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Dr. Jürgen Seyler, Automation of Things, rät bei der Umsetzung von Industrie 4.0 zu mehr Mut und weniger Kopfzerbrechen. (Bild: Automation of Things)

Woher kam die Idee, als „Hardware-Mensch“ die Fronten zu wechseln und sich mit Software zu beschäftigen?

Dr. Jürgen Seyler: In der Automatisierung war 2014 ein technologischer Stand erreicht, bei dem scheinbar weniger die Innovation als der „Preis per IO“ im Vordergrund zu stehen schien. Durch den Preisverfall und die Miniaturisierung universell einsetzbarer Hardware schwinden immer mehr die Nischen für spezifisch an die Kundenanforderungen angepasste Hardwarelösungen in kleinen Stückzahlen. Anders ausgedrückt, Nischen können in steigendem Maße über Software weit besser abgedeckt werden als über spezielle Hardwareentwicklung.

Wo haben Sie Ihre Chance in der Entwicklung von Software gesehen?

Dr. Jürgen Seyler: Oft wird Software immer noch nach dem Credo „Never change a running System“ implementiert, denn mechanisch sind Systeme schneller aneinander angepasst als in der Software. Dazu kommt, dass SPS Code nur bedingt wiederverwendbar ist und hardwarenah geschrieben wird. Bei der Softwareentwicklung wird zuerst die Hardware Topologie, Architektur und das individuelle Device ausgewählt. Das heißt viel Aufwand fließt in die Schnittstellen und hardwarespezifische Funktionen. Eine Portierung auf andere Geräte ist damit verhältnismäßig schwierig.

Der Lösungs-Algorithmus kommt gedanklich erst an zweiter Stelle. Dabei sollte es doch genau anders herum sein: Ich habe eine bestimmte Aufgabe zu lösen und erst am Ende sollte ich mir dann Gedanken machen, auf welcher Hardware, in welcher Topologie und mit welcher Systemarchitektur ich den Algorithmus laufen lasse. Der Grund dafür ist, dass über einen modellbasierten Programmieransatz sich Systeme einfacher an neue oder zusätzliche Aufgaben anpassen lassen.

In welcher Form trägt Ihr Programmiersystem dazu bei?

Dr. Jürgen Seyler: Bei der Entwicklung haben wir uns stets an dem Grundsatz orientiert, dass die Software schnelle Veränderungen in der Produktion unterstützen soll. Dies führt zu einem Paradigmenwechsel in der Programmierung: Programme werden taskorientiert erstellt und nicht geräteorientiert und lassen sich so beliebig von Device zu Device verschieben. Möglich ist dies durch die Einführung einer eventbasierten, gekapselten und serviceorientieren Architektur auf dem echtzeitkritischen Factory Floor. Dadurch erzielen wir einen sehr hohen Grad an Wiederverwendbarkeit von Code und eine schnelle Anpassungsfähigkeit beim Wechsel der Hardware oder Änderungen in der Systemarchitektur. Dabei ist für mich eine möglichst schnelle Anpassungsfähigkeit die größte Anforderung bei Industrie-4.0-Konzepten.

Service-orientierte Automatisierungsarchitektur für die Steuerungs- und E/A-Ebene

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Die Programmierplattform Fourzero unterstützt den Wandel bei der Herangehensweise an digital vernetzte Systeme. Die entscheidende Neuheit: Die Geräte-orientierte Programmierung wird abgelöst durch eine Task-orientierte Programmarchitektur. Automation of Things

Mit Fourzero hat die Firma Automation of Things ein Programmiersystem entwickelt, das einen sehr hohen Grad an Wiederverwendbarkeit von Code für Steuerungsaufgaben ermöglicht. Dabei wird der Steuerungscode taskorientiert entwickelt und somit unabhängig von Hardware und Systemtopologie. Nach der Programmentwicklung wird die Applikation zuerst im Simulationsmodus virtuell auf dem PC getestet und im Anschluss auf verteilte intelligente Systeme mit installierter Fourzero-Runtime gebracht. Als intelligente Systeme zählen in diesem Zusammenhang intelligente Drives, Aktorik und Sensorik, verteilte Mini-SPSen, HMI, Box-PC, PAC open Platform PLC, Edge Devices, Kommunikationscontroller sowie programmierbare Hubs.

Fourzero eignet sich für Systeme mit leistungsschwachen Prozessoren, denn die beliebige Verteilung der Apps und Programmbausteine im System ermöglicht eine Auslagerung von rechenintensiven Programmen. Dabei werden die ressourcenfressenden Programmteile auf Geräte mit leistungsstärkeren Prozessoren wie open Plattform SPS, Edge Computing Devices oder embedded Industrie PC verlagert. Das entlastet die Sensorik und Aktorik. Zudem belastet die eventbasierte Softwarearchitektur den Kommunikationsbus nur gering.

