Folgende Situation ist in vielen Unternehmen bekannt: ein neues Produkt soll entstehen, das Projektteam startet mit viel Enthusiasmus, großzügigem Budget und vielen guten Ideen – doch die Monate gehen ins Land, Probleme tauchen aus dem Nichts auf und plötzlich rückt die bereits geplante Markteinführung in weite Ferne. Und so mancher Geschäftsführer fragt sich grübelnd, warum es seinem Team nicht gelingen will, ein neues Produkt in der vorgegebenen Zeit, zu einem bestimmten Preis und gemäß den Anforderungen auf den Markt zu bringen.

Kontrapunkt Technology führt regelmäßig Projektaudits bei europäischen Mittelständlern durch und durchleuchtet den Produktentwicklungsprozess und die zugrundeliegende Organisation auf Schwachstellen. Die folgende Analyse basiert auf den Auswertungen von zehn Projekten innerhalb der letzten fünf Jahre. Die auditierten Unternehmen kommen aus den Bereichen Telekommunikation, Elektrotechnik, Messtechnik, Vakuumtechnologie und Automatisierung. Recht unabhängig von den einzelnen Branchen ergeben sich dabei einige typische Fehlermuster.

1. Prozesse ohne Bodenhaftung

Entweder es gibt gar keinen Prozess oder niemand hält sich dran.

In allen im Rahmen dieser Studie untersuchten Projekten sind auf den ersten Blick die notwendigen Bausteine eines Produktentwicklungsprozesses vorhanden: Es gibt Projektphasen, Vorstudien, Meilensteine, Reviews, Abnahmen, Übergaben und Dokumentationen. Detailliert beschrieben in umfangreichen Handbüchern mit viel Text und bunten Grafiken, alljährlich aufpoliert für das nächste Qualitätsaudit. Eine tiefere Analyse, ergänzt durch eingehende Gespräche mit dem Projektteam, offenbart jedoch bei vielen Organisationen, dass weite Teile des Prozesses nur noch als Selbstzweck dienen und ihren eigentlichen Nutzen verfehlen: nämlich die Effizienzsteigerung in der Produktentwicklung und die Minimierung von Projektrisiken. Stattdessen vergeuden Projektleiter häufig wertvolle Zeit mit dem Verfassen ungelesener Projektberichte, dem Abarbeiten wirkungsloser Checklisten und dem Erstellen nutzloser Zahlenwerke. Fatalerweise fällt diese Situation nicht weiter auf, solange ein Projekt einigermaßen gut verläuft. Gerät ein Team jedoch in schwieriges Fahrwasser, etwa bei riskanten Neuentwicklungen unter Anwendung unbekannter Technologien oder Konzepte, wird es kritisch. Gerade bei diesen Projekten muss ein Prozess helfen, Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren und das Projekt durch Anwendung bewährter Methoden schnell abzuschließen.

Fazit: Bestehende Prozesse von Zeit zu Zeit gründlich zu entstauben, fördert die Motivation des Teams und steigert die Projekteffizienz eines Unternehmens. Grundlage der Prozessverbesserung ist die kritische Analyse zurückliegender und aktueller Projekte. Dabei ist es wichtig, alle beteiligten Mitarbeiter ins Boot zu holen und die Ausgestaltung der Prozesse nicht allein der Geschäftsführung, dem Qualitätsmanager oder dem externen Berater zu überlassen.

Immer die gleichen Fehler

Eine Analyse der Schwachstellen in der Produktentwicklung europäischer Unternehmen macht deutlich, dass sich viele Fehlermuster stark ähneln und zwar weitgehend branchenunabhängig. Größtes Verbesserungspotential liegt in den Bereichen Projektvorbereitung, Klärung der Zuständigkeiten, Kommunikation, Testkonzepte und Risikomanagement. Defizite hier verhindern oft eine rechtzeitige und erfolgreiche Markteinführung.

2. Überhasteter Projektstart

Viele Projekte sind schlecht vorbereitet und unklar in der Zielsetzung.

Termindruck und Ressourcenknappheit führen oft dazu, dass gerade wichtige Projekte bereits vom Start weg ins Hintertreffen geraten. Steht das grobe Projektziel noch einigermaßen klar vor Augen, fehlt oft die detaillierte Dokumentation der genauen Anforderungen, paradoxerweise meist, weil man möglichst schnell liefern möchte. So findet sich manches Projektteam nach kurzer Zeit mitten in der Detailentwicklung wieder und dreht bereits erste Schleifen zur Verbesserung von Fehlern, wo der Aufwand sinnvoller in eine gründliche Analyse der Anforderungen und sorgfältige Machbarkeitsstudien investiert gewesen wäre. Dazu kommt die blauäugige Annahme, ein komplexes Projekt von Anfang bis Ende planen zu können: Getrieben von unrealistischen Eckdaten wird der Projektplan zusammengezimmert, oft wider besseres Wissen und Bauchgefühl. Das magische Dreieck aus Kosten, Qualität und Lieferzeitpunkt wird strapaziert ohne Ende – das böse Erwachen erfolgt meist erst am Schluss und dann wird es richtig teuer.

Fazit: Die meisten Fehler im Projekt entstehen zu Beginn, deshalb ist die gründliche Vorbereitung unter Einbeziehung aller Projektbeteiligten essenziell. Dabei müssen auch Vorbehalte und abweichende Ansichten berücksichtigt werden. Oft ist es sinnvoll, auf eine detaillierte Gesamtplanung des Projektes bewusst zu verzichten, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Erst wenn das Team die Komplexität der Anforderungen realistisch einschätzen kann, lassen sich verpflichtende Zusagen machen.

