Das Forschungsteam des Forschungszentrums Jülich und des koreanischen IBS Center for Quantum Nanoscience (QNS) nutzte das Fachwissen der Jülicher Gruppe im Bereich der Fabrikation und Manipulation einzelner Moleküle sowie die Instrumente und das methodische Know-how des koreanischen Teams am QNS, um zu diesem Zweck den weltweit ersten Quantensensor für die Welt der Atome zu konstruieren.
Der Durchmesser eines Atoms ist eine Million Mal kleiner als ein menschliches Haar. Dies macht es extrem schwierig, physikalische Größen wie elektrische und magnetische Felder, die von einzelnen Atomen ausgehen, exakt zu vermessen. Nur wenn das Beobachtungswerkzeug äußerst empfindlich und selbst ähnlich klein ist wie ein Atom, kann es die schwachen Felder einzelner Atome auflösen.
Ein Quantensensor nutzt quantenmechanische Phänomene wie den Spin eines Elektrons oder die Verschränkung von Quantenzuständen, um präzise Messungen zu ermöglichen. In den letzten Jahren wurden verschiedene Arten dieser Sensoren entwickelt. Viele davon reagieren äußerst empfindlich auf elektrische und magnetische Felder. Bisher war man jedoch davon ausgegangen, dass die räumliche Auflösung nicht gleichzeitig bis auf die atomare Ebene erhöht werden kann.
Was Sie schon immer über Quantencomputer wissen wollten
Als im Juni 2021 der erste Quantencomputer in Deutschland von IBM eingeweiht wurde, war das Interesse groß. Aber was verbirgt sich hinter der Technologie? Was kann sie eines Tages leisten, woran wird geforscht und wo lauern Gefahren? Das und mehr erfahren Sie hier.
Neuer Ansatz für bessere Auflösung
Der neue Quantensensor macht dies nun möglich durch Verwendung eines einzelnen Moleküls. Der Erfolg beruht auf einem konzeptionell neuen Ansatz. Denn die Funktion der meisten bekannten Sensoren geht auf Fehlstellen im Kristallgitter zurück. Die Defekte reagieren auf elektrische und magnetische Felder und entfalten ihre Eigenschaften nur dann, wenn sie tief in das Material eingebettet sind. Aus diesem Grund sind sie stets in einem gewissen Abstand zum vermessenden Objekt. So sind sie typischerweise zu weit entfernt, um ein Objekt von der Größe eines einzelnen Atoms zu erfassen.
Das deutsch-koreanische Forschungsteam wählte hingegen einen anderen Ansatz: Es entwickelte ein Instrument, das ein einzelnes Molekül an der Spitze eines Rastertunnelmikroskops als Sensor verwendet. Dieser neuartige Ansatz ermöglicht es, den Sensor bis auf wenige Atomabstände an Objekte heranzuführen und deren elektrische und magnetische Eigenschaften aufzuspüren.
„Dieser Quantensensor ist ein Wendepunkt, da er Bilder von Materialien liefert, die so detailreich sind wie ein MRT, und gleichzeitig einen neuen Standard für die räumliche Auflösung von Quantensensoren setzt. Dies wird es uns ermöglichen, Materialien auf ihrer fundamentalsten Ebene zu erforschen und zu verstehen“, zeigt sich Dr. Taner Esat begeistert über die potenziellen Anwendungen.
Der Hauptautor des Jülicher Teams war es auch, der die langjährige Zusammenarbeit zwischen dem Forschungszentrum Jülich und dem QNS initiierte, wo er zuvor bereits als Postdoc tätig gewesen war. Nachdem er nach Jülich zurückgekehrt war, und dort dieses Sensor-Molekül konzipierte, entschied er sich für einen Forschungsaufenthalt am QNS, um mit den speziellen Instrumenten in Korea einen Beweis für das Funktionieren der Technik zu erbringen.
Der Sensor hat eine Energieauflösung, die es ermöglicht, Veränderungen in magnetischen und elektrischen Feldern mit einer räumlichen Auflösung im Bereich eines Zehntel Ångström zu erkennen, wobei 1 Ångström typischerweise einem Atomdurchmesser entspricht. Darüber hinaus kann der Quantensensor in bestehenden Laboren weltweit konstruiert und implementiert werden.
