Bild 1: Optimierung des Produktentwicklungsprozesses durch Vorauslegung mit ZVEI-Modellen.

Bild 1: Optimierung des Produktentwicklungsprozesses durch Vorauslegung mit ZVEI-Modellen. (Bild: Rosenberger Hochfrequenztechnik)

Während die Elektroantriebe der ersten Generation noch in geringen Stückzahlen in existente Fahrzeugplattformen eingearbeitet wurden, werden E-Fahrzeuge der aktuellen Generation um den Elektroantrieb als zentrales Element herum gebaut. Um die Elektromobilität in der Breite im Markt zu etablieren, sind Kaufpreis und Reichweite die ausschlaggebenden Faktoren. Höhere Anforderungen an die Reichweite erhöhen dabei insbesondere Bauraum und Gewicht der HV-Batterie.

Die folglich gestiegenen Anschaffungskosten beim Endkunden erfordern derzeit noch Subventionen, um mit Verbrennern vergleichbare Einstiegspreise anbieten zu können. Oberste Priorität der gesamten Automobilbranche muss daher sein, die Abhängigkeit von Subventionen schnellstmöglich zu beenden. Stellschrauben sind einerseits die Batteriekosten zu senken (hier Out-of-Scope) und andererseits die weitaus geringere Komplexität des E-Antriebsstrangs im Vergleich zu der eines vergleichbaren Verbrenners zu nutzen, um Entwicklungs- und Materialkosten zu senken. Dazu trägt die hier beschriebene Methodik aus dem ZVEI-Leitfaden bei, indem das Einsparungspotenzial an Entwicklungszeit, Materialquerschnitten, Gewicht und Bauraum durch die Auslegung des HV-Bordnetzes mittels standardisierter Systemsimulation aufgezeigt wird.

Produktentstehungsprozess (PEP)

Die Vorteile der Systemsimulation werden beim Blick auf den bestehenden PEP verdeutlicht (Bild 1, oben), der sich in drei Phasen untergliedert. In der Vorauslegung werden die System- und Komponentenlastenhefte erstellt. Je nach Auslegungsgrundlage wird die Startkonfiguration festgelegt. Diese beinhaltet unter anderem die Wahl von Steckverbindern und Meterwaren. Anhand dieser Vorauswahl beginnt die Serienentwicklung in den typischen Entwicklungsphasen A bis D, endend mit dem Start of Production (SOP). Analysiert werden in diesem Beispiel Steckverbinder der HVS-Reihe mit 420 A (HVS 420) und 240 A (HVS 240) Nennstrom. Im Folgenden wird der in der Automobilbranche etablierte Ansatz der zukünftigen Methodik unter Zuhilfenahme von thermischen Netzwerken nach ZVEI-Leitfaden gegenübergestellt (Bild 1, unten). Dies sind Ersatzmodelle einzelner Komponenten, deren Zusammenschaltung in der gesamten Systemumgebung die elektro-thermische Eigenschaften des HV-Bordnetzes beschreibt.

Klassische Vorauslegung zur Wahl von Steckverbindern und Meterware

Bild 2: Kabel- und Steckverbinder-Derating nach DIN 60512-5 und Demonstratoraufbau.

Bild 2: Kabel- und Steckverbinder-Derating nach DIN 60512-5 und Demonstratoraufbau. Rosenberger Hochfrequenztechnik

Das klassische Vorgehen zur Wahl von Steckverbindern und Meterwaren erfolgt in normierten Aufbauten (Bild 2) mittels Derating-Kurve gemäß DIN 60512-5 und Strom-Zeit-Diagrammen, sogenannte TCC-Plots (Time Current Characteristics), die aktuell in keiner allgemein gültigen Norm definiert sind. Eine Derating-Kurve beschreibt die Strombelastbarkeit einer Komponente in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur. Die resultierende Stromtragfähigkeit wird normgemäß mit 0,8 multipliziert, um unter anderem Messunsicherheiten und Exemplarstreuungen abzusichern. Alterungseffekte sind in dieser Norm nicht erwähnt.

Bild 3a: Auslegung einer Stromprofilanforderung.

Bild 3a: Auslegung einer Stromprofilanforderung. Rosenberger Hochfrequenztechnik

In TCC-Plots wird für einmalige Strom-Puls-Belastungen die Zeit bis zum Erreichen der Grenztemperatur angegeben. Für stromführende HV-Kontakte und Kabel beträgt diese werkstoffabhängig häufig 180 °C. Auch hier wird in der Regel der Sicherheitsfaktor 0,8 auf den Strom angewendet. Parameter ist dabei die Umgebungstemperatur. TCC-Plots werden auch zur Bewertung von Stromprofilen verwendet. Dazu wird das Stromprofil des Verbrauchers in Stromintervalle (Bild 3a) unterteilt und in äquivalente Einzelbelastungen zerlegt. Die Dauer einzelner Stromimpulse in diesem Intervall wird entlang des Stromprofils kumuliert. So erhält man die äquivalente Gesamtdauer der Belastung pro Stromintervall. Als Strom wird die obere Intervallgrenze angesetzt. Die äquivalenten Einzelbelastungen wurden als Kreuze nach Strom und äquivalenter Dauer im TCC-Plot eingetragen (Bild 3 rechts). Die Belastbarkeitskurve der Komponenten (Kurven im TCC-Plot) muss über diesen Einzelbelastungen liegen. Mit dieser Auslegung wird die zulässige Maximalbelastung nicht überschritten.

