Die Entwicklungen in der Leistungselektronik sind immens. Schaltende Halbleiterbauelemente wie bipolare Leistungstransistoren, Leistungs-MOSFETs, Thyristoren, IGBTs, Triacs und Leistungsdioden sorgen für die effiziente Umformung elektrischer Energie. Die Leistungsdichte wird auf immer kleinerer Fläche kontinuierlich erhöht. Durch den Wegfall von mechanischen Schaltvorgängen sind Halbleiterschalter hochrobust und auch für Anwendungen bei erneuerbaren Energien und in der Elektromobilität geeignet. Sie finden sich u.a. in DC/DC-Wandlern, Umrichtern und Frequenzumrichtern oder in der Steuer- und Ladeelektronik von Batteriemodulen.
Die Endkontrolle ist neu gefordert
In der Fertigung und der Qualitätskontrolle führen diese Entwicklungen allerdings zu neuen Herausforderungen. Axel Eschenburg, Leiter der Produktentwicklung im Geschäftsbereich Neue Produkte von Viscom, nennt ein Beispiel: „Bei Systemen mit Halbleitertransistoren, die Leistungen von 100 kW und mehr schalten, stellen sich hohe Anforderungen an die elektrische und thermische Anbindung. Solche Bauteile werden flächig verlötet und mit Kühlkörpern verbunden, um die Abwärme ausreichend abführen zu können. Die Qualität dieser Verbindung ist entscheidend für die Wärmeableitung und damit die schaltbare Leistung. Hier ist die Endkontrolle neu gefordert.“ Eine besondere Herausforderung ist dabei die Prüfung flächig verlöteter Bauteile mit verdeckten Lötstellen, bei denen eine optische Kontrolle nicht mehr möglich ist. Außerdem führt die Montage an Kühlkörpern und in Gehäusen oft zu großen und schweren Prüfobjekten. Hier sind optische Prüfverfahren oder elektrische Funktionsprüfungen nicht mehr ausreichend.
Probleme durch Gaseinschlüsse
Blasenförmige Gaseinschlüsse in Lötstellen, sogenannte Voids sind eine große He-rausforderung. Insbesondere in der Leistungselektronik wirken Voids als problematischer Isolator – sowohl elektrisch als auch thermisch. Zu viele Voids gefährden die Wärmeabfuhr und können die Festigkeit der Lötstelle verringern, was in Folge zu Leistungseinschränkungen und Bauteilschädigungen führen kann. Die Belastbarkeit und Zuverlässigkeit der Baugruppe über die gesamte Produktlebenszeit ist dann nicht mehr gewährleistet.
Bedrahtete Bauelemente wie Steckverbinder, größere Schalter, Elektrolytkondensatoren, Leistungsspulen und Leistungshalbleiter werden häufig mittels Durchsteckmontage (THT) befestigt. Hier reduzieren Gaseinschlüsse beziehungsweise ein nicht ausreichender Füllgrad die mechanische und elektrische Zuverlässigkeit der Bauelemente.
Mit der automatisierten optischen Inspektion (AOI) werden Voids nicht erkannt. Auch bei elektrischen Funktionsprüfungen kann das Testergebnis fehlerfrei sein, obwohl die Lötverbindung durch Voids nicht langzeitstabil und die Produktsicherheit gefährdet ist. Erst eine dreidimensionale Röntgenprüfung zeigt die Lage und Verteilung von Gaseinschlüssen. Voids können im Randbereich einer Lötverbindung unproblematisch sein, während sie an den Hotspots, also an den kritischen Stellen mit der größten Wärmeproduktion, ein beträchtliches Risiko für die notwendige Wärmeableitung darstellen.
Mehr Rechenpower
Die Röntgenprüfung ist seit vielen Jahren ein zuverlässiges Verfahren, um Lötverbindungen zu untersuchen. Laut Eschenburg sind inzwischen hochauflösende und rauscharme Röntgendetektoren auch in Seriengeräten verfügbar, die Viscom als Flat-Panel-Detektoren einsetzt. Als einen zweiten Entwicklungsfortschritt nennt er die verbesserte Rechenleistung zur Auswertung, die heute als Standardtechnik integrierbar ist. Die Rechner nutzen neben dem Hauptprozessor (CPU) auch den Grafikprozessor (GPU), um Rechenaufgaben zu parallelisieren und so erheblich zu beschleunigen. Die Fortschritte ermöglichen automatisierte Inline-Röntgensysteme (AXI) mit kürzeren Belichtungszeiten und schnelleren Auswertungen auch bei hochwertigen 3D-Rekonstruktionen.
