Mehrere optische Sensoren und Beleuchtungen ermöglichen es beispielsweise bei Gussteilen, gleichzeitig die inneren und äußeren Oberflächen zu prüfen.

Mehrere optische Sensoren und Beleuchtungen ermöglichen es beispielsweise bei Gussteilen, gleichzeitig die inneren und äußeren Oberflächen zu prüfen.Fraunhofer IIS

Die in den 1980er Jahren erfolgte breitere Markteinführung von Halbeiter-basierten Videokameras (CCD-Kamera), zusammen mit der Verfügbarkeit kleiner, leistungsfähiger Rechner (Industrie-PC), läutete den Beginn von Bildverarbeitungstechnologien im industriellen Umfeld ein. Seither führt die Idee, den sehenden und prüfenden Mitarbeiter durch eine sehende und prüfende Maschine zu ersetzen, den Planer in die Versuchung, eine Sichtprüfanlage entsprechend dem manuellen Prüfplatz zu konzipieren. Motiviert wird dies durch die Vorstellung, ein Bildverarbeitungssystem funktioniere genauso wie ein menschlicher Prüfer. Ein Irrtum. Der erfolgreiche Einsatz von IBV bedarf immer einer objektiven, profunden Planung, ausgehend von den technischen Eigenschaften der eingesetzten Komponenten und losgelöst von emotionalen Aspekten wie „Ich kann den Fehler doch sehen, warum sieht ihn das Bildverarbeitungssystem nicht?“. An einigen Stellen steht die industrielle Bildverarbeitung momentan immer noch vor Problemen, die den Aufwand für die Realisierung derart erhöhen, dass sich eine Lösung unter Umständen nicht mehr rechnet. Umso wichtiger ist es, dass sich der potenzielle Anwender möglichst konkret vorstellen kann, wie die für seinen Fall geeignete Lösung aussieht.

Um Nuten oder Bohrungen sichtbar zu machen, sind spezielle Beleuchtungen notwendig.

Um Nuten oder Bohrungen sichtbar zu machen, sind spezielle Beleuchtungen notwendig.Fraunhofer IIS

Ins rechte Licht rücken

Eine geeignete und angepasste Beleuchtung ist in vielen Anwendungsfällen der Schlüssel zur wirtschaftlich erfolgreichen Umsetzung einer Lösung. Zu Beginn steht der Anwender oftmals vor der Wahl, ob es Gegenlicht- oder Auflicht-Beleuchtung sein soll.

Die Gegenlicht-Beleuchtung zeigt lediglich die Silhouette des Objektes und eignet sich für messtechnische Aufgaben, einfache Lage- oder Objekt-Erkennungsaufgaben (2D). Komplexere Aufgaben erfordern gegebenenfalls 3D-Messverfahren. Für Präzisionsmessungen kommen telezentrische, verzerrungsarme Objektive und auch telezentrische Beleuchtungen zum Einsatz. Störungen können bei Gegenlicht durch nicht perfekte Kanten entstehen. Grate oder Ausbrüche verfälschen die zu messende Silhouette. Überdies erzeugen Schlag- oder Druckstellen an den Kanten ebenfalls Lichtreflexe, die ein korrektes Erkennen stören. Das kann eine geeignete Auswerte-Software bis zu einem gewissen Grad kompensieren, wenn sie über die entsprechenden Korrekturfunktionen verfügt. Für Maße, die sich in der Silhouette nicht darstellen lassen, ist diese Art der Beleuchtung nicht geeignet. Beispielsweise kommen in der Praxis häufig Bohrungen in Bauteilen vor, deren Durchmesser gemessen werden soll. Bei einer Durchgangsbohrung bildet sich die Silhouette der Bohrungskontur im Gegenlicht gut als kreisförmige Fläche ab, die gemessen werden kann. Handelt es sich jedoch nicht um eine Durchgangs-, sondern eine Sackbohrung, die nicht durch das Bauteil hindurch geht, ist die Bohrungskontur im Gegenlicht nicht zu erkennen und es muss eine Auflicht-Beleuchtung gewählt werden.