Bild 3b: Auslegung einer Stromprofilanforderung mit kumulierten Werten im TCC-Plot.

Bild 3b: Auslegung einer Stromprofilanforderung mit kumulierten Werten im TCC-Plot. Rosenberger Hochfrequenztechnik

Im Beispiel liegen die kumulierten Einzelwerte des Profils zwischen den 70- und 95-mm2-Kurven der Leitungen und zwischen HVS 240 und HVS 420. Nach klassischer Vorauslegung wird im Beispiel der HVS 420 mit 95 mm2 Leitungsquerschnitt empfohlen.

Durch Belastung mit transienten Stromprofilen an Prüflingen kann der Leitungsquerschnitt in den Musterphasen der Serienentwicklung gegebenenfalls noch auf 70 mm² reduziert werden. Randbedingungen der Systemumgebung wie Wärmesenken lassen sich bei diesem Vorgehen jedoch nicht bewerten. Die Querschnitte der Komponenten sind deshalb nicht bis ans Limit ausgelegt. Schirmströme sind ebenfalls nicht mitbetrachtet. Sie können die Stromtragfähigkeit jedoch mindern.

Vorauslegung mit ZVEI-Modellen

Bild 4: Skizierter Strom- und Wärmefluss des HVS 420 und Ersatzschaltbild des Kontakts.

Bild 4: Skizzierter Strom- und Wärmefluss des HVS 420 und Ersatzschaltbild des Kontakts. Rosenberger Hochfrequenztechnik

Im ZVEI haben in den letzten Jahren einige OEMs und eine Vielzahl von Automobilzulieferern zusammengearbeitet, um im technischen Leitfaden TLF0101 ein Standardformat zum Austausch von Parametern thermischer Netzwerke zu veröffentlichen. Der im System fließende Strom (Bild 4, blauer Pfad) verursacht ohmsche Verluste. Diese Verlustwärme wird thermisch abgeführt (roter Pfad). Das Entwärmungsverhalten lässt sich durch thermische Widerstände und Wärmekapazitäten beschreiben. In Analogie zur elektrischen Schaltungstechnik lässt sich das Entwärmungsverhalten durch thermische Netzwerke modellieren.

Der Leitfaden standardisiert das Vorgehen zur Erstellung der thermischen Netzwerke und definiert die zur Beschreibung der Komponente notwendigen Parameter. Damit lassen sich komplette HV-Systeme, bestehend aus Leitungen und Steckverbindern, nachbilden. Ziel ist es, dass in naher Zukunft für alle Komponenten abgeleitete Ersatzschaltbilder als Bausteine für thermische Gesamtmodelle verfügbar sind.

Zum Generieren der Übergabeparameter wird das thermische Netzwerk der Komponente vereinfacht, indem Teilkomponenten sinnvoll mit Methoden der Netzwerktheorie zusammen­gefasst und damit abstrahiert werden. Details und somit das Know-how der Hersteller müssen nicht offengelegt werden. Die Verifizierung der übermittelten Parameter kann anhand eines zusätzlich übermittelten Prüfstromprofils durchgeführt werden.

Die Vorhersagegenauigkeit der vereinfachten Übergabemodelle liegt im Bereich der experimentellen Messunsicherheit. In der Praxis weichen die Ergebnisse bei 120 °C Temperaturhub im einstelligen Prozentbereich voneinander ab. Beim untersuchten Stromprofil liegt die Abweichung am Kontaktbereich des HVS 420 lediglich bei einem Prozent.

Im Vorentwicklungsprozess ermöglicht die Systemsimulation bereits bei der Lastenhefterstellung eine exaktere Dimensionierung gegenüber der klassischen Vorauslegung. Unter Berücksichtigung der Einbausituation können transiente Stromprofile gerechnet und Verlustleistungen und Temperaturen ortsaufgelöst analysiert werden. Durch die vorgelagerte Optimierung kann die Entwicklungszeit in der Phase der Serienentwicklung sicher eingehalten und gegebenenfalls reduziert werden. Elektro-thermische Systemantworten der Komponentenmodelle können ohne konstruktive Details herausgeben zu müssen, softwareunabhängig ausgetauscht werden.