„Was diese Errungenschaft so bemerkenswert macht, ist, dass wir ein exquisit konstruiertes Quantenobjekt verwenden, um fundamentale atomare Eigenschaften von Grund auf zu untersuchen. Frühere Techniken nutzen dagegen große, sperrige Sonden, um winzige atomare Merkmale zu analysieren“, betont Dr. Dimitry Borodin. „Man muss klein sein, um das Kleine zu sehen“, so der Hauptautor des QNS.
Der bahnbrechende Quantensensor eröffnet so völlig neue Möglichkeiten für die Entwicklung von Quantenmaterialien, die Entwicklung neuer Katalysatoren und die Erforschung des grundlegenden Quantenverhaltens molekularer Systeme, beispielsweise in der Biochemie.
Bahnbrechendes Potenzial für die Untersuchung der Materie
"Die Revolution des Instrumentariums zur Beobachtung und Untersuchung der Materie geht zurück auf die gesammelten Grundlagenwissenschaften“, bemerkt Yujeong Bae, Leiterin des Projekts am QNS. „Oder wie Richard Feynman es ausdrückte: ‘Es ist noch viel Platz nach unten.‘ Das technologische Potenzial für Manipulationen auf atomarer Ebene ist unendlich." Und Professor Temirov, Forschungsgruppenleiter in Jülich, ergänzt: "Es begeistert mich zu sehen, wie unsere langjährige Arbeit im Bereich der molekularen Manipulation zum Bau eines rekordträchtigen Quantenbauelements geführt hat."
Die Forschungsergebnisse wurden in Nature Nanotechnology veröffentlicht. Die Entwicklung des Quantensensors auf atomarer Ebene stellt einen bedeutenden Meilenstein auf dem Gebiet der Quantentechnologie dar und wird voraussichtlich weitreichende Auswirkungen auf verschiedene wissenschaftliche Disziplinen haben.
Originalpublikation
Taner Esat, Dmitriy Borodin, Jeongmin Oh, Andreas J. Heinrich, F. Stefan Tautz, Yujeong Bae, Ruslan Temirov
A quantum sensor for atomic-scale electric and magnetic fields
Nature Nanotechnology (25 July 2024), DOI: 10.1038/s41565-024-01724-z
4 Fragen an Dr. Taner Esat vom Jülicher Peter Grünberg Institut (PGI-3)
Dr. Taner Esat, was genau ist ein Quantensensor und was kann man damit machen?
Die Anwendungsgebiete von Quantensensoren sind vielfältig: Magnetometrie, Zeit- und Frequenzmessung sowie Schwerkraftmessung sind nur einige Beispiele. Insgesamt bietet die Quantensensorik ein enormes Potenzial für wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt, da sie die Grenzen der Empfindlichkeit immer weiter verschiebt.
Die Quantensensorik nutzt quantenmechanische Effekte zur präzisen Messung physikalischer Größen. Derartige Sensoren übertreffen konventionelle Sensoren oft in Genauigkeit und Empfindlichkeit. Ein Beispiel dafür ist der Spin eines Elektrons, der sich in einem Magnetfeld wie ein kleiner Magnet verhält. Der Spin kann nur zwei Orientierungen einnehmen, nämlich entlang oder entgegen dem Magnetfeld. Diese Zustände nennt man Spin Up und Spin Down. Um die Ausrichtung eines Spins umzukehren, muss Energie zugeführt werden, da die Ausrichtung entlang des Magnetfeldes energetisch bevorzugt ist. Die entgegengesetzte Ausrichtung wird dagegen durch eine Energiebarriere verhindert. Dies führt zu verschiedenen, klar unterscheidbaren Energiezuständen des Spins im Magnetfeld – ein Phänomen, das als Zeeman-Effekt bekannt ist. Der Energieunterschied hängt von der Stärke des Magnetfeldes ab. Das heißt, er ist einstellbar und kann für präzise Messungen genutzt werden. In unserem neuartigen Quantensensor machen wir uns genau dies zunutze. Wir lesen die Energiedifferenz zwischen den beiden Spinzuständen mit einer Technik namens Elektronenspinresonanz aus und rekonstruieren daraus das Magnetfeld eines einzelnen Atoms.
Inwiefern kann man hier auch von einem Durchbruch sprechen?
