Profinet-Netzwerk: Fehlerhafte Messstellen können die Ursache für verlorene Netzwerktelegramme sein

Profinet-Netzwerk: Fehlerhafte Messstellen, sogenannte TAPs (Test access Points) können die Ursache für verlorene Netzwerktelegramme sein. (Bild: I-V-G Göhringer)

Der folgende Fall in der Fördertechnik eines Logistikzentrums zeigt ein Problem dieser Art und seine Folgen auf. Die Geschichte beginnt damit, dass die Anlage abgenommen wurde und in Betrieb ging. Die Abnahmeprotokolle zeigten keine Auffälligkeiten, alles lief störungsfrei. Weil dem internen Instandhalter jedoch klar war, dass die Anlage Verschleiß und Alterung unterliegt, schloss er an der eingebauten Messstelle (Test-Access-Point, kurz TAP) ein System zur Überwachung der Profinet-Kommunikation an. Bei der erst kurz zuvor in Betrieb gegangenen Anlage erwartete er in der ersten Zeit keine Auffälligkeiten.

Eck-Daten

  • Eine gestörte Kommunikation in Profinet-Netzwerken macht sich meist drastisch bemerkbar; die Ursache dafür ist jedoch nicht immer leicht zu erkennen.
  • Kurzschlüsse an Profinet-Messstellen (TAPs) können mithilfe von Kabelzertifizierern und einem dort provisorisch angeschlossenen Profinet-Kabel erkannt werden.
  • Neuere Messgeräte verfügen über eine HDTDR-Messfunktion (High Definition Time Domain Reflectometry), die mithilfe eines Testsignals Kurzschlüsse aufzeigen.
  • Werden an einer Messstelle (TAP) unterschiedliche Resonanzfrequenzen ermittelt, hat der TAP konstruktionsbedingt Kurzschlüsse und sollte ausgetauscht werden.

Zum großen Erstaunen des Instandhalters wurden jetzt jedoch verschiedene Messparameter außerhalb der erwarteten Bereiche gemessen. Innerhalb weniger Sekunden erhielt er mehrere Warnungen und Alarme, Informationen über Fehltelegramme, zu niedrige Aktualisierungsrate, Telegrammlücken und abweichender Jitter. Daraufhin prüfte der Anlagenbauer die Installation nochmals und stellte wiederum keine Auffälligkeiten fest. „Keine Fehlermeldungen erhalten und die Anlage läuft ohne Einschränkung. Damit ist der Fall für uns erledigt“, beschied der Service des Anlagenbauers abschließend.

Ratlos blieb der Instandhalter zurück. Er wendete sich dann aber an den Profinet-Spezialisten IVG Göhringer. Als die Troubleshooter vor Ort waren, machten ihre Messungen im Netzwerk schnell klar, dass es sich hier um ein seit einigen Jahren bekanntes Problem handelt: Eine Profinet-Messstelle (TAP) mit einem Konstruktionsfehler (Kurzschluss) war eingebaut worden. Da half nur ein Austausch der Messstelle gegen eine Ausführung ohne Kurzschlüsse; danach gab es bei der Netzwerk-Überwachung keine Auffälligkeiten mehr.

Messstellen in Profinet-Netzwerken

Im Gegensatz zum klassischen Feldbus gibt es bei den Punkt-zu-Punkt verkabelten Ethernet-Netzwerken keine Möglichkeit, im laufenden Betrieb an einer beliebigen Stelle des Netzwerks einfach ein Diagnosegerät aufzuschalten. Es würde sofort zum Abbruch der Kommunikation und damit zum Anlagenstillstand kommen, wenn man die Ethernet-Leitung unterbricht, um ein Messgerät einzuschleifen.

Damit trotzdem Messungen im Netzwerk möglich sind, werden TAPs an definierten Stellen als Messstelle fest eingebaut. Sie sorgen dafür, dass man einfach und ohne Unterbrechung der Kommunikation im laufenden Betrieb den Datenverkehr aufzeichnen und analysieren kann. Der Ethernet-Verkehr wird auf die Ports der Messstelle gespiegelt, um den Netzwerkverkehr nicht zu beeinflussen. Ein passiver TAP schützt das Netzwerk vor Störungen durch angeschlossene Diagnosegeräte.