Optimierungspotenziale für HV-Bordnetze

Bild 5: Demonstrator-Aufau

Bild 5: Demonstrator-Aufbau Rosenberger Hochfrequenztechnik

Bild 6: Einfluss des Aggregats bei der Auslegung.

Bild 6: Einfluss des Aggregats bei der Auslegung. Rosenberger Hochfrequenztechnik

Zur Analyse des Einflusses von Aggregaten auf die Steckverbinder- und Kabeldimensionierung haben Rosenberger und Leoni einen Demonstrator entwickelt (Bild 5). Das Aggregat stellt eine Wärmesenke im HV-Bordnetz dar. Analog zum beschriebenen Vorgehen wurde ein thermisches Netzwerk aufgebaut und abgeglichen.

Wird das transiente Stromprofil aus Bild 3 bei Raumtemperatur als Eingangsgröße in diesem Modell verwendet, zeigt sich der Einfluss des Aggregats. Untersucht wurde zunächst die Dimensionierung nach klassischer Vorauslegung (Bild 6). Das Ergebnis zeigt, dass die Maximaltemperatur im Netzwerk eine erhebliche Reserve in Bezug auf die Grenztemperatur besitzt. Das Netzwerk ist deutlich zu konservativ ausgelegt. Durch sukzessive Querschnittsreduktion und Vergleich der Steckverbinder wird so das Optimierungspotenzial deutlich. Im Vergleich zur klassischen Auslegung, bei der ein HVS 420 mit 95 mm² Leitungsquerschnitt verwendet wurde, konnte durch die neue Methodik unter Verwendung des HVS 240 mit 50 mm² eine Volumen- und Gewichtseinsparung von knapp 30 Prozent erzielt werden (Tabelle). Der Kabelquerschnitt konnte um knapp 50 Prozent verringert werden.

Während die thermische Beschreibung von Leitungen und Steckverbindern definiert ist, stellt dies bei HV-Aggregaten noch eine Herausforderung dar. Ein analoger Ansatz zur Übergabe vereinfachter Modelle mittels Parametersätzen ist jedoch beim ZVEI bereits in Arbeit.

Potenzial des ZVEI-Ansatzes

Die Gegenüberstellung der beiden Auslegungsmethoden zeigt das Potenzial des ZVEI-Ansatzes. Die Systemsimulation ermöglicht im gezeigten Beispiel einer gekühlten Komponente eine Querschnittsreduktion der Leitungen um knapp 50 Prozent. Durch Anwendung des neuen Designprozesses konnte die Verwendung eines deutlich kleineren Steckverbinders empfohlen werden, resultierend in einer Reduktion von Einbauvolumen und Gewicht des Steckverbinders um knapp 30 Prozent.

Der große Vorteil liegt in der Dimensionierung der Komponenten weit vor Beginn der Serienentwicklung. Mittels applikationsspezifischer Simulationsmodelle lässt sich die unmittelbare Temperaturantwort berechnen. Die Lasthistorie wird somit berücksichtigt, wodurch das ungenaue Kumulieren von Strömen vermieden wird. Dabei schützt der Modellaustausch nach ZVEI das Know-how der kooperierenden Unternehmen und funktioniert softwareunabhängig. Ist diese Methode in der Zulieferkette etabliert, resultiert sie langfristig in der Serien- und in der späteren Derivateentwicklung in kürzeren Entwicklungszeiten. Im gesamten Produktentstehungsprozess ist eine Reduktion der Entwicklungs- und Produktkosten möglich.

E-Mobility: Batterie und Sicherheit

ae_emobility_batterie_940x250.jpg
(Bild: AdobeStock_277540900)

Wie entstehen bessere E-Auto-Batterien und sind sie sicher? Bewährte und neue Batterietechnologien von Entwicklung bis Recycling, Brandschutz von Simulation über Materialien bis Batteriemanagement und Safety-Konzepten, sowie Testverfahren von EMV bis Sicherheit. Die Technologien dahinter finden Sie hier.  

Peter Schupfner

Research & Development, Thermal Design Expert bei Rosenberger Hochfrequenztechnik

Michael Dauer

Simulation Expert bei Leoni Bordnetz Systeme

Christian Dandl

Research & Development, Mechanical Design bei Rosenberger Hochfrequenztechnik

(na/neu)

Schwerpunktthema: E-Mobility

ae_schwerpunkt_940x250.jpg
(Bild: Adobe Stock, Hüthig)

In diesem Themenschwerpunkt „E-Mobility“ dreht sich alles um die Technologien in Elektrofahrzeugen, Hybriden und Ladesäulen: Von Halbleitern über Leistungselektronik bis E-Achse, von Batterie über Sicherheit bis Materialien und Leichtbau sowie Test und Infrastruktur. Hier erfahren Sie mehr.

Sie möchten gerne weiterlesen?

Unternehmen

Rosenberger Hochfrequenztechnik GmbH & Co. KG

Hauptstraße 1
83413 Fridolfing
Germany