Am Standort Tianjin fertigt Vitesco Technologies den E-Achsantrieb EMR3 in Serie (Bild 1). Die kompakte Einheit aus elektrischer Maschine, Leistungselektronik (Inverter) und Untersetzungsgetriebe (Reducer) wiegt deutlich unter 80 kg, leistet in der jetzt gefertigten Ausführung bis zu 150 kW und stellt bis zu 2900 Nm Drehmoment bereit.
Damit entsprechen die Leistungsmerkmale des kompakten, hochintegrierten Achsantriebs in etwa denen eines konventionellen 2-l-Turbodiesels. Allerdings lässt sich der EMR3 ungleich leichter in ein Fahrzeugmodell integrieren als ein Antriebsstrang mit Verbrennungsmotor. Zudem passt der Achsantrieb in zahlreiche Fahrzeugklassen und –konzepte inklusive SUV. Seine Kernzielrichtung sind jedoch mittelschwere Fahrzeuge, bei denen typischerweise die Stückzahlen groß und die Anforderungen an die Kostenoptimierung entsprechend anspruchsvoll sind. Mit den in China gefertigten Antrieben liefert das Unternehmen, das aus der Antriebssparte von Continental hervorgegangen ist, direkt in die Fertigung mehrerer europäischer Fahrzeuge sowie mehrerer Kompakt-SUVs asiatischer Hersteller. Außerdem hat Vitesco Technologies vereinbart, auch das Elektrofahrzeug Sion des Start-up-Unternehmens Sono Motors auszurüsten, wenn es zu der geplanten Fahrzeugproduktion kommt.
Hohe Leistungsdichte
Die Serienfertigung der EMR3 folgt auf jahrelange Entwicklungsarbeit bis zur Marktreife. Schon 2007 begann bei Continental in der Division Powertrain die Entwicklungsarbeit an einem Elektroantrieb, der ab 2011 im Renault Zoe zum Einsatz kam. In die Entwicklung des EMR3 floss damit neben Know-how für das Gesamtsystem auch die Erfahrung aus dem jahrelangen Alltagseinsatz dieser Technologie ein.
Im EMR3 hat das Entwicklungsteam seine Entwicklungsziele direkt umgesetzt, indem es von Anfang an einer Hochvolt-Traktionslösung arbeitete, die technisch und wirtschaftlich für Mittelklassefahrzeuge optimiert ist. Mit diesem Ziel vor Augen reduzierten die Beteiligten das Gewicht des Antriebs im Vergleich zu den Einzelkomponenten, die vorher als Grundlage zur Verfügung standen – und zwar in zwei Stufen in den Jahren 2015 und 2017 um in Summe 35 Prozent, während gleichzeitig die Kosten um rund ein Drittel sanken. Mit seiner Masse von deutlich unter 80 kg bietet der EMR3 eine kompakte 150-kW-Antriebslösung.
Der in China gefertigte E-Antrieb enthält als Herzstück eine permanent erregte Synchronmaschine (PSM), die der Inverter mit Strömen bis zu 450 A versorgt. Im WLTP liegt der Wirkungsgrad eines Fahrzeugs im D-Klasse-Segment (2000 kg) mit EMR3 bei etwa 85 Prozent. Die auf der Oberseite des Moduls platzierte Leistungselektronik weist ein Bauvolumen von lediglich vier Liter auf. Um einen derart platzsparenden Aufbau bei sehr hoher Zuverlässigkeit des Inverters zu erzielen, setzten die Ingenieure auf eine spezielle Sintertechnik, die einen ganz wesentlichen Teil der Leistungselektronik-Fertigung darstellt. Ein stirnseitig platziertes zweistufiges Untersetzungsgetriebe reduziert die Drehzahl des Elektromotors von maximal 14.000 min-1 auf die an der Achse benötigte Drehzahl, wobei das Getriebe als zusätzliche, neue Funktion eine elektrische Parksperre erhielt.