Die Prüfung der Leistungselektronik erfolgt im geschlossenen Röntgensystem, was eine weitere Anforderung an das Handling speziell bei schweren, massiven und großen Baugruppen mit sich bringt. Häufig ist die Leiterplatte in einem komplexen Produkt wie einem Motorsteuergerät integriert. Hier werden nach außen gehende Stecker für die elektrische Anbindung verbaut. Schlechte oder unvollständige Lötstellen führen im Betrieb schnell zu Funktionsstörungen. Das erfordert auch bei größeren Geräten eine Röntgenprüfung, da andere Prüfmethoden nicht geeignet sind.
Verkürzte Systemeinführung
„Wir können nun die Röntgenprüfung auch bei großen und schweren Objekten automatisiert und taktgerecht inline durchführen“, so Eschenburg. Dafür wurde für das neue Röntgensystem X8068 SL ein Beladesystem für Werkstückträger-verbundene Transportsysteme konstruiert.
Damit werden bis zu 15 kg schwere Objekte mit dem Werkstückträger automatisch in die Röntgenkabine transportiert: „Wir haben eine standardisierte Lösung für nicht standardisierte Prüfobjekte gesucht, um Objekte mit diversen Geometrien auf gängige Werkstückträger in Größen bis zu 400 mm x 400 mm oder 480 mm x 320 mm prüfen können.“
Der wichtigste Vorteil dieser Lösung ist die Integration des Beladesystems in die Röntgenanlage. Die Beladung ist für die bessere zeitliche Steuerung direkt in die Anlagensteuerung eingebunden. Außerdem wird das Röntgensystem durch eine Standardschnittstelle mit dem Band-transfersystem der Elektronikfertigung verbunden, um den voll-automatisierten Transport der Werkstückträger zu ermöglichen.
In der Praxis hat jeder Hersteller von elektronischen Baugruppen sehr unterschiedliche Anforderungen an die automatisierten Prozesse. Die Integration eines neuen Röntgensystems in die Fertigung ist deshalb immer ein kundenspezifisches Projekt. Um die Dauer solcher Projekte zu verkürzen, hat Viscom fertige Konstruktionen für verschiedene Warenträger verfügbar.
First-Pass-Yield wird verbessert
Eine Funktion, deren Nutzen aus Sicht von Eschenburg häufig noch unterschätzt wird, ist die Vernetzung der einzelnen Prüfsysteme entlang der Fertigungslinie. Er verweist auf die Zeit und Mühe, die aufgewendet wird, um die richtige Lotpaste auszuwählen sowie die Pastenmenge und den Pastendruck richtig einzustellen.
Durch die Lotpasteninspektion wird dann überprüft, ob sich die Paste an den Stellen befindet, wo sie gebraucht wird. Wenn ein Pastendepot von der Norm abweicht, kann dies trotzdem unproblematisch sein. Mit der Vernetzung der Prüfsysteme lässt sich eine solche Abweichung an die nächsten Prüftore weiterleiten und prozessbegleitend überwachen.
„Auffälligkeiten aus der Lotpasteninspektion oder der automatisch optischen Inspektion können bei der Auswertung der Röntgenprüfung berücksichtigt werden. Wird zum Beispiel eine Toleranzabweichung unverändert bestätigt, lässt sich gegebenenfalls ein Echtfehler ausschließen. Der Prozessvorteil: Die Zahl der Pseu-dofehler wird automatisch weiter reduziert und Schlupf vermieden. Der First-Pass-Yield lässt sich so spürbar verbessern, ohne dass das Schlupfrisiko steigt“, nennt Eschenburg einen entscheidenden Vorteil. „Alle Daten sind im Blick: Die Verifikation wird vereinfacht, die Kosten werden reduziert und die Prozessstabilität wird erhöht.“
Abschließend gibt der Entwicklungsleiter für neue Produkte noch einen Einblick in bevorstehende Entwicklungsschritte. Demnach will Viscom mit Deep Learning und Künstlicher Intelligenz die Automatisierung weiter vorantreiben. Als erstes Projekt soll KI den Maschinenbediener bei der Verifikation unterstützen. Bei der Verifikation der Prüfergebnisse braucht man zunächst viele Daten, das heißt Bilder aus dem Feld, um sogenannte Klassifikatoren zu trainieren, die anschließend mit zusätzlichen Bildern validiert werden. Dabei kann die KI schrittweise mehr und mehr Aufgaben übernehmen: Wird anfänglich der Operator mit den KI-Ergebnissen bei der Verifikation unterstützt, kann die KI nach entsprechend erfolgreicher Validierung für bestimmte Bauteile automatisch verifizieren.
Astrid Sassen
(pg)