3. Unklare Zuständigkeiten

Die Überlappung von Verantwortlichkeiten und unklar definierte Rollen fördern Ineffizienz und Frustration im Team.

Wie kann jedes Projekt in kurzer Zeit erfolgreich zum Scheitern gebracht werden? Durch die Vermischung der Zuständigkeiten von Schlüsselpersonen, die Vergabe gleicher Arbeitsaufträge an verschiedene Mitarbeiter und die direkte Intervention der Geschäftsleitung ins Tagesgeschäft des Projektleiters. Diese oder ähnliche Praktiken kamen in fast allen untersuchten Projekten mehrfach vor. Wie eingehende Analysen gezeigt haben, ist in den meisten Fällen kein böser Wille im Spiel, die Ursachen liegen vielmehr in der unzureichenden Projektaufsicht: falsch verstandenes Risikomanagement (doppelt hält besser), veraltete Organisations- und Hierarchiestrukturen, mangelnde Sensibilität oder einfach Bequemlichkeit. Sind alle Rollen und Aufgaben jedoch klar verteilt, hat sich das Konzept des runden Tisches bewährt, der Kommunikations- und Planungsplattform aller Fachbereiche unter Leitung des Projektleiters. Hier wird die tägliche Projektarbeit koordiniert, werden Informationen ausgetauscht, Konflikte ausgetragen und Risiken abgeschätzt.

Fazit: In jedem Projekt müssen die grundlegenden Zuständigkeiten klar geregelt und allen Beteiligten bekannt sein. Das beginnt mit der Benennung des Auftraggebers und der offiziellen Einsetzung der Projektleitung und setzt sich fort mit der Zuweisung aller relevanten Projektbereiche: Markt, Technologie, Qualität, Einkauf und Fertigung. Abhängig von der Art des Projektes erweitern je nach Bedarf Vertreter weiterer Funktionen den runden Tisch, etwa aus den Bereichen Personal, Patente, Vertrieb oder Service. Den runden Tisch optimal zu gestalten gehört zu den Schlüsselaufgaben zu Beginn des Projektes.

4. Unzureichende Kommunikation

Selbst Schlüsselpersonen fühlen sich in wesentlichen Fragen des Projektalltags oft unzureichend informiert.

Im Gespräch mit dem Team, dem Auftraggeber und dem Umfeld eines Projektes zieht sich dieser Punkt wie ein roter Faden durch das Minenfeld einer 360°-Analyse: die mangelhafte Kommunikation innerhalb und außerhalb des Projekts. Trotz ungezählter E-Mails, endloser Sitzungen und langer Berichte fühlen sich viele Teammitglieder oft schlecht informiert oder unzureichend in die Planung eingebunden. Das betrifft in erster Linie die konkret anstehende Arbeit: Was ist die Zielsetzung, wer arbeitet an welchem Thema und welche kritischen Abhängigkeiten gibt es zwischen den einzelnen Aufgaben? Nicht nur für neu hinzukommende Projektbeteiligte ist aber auch die Dokumentation der Historie eines Projektes relevant: Dort sind die Ergebnisse zurückliegender Arbeitsphasen einsehbar, insbesondere im Hinblick auf Ansätze, die in der Sackgasse gelandet sind und nicht weiterverfolgt wurden. Und schließlich der Blick nach vorn: In welcher Weise werden Unstimmigkeiten diskutiert, die nächsten Schritte geplant und Meilensteine visualisiert? Gerade mit zunehmender Teamgröße ist die ausgewogene Kommunikation zwischen allen Beteiligten Schwerstarbeit.

Fazit: Die konzeptionelle Vorbereitung eines Projektes darf nicht allein planerische oder technische Gebiete abdecken. Ein klares Kommunikations- und Dokumentationskonzept ist unabdingbar für den Projekterfolg. Gerade für größere Teams, die im Gebäude verstreut sind, hat sich deshalb die Einrichtung eines dedizierten Projektraums ausgezahlt. Statt herkömmliche Sitzungen in wechselnden Sitzungsräumen abzuhalten, ist ein Raum fest dem Projekt vorbehalten und nach dessen Bedürfnissen eingerichtet. Ausgestattet mit Whiteboards, Flipcharts und kartonierten Wänden dient dieser Raum zur Visualisierung, zur Anregung und auch zur Förderung des Widerspruchs. Sitzungen werden im Stehen abgehalten, Stifte, Schere und Papier liegen bereit, um die nächste Idee zu dokumentieren. Die wichtigen Informationen über das Projekt liegen nicht in Bits und Bytes versteckt auf der Festplatte, sondern offenbaren sich dem Eintretenden ganz von selbst.

Machen Sie sich also daran, Ihren Produktentwicklungsprozess nochmal gut zu durchleuchten, verwenden Sie bei Ihrem nächsten Projekt Zeit und Geld auf detaillierte Analysen und Machbarkeitsstudien, klären Sie Zuständigkeiten und sorgen Sie für die reibungslose Kommunikation aller Beteiligten. Um mangelhafte Validierungsprozesse und deren Auswirkungen, die Wichtigkeit des Risikomanagements und unprofessionelle Führungsgremien geht es im zweiten Teil dieses Beitrags.

Martin Paping

ist Unternehmensberater und Geschäftsführer von Kontrapunkt Technology

(mou)

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