
25 Jahre EE-Kolleg – ein süßes Stück Technikgeschichte. Mit Torte, Teamgeist und einem Augenzwinkern feierten die Teilnehmer ein Vierteljahrhundert voller Elektronik, Erfahrungsaustausch und ehrlicher Diskussionen. (Bild: Petra Gottwald / Redaktion all-electronics)
Können Sie sich noch erinnern, was am 3. April 1998 oder besser gesagt vor 25 Jahren war? Helmut Kohl unterlag Gerhard Schröder in der Bundestagswahl 1998 deutlich, Frankreich wurde im eigenen Land Fußballweltmeister und Celine Dion sang „My heart will go on“.
Aus diesem Grund eröffnete Ulf Oestermann (Fraunhofer IZM) das 25. EE-Kolleg 2025 mit einem sehr persönlichen Rückblick: Im Jahr 1998 – während andere bereits erste berufliche Stationen in der Elektronikindustrie machten – war er noch Fahrradkurier in Berlin. Mikrosystemtechnik hatte er zwar studiert, doch der direkte Einstieg in die Branche ließ auf sich warten. Stattdessen verdiente er sein Geld mit dem Ausliefern von Bauplänen durch die Hauptstadt – schnell, effizient und in bar.
Sein späterer Weg in die Elektronik kam nicht geradlinig, aber geprägt von Neugier, Zufällen und dem Wunsch, Technik greifbar und besser zu machen. In dieser Zeit formte sich auch sein Interesse für Aufbau- und Verbindungstechnik (AVT) – und für das, was passiert, wenn Prozesse nicht ganz so laufen wie geplant.

Mit dieser Haltung – praxisnah, kritisch und immer mit einem Augenzwinkern – begrüßte er die Teilnehmenden des diesjährigen EE-Kollegs. Sein Appell: Warum warten, bis Fehler passieren? Warum nicht von Anfang an Prozesse verstehen, Materialverhalten analysieren und gezielt gegensteuern?
Die etwas mehr als 100 Teilnehmer erwartete daher nicht nur spannende Fachvorträge, sondern auch praxisorientierte Diskussionen rund um Qualität, Fertigung und Zukunftstechnologien in der Elektronik. Und natürlich kam auch das Netzwerken nicht zu kurz: Gute Gespräche in lockerer Atmosphäre und auf Augenhöhe. Ganz im Sinne von Ulf Oestermann: „Ankommen, auflockern, mitdenken.“

Wer dachte, das Kolleg beginnt gemütlich, lag falsch – der erste Vortrag haute direkt einen AVT-Brocken auf den Tisch. Die angekündigten Schritte „Ankommen und Auflockern“ hatten die Programmverantwortlichen kurzerhand übersprungen – stattdessen gab’s direkt Technik auf die Zwölf. Mein Hirn kramte noch verschlafen in den Tiefen meines Halbwissens über additive Fertigung, während vorne schon mit Fachbegriffen jongliert wurde. Aber ich war nicht die Einzige, der es um halb neun morgens so ging: Um mich herum sah man viele, die noch zwischen Kaffeebecher und Notizblock pendelten – wach genug, um zu nicken, aber noch nicht ganz bereit für die Untiefen der Leiterbahnen.
Additive Fertigung: Anwendungen und Fortschritte
Los ging es mit Pascal Schläpfer von der IST AG, der die spezifischen Anforderungen an die Aufbau- und Verbindungstechnik (AVT) bei der Integration additiv gefertigter Sensoren präsentierte. Die Technologien reichen von Temperatur- über Fluss- bis hin zur Leitfähigkeitssensorik. Additive Verfahren wie Siebdruck oder Aerosoldruck werden gezielt eingesetzt, um geometrische Freiheiten zu gewinnen oder Zuleitungen direkt in das Sensordesign zu integrieren. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Einfluss der AVT, die nicht nur die Genauigkeit beeinflusst, sondern in vielen Fällen erst die eigentliche Funktionalität des Sensors ermöglicht.

Beispiele aus der Praxis reichen von Hochtemperatursensoren bis zu ultraschnellen Heizelementen für die Materialanalytik. Immer wieder zeigt sich: Die größte Herausforderung liegt nicht im Messen an sich, sondern im Verständnis des Anwendungskontexts. Statt reiner Messgrößen rückt zunehmend der Zustandsbezug in den Fokus: Ist das Medium korrekt gemischt? Ist das Waschmittel richtig dosiert? Stimmt die Zusammensetzung des Atemgases?
Anschließend erläuterte Dr. Kay Reuter vom Fraunhofer IFAM den aktuellen Stand der Technik und stellte Anwendungsbeispiele für die additive Fertigung mittels Siebdruck vor. Diese Vorträge verdeutlichten das Potenzial der additiven Fertigung, komplexe Bauteile effizient und ressourcenschonend herzustellen.

