Wo ist meine Ware? Wann kommt sie an? Stimmen die Transportbedingungen? Für die Logistik sind das Kernfragen, die über Planung, Lagerbereitstellung, laufende Kosten und die Kundenzufriedenheit entscheiden. Darüber hinaus interessiert Bahnbetreiber, wo sich ihre Güterwagen befinden und in welchem Zustand sie sind. Den Güterverkehr auf der Straße haben Logistiker inzwischen sehr präzise im Blick. Die Position eines Lastwagens ist meist in Echtzeit nachvollziehbar und sowohl Fahrer als auch der Lkw selbst liefern Informationen über den Zustand von Ware und Fahrzeugsystemen. Kunden wissen somit genau, wann ihre Ware den Versender verlassen hat, wo sie sich befindet und wann die voraussichtliche Ankunftszeit ist. Steht dieses detaillierte Wissen nicht zur Verfügung, sind der vernetzte und kombinierte Warenverkehr zwischen Schiene, Schiff und Straße sowie die Kundenanforderungen nach „Just in Time“-Lieferungen stete Herausforderungen. Treten Schäden oder Probleme beim Transport auf, bleiben häufig viele Fragen unbeantwortet. Kommt ein Güterwagen zur Wartung, wissen Techniker oftmals nicht, in welchem Zustand er sich befindet.
Dass die Vernetzung, die weltweit in nahezu allen Bereichen in rasantem Tempo voranschreitet, bisher vor dem Schienengüterverkehr Halt macht, liegt auch daran, dass Güterwagen weder über eine eigene Energieversorgung noch über eigene Sensoren verfügen. Dabei könnte die Schiene angesichts des immer dichter werdenden Verkehrs ihre Vorteile ausspielen, denn es besteht ein großes Kapazitätspotenzial. Bedenkt man zudem, dass in naher Zukunft neue Verbindungen quer durch die Alpen fertiggestellt werden und allerorts das Schienennetz ausgebaut und verbessert wird, so eröffnen sich für die Bahn zusätzliche Vorteile durch neue, schnelle Verbindungen.
Die Bosch-Gruppe hat für den Schienengüterverkehr nun eine Lösung entwickelt, die es ermöglicht, die exakte Position jedes einzelnen Güterwagens zu ermitteln, dem Kunden somit mehr Planungssicherheit zu bieten und zudem sicherheitsrelevante Bauteile am Güterwagen zu überwachen. Die Bosch Engineering GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft innerhalb der Bosch-Gruppe, nutzt dabei die große Erfahrung aus der Automobiltechnik. Hier gehören Sensoren und drahtloser Datenaustausch mit Cloudlösungen bereits zum Alltag.
Das neu entwickelte Telematiksystem für die Zustandsüberwachung von Güterwagen basiert auf einer Vernetzungshardware aus der automobilen Großserie (Bild 1). Für den Einsatz im Schienengüterverkehr war allerdings zu berücksichtigen, dass die Geräte besonders robust sein müssen. Große Temperaturunterschiede, Vibrationen, Schmutz und Feuchtigkeit dürfen nicht zu Fehlfunktionen oder gar zum Ausfall führen. Die Bosch-Sensoren in der Hardware sind für eine Temperaturspanne zwischen -40 und +75 °C ausgelegt. Sie kommunizieren über Mobilfunk (GSM) und Bluetooth. Die integrierte Batterie hat eine Lebensdauer von bis zu sechs Jahren. Ein dreiachsiger Beschleunigungssensor misst die Richtung, Stärke und Häufigkeit von Stößen beispielsweise bei Rangiermanövern und Verladevorgängen. Ein GPS-Sensor liefert Positionsinformationen. Die Vernetzungshardware erfasst mit ihren Sensoren eine ganze Reihe von Informationen, die für Bahnbetreiber und Endkunden wichtig sind. Über das Mobilfunknetz übermittelt sie diese Informationen an eine Cloud, damit sie dort gesammelt, ausgewertet und dem Kunden in einem Online-Portal angezeigt werden können (Bild 2). Somit überwacht das System beispielsweise, ob die Kühlkette gewahrt wird, wann und wo der Wagen Erschütterungen ausgesetzt ist und dass niemand versucht, den Güterwagen unbefugt zu öffnen. Das sind wichtige Informationen, die im Zusammenhang mit empfindlicher oder auch wertvoller Fracht von großer Bedeutung sind. Aus diesem Blickwinkel heraus gewinnt die Bahn auch aus der Sicht von Transportversicherern zusätzliche Attraktivität.
