Deutsche und norwegische Forscher haben mithilfe künstlicher Intelligenz die Ursachen für alltägliche Schwankungen im Stromnetz gefunden.

Deutsche und norwegische Forscher haben mithilfe künstlicher Intelligenz die Ursachen für alltägliche Schwankungen im Stromnetz gefunden. (Bild: AdobeStock_327676918)

Wer im Frühjahr 2018 morgens den Zug erwischen musste, erlebte eine böse Überraschung: Viele digitale Uhren zeigten die Zeit über Wochen hinweg mit einer Verspätung von bis zu sechs Minuten an. Grund dafür war eine extreme Abweichung der Netzfrequenz im europäischen Stromnetz. Viele digitale Uhren nutzen die Netzfrequenz als Taktgeber, was bei Abweichungen vom Richtwert eben zu Verspätungen führt.

Im Stromnetz drehen sich die Generatoren mit etwa 50 Umdrehungen pro Sekunde und erzeugen so die Netzfrequenz von 50 Hz. Ein komplexes System von Messungen und Regelkraftwerken sorgt dafür, dass dieser Richtwert eingehalten wird. Langfristige Abweichungen bringen also nicht nur Uhren durcheinander, sondern belasten auch dieses Regelsystem. Kurzfristige extreme Abweichungen, etwa durch den Ausfall von Kraftwerken, können zu weitreichenden Stromausfällen führen. Doch solche Ereignisse sind selten. Kleinere Abweichungen hingegen lassen sich alltäglich beobachten, sind aber ebenfalls risikoreich. Denn sie verbrauchen die Reserven im Regelsystem, die eigentlich für die seltenen Fälle notwendig sind, wenn ein Kraftwerk ausfällt. Außerdem verursacht der Verbrauch von Reserven durchgehend Kosten für Betreiber und damit auch für Stromkunden. Daher ist es wichtig, auch diese alltäglichen Abweichungen zu verstehen, also herauszufinden, was die Risiken und Treiber dieser alltäglichen Abweichungen sind.

Die Black-Box der künstlichen Intelligenz

Um dieser Frage nachzugehen, haben die Forscher in der im Journal Patterns veröffentlichten Studie die Methoden der künstlichen Intelligenz eingesetzt. Dies bot sich an, da sich in den letzten Jahren eine große Menge an öffentlich zugänglichen Daten über das Stromsystem angesammelt haben. Doch die Analyse der Netzfrequenz mithilfe von KI birgt einen Nachteil: Aktuelle KI-Methoden sind meist Black-Boxen: Wie die KI zu Entscheidungen und Vorhersagen kommt, bleibt im Verborgenen. Daher lässt sich die Netzfrequenz zwar vorhersagen und modellieren, aber daraus können keine neuen Erkenntnisse gezogen werden. Um die Black-Box zu öffnen, werden weltweit Methoden entwickelt, um KI-Modelle transparenter zu machen. Mit diesen Methoden ließen sich nicht nur drohende Frequenzabweichungen vorhersagen, sondern auch die grundsätzlichen Risikofaktoren waren identifizierbar, weil verstanden wurde, was die KI bei ihren Diagnosen als relevant erachtet hat.

Die Netzfrequenz zeigt die Balance von Erzeugung und Verbrauch in einem Stromnetz an (a). Mit transparenten Methoden der KI wurde untersucht, was die Risikofaktoren für Schwankungen der Netzfrequenz sind (b), also welche Effekte die Frequenz abschwächen (blaue Pfeile) und welche sie erhöhen (rote Pfeile).
Die Netzfrequenz zeigt die Balance von Erzeugung und Verbrauch in einem Stromnetz an (a). Mit transparenten Methoden der KI wurde untersucht, was die Risikofaktoren für Schwankungen der Netzfrequenz sind (b), also welche Effekte die Frequenz abschwächen (blaue Pfeile) und welche sie erhöhen (rote Pfeile). (Bild: Forschungszentrum Jülich / Johannes Kruse)

Große Unterschiede zwischen den Stromnetzen

Beispielsweise wurde gezeigt, dass falsche Vorhersagen der Stromnachfrage- und -erzeugung ein großes Risiko darstellen, vor allem in Skandinavien. In Zentraleuropa sind hingegen die Fahrpläne der konventionellen Kraftwerke sehr relevant, also wie sie ihre Leistung hoch- und runterfahren, während im britischen Netz vor allem die Windstromerzeugung und hohe Strompreise mit erhöhtem Risiko einhergehen. Solche Ereignisse lassen sich benutzen, um gezielt Schwachstellen im jeweiligen Stromsystem zu identifizieren und Lösungen vorzuschlagen, um Kosten zu senken und die Stabilität weiter zu verbessern.

Im Gegensatz zu etablierten Modellen, funktioniert das transparente KI Modell der Autoren nur auf Basis von historischen Daten – ohne zusätzliche Annahmen über technische Details des Stromnetzes. Die Autoren erhoffen sich deshalb, dass ihre Studie die Anwendung solch transparenter KI Methoden im Energiesektor weiter beschleunigt. Damit wäre das Stromsystem besser vorbereitet, wenn die Uhren wieder einmal falsch gehen oder extreme Ereignisse die Stabilität der Stromversorgung bedrohen.

Die Autoren der Studie „Revealing drivers and risks for power grid frequency stability with explainable AI” im Data-Science-Magazin „Patterns” sind Johannes Kruse (Forschungszentrum Jülich), Benjamin Schäfer (Norwegische Universität für Umwelt- und Biowissenschaften) und Dirk Witthaut (Forschungszentrum Jülich).

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