Elektronikentwicklung – effizient, datenbasiert und nachhaltig. (Bild: Petra Gottwald / Redaktion all-electronics)
Design for Excellence: KI, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit
Sebastian Schaal von Luminovo zeigte, wie „Design for Excellence“ über reine Funktionalität hinausgeht: Es geht um frühzeitige, datenbasierte Kostenoptimierung entlang der gesamten Elektroniklieferkette. Er fordert vernetzte, API-fähige Systeme mit Echtzeitinformationen sowie KI-gestützte Werkzeuge, um Prozesse zu automatisieren, Risiken zu senken und nachhaltiger zu entwickeln. KI hilft dabei, komplexe Dokumente zu analysieren, Lieferketten zu bewerten und datengetriebene Entscheidungen zu ermöglichen – als Schlüssel zu effizienter, digitalisierter Elektronikentwicklung und Produktion.

Wenn mikroskopische Flecken Alarm schlagen
Materialanalysen helfen, versteckte Qualitätsprobleme in der Elektronikfertigung sichtbar zu machen – oft bevor gravierende Schäden entstehen. Viktoria Rawinski zeigte auf, wie scheinbar harmlose Oberflächeneffekte wie Flecken, Verfärbungen oder Kondensate auf tieferliegende chemische Defizite hindeuten: unvollständige Polymerisation, mangelhafte Vernetzung oder überschüssige Fotoinitiatoren. Spektroskopie deckt diese „molekularen Fingerabdrücke“ auf und zeigt, wo Prozesse gestört oder zu stark optimiert wurden. Frühzeitige Analyse verhindert spätere Ausfälle. Entscheidend ist dabei weniger das Equipment als die Erfahrung bei Interpretation. Fazit: Kleine Ursachen, rechtzeitig erkannt, verhindern große Schäden – und erinnern uns, dass selbst die Titanic an einem Detail gescheitert ist.

Ihr neuer Mitarbeiter – der schlaue Klaus
Haben Sie in der Fertigung genügend Personal bzw. wollen sie diese entlasten? Dann kommen Assistenzsysteme ins Spiel. Wolfgang Mahanty beleuchtete daher die zentralen Herausforderungen in der manuellen Fertigung: Fachkräftemangel, Variantenvielfalt, fehlende Prozessdaten und hohe Qualitätsanforderungen. Werker-Assistenzsysteme, wie der schlaue Klaus, können hier unterstützen – durch visuelle Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Fehlervermeidung, Echtzeit-Datenerfassung und automatische Qualitätskontrollen. Ziel ist es, neue Mitarbeitende schneller einzuarbeiten, erfahrene Fachkräfte zu entlasten und die Produktivität zu steigern. Besonders betont Mahanty den Wert digitaler Transparenz für kontinuierliche Verbesserung, Rückverfolgbarkeit und die langfristige Sicherung von Wissen und Fertigungsqualität.

Starrflex- und HF-Leiterplatten im Fokus
Eren Bektas von dem Schweizer Leiterplattenhersteller Varioprint zeigte, wie höchste Zuverlässigkeit und Rückverfolgbarkeit für Medizin-, Raumfahrt- und Sicherheitstechnik durch technologisch anspruchsvolle, miniaturisierte Leiterplattenlösungen erreicht werden. Mit einem Fokus auf Flex- und Hochfrequenz-Leiterplatten, additiver Fertigung, optimierter Wärmeableitung und strengen Testverfahren (z. B. IST) investiert das familiengeführte Unternehmen kontinuierlich in neue Prozesse, Materialien und Automatisierung. Ziel: maximale Funktionalität auf engstem Raum, gleichbleibende Qualität und langfristige Verfügbarkeit im anspruchsvollen Hightech-Umfeld.

Softwarelösungen - Vom notwendigen Übel zum Erfolgsfaktor
Ich gebe zu, als „Exilbayerin“ in Hessen, schlägt mein Herz immer etwas höher, wenn ein Unternehmer mit viel Herzblut in bayerischer Sprache einen Vortrag hält. Roland Mair berichtete daher praxisnah und mit viel bayerischem Couleur von der Entwicklung und Nutzung einer eigenen ERP-Lösung bei der Mair Elektronik GmbH. Statt Standardsoftware setzt das Unternehmen auf ein vollständig intern entwickeltes System, das exakt an die eigenen Prozesse angepasst ist. Ziel ist maximale Flexibilität, intuitive Bedienung und vollständige Digitalisierung – ohne Exporte und Medienbrüche. Mair betont: ERP darf kein starres Konstrukt sein, sondern muss Prozesse unterstützen, nicht diktieren. Automatisierung, individuelle Schnittstellen und kontinuierliche Anpassung sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren.

