In vielen Bereichen unseres Lebens hält künstliche Intelligenz mehr und mehr Einzug, ohne dass es uns bewusst sein muss. Während es definitionsgemäß bei künstlicher Intelligenz im weitesten Sinne um das Nachbilden menschlichen Verhaltens geht, erleben wir künstliche Intelligenz im Alltag meist eingeschränkt auf spezifische Aufgaben oder Optimierungen – sei es in der Voraussage gewünschter Produkte beim Einkaufen, der Erkennung von Verkehrsschildern beim Autofahren, der Klassifizierung von Krankheitsbildern in der Medizin oder der Abschätzung der Restlaufzeit einer Anlage vor einer fälligen Wartung (Predictive Maintenance). Voraussetzung selbst für diese „schwache“ Form von künstlicher Intelligenz sind:
- das Vorhandensein einer großen Menge von Daten, die das Problem (oft implizit) beschreiben („Big Data“),
- in Modelle übertragenes Expertenwissen, mit dem die Daten in (explizit) nutzbare Informationen über das betrachtete System umgewandelt werden sowie
- die automatische Ausführung der eigentlichen Aufgabe oder Optimierung in Form eines Algorithmus (maschinelles Lernen, künstliche neuronale Netze).
Der Wandler im industriellen Bereich
Eck-Daten
Im neuen Forschungsgebiet „Cognitive Power Electronics 4.0“ verbindet das Fraunhofer IISB seine Kernkompetenz im Bereich der leistungselektronischen Systeme mit Data Analytics und künstlicher Intelligenz. Durch diese Integration werden innovative Einsatzmöglichkeiten von intelligenter Leistungselektronik ermöglicht, von der Datenaufnahme und –analyse im Wandler bis zur vorausschauenden Wartung im Zusammenspiel mit der Cloud.
Insbesondere im industriellen Bereich kommen zur Datenerfassung verschiedenste Sensoren zum Einsatz, die jeweils mit Strom versorgt und mit einer übergeordneten Recheneinheit verbunden werden. Die Modelle und Algorithmen sind auf mehr oder weniger leistungsfähigen Rechensystemen hinterlegt und ihre Ausführung findet dort statt – bei komplexen Operationen und/oder großen Datenmengen auch in der Cloud. Bei der Betrachtung eines typischen leistungselektronischen Wandlers, wie beispielsweise eines Wechselrichters oder Antriebsumrichters, ist Folgendes festzustellen:
- Ein Wandler ist immer mit einem (komplexen) System verbunden, zum Beispiel dem Stromnetz oder einem Antrieb.
- Ein Wandler erfasst bereits eine Vielzahl an (elektrischen) Kenngrößen, um seiner Funktion (zum Beispiel der Erzeugung eines gleichmäßigen Motordrehmoments) nachzukommen.
- Ein Wandler besitzt bereits (mehr oder weniger umfangreiche) Rechenkapazität, eben um seine Aufgabe (häufig in Echtzeit) zu erfüllen.
Am Fraunhofer IISB wurde das neue Forschungsfeld „Cognitive Power Electronics 4.0“ etabliert, um leistungselektronische Wandler zu entwickeln, die als intelligente Baugruppe zum Einsatz kommen können, und die in der Lage sind, im Hinblick auf das verbundene System intelligente Entscheidungen zu treffen – nicht zuletzt im Kontext von Industrie 4.0. Anders formuliert: Der typischen Definition von „kognitiven Fähigkeiten“ folgend geht es letztlich um die Frage, ob Merkmale wie „Wahrnehmung“, „Erinnerung“ oder „Lernen“ eben durch eine solche intelligente Leistungselektronik erfüllbar sind – und welche technischen Anwendungen es für derartige wahrnehmende Systeme gibt.
Forschungsfeld Cognitive Power Electronics 4.0
Cognitive Power Electronics 4.0 als flexible und modulare Beschreibung der Fähigkeiten von intelligenter Leistungselektronik zu verstehen. Die verschiedenen Aspekte sind in Bild 1 dargestellt und umfassen die im Folgenden beschriebenen Eigenschaften.
