Die Electronica 2024 in München feiert dieses Jahr nicht nur ihren 60. Jahrestag, sondern widmet sich den großen Fragen, die die Branche aktuell bewegen. Vom 12. bis 15. November wird das Münchner Messegelände zur Plattform für die wichtigsten Zukunftstrends der Elektronik: Nachhaltigkeit, Digitalisierung, künstliche Intelligenz und der Umgang mit dem anhaltenden Fachkräftemangel. Die diesjährige electronica ist mit rund 3.500 Ausstellern und 80.000 erwarteten Besuchern die größte Veranstaltung in ihrer Geschichte und zeigt, dass die Elektronikbranche heute mehr denn je eine zentrale Rolle in der globalen Wirtschaft und in der Entwicklung neuer Technologien spielt.
Zum Einstieg bot die Messe einen nostalgischen Rückblick auf ihre Anfänge im Jahr 1964. Der Branchenjournalist Roland Ackermann, ein langjähriger Wegbegleiter der Messe, der sich an die frühen Jahre erinnerte. Damals präsentierte die Messe Neuheiten wie die elektrische Schreibmaschine und zählte noch zu den deutschen Fachveranstaltungen. Ackermann erläuterte, wie die Messe von einer nationalen Ausstellung zur internationalen Leitmesse wurde und sich die Branche im Lauf der Jahrzehnte zur Schlüsselindustrie entwickelte. „Was wir damals als Science-Fiction sahen, ist heute Realität. Die erste Messe war mit all ihren Innovationen ein entscheidender Schritt für die Branche,“ so Ackermann.
Rückblickend erkannte Ackermann auch die Bedeutung des Moore’schen Gesetzes, das 1965 formuliert wurde und die exponentielle Steigerung der Chip-Leistung beschreibt. Dieses Prinzip prägt die Branche bis heute und spiegelt das schnelle Wachstum der Elektronik wider, das nun von Technologien wie drahtloser Kommunikation und Miniaturisierung angetrieben wird.
All-Electric Society: So treibt die Branche die Vision voran
Die Vision einer „All-Electric Society“ – einer Zukunft, in der alle Lebens- und Arbeitsbereiche durch Elektrizität betrieben werden – ist eines der zentralen Themen auf der diesjährigen Electronica. Gunter Kegel, Präsident des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) und CEO von Pepperl+Fuchs, sieht die Elektronikindustrie als Vorreiter dieser Entwicklung: „Unsere Branche verfügt bereits über die Technologien, die für eine elektrifizierte und klimaneutrale Gesellschaft erforderlich sind. Jetzt müssen wir diese Technologien in die breite Umsetzung bringen.“
Damit eine All-Electric Society Realität wird, forderte Kegel eine Senkung der Strompreise, um den Umstieg auf elektrische Mobilität und Heiztechnologien für die breite Bevölkerung attraktiver zu machen. „Nur wenn die Preise für Elektrizität stimmen, wird sich die Gesellschaft umfassend elektrifizieren lassen,“ betonte Kegel. Technologien wie Photovoltaik, elektrische Antriebssysteme und intelligentes Energiemanagement sind hier essenziell und wurden auf der Messe von zahlreichen Unternehmen präsentiert. Die Messe zeigt, wie die Elektronikbranche zunehmend die Basis für eine nachhaltige und intelligente Energiezukunft schafft.
Die vollständige Digitalisierung der Produktions- und Lieferketten ist ein weiteres großes Thema der Electronica 2024. Gerade in Zeiten von Krisen und Engpässen wird die Notwendigkeit digitaler Vernetzung und Automatisierung entlang der gesamten Lieferkette deutlich. Die Automobilindustrie zeigt mit der Initiative Catena-X, wie eine durchgehende digitale Transparenz helfen kann, Lieferzeiten zu verkürzen und die Effizienz der Produktion zu steigern.
„Die Digitalisierung und die vollständige Vernetzung der Wertschöpfungsketten sind entscheidend, um die Resilienz und Flexibilität der Branche sicherzustellen,“ sagte Kegel. Besonders die Halbleiterindustrie müsse ihre Prozesse und ihre Lieferketten digitalisieren, um schneller und kostengünstiger zu produzieren. Die Digitalisierung bietet nicht nur die Möglichkeit, auf Krisen zu reagieren, sondern kann auch die Grundlage für langfristige Effizienzsteigerungen legen. Für die Elektronikbranche, die stark auf eine global vernetzte Lieferkette angewiesen ist, stellt dies einen entscheidenden Schritt dar, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten.