Strategien für den Wandel: Innovationskraft in der Fertigung
Professor Isabell Welpe von der TU München beleuchtete die "Strategien für den Wandel" und hob die Bedeutung von Innovationskraft in der Fertigungsindustrie hervor. Sie betonte, dass Anpassungsfähigkeit entscheidend ist, um Unternehmen zukunftsfähig zu machen – nicht Technik allein. Digitale Transformation erfordere kundenorientierte Lösungen, weniger Hierarchie, mehr Handlungsspielraum und echte Innovationskultur. Statt traditioneller Prozesse braucht es gezielte Veränderungen durch neue Gewohnheiten, KI-gestützte Effizienz und vernetzte Teams. Sie ruft dazu auf, veraltete Strukturen zu hinterfragen, Bürokratie abzubauen, Defaults klug zu setzen und systematisch Talente zu gewinnen. Netzwerke und Perspektivenvielfalt fördern Innovation – echte Transformation beginnt bei Haltung, Verhalten und konkreten Entscheidungen im Alltag.
In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierte sie mit Geschäftsführern aus dem Elektronikmaschinenbau über die Transformation im Maschinenbau und die Herausforderungen, denen sich Unternehmen in Zeiten des Wandels stellen müssen.
Home Office im Maschinenbau – Warum so kritisch?
In vielen Industriezweigen ist hybrides Arbeiten längst Standard – im Maschinenbau bleibt das Thema ein Reizpunkt – auch bei der Podiumsdiskussion. Warum? Ich tue mich schwer damit, warum auch teilweises Home Office im Maschinenbau immer noch so emotional diskutiert wird – als wären Vertrauen, Flexibilität und Digitalisierung ein Angriff auf die eigene Identität. Jedoch verstehe ich die folgenden Gründe sehr wohl, vor allem, dass man eine Maschine nicht am heimischen Küchentisch zusammenschrauben kann.
- Viele Jobs sind produktionsnah – Montage, Fertigung, QS: physische Präsenz ist Pflicht.
- Konstruktion & Entwicklung leben oft vom schnellen, persönlichen Austausch.
- Kundenservice findet beim Kunden statt, nicht am Küchentisch.
- Es fehlt oft an digitaler Infrastruktur – und an Vertrauen in selbstorganisiertes Arbeiten.
- Und: Eine traditionelle Führungskultur setzt weiter auf Präsenz statt Ergebnisse.
Aber was ist mit den Mitarbeitern im Sales, im Marketing, in der Softwareentwicklung, im Projektmanagement, also dort, wo der Mitarbeiter „überwiegend“ einen PC für seine Arbeit braucht?
Fazit: Home Office im Maschinenbau ist nicht unmöglich – aber selten einfach. Die Herausforderung liegt nicht nur in der Technik, sondern in der Kultur.
Von „Löten pur“ zur Technologieplattform: 25 Jahre EE-Kolleg
Was 1998 mit einer Idee in einer Bar auf Mallorca begann, hat sich zu einer der bedeutendsten Wissensplattformen der Elektronikfertigung entwickelt: das Europäische Elektroniktechnologie-Kolleg – kurz EE-Kolleg. Damals wollten Johannes Rehm (Rehm Thermal Systems) und Ernst Hohnerlein (†2019) vor allem eins: Eine Plattform schaffen, auf der nicht nur Kunden, sondern auch Partner aus der gesamten SMD-Fertigung zusammenkommen, um sich über Technologien, Fehlerquellen und Praxislösungen auszutauschen – offen, praxisnah und persönlich.
Die erste Veranstaltung unter dem Motto „Löten pur – einmal anders“ fand 1999 statt und fokussierte sich stark auf das Reflowlöten und die Zuverlässigkeit von Baugruppen. Bereits im Folgejahr wurde das Technologietreffen offiziell zum „Europäischen Elektroniktechnologie-Kolleg“ umbenannt. Fachvorträge von Anwendern – etwa von DaimlerChrysler Aerospace – und praxisorientierte Diskussionen bestimmten von Anfang an das Programm.
Mit der Zeit wuchs das EE-Kolleg thematisch über das Löten hinaus. Neue Herausforderungen wie Miniaturisierung, Rückverfolgbarkeit, die RoHS-Richtlinie oder neue Materialien rückten in den Fokus. Im Zentrum stand dabei stets der gemeinsame Erkenntnisgewinn – und nicht der Produktpitch.
Heute zählt das EE-Kolleg mehr als 25 Veranstaltungen und ist ein fester Bestandteil im Veranstaltungskalender der Elektronikbranche. Neben Vorträgen sind vor allem Diskussionen, spontane Ideen und persönliche Gespräche das Herzstück des Formats. Auch die Zahl der Mitveranstalter und Unterstützer wuchs – ebenso wie die Bandbreite der Themen.
„Das EE-Kolleg ist und bleibt ein Ort, an dem sich Expert:innen aus Forschung und Praxis treffen, um die Technologien der Zukunft gemeinsam zu gestalten – und um voneinander zu lernen“, bringt es Johannes Rehm auf den Punkt.