Leistungselektronik als Sensor: In der einfachsten Ausführung fungiert der kognitive Wandler als Datenquelle und sendet Daten an eine übergeordnete Instanz. Bereits mit geringer zusätzlicher Rechenleistung im Wandler lassen sich Daten außerdem vorverarbeiten oder aggregieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, bei Bedarf zusätzliche Sensoren mit dem Wandler zu verbinden. Dieser kann die Sensoren dann einfach mit Strom versorgen und Daten einsammeln, ohne dass am Sensor eine separate Stromversorgung und Datenverbindung notwendig wäre. In der Gesamtheit wird der kognitive Wandler so zur autarken Sensorplattform.
Leistungselektronik als Monitor: Im nächsten Schritt sammelt der Wandler nicht nur Daten, sondern wertet diese selbst in Echtzeit aus. Im einfachsten Fall werden einfache Modelle des verbundenen Systems hinterlegt, die das Überschreiten eines bestimmten Grenzwerts (z.B. in der Stromaufnahme) mit einem Fehlverhalten des Systems korrelieren. Der kognitive Wandler gibt also nicht mehr nur den Sensorwert (in welchem die Fehlerinformation impliziert ist) als solches weiter, sondern die eigentliche Fehlerinformation und überwacht so das angeschlossene System.
Leistungselektronik als Gehirn: Hier fungiert der kognitive Wandler als „Entscheider“, sammelt also nicht nur passiv Daten, und wertet diese aus, sondern trifft datenbasiert intelligente Entscheidungen und steuert das angeschlossene System entsprechend. Gerade im Zusammenspiel mit prädiktiven Ansätzen wird es so möglich, Ausfälle, zum Beispiel eines E-Motors, frühzeitig zu erkennen und diese Erkenntnis dann nicht nur an übergeordnete Instanzen weiterzugeben, sondern den Motor „sanfter“ und beispielsweise mit begrenzter Drehzahl zu betreiben, um den Ausfall hinauszuzögern.
Leistungselektronik als Netzwerk: Spätestens mit dem eben geschilderten Beispiel des „selbst entscheidenden“ Wandlers wird deutlich, dass kognitive Wandler untereinander und insbesondere mit bestehenden Netzwerken und Cloud-Umgebungen zu verknüpfen sind. Nur so lässt sich sicherstellen, dass Entscheidungen nicht unabhängig von anderen Wandlern oder von einer übergeordneten Betriebsstrategie getroffen werden. Zu den Überlegungen für eine funktionierende Systemarchitektur zählt also auch das Maß an Entscheidungsfreiheit auf den verschiedenen Ebenen.
Leistungselektronik als Service: Die Informationen, die im Wandler anfallen, lassen sich nicht nur für kurzfristige Aktionen verwenden, sondern auch für längerfristige Optimierungen. So besteht die Möglichkeit, die Hard- und Software des kognitiven Wandlers rekonfigurierbar auszuführen und individuell an wechselnde Anforderungen der jeweiligen Anwendung anzupassen. Auch lassen sich – basierend auf den Informationen – übergeordnete Betriebs- und Kontrollstrategien entsprechend anpassen.
Anwendungsbereiche des kognitiven Wandlers
Mit den beschriebenen Ansätzen wird eine Vielzahl verschiedener Anwendungsbereiche abgedeckt, die zwar bisher schon in Bearbeitung sind, sich aber durch die kompakte Kombination von künstlicher Intelligenz und Leistungselektronik im kognitiven Wandler einfacher und kostengünstiger realisieren lassen und neue Möglichkeiten hinsichtlich Reaktionsfähigkeit und Vernetzung bieten: Im Bereich der intelligenten elektrischen Energiesysteme können kognitive Wandler zur Regelung und Stabilisierung von Gleichstromnetzen zum Einsatz kommen oder das Zusammenspiel von Quellen, Speichern und Lasten optimieren. In der Fahrzeugelektronik bietet der kognitive Wandler die Möglichkeit, eventuell auftretenden Schlupf im Antriebsstrang zu erkennen oder vorverarbeitete Daten aus dem elektrischen Antriebssystem für autonomes Fahren zu liefern. Als Baustein in der Leistungselektronik für die Luftfahrt bündelt der kognitive Wandler Sensorsignale auf kleinstem Raum. Dort, wo kostengünstige Überwachungsmöglichkeiten gefragt sind, beispielsweise in Infrastruktureinrichtungen, lässt sich der kognitive Wandler ohne zusätzliche Sensorik oder Strom-Messgeräte zur Zustandserkennung einsetzen. Im Kontext von Industrie 4.0 ermöglicht der kognitive Wandler mindestens für Teile von komplexen Anlagen und Systemen Fehlererkennung und ‑prädiktion, vorausschauende Wartung und die Optimierung von Subsystemen.