Bei der HDTDR-Messung wird der Kurzschluss-behaftete TAP als extreme Stoßstelle angezeigt.

Bei der HDTDR-Messung wird der Kurzschluss-behaftete TAP als extreme Stoßstelle angezeigt. I-V-G Göhringer

Messstelle (TAP) mit Kurzschluss

Anhand der AC- und DC-Widerstandsmessung mit einem Kabelzertifizierer wurde in diesem Fall ein Kurzschluss zwischen den Datenleitungen festgestellt. Der Kurzschluss alleine ist schon problematisch, aber es gab auch einen TAP, an dem vier unterschiedliche Resonanzfrequenzen ermittelt wurden. Jeweils zwei auf der Empfangsleitung des kommenden Ports und zwei auf der Empfangsleitung des abgehenden Ports. Diese können sich unter dem Einfluss der Luftfeuchtigkeit im Feld noch leicht verändern. Wird nun ein Kabel mit einer zufällig ungünstigen Länge eingesetzt, kann es zu einer Schwingung kommen, welche die Kommunikation stört und zum Ausfall führt. Wird das Kabel verlängert oder verkürzt, kann der Fehler weg sein oder stärker in Erscheinung treten. In manchen Fällen kann ein ‚schlechteres‘ Kabel, das die Norm gar nicht erfüllt, zu einem funktionierenden Netzwerk führen. Jeder Anwender, der schon einmal Messergebnisse hatte, für die es keine Erklärung gab, sollte jetzt hellhörig werden.

Im Grundsatz müssen die TAPs mit und ohne Spannung vollkommen rückwirkungsfrei arbeiten. Das ist mit einem Kabelzertifizierer schnell nachprüfbar. Dazu werden jeweils vor und nach dem TAP zwei Meter Profinet-Kabel angeschlossen und dann anhand der Kabelspezifikation des Profinet-Kabels durchgemessen. Neuere Kabelzertifizierer erkennen die Steckstellen per TDR-Messung, weil an den Steckkontakten minimale Reflexionen auftreten. In diesem Fall waren die Reflexionen beim Fehler-TAP um den Faktor fünf stärker als bei der Vergleichsmessung mit dem einwandfreien TAP. Als Maßnahme bleibt nur, den fehlerhaften TAP zu tauschen, weil man sonst nie weiß, ob man einen echten oder einen vermeintlichen Fehler misst.

Bei dem links gezeigten TAP ohne Kurzschluss ist die Rückflussdämpfung (Return Loss) wesentlich besser.

Bei dem links gezeigten TAP ohne Kurzschluss ist die Rückflussdämpfung (Return Loss) wesentlich besser. I-V-G Göhringer

Ein Kabelzertifizierer darf die Messstelle nur als Steckstelle erkennen, ansonsten muss sie sich sowohl im bestromten als auch im unbestromten Zustand vollkommen passiv verhalten. Innerhalb eines Profinet-Kabels dürfen bis zu zwei zusätzliche Steckstellen vorhanden sein. Der Kurzschluss zeigt sich bei Kabelzertifizierern unabhängig davon, ob man eine Gleichstrom- oder Wechselstrommessung durchführt.

Es gibt allerdings auch Messgeräte und Messverfahren am Markt, welche den Kurzschluss nicht anzeigen. Das führt zu manchen Diskussionen vor Ort. Diese sind jedoch schnell beendet, nachdem der TAP getauscht wurde und die Kommunikation ohne Telegrammverlust läuft. Es ist ja auch nicht zielführend, so lange am Messverfahren zu drehen, bis kein Fehler mehr festgestellt werden kann. Zudem gibt es eine Reihe weiterer Messverfahren, welche die Folgen des Kurzschlusses im TAP ebenfalls zeigen.