Sensoren, Software, Services: Vom Automobil auf die Schiene
Die Lösung von Bosch Engineering erfüllt die besonderen Voraussetzungen des Bahnbetriebs. In der 700 g „schweren“ Vernetzungshardware befinden sich auch MEMS-Sensoren, aber weil die mikromechanische Sensorik nur schwache elektrische Signale sendet, ist zusätzliche Elektronik in dem MEMS-Bausteinen verbaut. Diese verstärkt die Signale und wandelt sie in digitale Daten um, um so die Steuergeräte direkt mit den Messwerten zu versorgen.
Eckdaten
Die Vernetzung von Güterwaggons bietet viele Vorteile. Bosch hat auf Basis eines Automotive-Steuergeräts eine Vernetzungslösung für Güterwaggons entwickelt, die dabei hilft, die Logistik zu verbessern, potenzielle Ausfälle rechtzeitig genug zu erkennen und die Unversehrtheit der Transportgüter nachzuweisen. Die Sensoren in der Vernetzungshardware sammeln dazu Informationen über die Position des Güterwagens sowie seinen Zustand, wie beispielsweise Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Erschütterungen sowie bei Bedarf auch darüber, ob und wann der Waggon geöffnet wurde. Die Kommunikation erfolgt dabei per Funk in die Cloud zu einem Server, der an einem sicheren Standort in Deutschland steht.
Die Sensoren in der Vernetzungshardware sammeln Informationen über die Position des Güterwagens sowie seinen Zustand, wie beispielsweise Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Erschütterungen. Werden an die Hardware zusätzliche externe Sensoren angeschlossen, können zudem Informationen über Türöffnungen, den Zustand von Bremsen und Radlagern sowie der transportierten Ware erfasst werden. Das in die Hardware eingebettete GSM-Modul überträgt die Daten anschließend per Mobilfunk an eine Cloud. Jeder Bahnbetreiber oder Flottenbetreiber entscheidet selbst, ob er eine eigene Cloudlösung präferiert oder beispielsweise die Daten über die IoT-Cloud Bosch mit dem Cloud-Standort Deutschland übertragen lassen möchte. Diese IoT-Cloud besteht aus technischer Infrastruktur sowie Plattform- und Softwareangeboten. Die stets verschlüsselten Daten lassen sich zudem direkt in die Warenwirtschafts- und Logistiksysteme des Anwenders oder Systeme wie SAP integrieren. Datenschutz sowie Datensicherheit gehören zu den prägenden Merkmalen der IoT-Cloud von Bosch, deren Host in einem Rechenzentrum bei Stuttgart steht. Der Standort Deutschland bietet aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen gute Voraussetzungen für die sichere und geschützte Übertragung von Daten.
Mehrwert durch vernetzte Funktionen
Neben der Kundenzufriedenheit spielen für die Bahn- und Flottenbetreiber die Kosten eine große Rolle. Darum gilt es, lange Standzeiten und hohe Aufwendungen für Reparaturen zu vermeiden. Hier hilft ebenfalls die Vernetzung (Bild 3). Werden die digitalen Informationen in IT-Systeme zur Steuerung von Logistikprozessen integriert, können Güterwagen optimal disponiert und ausgelastet werden, Zuginformationen automatisch erstellt und Geschäftsprozesse automatisiert werden. Zudem „erkennen“ die Waggons nun selbstständig und frühzeitig den Verschleiß von Komponenten, sodass sich Wartungsintervalle wesentlich besser planen lassen. Wird ab sofort der Verschleiß an Bremsen oder Radlagern des Güterwagens frühzeitig erkannt, ist nicht nur die Wartung besser planbar, sondern gleichzeitig wird so auch der plötzliche Ausfall eines Waggons auf der Strecke vermieden, der zu außerplanmäßigen Standzeiten und schlimmstenfalls sogar zu Unfällen mit großen Schäden führen kann. Darüber hinaus kann mithilfe der Sensoren der Zustand der Gleise beobachtet werden. Erkennen viele Waggons an der gleichen Stelle auf der Strecke eine Erschütterung, dann kann dies ein Indiz für eine Beschädigung an den Gleisen sein, die ein Infrastrukturbetreiber dann gezielt beseitigen kann. Die Vernetzung von Güterwaggons trägt so auch entscheidend zur Sicherheit auf den Bahnstrecken und deren Qualität bei.
