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Ulrich Leidecker und Hans-Jürgen Koch, President und Executive Vice President der Business Area Industrie Management und Automation bei Phoenix Contact im Interview. (Bild: Redaktion IEE)

Die offizielle Markteinführung der PLCnext Technology war auf der SPS IPC Drives 2017, Anwender konnten schon viel früher damit experimentieren. Wie sieht das Feedback aus?

Ulrich Leidecker, President President der Business Area Industrie Management und Automation: "Wir kombinieren die Sicherheit und Stabilität einer klassischen SPS mit der Offenheit, die man aus der Smartphone-World kennt."

Ulrich Leidecker, President President der Business Area Industrie Management und Automation: "Wir kombinieren die Sicherheit und Stabilität einer klassischen SPS mit der Offenheit, die man aus der Smartphone-World kennt." (Bild: Redaktion IEE)

Ulrich Leidecker: Schon bei der Vorstelllung in Nürnberg 2016 war der Zuspruch so groß und positiv, wie wir es bis dahin bei keinem anderen Thema erlebt haben – und wir beide arbeiten seit über 20 Jahren bei Phoenix Contact und haben bereits einige tolle Innovationen begleitet. Die Resonanz hat uns gefreut, weil es doch außerordentlich viel und positives Feedback gab. Wir haben ein Thema adressiert, das offensichtlich für Anwender von hoher Relevanz ist.

Hans-Jürgen Koch: Und mit unserer Early Adopter-Phase, die bereits auf der Hannover Messe 2017 gestartet wurde, waren wir recht mutig. Das waren wirklich Alpha-Versionen, aber das Interesse der Kunden, die unsere erste PLCnext-Steuerung ausprobieren wollten, war einfach zu groß, um sie noch länger auf die Folter zu spannen.

Die Zeit scheint also reif für das Thema offene Steuerungstechnik in Verbindung mit einer Cloud-basierten Automatisierungsplattform?

Hans-Jürgen Koch, Executive Vice President der Business Area Industrie Management und Automation: "Mit der PLCnext Technology kombinieren wir die IEC-Programmierwelt in einzigartiger Weise mit der Welt der Hoch- und modellbasierten Sprachen."

Hans-Jürgen Koch, Executive Vice President der Business Area Industrie Management und Automation: "Mit der PLCnext Technology kombinieren wir die IEC-Programmierwelt in einzigartiger Weise mit der Welt der Hoch- und modellbasierten Sprachen." (Bild: Redaktion IEE)

Hans-Jürgen Koch: Absolut. Die Möglichkeiten einer offenen Plattform, beispielsweise modellbasierte und eigene Sprachen beim Engineering einzusetzen und beliebig zu kombinieren, sind enorm. Diese Eigenschaft stellt zwar nicht nur Phoenix Contact als ein wichtiges Feature heraus. Praktisch lösen wir uns aber damit von dem absolutistischen Ansatz der IEC-basierten Programmiersprachen in der Steuerungswelt.

Wenn Sie 30 Sekunden Zeit hätten, die Kernfeatures zu erklären. Welche wären das aus Ihrer Sicht?

Ulrich Leidecker: Da ist vor allem das Thema Offenheit zu nennen, Offenheit vom Betriebssystem bis hin zu den Engineeringtools. Weitere Differenzierungsmerkmale sind der sogenannte Global Data Space und der Execution Synchronization Manager. Damit gelingt es uns, Hochsprachen oder modellbasierte Sprachen in den klassischen SPS-Programmcode nahtlos zu integrieren. Applikationen, die der Anwender auf das System aufspielt, haben darüber Zugriff auf die Systemdaten, sofern es das Rechtemanagement erlaubt. Der Reiz besteht darin, im Prinzip Programme aus unterschiedlichsten Quellen miteinander mittels eines Schedulers zu synchronisieren, unter anderem auch die klassischen SPS-Tasks aus der IEC-basierten Entwicklungsumgebung.

Hans-Jürgen Koch: Früher hatten wir bei den Engineeringtools einen ganz monolithischen Ansatz, gefolgt von einer modularen Architektur, die wir über die vergangenen 15 Jahre gepflegt, stetig weiterentwickelt und in unserem Portfolio umgesetzt haben. Dass das nicht ewig so weitergehen kann, war uns klar, vor allem als wir mit der Konzeption von PLCnext anfingen.

