, ist ein extrem teures Unterfangen. Die Konsequenzen eines mangelhaften Validierungskonzeptes sind andauernde Probleme mit der Produktqualität, wiederholte Projektverzögerungen und steigende Projektkosten.

Fazit: Abhilfe schafft hier ein organisatorisch unabhängiges Qualifizierungsteam, welches die gelieferten Module kritisch, unbefangen und kontinuierlich am Ende der einzelnen Etappen gegen die Anforderungen der Spezifikation testet. Dabei gilt: Bei Nichtgefallen zurück an den Absender. Dieser Prozessschritt kostet Zeit, Geld und Ressourcen und kommt deshalb gern zu kurz. In den meisten Projekten, insbesondere wenn Neuland betreten wird, rächt sich dieser Geiz indes spätestens bei der Systemintegration oder, noch schlimmer: beim Kunden.

Ende gut, alles gut

Eine Analyse der Schwachstellen in der Produktentwicklung europäischer Unternehmen macht deutlich, dass sich viele Fehlermuster stark ähneln und zwar weitgehend branchenunabhängig. Größtes Verbesserungspotential liegt in den Bereichen Projektvorbereitung, Klärung der Zuständigkeiten, Kommunikation, Testkonzepte und Risikomanagement. Im Endeffekt gibt es allerdings für jede Schwachstelle auch die entsprechenden Gegenmaßnahmen.

6. Unzureichendes Risikomanagement

Reagiert wird erst, wenn es zu spät ist.

Die sorgfältige Analyse von Projektrisiken und die kreative Auseinandersetzung mit möglichen Vermeidungs- und Linderungsszenarien gehört zu den Stiefkindern im Projektmanagement vieler Unternehmen. Das beginnt damit, dass die meisten Projekte keinen Unterschied machen zwischen konkreten, bereits eingetretenen Problemen und Risiken für mögliche Probleme in der Zukunft. Außerdem handelten die meisten untersuchten Projektführungsgremien das Thema Risk & Issues eher ‚unter ferner liefen‘ ab. Offensichtlich nehmen viele Führungskräfte proaktives Risikomanagement als lästige Pflicht wahr: Einzelheiten will niemand hören, das Nachbohren in Eventualitäten wird als Zeitverschwendung abgetan, der Fokus des Interesses liegt auf den positiven Nachrichten.

Auf technischer Ebene gehört die regelmäßige Durchführung von FMEA-Workshops (Failure Mode and Effects Analysis) zum erfolgreichen Projektmanagement. FMEA untersucht systematisch mögliche Schwachstellen im Produkt, beschreibt deren Auswirkungen und mögliche Alternativen und trägt somit viel dazu bei, die Qualität des zu entwickelnden Produktes zu erhöhen. Diese Workshops sind zwar aufwändig, aber meist eine gute Haftpflichtversicherung gegen ein mangelhaftes Produkt.

Fazit: Konkrete Probleme im Projekt entstehen durch mangelndes aktives Risikomanagement. Die Analyse und Vermeidung von Risiken kostet Aufwand, Zeit und Geld, macht sich aber meist bezahlt. Sehr viel einfacher zu organisieren, aber ebenso effektiv sind übrigens regelmäßige Lessons-Learned-Workshops im Projekt. Einige Teams der untersuchten Unternehmen führen alle zwei Wochen kurze Lessons-Learned-Workshops durch. Die Sessions dauern nicht länger als 15 Minuten und tragen viel dazu bei, dass sich Probleme erst gar nicht aufstauen.

7. Projektaufsicht mit Tunnelblick

Unprofessionelle Projektführung verstärkt viele Schwierigkeiten im Projekt.

Viele der bisher diskutierten Schwachstellen in der Produktentwicklung betreffen die Arbeit im Projekt selbst und lassen sich vom Projektleiter und seinem Team weitgehend steuern. Es gibt aber eine weitere Ebene, die für das Gelingen eines Projektes essenziell ist, nämlich die Projektaufsicht. Das Projektführungsgremium hat drei primäre Aufgaben: kontrollieren, unterstützen und entscheiden. In den untersuchten Organisationen ließen sich einige typische Problemfelder innerhalb der Projektaufsicht identifizieren, die dem Projektleiter und seinem Team das Leben schwer machen. Da ist zunächst die mangelnde Fähigkeit von Unternehmen, ihr Projektportfolio zu steuern. Jedes Projekt für sich mag schon kompliziert genug sein, aber die wahren Herausforderungen lauern dort, wo viele Projekte nebeneinander laufen und sich zum Teil gegenseitig beeinflussen: durch Zugriff auf gemeinsame Ressourcen, durch Abhängigkeiten hinsichtlich ihrer Ergebnisse oder durch konkurrierende Projektziele. Die Unart vieler Führungsgremien, im Review jedes Projekt einzeln zu behandeln und isolierte Entscheidungen zu treffen, ist zwar die einfachste Methode, kann aber mittelfristig zu Konflikten und zermürbenden Endlosschleifen führen.

Eng verknüpft mit dieser Praxis ist das zweite Problemfeld, das wieder einmal die Zuständigkeit betrifft: Vielerorts wird das Projektportfolio nicht von einem einzigen Gremium gesteuert, sondern von mehreren, oftmals auf unterschiedlicher hierarchischer Ebene. Diese entscheiden in verschiedenen Sitzungen mit wechselndem Personenkreis, regelmäßig oder ad hoc einberufen, über ein und dasselbe Projekt. Oft gut gemeint, aber fatal für die Arbeit und die Motivation des Projektleiters. Das dritte Problemfeld betrifft die Durchführung eines Review. Schon manch ein verantwortlicher Manager hat sich durch das Powerpoint-Blendwerk des Projektleiters verwirren lassen. Vor lauter Zahlen, Grafiken und guten Nachrichten fehlt oft der kritische Blick und der Fokus auf wunde Punkte.

Fazit: Die goldene Regel für eine gute Projektaufsicht ist einfach: Ein einziges Gremium mit festem Teilnehmerkreis begutachtet in regelmäßigen Sitzungen alle Projekte und folgt dabei einem standardisierten Ablauf. So lassen sich alle wichtigen Indikatoren vergleichend behandeln: Projektziel, Status, Kosten, Zeitplan, Qualität, Meilensteine, Risiken. Zusammenhängende Projekte lassen sich vorab als solche identifizieren und wenn möglich auch gemeinsam begutachten. Das Qualitätsmanagement begleitet die Sitzungen der Projektaufsicht und dokumentiert sorgfältig.

Die gute Nachricht zum Schluss: Die Aufdeckung von Schwachstellen in einem Unternehmen geht meist einher mit viel Verbesserungspotenzial. Dabei ist die Analyse vieler Defizite oft weder für das Team noch für die Geschäftsleitung wirklich überraschend. Manch wunder Punkt ist unterschwellig bereits bekannt, die offene Diskussion wirkt oft befreiend und – die Lösungen werden in fast allen Fällen vom Team selbst ausformuliert und anschließend höchst motiviert umgesetzt. Hilfreich ist dabei die Begleitung durch einen externen Coach, der analysiert, nachfragt, vermittelt und durch den Vergleich mit anderen Unternehmen Hinweise auf bewährte Praktiken und Lösungspfade gibt.

Martin Paping

ist Unternehmensberater und Geschäftsführer von Kontrapunkt Technology

(mou)

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