Ein multikriterieller Algorithmus, der verschiedene Nutzerbedürfnisse zeitgleich berücksichtigen kann, hilft bei der Suche der passenden Ladestation.

Ein multikriterieller Algorithmus, der verschiedene Nutzerbedürfnisse zeitgleich berücksichtigen kann, hilft bei der Suche der passenden Ladestation. (Bild: depositphotos/alexey_boldin, ITK Engineering)

Fahrer von Elektroautos hatten noch nie so viele Lademöglichkeiten wie heute. Waren die Fahrer bisher vor allem daran interessiert, wo sie ihr Fahrzeug laden können, um ihr Ziel zu erreichen, so verändert sich dieser Bedarf mittlerweile. Wichtiger denn je ist die Frage, welche Lademöglichkeit aktuell am besten zu ihren individuellen Bedürfnissen passt.

Intelligente Software bei Elektromobilität

Die Ansprüche der Anwender sind komplex, manchmal schwer formulierbar und dazu noch oft widersprüchlich, weil beispielsweise die günstigste Ladeoption nicht immer die schnellste ist. Um die Akzeptanz der Elektromobilität in der Gesellschaft zu erhöhen und somit die Dekarbonisierung unserer Städte zu beschleunigen, müssen diese Bedürfnisse stärker berücksichtigt werden als bisher. Wichtig dafür sind nicht zusätzliche Hardware, sondern vielmehr intelligente Softwarelösungen. Daran arbeitet ITK Engineering mit dem Intelligent-Charge-Planner (ICP) (Bild 1). Dieser cloudbasierte Softwareservice hilft bei der Planung von Ladevorgängen für E-Fahrzeuge mittels Methoden der multikriteriellen Optimierung.

Bild 1: Screenshots des ICP-Demonstrators zeigen, wie die Routenplanung anhand verschiedener Kriterien aussehen kann.
Bild 1: Screenshots des ICP-Demonstrators zeigen, wie die Routenplanung anhand verschiedener Kriterien aussehen kann. (Bild: ITK Engineering)

Multikriterielle Optimierung zur Verbindung unterschiedlicher Anforderungen bei der Planung von Ladevorgängen

Der Service dient als Erweiterung von bereits bestehenden Routen- und Tourenplanungslösungen. Die Idee dahinter besteht darin, die Planung von Ladevorgängen parallel zu herkömmlichem Navigationsroutinen durchzuführen und dabei mehrere nutzerorientierte Aspekte wie z. B. Fahr- und Ladezeit, Ladekosten, Energieverbrauch oder auch die Batterielebensdauer gleichzeitig und gleichwertig in Betracht zu ziehen. Diese Aspekte und deren Bedeutung unterscheiden sich je nach Kundensegment und Use Case. Durch den Ansatz der multikriteriellen Optimierung lassen sich individuelle Kundenbedürfnisse bedienen.

In Anbetracht verschiedener Rahmenbedingungen wie der aktuellen und prädizierten Verkehrssituation, der Auslastung der Ladeinfrastruktur, der aktuellen Route, dem Fahrzeugzustand und den Fahrerpräferenzen bietet das System dem Nutzer verschiedene Lösungsalternativen für sein individuelles Laden an. Dies wird algorithmisch in Pareto-Fronten abgebildet.  Pareto-Fronten sind die Menge aller Pareto-Optima; ein Pareto-Optimum ist ein Zustand, in dem es nicht möglich ist, eine Eigenschaft zu verbessern, ohne zugleich eine andere verschlechtern zu müssen. Die Entscheidung darüber, welche Route letztlich verfolgt wird, kann entweder direkt von einem menschlichen Nutzer (wie z. B. einem PKW- oder LKW-Fahrer) oder über die Einbindung in einen Dritt-Service (z. B. eine Flottenmanagement-Applikation oder eine Navi-App) erfolgen.

E-Mobility: Laden

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(Bild: AdobeStock_39293318)

Wo und wie lässt sich ein E-Auto aufladen? Welche Leistungselektronik steck in einer Ladesäule? Wie wird die Ladesäule intelligent? Halbleiter, Hochvolt-Komponenten, Stecker, Kabel, Wallboxen, Kommunikation, Infrastruktur, Standards, Services und mehr. Die Technologien dahinter finden Sie hier.

Wie aus der Idee ein Produkt wird

Von einer solchen Idee bis zum Markteintritt stellen sich allerdings viele Herausforderungen. Der Intelligent-Charge-Planner ist eine Softwarelösung, die bestehende Navigationslösungen erweitert. Deshalb ist für den technologischen Erfolg ein passender Partner wichtig. Die deutsche Firma Graphmasters, die eine Reihe von Navigationslösungen für diverse Kundensegmente entwickelt und betreibt (Nunav), erwies sich für ITK Engineering als geeignet, um ein gemeinsames MVP zu entwickeln, das den Intelligent-Charge-Planner in Nunav integriert (Bild 2).

Bild 2: Ist der ICP integriert in die Nunav-App, kann sich der Benutzer die individuelle Route zur passenden Ladestation zeigen lassen.
Bild 2: Ist der ICP integriert in die Nunav-App, kann sich der Benutzer die individuelle Route zur passenden Ladestation zeigen lassen. (Bild: Graphmasters)

Der Vorteil dabei ist, dass sich die realen Anforderungen bereits während der MVP-Phase definieren und erfüllen ließen. Eine solche Anforderung ist das Gesamtbudget an Rechnungszeit – diese liegt unter einer Sekunde, was erheblichen Einfluss auf die Auswahl der Optimierungsalgorithmen hat.