Gehen auch die klassischen SPS-Programmierer im Maschinen- und Anlagenbau diesen offenen Engineering-Ansatz mit?

"Global Data Space und Execution Synchronization Manager sind die Kernpunkte, die unsere Architektur ausmachen."

"Global Data Space und Execution Synchronization Manager sind die Kernpunkte, die unsere Architektur ausmachen." (Bild: Redaktion IEE)

Ulrich Leidecker: Das ist ganz spannend, wo wir überall auf Interesse für PLCnext Technology stoßen. Es gibt Anwender im Großanlagenbau, die es total spannend finden, beliebige Programmiertools und deren Programme auf einer Plattform miteinander zu kombinieren. Offen gesagt, einige dieser Anwender kommen aber trotz aller Begeisterung die nächsten Jahre gar nicht von ihren klassischen Steuerungsansätzen weg. Dazu gibt es immer noch zu viele Kundenvorschriften.

Hans-Jürgen Koch: Für uns ebenfalls sehr spannend ist die Resonanz aus Branchen wie der Prozessindustrie. Die hatten wir anfangs gar nicht auf dem Radar. Gerade hier werden Modularisierung und Offenheit aber intensiv diskutiert.

Ulrich Leidecker: Auf der anderen Seite bietet die PLCnext Technology die Möglichkeit, das Retrofit von Steuerungen elegant zu lösen. Die Runtime zahlreicher klassischer Steuerungen lässt sich nämlich auf die offene PLCnext-Plattform portieren. Und schon kann der alte Programmcode weiterverwendet werden – auf einer Hardware, die hinsichtlich Rechenleistung und Security auf dem neuesten Stand ist. Gerade das Thema Security machte es unter anderem unabdingbar, eine neue Hardware-Architektur zu entwerfen. Denn Security lässt sich auf Altgeräten immer nur rudimentär nachrüsten. Was bei einem neuen Ansatz aber zwingend erforderlich ist, ist eine tief im System verankerte Security, das Stichwort heißt hier Security by Design.

Wo die Anwender noch Verbesserungspotenzial sehen

 

Bei aller Euphorie, wo sehen die Anwender denn noch Verbesserungspotenzial?

Hans-Jürgen Koch: Wenn es Kritik gibt, dann nicht am Konzept und den Funktionen, die verfügbar sind, sondern eher, dass gewohnte Features aus dem bestehenden System noch nicht vollständig auf der PLCnext Technology realisiert wurden. Diesen Gap gibt es bei Plattform-Entwicklungen immer. Aber das Delta schrumpft.

Ulrich Leidecker: Es gibt aber einen riesigen konzeptionellen Unterschied zur bisherigen Entwicklungsperspektive: PLCnext wird hinsichtlich Funktionalität nie fertig sein. Es wird immer stabile Releases geben.

Vergleichbar mit neuen Linux-, Android- oder iOS-Versionen gibt es künftig auch PLCnext-Versionen. Anwender können ihre Projekte, wann immer sie wollen, auf einer Version einfrieren und ihre Maschinen und Anlagen mit der jeweiligen Versionsnummer ausliefern. Das ist in gewisser Weise für die Anwender, aber auch für unsere Entwickler ein Paradigmenwechsel. Das Versionsmanagement gibt uns die Möglichkeit, wann immer auch notwendig reagieren zu können, beispielsweise mit einem Security-Patch.

Hans-Jürgen Koch: Gleichzeitig ermöglicht es eine Offenheit, die wir vorher nie hatten. Ein Beispiel: Bislang waren wir offen hinsichtlich bestimmter Kommunikationsprotokolle, eine systemische Erweiterbarkeit gab es bis dato nicht. Jetzt können unsere Engineeringteams in Abstimmung mit dem Vertrieb, beliebige Funktionen hinzufügen. Ebenso können auch Anwender Funktionen ergänzen. In der Art war es früher undenkbar.

Das heißt, nicht nur Kunden, sondern auch Technologieexperten können Pakete einbinden, beispielsweise ein Motion Control Paket, das dann unter PLCnext läuft?

