Die zunehmende Anzahl von Sensoren, die Input für die entscheidungsfindenden Einheiten der Fahrerassistenz-Systeme (Advanced Driver Assistance Systems, ADAS) oder der automatisierten Fahrsysteme (Automated Driving Systems, ADS) liefern, treibt die Komplexität von Simulation und Test auf ein bisher nicht gekanntes, außerordentlich hohes Niveau. Die Validierung solcher Systeme lässt sich deshalb nicht mehr – anders als im mechanischen Zeitalter – allein auf der Straße durchführen: Die Autos müssten Milliarden von Testkilometern auf der Straße zurücklegen, um die korrekte Funktionsweise von ADAS- oder ADS-systemen zu bestätigen. Deshalb werden schon früh im Entwicklungszyklus Software-Simulations-Tools eingesetzt, um die Funktionalität von ADAS zu entwickeln und zu testen (Bild 1).
Obwohl die Simulation der zugrundeliegenden Sensoren, der Fahrzeugdynamik und der Witterungsbedingungen, gepaart mit 3D-Fahrszenarien, bei der Entwicklung und Erprobung große Vorteile bietet, gibt es ein Element, das noch benötigt wird, um den Validierungsprozess abzuschließen: reale Straßentests. Dieser letzte Schritt im Validierungsprozess ist erforderlich um sicherzustellen, dass die gesamte Kette von Signalen aus der realen Welt wie zum Beispiel Radarreflexionen über physikalische Sensoren und Steuergeräte bis hin zu deren Software-Algorithmen als eine Einheit validiert wird.
Neuere Studien der großen Automobilverbände – des AAA in den USA und des ADAC in Deutschland – haben gezeigt, dass ADAS-Funktionen wie Spurhaltung oder Notbremsassistenz in genau definierten Bereichen wie Teststrecken gut funktionieren, aber unter realen Bedingungen überraschend oft versagen. Eine offensichtliche Methode zur Verbesserung der Zuverlässigkeit von ADAS-Systemen besteht darin, die Anzahl der auf privaten und öffentlichen Straßen gefahrenen Testkilometer zu erhöhen. Leider ist dieser Ansatz weder wirtschaftlich noch reproduzierbar; er kann sogar gefährlich sein, wie einige Ausnahmefälle gezeigt haben. Reine Software-Simulationslösungen können die reale Verkehrswelt jedoch nur bedingt nachbilden. Deshalb wird eine Lösung benötigt, die wiederholbare Tests unter realen Bedingungen im Labor ermöglicht, um diese Testlücke zu schließen (Bild 2).
Konzeptionelle Vorgaben für die Testplattform
Bislang gibt es kein Testsystem, das an die realen Bedingungen heranreicht. Ein Grund dafür liegt darin, dass die Emulation von Signalen aus der realen Welt in der Praxis so komplex ist wie die Realität selbst. Heutige Radarzielsimulatoren haben zum Beispiel schon Schwierigkeiten damit, ein einfaches Szenario zu emulieren, bei dem ein konstanter Fluss von Autos an einer Kreuzung vorbeifährt. Diese Herausforderung – die zeitsynchrone Sensorstimulation für die ADAS-Funktionen eines Fahrzeugs – gilt es zu lösen. Dazu gehören alle Sichtsensoren wie Kamera, Radar und Lidar sowie nicht-sichtgebundene V2X-Kommunikationssysteme.
Mit Blick auf die Automobilindustrie hat der Messtechnik-Hersteller Keysight Technologies das Konzept einer praxistauglichen Sensoremulationslösung entwickelt: Die ADE-Plattform (Autonomous Drive Emulation). Diese Plattform ermöglicht die Erzeugung realer Over-the-Air-Signale, die ein einzelnes ADAS-Steuergerät oder ein komplettes Fahrzeug stimulieren, genau wie reale Signale. Dabei war von Beginn an klar, dass die Grenzen der bisherigen Emulationssysteme weit überwunden werden müssen. Ein Beispiel: Die heutigen Radarzielsimulatoren kommen im Hinblick auf die Zahl der zu emulierenden Objekte, die Mindestabstandsanforderungen, die ebenen Flächen und die Winkelauflösung nicht annähernd an einfache Szenarien aus der realen Welt heran.