Die Quantensensorik hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt. Einer der am weitesten fortgeschrittenen Sensoren basiert auf Defekten im Diamantgitter und ist empfindlich für magnetische Felder, elektrische Felder und sogar Unterschiede in der Temperatur. Die Empfindlichkeit für magnetische Felder wurde extrem gesteigert. Das ging bis zum Nachweis einzelner Elektronen- und Kernspins. Eine faszinierende Entwicklung.
Allerdings war die räumliche Auflösung bei dieser Technik durch die Größe der Sensoren begrenzt, da die Defekte mehrere Nanometer tief im Diamantkristall liegen müssen. Aus diesem Grund war es nicht möglich, die räumliche Auflösung bis auf die atomare Skala zu erhöhen. Mit unserem neuen Ansatz ist uns genau das gelungen. Wir haben ein Molekül, in dem ein Elektronenspin gefangen ist, auf die Spitze eines Rastertunnelmikroskops positioniert und es erfolgreich als Sensor eingesetzt. Unsere Methode ermöglicht es, den Sensor bis auf wenige Atomabstände an einzelne Atome heranzuführen und deren elektrische und magnetische Eigenschaften präzise zu messen - mit einer Ortsauflösung besser als ein Angström, dem typischen Durchmesser eines Atoms. Ein lang gehegter Traum vieler Wissenschaftler.
Die Idee stammt von Ihnen, die Messungen wurden in Südkorea durchgeführt. Wie wichtig sind solche internationalen Kooperationen und wie läuft so eine Zusammenarbeit genau ab?
Die erste Idee für den Quantensensor hatten wir hier in Jülich bereits 2018 nach den ersten Experimenten mit einzelnen, aufrecht stehenden Molekülen. Wir vermuteten schon damals, dass diese Moleküle einen langlebigen Spin besitzen, der als Sensor genutzt werden kann. Etwa zur gleichen Zeit kombinierte die Forschungsgruppe von Andreas Heinrich Elektronenspinresonanz und Rastertunnelmikroskopie, um einzelne Spins auf Oberflächen zu detektieren und zu manipulieren.
Fasziniert davon ging ich als Postdoc zu ihm nach Südkorea, um die Methodik zu erlernen. Danach kehrte ich nach Jülich zurück und setzte meine Arbeit an stehenden Molekülen fort. Inzwischen hatten wir unser Quantenmikroskop fertiggestellt, mit dem wir den Spin in diesen Molekülen nachweisen konnten. Mit diesen neuen Erkenntnissen im Gepäck reiste ich zu einem Forschungsaufenthalt nach Südkorea – der Startschuss für unsere Zusammenarbeit. Durch Bündelung unserer Kompetenzen in der Einzelmolekülmanipulation und Elektronenspinresonanz gelang es uns, den ersten Quantensensor für die atomare Welt zu entwickeln.
Viele Experimente, aber auch die Entwicklung neuer Methoden erfordern heutzutage die Kombination verschiedener Expertisen. Man muss über den eigenen Tellerrand hinausschauen und bereit sein, Neues zu lernen und anzuwenden. Eine Möglichkeit dazu sind Kooperationen. In unserem Fall war die Zusammenarbeit recht einfach. Ich kannte die Leute, die Instrumente und auch das Land und die Kultur bereits aus meiner Zeit als Postdoc. Das hat vieles erleichtert. Wir konnten sofort mit den Experimenten beginnen und hatten tatsächlich schon in der ersten Woche nach meiner Ankunft erste Ergebnisse zum Quantensensor. Besser hätte man es sich nicht wünschen können.
Der neue Quantensensor schafft faszinierende Möglichkeiten – in Zukunft auch am Forschungszentrum Jülich?
In den nächsten Monaten werden wir ein vom BMBF gefördertes Millikelvin-Rastertunnelmikroskop fertigstellen. Dieses Instrument wird es uns ermöglichen, Temperaturen von 10 mK zu erreichen und Elektronenspinresonanz-Experimente durchzuführen. Damit ist es in idealer Weise geeignet, um die Experimente mit den neuartigen Quantensensoren auch in Jülich weiterführen zu können. Wir haben auch viele neue Ideen, wie wir den Quantensensor nutzen und auch weiterentwickeln können. Wir wollen ihn zum Beispiel für die Untersuchung neuer Quantenmaterialien, für Quantensimulationen mit einzelnen Atomen auf Oberflächen und darüber hinaus als mobiles Qubit einsetzen.