Industrialisierung des Achsantriebs
Aufbauend auf dem im Jahr 2017 vorgestellten Entwicklungsstand überführte Vitesco Technologies das E-Achsensystem an den Standorten Berlin und Nürnberg in die industrielle Großserienproduktion der Aktivkomponenten. Auch hier spielte die bereits langjährige Erfahrung mit der Fertigung elektrischer Antriebskomponenten aller Leistungsklassen – von 48 V bis Hochvolt – eine große Rolle. Bei der Fertigung des Stators beispielsweise entschied das Team, von der Runddrahtwicklung im aufwendigen Einzugsverfahren auf eine mehrlagige Flachdrahttechnologie überzugehen. Die dafür verwendeten I-Pins werden eingeschoben, kaltverformt (twisted) und lasergeschweißt (Bild 2).
Als Hintergrund für dieses geänderte Fertigungsverfahren dienten gute Erfahrungen aus der Produktion von 48-V-Maschinen für Mild-Hybride. Für den EMR3 hat die Flachdrahttechnologie den Vorteil, dass sie gleichzeitig einen hohen Kupferfüllfaktor (und damit eine hohe Leistung) sowie einen robusten Großserienprozess ermöglicht. Dieser Teil der Fertigung ist nun Bestandteil der automatisierten und stark verketteten Fertigungslinien in China. Auch das Rotordesign der Maschine veränderten die Beteiligten gegenüber 2017 noch einmal so, dass es jetzt ohne einen aufwändigen Verguss auskommt.
Die Leistungselektronik-Module produziert Vitesco Technologies wiederum zunächst weiterhin in Nürnberg (Bild 3), weil dort hoch automatisierte Inverter-Linien zur Verfügung stehen, die auch Sintertechnik zur Kontaktierung der Bauelemente auf dem keramischen Substrat des Power-Moduls nutzen. Das technisch anspruchsvolle Sinterverfahren gibt der Verbindung zwischen Leistungshalbleiter und Substrat eine wesentlich höhere Wärmefestigkeit, was die kompakte Bauweise mit ihrer hohen Leistungsdichte erlaubt. Insgesamt ergibt das Sintern eine um den Faktor 10 höhere Zuverlässigkeit des Powermoduls gegenüber konventionellem Bonding. Sowie die Stückzahlen der EMR3-Fertigung eine definierte Schwelle erreichen, kann Vitesco Technologies die in Nürnberg entwickelte Leistungselektronikfertigung einschließlich Sintern in China duplizieren. Dieses Prinzip, eine Technologie und das dazugehörige Verfahren an einem Standort bis zur wirklichen Reife und Stabilität zu entwickeln und dann global zu verteilen, gehört zu den strategischen Instrumenten des Unternehmens.
Großserie und Qualitätsabsicherung
Die laufenden EMR3-Linien in China sind hoch automatisiert, basieren auf umfangreich abgesicherten Fähigkeiten und sind stark verknüpft, wobei der Fertigungsprozess so angelegt ist, dass jeweils bei bestimmten Stückzahlschwellwerten an einzelnen Zwischenschritten eine Duplizierung von Einzelequipment und /oder Linien zur Kapazitätssteigerung erfolgen kann. Ende 2019 lief die Produktion erfolgreich an und bestätigte damit das Design-for-Manufacturing des EMR3: Dazu gehört unter anderem die industrielle Umsetzung des geänderten Stator-Designs mit Flachdrahttechnologie. Diese Grundsatzentscheidung in Verbindung mit der Erfahrung bei wesentlichen Teilprozessen, wie etwa dem Laserschweißen, erwies sich als richtig.
Auch für die Zusammenarbeit mit strategischen Partnern aus dem externen Maschinenbau war das Prozess-Know-how in diesem Feld wichtig. Zwar verfügte der entsprechende Partner über das prinzipielle Know-how beim Laserschweißen, jedoch nicht in der Anwendung bei Kupferprofilen für einen Stator. Durch die Kombination aus Prozessexpertise bei Vitesco Technologies mit den Grundlagen beim Maschinenbauer und dem richtigen Produktdesign ließ sich der zügige Hochlauf erreichen. Zur Absicherung der Qualität erfolgt bei allen EMR3-Modulen am Bandende eine End-of-Line Prüfung – und zwar auf einem neuartigen, selbst entwickelten Schwungradprüfstand, mit dem sich das dynamische Verhalten des Antriebs im Fahrzeug realistisch nachstellen lässt.