Für die Defekterkennung bei der Oberflächenprüfung kommen Auflicht-Beleuchtungen in ihren verschiedenen Varianten zum Einsatz, wie Hellfeld-, Dunkelfeld- oder strukturierte Beleuchtung. Messtechnische Anwendungen mit Auflicht-Beleuchtung sind dagegen problematisch und gelten bis heute nicht als gelöst. Dennoch können im Einzelfall bei sorgfältiger Systemauslegung derartige Lösungen funktionieren.

Aufgrund der quasi unendlichen Vielfalt unterschiedlicher Oberflächenausprägungen existiert die eine Beleuchtungsmethode nicht. Vielmehr muss die Beleuchtung zu dem zu prüfenden Produkt-Portfolio passen. Zum Beleuchten und Erfassen muss der Anwender auch die Zugänglichkeit der Flächen beachten. Schlecht zugängliche Oberflächen wie in Nuten,­Sicken oder Bohrungen erfordern besondere Beleuchtungs- und Aufnahmetechniken. Die wichtigsten Kategorien von Oberflächeneigenschaften, nach denen eine solche Auslegung erfolgt, sind:

HDR-Sensoren (High Dynamik Range) haben einen Dynamikumfang von bis zu 170 dB und können Szenen mit stark unterschiedlichen Helligkeitswerten in einer Aufnahme erfassen (rechts), während Standardsensoren circa 70 dB aufweisen (links).

HDR-Sensoren (High Dynamik Range) haben einen Dynamikumfang von bis zu 170 dB und können Szenen mit stark unterschiedlichen Helligkeitswerten in einer Aufnahme erfassen (rechts), während Standardsensoren circa 70 dB aufweisen (links).Institut für Mikroelektronik Stuttgart IMS CHIPS

Helligkeit und Farbe: Zwischen gut belichteten Aufnahmen von hellen (weißen) oder dunklen (schwarzen) Oberflächen können Unterschiede bis zu vier Blendenstufen liegen. Mit anderen Worten bedeutet dies die Notwendigkeit einer 16-fach höheren Beleuchtungsintensität für gut belichtete Aufnahmen dunkler Oberflächen. Verfügt die Lichtquelle nicht über entsprechende Reserven, muss der Anwender gegebenenfalls die Prüfgeschwindigkeit reduzieren.

Glanz: Oberflächenqualitäten von matt über glänzend, hoch glänzend bis hin zu optisch spiegelnden Komponenten wie hochglanzverchromte Zierleisten lassen sich heute maschinell prüfen. Während die Beleuchtung bei matten Flächen sicherstellen muss, dass sie die gesuchten Defekte mit ausreichendem Kontrast hervorhebt, muss sie bei glänzenden Oberflächen das Auftreten von Glanzlichtern vermeiden. Dies kann insbesondere bei gekrümmten Oberflächen schwierig sein. Dazu eignen sich diffuse Beleuchtungen mit großer Apertur (Öffnungsweite), im Extremfall halbkugelige, sogenannte Dom-Beleuchtungen, bei denen das Licht gleichmäßig aus allen Raumrichtungen einfällt. Nachteilig bei der optimal diffusen Dom-Beleuchtung ist das schlechte Darstellen von Dellen oder Beulen. Um bei diesen Fehlertypen einen guten Kon­trast zu erzeugen, benötigt die Beleuchtung eine gewisse Struktur zum Beispiel seitlich von einer oder mehreren Seiten einfallende Beleuchtung (das sogenannte Shape-from-shading-Prinzip). Bei hochglänzenden oder spiegelnden Oberflächen dominieren die spiegelnd reflektierten Anteile des Lichts so stark, dass Reflexionen der Umgebung dominieren und die Merkmale der zu prüfenden Oberfläche überlagern. Dann kommen andere optische Verfahren, wie Deflektometrie (berührungsfreies Vermessen von spiegelnden Oberflächen) zum Einsatz.