Ulrich Leidecker: Solche Dinge passieren gerade. Das ist der zweite wesentliche Unterschied. Wir sind in der Entwicklung nicht mehr wie früher zwingend hierarchisch unterwegs: Das Stammhaus entwickelt eine Funktion und der Anwender nutzt sie. Wir stellen jetzt die Plattform zur Verfügung, auf der Phoenix Contact und andere ihre Funktionspakete entwickeln. Das erfolgt bei uns in den Verticals, also in den Industrieapplikationsentwicklungen, findet aber auch an unseren internationalen Standorten statt. Aktuell arbeiten unsere Entwickler daran, die vorhandene Motion-Kompetenz auf die PLCnext Technology zu bringen. Solche Erweiterungen der Bibliotheken für PLCnext passieren gerade an vielen Stellen.

Und die Datenhaltung im PLCnext-Ecosystem erfolgt in der Proficloud?

Ulrich Leidecker: Man muss hier unterscheiden. Eine Cloud kann ja erst mal alles und nichts. Für Anwender ist es schon spannend, eine zentrale Datenhaltung darüber zu realisieren. Als Plattform für Machine-to-Machine Kommunikation kann die Proficloud aber wesentlich mehr. Über sie stehen verdichtete und vergleichbare Informationen zur Verfügung, beispielsweise für Performanceanalysen identischer Maschinen an unterschiedlichen Standorten oder für die Bestimmung der Restlaufzeiten bis zum nächsten Service. Auch das muss eine Cloud an sich bieten, unter anderem.

Da ist der Weg zu einem App-Store nicht mehr weit.

Hans-Jürgen Koch: Dies ist das nächste Thema, das für PLCnext ansteht. Auch das wird auf der Proficloud stattfinden. Wir erarbeiten derzeit ein erstes Angebot solcher Services. Dies geschieht sowohl Inhouse als auch mit externen Partnern.

Bei den Cloudanbietern fällt auf, dass fast jeder mit jedem kombinierbar ist. Welche Strategie fährt hier Phoenix Contact?

"Wir verstehen die Proficloud als Gateway in der Welt der verschiedenen anderen Clouds."

"Wir verstehen die Proficloud als Gateway in der Welt der verschiedenen anderen Clouds." (Bild: Redaktion IEE)

Hans-Jürgen Koch: Wir verstehen unsere Proficloud-Plattform als wesentlichen Bestandteil eines modernen Automatisierungskonzepts, aber eben auch als Gateway in andere Clouds. Über die Proficloud können Anwender ihre Geräte- oder Nutzdaten aus der Fertigung bereitstellen. Die meisten Cloudanbieter haben dafür keine fertigen Lösungen. Bei uns geht das ganz einfach: Gerät anschließen, im Engineeringtool die Variablen oder Daten einer SPS ankreuzen, die in der Cloud verfügbar sein sollen, und einmal das Gerät über seinen QR-Code registrieren. Und schon stehen die Daten in der Cloud für die weitere Nutzung zur Verfügung.

Ulrich Leidecker: Klar ist, die Plattformen, welche die Unternehmen künftig haben werden, müssen alle miteinander kommunizieren können. Daran geht kein Weg vorbei

Mit welchen Systemen sich die Proficloud kombinieren lässt

 

Und mit welchen Systemen lässt sich die Proficloud kombinieren?

Hans-Jürgen Koch: Wir haben in der Early-Adoper-Phase einige native Kopplungen realisiert, zu AWS und IBM beispielsweise. Fertige Bausteine sind noch in Bearbeitung. Die Konnektivität zu anderen Cloudsystemen und der App-Store sind die nächsten Milestones.

Ulrich Leidecker: Wir bemerken allerdings noch eine gewisse Zurückhaltung in der Kundenbasis. Die Schnittstellen zwischen den Clouds zu bauen, ist technologisch kein großer Anspruch. Da geht es dann tatsächlich am Ende des Tages um Performance. Kunden sehen aber häufig noch nicht den Mehrwert, den sie aus der Welt der verschiedenen Clouds gewinnen können. Anwender wollen sich auch nicht auf einen Anbieter festlegen.