Nächste Generation: EMR4
Während die Großserienproduktion der EMR3 läuft, bereiten die Entwickler von Vitesco Technologies eine Folgegeneration des Achsantriebs mit einer ergänzenden Zielrichtung vor. Der EMR4 wird im Vergleich zur aktuellen Generation vor allem eine breitere Skalierung durch freiere Kombination von Subkomponenten ermöglichen. Bei den Schnittstellen steht eine weitere massive Standardisierung auf der To-Do-Liste – genauso wie deren Skalierbarkeit. Gerade bei kleinen Leistungsklassen soll das Bauvolumen nochmals sinken. Die elektrische Maschine wird voraussichtlich über einen Stator mit Mehrlagen-Flachdrahttechnologie verfügen. Insgesamt ist es geplant, so Leistungsklassen in der Spanne von 60 bis 180 kW umzusetzen. Um das zu ermöglichen, ist der Aufbau des Achsantriebs so verändert, dass die Leistungselektronik beim EMR4 an der dem Reducer gegenüberliegenden Stirnseite platziert ist. Mit der erweiterten Skalierbarkeit bei den Leistungsanforderungen lässt sich innerhalb eines Antriebsmoduls eine breitere Fahrzeugpalette ausrüsten.
In der Skalierbarkeit spiegelt sich unter anderem die Beobachtung wider, dass in der realen Fahrpraxis nicht ausschließlich das dauerhaft verfügbare Drehmoment entscheidet, sondern verstärkt die im Bedarfsfall verfügbare Beschleunigungsdynamik. Eine detaillierte Analyse bisheriger Kundenprojekte zeigte, welche Anforderungen für bestimmte Anwendungen tatsächlich relevant sind. Auf dieser Grundlage identifizierte das Team Skalierungswege, mit denen sich diese Anwendungen zu möglichst optimalen Kosten erfüllen lassen.
Simulation per IMCO
Auch für die Systemkosten hat das erhebliche Folgen, denn das ständig verfügbare Drehmoment zählt zu den Kostentreibern eines elektrifizierten Antriebs. Das bestätigen auch Untersuchungen mit dem bei Vitesco Technologies entwickelten, IMCO (Integrated Multicriteria Optimization) genannten Tool zur multikriteriellen Optimierung von Elektroantrieben. Dieses Simulationsverfahren dient dazu, eine Herausforderung bei der Auslegung elektrischer Antriebe zu lösen: Normalerweise ist eine spezifische Konfiguration typischerweise nur für eine Komponente des Antriebs optimal, nicht aber für andere.
Die IMCO-Simulation hingegen bietet die Möglichkeit, die bestmögliche Balance zu finden, was typischerweise über eine Gewichtung der einzelnen Kriterien erfolgt. Auf diese Weise lassen sich Design-Varianten eines Antriebs effizient untersuchen, wobei IMCO auch transparent macht, ab welcher Anforderungsgrenze ein Technologiesprung und damit ein Kostensprung ausgelöst wird. Dieses Verfahren, das bereits für EMR3 erfolgreich zum Einsatz kam, dient aktuell dazu, das Gesamtkonzept des EMR4 im Zuge der Basisentwicklung für eine möglichst breite Skalierung auszulegen. Vitesco Technologies strebt beim EMR4 für Mitte des Jahres 2023 die Produktionsreife an.
Fazit
Der integrierte Achsantrieb EMR3 von Vitesco Technologies wird in China in Großserie gefertigt. Das Modul mit seiner hohen Leistungsdichte wird in mehreren Fahrzeugen europäischer und asiatischer Hersteller integriert. Es ist Anfang 2020 der einzige elektrische Achsantrieb für Mittelklassefahrzeuge, der sich weltweit in Großserienproduktion befindet. Die Fertigungsanlagen in Tianjin sind für sechsstellige Produktionszahlen ausgelegt. Die Folgegeneration EMR4 soll die Anwendungsmöglichkeiten nochmals erweitern und dazu Anforderungen der OEM an eine noch größere Zahl an Fahrzeugarten durch flexiblere Leistungsskalierung abbilden können.
(av, na)
Schwerpunktthema: E-Mobility
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