Varianz: Damit ist gemeint, wie stark die Helligkeit beziehungsweise der Glanzgrad in unterschiedlicher Intensität am Prüfobjekt auftreten, zum Beispiel an einem Gussteil die matte, graue Gussoberfläche sowie die fein bearbeitete, hochglänzende Funktionsoberfläche. Die hohe Dynamik solcher Szenen kann normale Sensoren überfordern. Spezielle HDR-Sensoren (High Dynamik Range) mit loga­rithmischer Empfindlichkeits-Kenn­linie haben einen Dynamikumfang von bis zu 170 dB und erfassen solche Szenen in einer Aufnahme, während Standardsensoren circa 70 dB aufweisen. Die alternative HDR-Technik mit normalen Sensoren nutzt eine Serie von Aufnahmen mit jeweils unterschiedlicher Belichtung. Nachteilig ist hier der höhere Aufwand für die mehrfache Aufnahme der Szene mit unterschiedlichen Belichtungsparametern und die anschließende HDR-Bildberechnung.

Perizentrische Objektive ermöglichen die Bilderfassung der kompletten Umfangsfläche in einer Ansicht und gleichzeitig der Stirnfläche von runden, in etwa zylinderförmigen Prüfobjekten wie Verschlusskappen.

Perizentrische Objektive ermöglichen die Bilderfassung der kompletten Umfangsfläche in einer Ansicht und gleichzeitig der Stirnfläche von runden, in etwa zylinderförmigen Prüfobjekten wie Verschlusskappen.Maxxvision

Aufs Wesentliche fokussieren

Eine neben der Beleuchtung ebenfalls große Rolle in der IBV spielen die Objektive. In den vergangenen Jahren hat sich die Branche nicht nur alle Arten herkömmlicher Abbildungssysteme wie Foto-, Mikroskop-Objektive, Endoskope zu Eigen gemacht, sondern auch die Entwicklung von Sonderformen forciert. Dazu gehören:

  • Objektive mit arretierbaren Einstellungen,
  • fernsteuerbare, motorgetriebene Objektive,
  • Objektive mit erweitertem Spektralbereich, zum Beispiel nahes Infrarot (NIR),
  • telezentrische Objektive für messtechnische Anwendungen und
  • Panorama-Objektive, die mit einer Aufnahme einen 360°-Rundumblick realisieren.

Perizentrische Objektive ermöglichen das Erfassen der kompletten Umfangsfläche in einer Ansicht und gleichzeitig der Stirnfläche von runden, in etwa zylinderförmigen Prüfobjekten wie Drehteilen oder Verschlusskappen in einer Ansicht. Derartige Spezialobjektive können in der Regel Objekte nicht in beliebiger Größe erfassen. Daher muss der Anwender den jeweils spezifizierten Arbeitsbereich beachten.

Blende und Fokus des Objektivs müssen nicht nur reproduzierbar einstellbar, zum Beispiel mittels Raststellungen, sondern auch zuverlässig arretierbar sein, um im Dauerbetrieb keine Störungen zu verursachen. Bei Anwendungen, die ein regelmäßiges Verstellen von Blende oder Fokus erfordern, sollten Anwender den Einsatz von gesteuerten, motorgetriebenen Objektiven in Erwägung ziehen, um reproduzierbare Einstellungen sicherzustellen. Messtechnische Anwendungen erfordern eine feste und absolut spielfreie Kamera-Objektiv-Verbindung. Diese lässt sich in der Regel nur mit geschraubten Anschlüssen erreichen. In Bezug auf Verschmutzen und regelmäßigem Reinigungsbedarf bewährt sich der Einsatz kostengünstiger, leicht austauschbarer Schutzfenster vor dem Objektiv, zum Beispiel in Form von eingeschraubten optischen Neutralfiltern. Außerdem sollten es Anwender schon in der Konzeptphase vermeiden, Kameras mit einer Blickrichtung von unten nach oben anzuordnen, da sich andernfalls schwebende Verunreinigungen, wie Ölnebel oder Staub, auf den optischen Oberflächen (Frontlinsen der Objektive) ablagern. Ist dies unumgänglich, sollten zusätzliche Maßnahmen zur Reinhaltung der optischen Oberflächen, wie eine Druckluftspülung mit ölfreier, gefilterter Druckluft in Betracht gezogen werden.