Stichwort Industrie 4.0: Sie waren häufig in den USA. Wie läuft dort die Umsetzung des Konzepts?

Dr. Jürgen Seyler: Die USA zeichnen sich generell durch eine höhere Begeisterungsfähigkeit für Neues aus. Dies ist gerade in Bezug auf das Industrial Internet of Things und Smart Manufacturing deutlich zu spüren. Hinzu kommt, dass in Deutschland die Automatisierung auf einem deutlich moderneren Stand ist als in den USA. Dadurch herrscht in den USA ein höherer Leidensdruck. Durch die „Wiederentdeckung“ des Wertes von Produktion in den USA möchten die Amerikaner einen jahrzehntelangen Investitionsstau auflösen – ausgelöst in den 80er Jahren durch das Auslagern von großen Teilen der Herstellung in Billiglohnländer. Und dies “typisch amerikanisch“ schnell, indem sie die „low hanging fruits“ angehen. Dabei spielen allerdings die deutschen Tugenden der Standardisierung und des durchgängigen Designs eine eher untergeordnete Rolle. Daher sind Insellösungen, die ein schnelles Ergebnis bringen, weitgehend akzeptiert.

Industrie 4.0 hat den Charme, dass die Automatisierungspyramide aufgebrochen wird und Dinge und Dienste in einem Cyber Physical System kollaborieren. Somit kann ein System eben aus Insellösungen bestehen. Dies ist der Grund, warum in den USA in den vergangen 2-3 Jahren marktreife Lösungen entwickelt wurden, und die USA den deutschen Ansatz überholen.

Können Sie das in Zahlen verdeutlichen?

Dr. Jürgen Seyler: In der Studie des Fraunhofer Instituts IPA, „Geschäftsmodell- Innovation durch Industrie 4.0“, bezieht sich lediglich ein Drittel der aufgeführten Praxisbeispiele auf Modelle deutscher Firmen. Der Rest sind Beispiele aus den USA und nur in einem Fall eine Kooperation zwischen einer US-Firma und einem deutschem Unternehmen.

Wie sehen Sie die Bemühungen in China mit ihrem Industrie-4.0-Gegenstück?

Dr. Jürgen Seyler: Wir müssen China mit der Initiative Made in China 2025 sehr ernst nehmen. Das Land hat seit den siebziger Jahren bewiesen, dass es in der Lage ist, langfristige Ziele mit einer unglaublichen Beharrlichkeit umzusetzen. Dabei betrachtet China Industrie 4.0 als ein Mittel zum Zweck. Allerdings bleibt die Frage, ob ein derartig zentraler Ansatz in der Weltwirtschaft der Zukunft der richtige Weg ist.

Was würden Sie deutschen Ingenieuren raten, wenn es um das Thema Industrie 4.0 geht?

Dr. Jürgen Seyler: Aus dem Vergleich mit USA heraus empfehle ich, möglichst einfache Lösungen zu implementieren, die einen schnellen Geschäftserfolg mit sich bringen. Dabei sollten die Lösungen nicht darauf ausgelegt sein, möglichst lange Bestand zu haben, sondern sie müssen schnell und einfach durch eine bessere Lösung ersetzt werden können. Dies erfordert aber ein Umdenken, das sicherlich nicht in allen Bereichen die richtige Denkweise darstellt, jedoch für die erfolgreiche Einführung von Industrie 4.0 entscheidend sein wird.

Wo sehen Sie Industrie 4.0 in 10 Jahren?

Dr. Jürgen Seyler: Industrie 4.0 wird sich in 10 Jahren hoffentlich so weiterentwickelt haben, dass KI Algorithmen Kernaufgaben der Produktions-Planung und Logistik-Koordination übernehmen. Für den Konsumenten wird es deutlich mehr Möglichkeiten geben, ein individuell für ihn gefertigtes Produkt zu erwerben, das zudem innerhalb kurzer Zeit verfügbar ist. Pay-per-use-Modelle ermöglichen die wirtschaftliche Transformation der Industrie mit Trennung von Produktion als Service und dem Bereich Vertrieb und Markenentwicklung als eigenen Sektor. Am Ende werden Wettbewerber gemeinsame Fertigungskapazitäten nutzen und Ihr Fertigungs-Know-How dem Lohnfertiger in digitaler Form zur Verfügung stellen.

Das Interview führt Dr. Martin Large, Redakteur IEE

SPS IPC Drives 2018: Halle 6, Stand 269

(ml)

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