Messverfahren und Messwerte kurz erklärt

  • Rückflussdämpfung (Return loss): Die Rückflussdämpfung ist ein Reflexionsfaktor. Er zeigt das Verhältnis vom eingespeisten Signal zum reflektierten Signal. Die Ursachen für Reflexionen können beschädigte Kabel, lose Steckverbindungen oder fehlerhafte Geräte sein. Wenn die reflektierten Signale zu stark sind, werden sie als Nutzdaten interpretiert. Das führt zu Fehlern in der Netzwerk-Kommunikation. Bei einem TAP mit Kurzschluss hat man genau diese Situation.
  • Längenabhängige Grenzwerte: Manchen Lastenheften enthalten längenabhängige Werte, beispielsweise für NEXT (near end crosstalk). Es geht hier um das Übersprechen der Signale auf nebeneinanderliegenden Adernpaaren. Profinet-Leitungen haben zwei Adernpaare. Beim Anwender kommt immer dann Verwirrung auf, wenn er für NEXT einen Fehler misst, obwohl da Netzwerk einwandfrei funktioniert und auch keine Telegramme verloren gehen.
  • HDTDR-Messung: Eine weitere Möglichkeit ist die HDTDR-Messung (High Definition Time Domain Reflectometry). Dazu wird ein sehr kurzer Testimpuls auf die Leitung geschickt. Der an einer Schwachstelle reflektierte Teil des Signals wird vom HDTDR-Messgerät an der Einspeisestelle ausgewertet.
  • Jitter: Der Jitter ist die zeitliche Abweichung der Telegramme vom Telegrammtakt bei der Datenkommunikation. Die Angaben erfolgt in der Regel in ns (Nanosekunden) oder Prozent. Je größer die Abweichung vom Idealzustand ist, desto größer ist das Risiko, dass die Übertragungsqualität unter dem Jitter leidet.
  • Erdschleifenmesszange: Eine Erdschleifenmesszange besteht aus zwei Spulen. Über eine Spule wird auf die Leitung ein Strom induziert, und mit der anderen Spule wird der resultierende Strom gemessen. Je nach Schleifenwiderstand ist der Strom in seiner Größe unterschiedlich hoch. In der Praxis wird manchmal fälschlicherweise festgestellt, dass der Widerstand zu hoch ist – und eine bestehende Leitung gegen ein Kabel mit geringerem Widerstand ausgewechselt. Jedoch fließt dann mehr Strom. Damit wird mehr Leistung auf die Datenleitung eingekoppelt und das EMV-Verhalten der Anlage verschlechtert sich.

Zwei Workshops auf dem Automatisierungstreff 2021 in Böblingen

 

Der Feldbus-Spezialist I-V-G Göhringer bietet auf dem Automatisierungstreff in Böblingen (27.-29. April 2021) zwei Praxis-Workshops an.

In dem ersten Workshop mit dem Titel „Gut durchdachte Erdung reduziert EMV-Einflüsse“ (28.04.2021, 10:00 bis 17:30 Uhr) geht es um praxistaugliche Erdungskonzepte, um möglichst keine Anlagenausfälle zu verursachen. Was gibt es dabei zu beachten – besonders im Hinblick auf industrielle Netzwerke wie Profinet? Vermaschte Erdungssysteme werden heute pauschal als das Allheilmittel propagiert. Macht das in jedem Fall Sinn? Oder ist es nur eine andere Verteilung der Masseströme? Welche anderen Lösungen gibt es? Diese Themen stehen – aus Sicht der Anlagen-EMV – im Mittelpunkt des Workshops. Die Messverfahren für die Suche nach EMV-Störern werden praktisch vorgeführt. Teilnahmegebühr 490 Euro. Die Anzahl der Teilnehmer ist begrenzt.

In dem zweiten Workshop „Profinet-Installation, Abnahme und Wartung“ (29.04.2021, 10:00 bis 17:30 Uhr) geht es zum einen um die Hardware. Es werden technischen Zusammenhänge erläutert – und die Vor- und Nachteile der verschiedenen Diagnosemöglichkeiten besprochen. Zudem wird erklärt, welche Auswirkungen die Erweiterung von Profinet um die TSN-Funktionalität hat. Zum anderen wird das fabrik-übergreifende Profinet-Monitoring- und Diagnosesystem Herakles vorgestellt. Dieses umfassende Software-Werkzeug ermöglicht eine schnelle und aussagefähige Diagnose von Profinet-basierten Produktionsanlagen. Dazu gibt es Übungen mit den verschiedenen Messgeräten. Teilnahmegebühr 490 Euro. Die Anzahl der Teilnehmer ist begrenzt.

Gerhard Bäurle

Technikjournalist, im Auftrag von I-V-G Göhringer in Holzgerlingen

(dw)

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