Hans-Jürgen Koch: Diese Barriere spürt man heute noch. Daten oder Prozessdaten irgendwo zu speichern, wo man nicht mehr die vollständige Kontrolle hat, damit tun sich einige schwer. Aber durch die junge Generation Automatisierer, die ganz anders mit Internet und Cloud umgeht, wird ein Umdenken einsetzen. Diese Programmierer sehen vor allem den Nutzen und wägen das Risiko dagegen ab.

Wir adressieren mit der PLCnext Technology gerade auch die junge Generation der Programmierer und Entwickler, die auf der Hochschule mit Java, HTML5 oder ähnlichem gearbeitet hat. Die Programmierung in einer der IEC-Sprachen ist den meisten bis dahin noch fremd.

Der Absolvent kennt also kaum noch KOP, FUP oder AWL.

Hans-Jürgen Koch: Genau. Natürlich findet er diese Sprachen auch interessant und wird sie erlernen. Denn die klassischen SPS-Sprachen haben nach wie vor ihre Berechtigung für bestimmte Aufgaben, aber bestimmte Dinge sind damit eben nicht mehr effizient zu realisieren.

Gehört zu einer neuen Steuerungsplattform nicht auch eine neue Kommunikationstechnologie, beispielsweise TSN und OPC UA?

Hans-Jürgen Koch: Im Kontext der PLCnext Technology ist die Kommunikation eine Funktion von vielen. TSN werden wir natürlich unterstützen. In der Kombination mit OPC UA tun sich dort ungeahnte Möglichkeiten auf, aber bis dahin gibt es auch etablierte Systeme wie Profinet, die nicht von heute auf morgen verschwinden werden.

Ließe sich PLCnext nicht einfach per Firmware-Update auf existierende PC-Plattformen aufspielen?

"Wir haben mit der PLCnext Technology offensichtlich den Nerv vieler Automatisierer getroffen."

"Wir haben mit der PLCnext Technology offensichtlich den Nerv vieler Automatisierer getroffen." (Bild: Redaktion IEE)

Ulrich Leidecker: In der Theorie ist das denkbar. Allerdings gibt es eine Reihe limitierender Fakten wie CPU-Leistung, Arbeitsspeicher oder die verfügbaren Kommunikationsmechanismen. Speziell beim Thema Sicherheit scheiden viele ältere Plattformen allein aufgrund von fehlenden Security-Basics wie dem Trusted Platform Modul aus. Der Aufwand, um die grundlegenden Sicherheitsanforderungen umzusetzen, wäre einfach zu hoch. Wir betreiben den Aufwand bei PLCnext nicht grundlos, sondern um den Anforderungen von heute und morgen gerecht zu werden.

Nach dem aktuellen Target als modularer Controller einer skalierbaren Plattform werden wir als nächstes einen Hochleistungscontroller mit PLCnext Technolgy nachziehen. Natürlich findet sich mittelfristig die PLCnext Technology auch in anderen Komponenten unseres Portfolios wieder.

Wie stellen Sie bei Ihrem offenen Tool-Ansatz die Stabilität sicher, mit einer App-Zertifizierung wie bei Apple und Google?

Ulrich Leidecker: Das ist der Grundgedanke. Auch weil die Anwender dies wünschen. Es wird zwar auch die Möglichkeit geben, ungeprüfte Zusatzpakete selbst zu entwickeln oder Third-Party-Komponenten zu integrieren, doch dann liegt die Verantwortung beim Anwender. Wenn es um eine klassische App-Implementierung geht, wird es eine Art Zertifikat „PLCnext Approved“ geben. Das stellt sicher, dass die Apps diverse Stabilitäts-, Kompatibilitäts- und Interoperabilitätsprüfungen bestanden haben.

Und wie sieht Ihr Businessmodell beim App-Store und der Proficloud aus?

Hans-Jürgen Koch: Das ist an die Konsumerwelt angelehnt, die das längst gelöst hat. Man meldet sich an, bekommt Credits und bezahlt per Use wahlweise über sein Kundenkonto, mit Kreditkarte oder per Rechnung.

Zugegeben, diese Abrechungsmodelle haben Phoenix Contact als Unternehmen, das im Prinzip immer nur physische Sachen verkauft hat, anfangs vor Herausforderungen gestellt. Inzwischen funktioniert das aber ganz gut.

Das Interview führte Chefredakteur Stefan Kuppinger

Stefan Kuppinger

Chefredaktuer, IEE

(sk)

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