Welche Daten die Software als Grundlage für die Ladeplanung verwendet

Verfügbare Daten in richtiger Menge und Qualität spielen eine noch wichtigere Rolle als die Algorithmen an sich. Bild 3 zeigt die für ICP relevanten Datenquellen aus dem Ökosystem Elektromobilität auf, wobei die Fahrzeugdaten im Zentrum stehen. Da das ICP-Konzept skalierbar ist und mit Rücksicht auf vorhandene Daten angepasst wird, verbessert sich die direkte Kooperation mit OEMs sowie der Zugriff auf Fahrzeugdaten auf CAN-Ebene.

Bild 3: Der Algorithmus nutzt vielfältige, bereits vorhandene Daten, um Fahrern von E-Autos Vorteile zu bieten.
Bild 3: Der Algorithmus nutzt vielfältige, bereits vorhandene Daten, um Fahrern von E-Autos Vorteile zu bieten. (Bild: ITK Engineering)

Das kann beispielsweise über Ansätze wie Android-Auto erreicht werden, bei denen das Deployment der Anwendungen direkt auf dem Fahrzeugbetriebssystem erfolgt. Alternativ gibt es auch mehrere Drittanbieter, die eine Datenschnittstelle zu OEMs anbieten. Sie ermöglichen es dem Fahrer, falls gewünscht, die eigenen Fahrzeugdaten mit Softwareservices zu teilen und davon am Ende zu profitieren. Der ICP nutzt diese Daten dann lediglich, um für den Moment die geeignete Route zu errechnen. Eine Datenspeicherung im Anschluss erfolgt nicht.

In der PoC-Phase (PoC: Proof of Concept) haben ITK-Experten eine Applikation entwickelt, um die Fahrzeugdaten über eine OBD-Schnittstelle auszulesen. Der Datenumfang ist dann über das OBD-Protokoll limitiert. Außerdem ist nicht jeder Fahrer bereit, mit einem eingesteckten OBD-Dongle zu fahren.

Weitere Daten aus anderen Segmenten des Ökosystems können ebenfalls über Drittanbieter herangezogen werden. Das betrifft zum Beispiel Lade-Infrastrukturdaten – über einen REST-API bekommt der ICP-Service die Live-Informationen zu Ladepreisen und Belegbarkeit der Ladestationen. Eine Einbindung solcher Drittanbieter macht die Geschäftskette sowie die Erlösplanung allerdings komplizierter.

Niedriger Datenbedarf und hohe Skalierbarkeit

Dies verdeutlicht, dass das entsprechende Daten- und Geschäftsmodell (digitale Plattformökonomie) bei Entwicklung solcher Services direkt von Anfang betrachtet werden muss. Darüber hinaus sollen die Softwarelösungen und -services so konzipiert werden, dass sie nur einen minimalen Datenumfang voraussetzen und sich skalierbar auf der vorhandenen Datenbasis adaptieren. In diesem Fall kann der Intelligent-Charge-Planner die Ladeplanung erfolgreich durchführen, auch falls aus den ganzen Mengen der Fahrzeugdaten nur diejenigen zum Ladezustand zur Verfügung stehen. Gleichzeitig können Zielwerte wie die Maximierung der Batterielebensdauer dank des ICP genauer betrachtet werden, sofern mehr Daten aus dem Batteriemanagementsystem zu Verfügung stehen. Das finale Datenmodell wird zusammen mit dem Kunden, abhängig von seinen Bedarfen und Möglichkeiten, erstellt. Durch die modulare und skalierbare Architektur des ICP bleibt der Aufwand für kundenspezifische Anpassungen und die Integration gering.

Perspektiven durch Servicebetrieb und Abrechnungsoptionen

ITK Engineering betreibt selbst keine Plattformen. Daher soll der Service bei den eigenen Kunden laufen, die entsprechende Erfahrung im Betrieb haben. Das hat Graphmasters bei der MVP-Entwicklung umgesetzt. Dafür wurde der ICP in einen Docker-Container verpackt, in dem er auf der Graphmasters-Plattform lief.

Eine weitere Ausbaustufe wäre dann ein SaaS-Modell (Software as a Service), bei dem der ICP-Service auf Public-Clouds laufen würde. Das aber ist aus geschäftlicher Sicht erst dann sinnvoll, wenn die Anzahl der Bestandskunden ständig zunimmt. Drüber hinaus wird dadurch die Preisbildung beeinflusst. Aktuell werden die Preise noch durch kundenspezifische Ersparnisse individuell bestimmt.

Durch Geschäftsmodelle wie beim ICP können neue Märkte erschlossen und neue Kunden gewonnen werden. Die Adaptierung solcher Modelle braucht aber viel Geduld, weil sie oft komplette Innovationsprozesse von Unternehmen beeinflusst. Die Methoden, um aus einer Idee ein MVP zu erstellen und ein neues Geschäft aufzubauen, müssen noch stärker etabliert werden. Mit dem Ökosystem-basierten Ansatz lassen sich Herausforderungen wie komplexe Datenmodelle sowie Einzahlungsströme angehen. Daneben helfen die intelligenten Softwarelösungen, die Mobilität der Zukunft zu gestalten.

Dr. Nikita Shchekutin, Product Manager Mobility Services bei ITK Engineering
Dr. Nikita Shchekutin, Product Manager Mobility Services bei ITK Engineering (Bild: ITK Engineering)

Dr. Nikita Shchekutin

Product Manager Mobility Services bei ITK Engineering

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