Analog zu den beschriebenen prinzipiellen Ansätzen von Cognitive Power Electronics 4.0 wurden am Fraunhofer IISB leistungselektronische Systeme verschiedener Leistungsklassen (Bild 2) mit zusätzlicher Intelligenz in Form von integrierten oder verbundenen Mikrocontrollern oder FPGAs versehen. Folgende Beispiele und erste Anwendungen von Cognitive Power Electronics 4.0 wurden bereits getestet.
Überwachung elektrischer Netze
Leistungselektronische Wandler wurden mit zusätzlichen Komponenten ausgestattet, mit denen sie in Erweiterung ihrer eigentlichen Funktionalität zusätzliche Anregungen auf das Netz modulieren können. Der Demonstrationsaufbau hierzu ist in Bild 3 dargestellt. Die Wandler erfassen durch gleichzeitige Strom- und Spannungsmessung die Reaktion des Netzes und können so die Impedanz des jeweiligen Netzzweiges beziehungsweise der dort enthaltenen Komponenten bestimmen. Daraus lässt sich zum Beispiel ableiten, welche Elemente in diesem Netzzweig lokalisiert sind und in welchem Zustand sie sich befinden. Außerdem lässt sich auf die Stabilität des Netzes schließen und bei Bedarf besteht die Möglichkeit, Regelparameter des Wandlers entsprechend anzupassen.
Überwachung einer Wärmepumpe
An einer Wärmepumpe (Bild 4) wurden kontinuierlich elektrische Kenngrößen aufgenommen und in regelmäßigen zeitlichen Abständen als elektronischer Fingerabdruck gespeichert. Durch den Vergleich des ersten „guten“ Fingerabdrucks nach der Installation der Wärmepumpe mit den folgenden elektrischen Signaturen lassen sich auf einfache Art im laufenden Betrieb Abweichungen feststellen. Darüber hinaus wurde ein Modell implementiert, das aus den aufgenommenen elektrischen Größen auf die Temperatur in der Wärmepumpe schließt. Durch die Anwendung dieses Moduls wird eine Übertemperatur im System schneller erkannt als durch eine Temperaturmessung in der Wärmepumpe selbst.
Vorausschauende Wartung an einem Vakuumsystem
Um weitergehende Analysemethoden basierend auf elektrischen Kenngrößen zu evaluieren, wurden Strom- und Spannungsverläufe, sowie weitere relevante Sensorwerte (Stichwort: kognitiver Wandler als Sensorplattform) an einem Vakuumsystem in der Halbleiterfertigung (Bild 5) erfasst und in eine Datenbank gespeichert. Diese Datenbank dient nun zum einen als Quelle für eine internet-basierte grafische Aufbereitung der aufgenommenen Werte zur Kontrolle durch den Anlagenverantwortlichen. Zum anderen läuft in der Cloud ein künstliches neuronales Netz, das die Daten aus der Sensorplattform zur Vorhersage der Wartung am Vakuumsystem nutzt.
Fazit und Ausblick
Aus den anhand der geschilderten Anwendungsbeispiele gemachten ersten Erfahrungen lässt sich weiterer Forschungsbedarf ableiten, der derzeit in verschiedenen FuE-Projekten bearbeitet wird. Darin wird zum einen grundsätzlich untersucht, inwieweit die im Wandler vorliegenden Daten ausreichen, um verbundene Systeme verstehen, steuern und optimieren zu können und ab welchem Komplexitätsgrad die Integration zusätzlicher Sensorik erforderlich wird. Auch die Frage nach der verwendeten Software-Architektur spielt eine wichtige Rolle – zum Beispiel im Hinblick darauf, bis zu welchem Grad ein kognitiver Wandler tatsächlich unabhängig Entscheidungen treffen soll, oder besser übergeordnet, zum Beispiel in der Cloud, koordiniert Entscheidungen getroffen werden. Anwendungsseitig erfolgt die Erweiterung auf Cognitive Power Electronics 4.0 für elektrische Antrieb durch die Nutzung der Daten aus dem Antriebsumrichter für die Motorenüberwachung.
(na)