Künstliche Intelligenz: Die nächste Evolutionsstufe der Elektronik
Ein weiterer Schwerpunkt der diesjährigen Electronica ist der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Kegel sieht KI als zentrale Technologie für die Zukunft der Elektronik. „Wir stehen kurz vor dem Punkt, an dem KI in jedem Mikrocontroller enthalten sein wird und damit eine neue Stufe der Funktionalität ermöglicht,“ prognostizierte Kegel. Der Einsatz von KI wird dabei nicht nur in der Industrie, sondern auch in alltäglichen Geräten zunehmend zur Norm.
Mit der rasanten Leistungssteigerung von KI-Anwendungen erwartet die Branche tiefgreifende Veränderungen in der Lebens- und Arbeitswelt. Kegel geht sogar davon aus, dass die Entwicklung zur sogenannten „Singularität“, bei der die Rechenleistung von Computern die des menschlichen Gehirns übersteigt, näher rückt. „Wir werden die Rolle der KI schon bald in einer neuen Dimension erleben – mit Anwendungen, die wir uns heute noch kaum vorstellen können,“ erklärte er.
Die Electronica zeigte eine Vielzahl von Produkten und Konzepten, die verdeutlichen, wie tiefgreifend KI das Leben in den kommenden Jahren verändern wird. Die Technologie eröffnet der Elektronikbranche neue Geschäftsfelder und Anwendungsmöglichkeiten und verspricht, die Effizienz von Prozessen auf ein bisher nicht dagewesenes Niveau zu heben.
Fachkräftemangel: Woher kommt der Nachwuchs von morgen?
Trotz der technologischen Innovationen steht die Branche vor einer großen Herausforderung – dem Fachkräftemangel. Die Zahl der Studierenden in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ist in den letzten Jahren stark gesunken, und die Elektronikindustrie leidet zunehmend unter einem Engpass an qualifizierten Fachkräften. „Im Vergleich zu vor zehn Jahren haben wir 30% weniger Erstsemester in der Elektrotechnik. Das stellt eine ernste Gefahr für die Innovationskraft unserer Branche dar,“ sagte Kegel.
Die Rolle der Elektronik als Schlüsselfaktor für die Energiewende und eine nachhaltige Zukunft ist ein weiterer Schwerpunkt der diesjährigen Messe. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 64% der Deutschen glauben, dass Elektronikprodukte einen wichtigen Beitrag zu einer sauberen Energiezukunft leisten können. „Wir als Industrie sind nicht das Problem, sondern die Lösung“, stellte Kegel klar. Die Messe zeigt, wie Unternehmen durch technologische Innovationen die Ressourceneffizienz steigern und gleichzeitig die CO₂-Belastung senken.
Kegel forderte zudem eine „endgültige Entbürokratisierung“, um die Innovationskraft der Branche zu fördern und Unternehmen die Freiheit zu geben, sich auf die Kernziele der Nachhaltigkeit zu konzentrieren. „Die Elektronikbranche wird durch eine Vielzahl von Berichtspflichten zunehmend belastet, die Zeit und Ressourcen binden. Wir müssen die Bürokratie abbauen und unsere Ressourcen auf nachhaltige Lösungen fokussieren,“ forderte Kegel.
Zukunftsausblick: Was die Elektronikbranche erwartet
Trotz der zahlreichen Herausforderungen, vor denen die Elektronikindustrie aktuell steht, sieht Kegel die Branche gut aufgestellt für die kommenden Jahre. „Für das nächste Jahr erwarten wir wieder Wachstum, wenn auch noch nicht auf dem Niveau der Spitzenjahre 2021 und 2022. Doch die Weichen sind gestellt,“ prognostizierte Kegel. Die Electronica 2024 zeigt, dass die Branche bereit ist, die technologischen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen anzunehmen und den Weg in eine nachhaltige und digitalisierte Zukunft aktiv mitzugestalten.
„Die großen Trends, die wir auf der Electronica sehen – All-Electric Society, KI und Digitalisierung – werden die Elektronikindustrie und unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten prägen,“ fasste Kegel zusammen. Die Elektronikbranche habe das Potenzial, als Innovationsmotor die entscheidenden Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu liefern.