Den Fälschern auf der Spur
Im Vortrag von Wolfgang Motzek vom EMS-Dienstleister Coronex ging es um die wachsende Gefahr gefälschter elektronischer Bauteile. Anhand zahlreicher Praxisbeispiele zeigte er, wie einfach Produktpiraterie heute erfolgt – oft durch Wiederaufbereitung von Elektroschrott unter fragwürdigen Bedingungen. Besonders betroffen sind obsolet gewordene Komponenten, die über inoffizielle Händler bezogen werden. Mit einfachen Mitteln wie Aceton- oder Röntgentests lassen sich viele Fälschungen erkennen. Motzek appellierte an Unternehmen, ihre Einkaufsprozesse zu überdenken und gezielt bei zertifizierten Quellen zu kaufen, um Qualitäts- und Sicherheitsrisiken zu minimieren.
Im Anschluss präsentierte Klaus Schuster vom slowenischen EMS SG Automotive in seinem Vortrag "11 Managementsünden" praxisnahe Ansätze zur Vermeidung typischer Fehler im Management.

Zukunft der Leistungselektronik: Trends und Herausforderungen
Im Schlussvortrag der Techsession gab Jörg Häfner von der Schnaidt GmbH einen umfassenden Überblick über aktuelle Trends und Herausforderungen in der Fertigung von Leistungselektronik. Große, thermisch anspruchsvolle Baugruppen erfordern spezielle Lötmasken und Werkstückträger. Ziel ist eine stabile, effiziente Fertigung. Er diskutierte innovative Lösungen und deren praktische Umsetzung, um den steigenden Anforderungen an Leistungselektronik gerecht zu werden.

Zum Schluss noch ein bisschen Kolleg-Philosophie
Nach zwei Tagen Fachvorträgen, Materialanalysen, Assistenzsystemen, ERP-Eskapaden, Leiterplattentiefenbohrungen und AVT-Aha-Momenten ist eines klar: Wer dachte, Elektronikfertigung sei trocken, war noch nie beim EE-Kolleg. Hier wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch ordentlich Hirnschmalz verbraten – und das bei vollem Koffeinhaushalt, versteht sich.
Es wurde diskutiert, gefragt, gestaunt, genickt (auch mal im Sekundenschlaf), aber vor allem gelacht – über AVT-Katastrophen, Managementsünden und die kleinen Absurditäten des Fertigungsalltags.
Ein großes Dankeschön an alle, die diese Jubiläumsausgabe zu einem besonderen Erlebnis gemacht haben – fachlich top, menschlich sowieso. Und keine Sorge: Nach dem Kolleg ist vor dem Kolleg!
Save the Date:
Das 26. EE-Kolleg findet vom 25. bis 29. März 2026 wieder in Colònia de Sant Jordi auf Mallorca statt.
Bis dahin gilt: AVT ist kein Schimpfwort, ERP kein Mysterium – und der schlaue Klaus bleibt hoffentlich immer höflich.
Die Autorin: Dipl. Ing. Dipl. Wirt. Ing (FH) Petra Gottwald

Die Doppel-Ingenieurin (Textiltechnik und Wirtschaft) hat nur ein Ziel: Sie möchte Menschen für technische Themen begeistern - ob sie wollen oder nicht. So kommt es schon 'mal vor, dass sie ihren Freunden die komplexe Herstellung einer Leiterplatte in einer packenden Story erzählt oder wie man Elektronik in Textilien einbaut. Privat düst sie auf leisen Sohlen durch die Gegend, denn sie hat seit 2016 ein Faible für Elektromobilität und will mit ihrem Wissen Interessierten die Reichweitenangst beim voll-elektrischen Fahren nehmen.