Mobilität steht vor großem Wandel
Die Lösung von Bosch Engineering erfüllt die besonderen Voraussetzungen aus dem Bahnbetrieb. Bei der Entwicklung dieser Lösungen hat die umfangreiche Erfahrung aus der Großserien-Herstellung in der Automobilindustrie eine bedeutende Rolle gespielt. Die eingesetzten Sensoren haben dort bereits sehr aufwendige Prüfverfahren und Qualitätssicherungsprozesse durchlaufen. Die Zuverlässigkeit dieser Systeme wurde sowohl in theoretisch berechneten Ausfallzahlen als auch praktisch bei der Auswertung der Erfahrungen aus dem Feld belegt.
In einer ersten Pilotphase des Telematiksystems für den Schienengüterverkehr sind mehr als 300 Güterwagen in Europa, Nordamerika und Australien mit Sensoren von Bosch auf die Strecke gegangen. Die Serieneinführung für die vernetzten Güterwagen wird noch in diesem Jahr beginnen. Aktuell verfeinert Bosch Engineering zusammen mit der Schweizer Güterbahn SBB Cargo das vernetzte System. Gemeinsam werten beide Unternehmen seit Februar 2015 die Erfahrungen aus dem Alltagsbetrieb auf dem Schweizer Bahnnetz aus und entwickeln das System weiter.
Güterwagen werden durch die Vernetzung „logistikfähig“ – neben leicht, leise, laufstark und Life-Cycle-Cost eines der „5 L“, die ein wirtschaftlicher und somit attraktiver Güterverkehr auf der Schiene erfüllen muss. Damit gewinnt die Schiene weiter an Attraktivität und liefert die Voraussetzungen, dass einer steigenden Nachfrage effizient und modern entsprochen werden kann. Die Vernetzung der Güterwagen stellt einen entscheidenden Treiber für Eisenbahngesellschaften, Waggonvermieter, Verlader sowie Hersteller und Zulieferer dar, um langfristig Teil eines integrierten und kombinierten Transportsystems zu werden und sich entsprechende Marktanteile zu sichern. Der Wirtschaftsfaktor Güterwagen hat Zukunft – und die ist vernetzt.
Neue Lösungen zur Elektrifizierung und Automatisierung für Bahnen
Im Bereich der Elektrifizierung können sich Bahn- und Automobiltechnik ebenfalls unterstützen. Die Erfahrung mit leistungsfähigen Elektromotoren ist im Schienenverkehr über viele Jahrzehnte gewachsen. Auf der anderen Seite arbeitet die Autoindustrie intensiv an der Entwicklung neuer Brennstoffzellen, sowie an Hochleistungsbatterien und Steuergeräten. Bosch hält inzwischen beispielsweise allein etwa 400 Patente rund um die Brennstoffzelle. Hier eröffnen sich für die Bahn neue Wege für Antriebe ohne Verbrennungsmotor auch auf Strecken, die noch nicht elektrifiziert sind.
Automatisierung und Fahrerassistenzsysteme aus der Autoindustrie halten unterdessen Einzug in Stadt- und Straßenbahnen. Ein von Bosch Engineering entwickeltes Kollisionswarnsystem erkennt mit Radar- und Videosensoren Fahrzeuge, Busse, benachbarte Bahnen und feststehende Hindernisse auf der Schiene. Erste Prototypen sind bereits seit 2014 im Alltagsbetrieb. Daraus sind viele Erkenntnisse gewonnen worden, die nun im Serienmodell zum Einsatz kommen. Der Fahrer wird zunächst rechtzeitig vor einer drohenden Kollision gewarnt. Greift dieser nicht oder zu spät ein, bremst das System die Bahn selbstständig bis zum Stillstand ab, um den Unfall zu vermeiden. Momentan erprobt die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main den Umgang mit dem System. Das Fahrerassistenzsystem von Bosch zeigt besonders deutlich, wie der Bahnbetrieb von der bereits in der Großserie erprobten Sensortechnologie der Autoindustrie profitieren kann. Dort werden Abstandswarner und automatisierte Bremssysteme seit mehr als zehn Jahren entwickelt und kontinuierlich verfeinert. Kommen diese Technologien in der Bahntechnik zum Einsatz, dann stellen sie einen weiteren Schritt in zum vollautomatisierten Fahren auf der Schiene dar.
Rene Höpfner
(av)