Auf der anderen Seite würde eine reine Sensorstimulationsplattform allein das Problem nicht lösen. Wie bereits erwähnt gibt es mehrere Software-Simulationstools, die zu Beginn des Entwicklungszyklus eingesetzt werden, um die ADAS-Funktionalität zu testen, beispielsweise die Erstellung von Fahrszenarien einschließlich der Modellierung der Fahrzeugdynamik. Jeder Ausrüster (OEM) verwendet Software-Simulationstools verschiedener Hersteller sowie sein eigenes bevorzugtes Hardware-in-the-Loop-System (HIL). Es ist offensichtlich, dass die ADE-Plattform für die Integration mit jedem HIL und jedem 3D-Modellierungstool offen sein muss, um die von den Kunden bereits getätigten Investitionen zu schützen. Aus diesem Grund haben Keysight Technologies, IPG Automotive und Nordsys eine mehrjährige Zusammenarbeit begonnen, um eine High-Fidelity-ADE-Plattform zur Emulation realer Fahrszenarien zu schaffen.
IPG Automotive ist auf dem Gebiet der virtuellen Fahrversuche tätig und entwickelt Soft- und Hardware-Lösungen für autonome Fahrzeuge, ADAS, E-Mobilität, Real Driving Emissions (RDE) und Fahrdynamik. Entsprechend dem Ansatz des Automotive Systems Engineering ermöglicht der virtuelle Fahrversuch die nahtlose Entwicklung, Kalibrierung, Erprobung und Validierung ganzer Systeme im Gesamtfahrzeug in realistischen Szenarien.
Nordsys ist ein Software-Entwickler für software-gesteuerte Anwendungen mit Schwerpunkt in der Automobilindustrie. Das Unternehmen entwickelt Software-Architekturen für V2X-Kommunikation und bietet einen V2X-Software-Stack sowie Hard- und Software-Produkte auf V2X-Basis an.
Wie ist die ADE-Plattform aufgebaut?
Die High-Level-Architektur der ADE-Plattform zeigt Bild 3. Die Spalte „Scenario“ repräsentiert 3D-Szenario-Modellierungs-Werkzeuge, einschließlich des physikalischen Modells des Ego-Cars, zum Beispiel CarMaker von IPG Automotive oder WaveBee Creator von Nordsys. ADE unterstützt nicht nur traditionelle Verkehrs- und Fahrszenarien, sondern auch V2X-Kommunikationszenarien, einschließlich der V2X-Anwendungsfälle der ersten Stunde.
Im mittleren Abschnitt von Bild 3 ist die Sensorstimulations-Engine von Keysight dargestellt. Unter Verwendung von Standard-Schnittstellen der 3D-Szenario-Modellierungs-Werkzeuge entwickelte Keysight spezifische Algorithmen (beispielsweise für Radar), um die entsprechenden Hardware-Elemente (beispielsweise Antennen-Arrays) für die Over-the-Air-Stimulation des zu testenden Systems anzusteuern. Es sind Algorithmen vorhanden, die sicherstellen, dass die Sensorstimuli zeitsynchronisiert sind, so dass ein realitätsnahes „Bild“ für die Vielzahl der Kfz-Sensoren entsteht. Das zu prüfende System kann entweder eine einzelne elektronische Steuereinheit (ECU) oder eine beliebige Kombination von ECUs sein.
Schließlich steuert ein kommerzielles HIL-System den gesamten Testaufbau, von der Sensor- und Aktuatorebene bis zurück zu den 3D-Szenario-Modellierungs-Engines. Mit diesem Ansatz kann der im Fahrzeug verwendete Sensoraufbau in einem geschlossenen Regelkreis im Labor getestet werden, wobei vorhandene Fahrszenarien genutzt werden.
Was ist die Zielsetzung des ADE-Konzepts?
Das Konzept dieser High-Fidelty-ADE befindet sich derzeit in der Entwicklung, einschließlich neuartiger Ansätze zur Stimulierung von Fahrzeugsensoren, damit sie der „realen Sensorerfahrung“ entsprechen. Weitere führende OEMs haben sich mit Keysight, IPG Automotive und Nordsys zusammengetan, um einen frühen Zugang zu dieser Technologie zu erhalten und wertvolles Feedback zu geben. Neben einer hohen Hebelwirkung für bestehende Testszenarien und Investitionen in die Infrastruktur wie HIL und 3D-Modellierung bringt dieses ADE die Straße ins Labor und ermöglicht es den OEMs, Testfahrten mit realen Sensoren im Labor durchzuführen. Integriert mit einer Testautomatisierungsplattform kann ADE nicht nur zur Validierung, sondern auch zur laufenden Verbesserung der ADAS-Funktionen und für Regressionstests eingesetzt werden.
Die ADE-Plattform im Video
(dw)
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