Einstellungssache

Eines der Probleme, die noch nicht jedes Bildverarbeitungssystem zur vollen Zufriedenheit löst, besteht in der Verfügbarkeit eines bedienerfreundlichen Prozesses zur optimalen Einstellung und Kontrolle der Bildqualität und des davon abhäng­igen Prüfergebnisses. Neben gründlicher Schulung des Personals sollten hierzu Hilfsfunktionen der Software den Bediener Schritt für Schritt durch den Einstellvorgang führen, geeignete Kennwerte berechnen und Toleranzgrenzen vorgeben. Ist die Beschaffung eines automatischen Sichtprüfsystems geplant, sollten Unternehmen nicht zuletzt auf das Vorhandensein und die Qualität solcher Features achten.

Technik im Detail

Grenzen der Industriellen Bildverarbeitung: Anwendungen

  • reflektierende Produktoberflächen, wie glänzende Metalle, durchsichtige oder teilweise durchsichtige Glas- oder Kunststoffmaterialien
  • große, eventuell unbeschränkte Anzahl von deutlich unterschiedlichen Produkten oder Produktvarianten
  • viele unterschiedliche Prüfmerkmale
  • Fertigung der Produkte in jeweils geringer Stückzahl

Technik im Detail

Grenzen der Industriellen Bildverarbeitung: Industrielle Umgebung

  • raue Industrieumgebungen, zum Beispiel mit Ölnebel, Staub, Erschütterungen und Wärme
  • wechselnde Ausleuchtung des Prüfobjekts oder Schwankungen in der Umgebungshelligkeit
  • zu beengte Platzverhältnisse in bestehenden Produktionseinrichtungen
  • Technisch-physikalische Grenzen von industrieller Bildverarbeitung
  • hoher Anteil an Pseudo-Ausschuss: Üblicherweise will der Anwender mit hoher Priorität vermeiden, dass ein NIO-Teil zur Auslieferung oder Weiterverwendung kommt. Dann muss er in Kauf nehmen, dass auch einige IO-Teile vom Prüfautomaten als NIO klassifiziert und aussortiert werden. Damit sinkt die Wirtschaftlichkeit. Wird dieser Anteil zu hoch, kann das IBV-System unwirtschaftlich werden.
  • Realisierbare Auflösung in Bezug auf die geforderte Prüfgeschwindigkeit und minimale Fehlergröße: In sehr schnell laufenden Produktionen (zum Beispiel Papier-, Kunststoffbahnen oder textile Warenbahnen) sind oft die Prüfung großer Oberflächen auf winzige Fehler mit höchster Geschwindigkeit gefordert, sodass die Erfassungsgeschwindigkeit verfügbarer Komponenten (Kameras, Beleuchtung, Rechner) an ihre derzeitigen Grenzen stößt. Ist eine Parallelisierung der Bilderfassung (beispielsweise mehrere Kameras auf dasselbe Objekt gerichtet) möglich ist, bestimmen die dadurch erhöhten Systemkosten die Wirtschaftlichkeit. Andernfalls müssen Kompromisse bei verringerter Erfassungsgeschwindigkeit, zum Beispiel durch reduzierte Auflösung gefunden werden. Dies hat zur Folge, dass im Allgemeinen die gewünschte Fehlerspezifikation in Bezug auf die kleinsten, zu erkennenden Fehler nicht mehr vollständig erfüllt werden kann.

Klaus Spinnler

ist Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS in Erlangen.

(dl)

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