Künstliche Intelligenz (KI) hat in verschiedenen Branchen Einzug in den Arbeitsalltag gehalten. Die Pharmaindustrie nutzt KI, um neue Medikamente zu entdecken, die Konsumgüterindustrie setzt sie zur Qualitätskontrolle ein, und im Bürobereich definieren generative KI-Co-Piloten viele Arbeitsabläufe neu. Doch wie stark nutzen Schweizer Tech-Unternehmen KI und in welchen Bereichen wird sie eingesetzt?
KI ist wichtig, aber wenig verbreitet
Laut einer Umfrage der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit Swissmem und Next Industries ist KI in der Schweizer Tech-Industrie insgesamt noch wenig verbreitet. An der Studie nahmen über 200 Schweizer Tech-Unternehmen teil. Die Umfrage vermittelt ein widersprüchliches Bild: Künstliche Intelligenz ist wichtig, aber bisher geht ihre Anwendung in der Industrie kaum über erste Pilotversuche hinaus. Der Verantwortliche der Studie, Professor Torbjørn Netland, erklärt, weshalb Schweizer Tech-Unternehmen im internationalen Vergleich dennoch gut dastehen und wie sie ihr Potenzial ausschöpfen können.
Die Hälfte der Unternehmen antwortete, den Einsatz von KI in Bezug auf fertigungsbezogene Anwendungen noch nicht in Erwägung gezogen zu haben. Ein weiteres Fünftel fand den Einsatz von KI zu wenig überzeugend, um die Idee weiter zu verfolgen. 10 Prozent führen derzeit Pilotversuche durch, weitere 12 Prozent planen Tests und erst wenige Unternehmen wenden sie in größerem Maßstab an.
Ehrgeizige Pläne für die nahe Zukunft
Dabei haben sich vor allem die kleineren und weniger profitablen Unternehmen noch nicht mit dem Thema beschäftigt. Das spiegelt sich auch in der Antwort auf die Frage, wie KI in der Fertigung in drei Jahren eingesetzt wird. Während 16 Prozent der Unternehmen KI in großem Maßstab einsetzen wollen und weitere 22 Prozent Pilotversuche durchführen, zeigen die weniger profitablen Unternehmen auch weniger Ambitionen.
In anderen Anwendungsbereichen sieht das Bild positiver aus. In der Forschung und Entwicklung befinden sich 22 Prozent der Unternehmen bereits in der Pilotphase. Diese Befragten gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der Unternehmen KI-Anwendungen in den nächsten drei Jahren in großem Umfang einsetzen wird. Die Zahlen für Vertrieb und Marketing sind ähnlich, ebenso jene im Bereich Kundendienst und technischer Support. Gründe für die breitere Durchdringung im Bürobereich könnten laut Netland die im Vergleich zur Fertigung leichter verfügbaren Daten und das Potenzial für den Einsatz generativer KI wie ChatGPT oder Microsoft Copolit sein.
Ernüchternde Ergebnisse angesichts des Hypes
Die Ergebnisse der Umfrage stehen im Gegensatz zu anderen Studien, die eine viel stärkere Umsetzung von KI in der Technologiebranche nahelegen. Diese Berichte würden aber oft von Organisationen verfasst, die ein persönliches Interesse daran haben, eine weiterreichende KI-Implementierung zu zeigen, beispielsweise Beratungsunternehmen, Informatikfirmen oder Verkäufer von KI-Lösungen. Netland vermutet, dass die meisten ernsthafte Stichprobenverzerrungen aufweisen, und ist der festen Überzeugung, dass die aktuelle Umfrage der ETH Zürich die tatsächliche Situation widerspiegelt: Die Realität hinkt also dem Hype hinterher.
Demnach hält die Schweizer Technologiebranche durchaus mit der internationalen Konkurrenz Schritt. Allerdings stellt der fehlende Zugang zu KI-Knowhow gemäß der Studie derzeit das größte Hindernis für die Schweizer Technologiebranche dar. Zwei Drittel der Unternehmen antworten, dass sie entweder gar nicht oder nur in begrenztem Umfang Zugang zu internem KI-Knowhow oder KI-Talenten an Hochschulen haben. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, ohne gegenüber anderen Ländern ins Hintertreffen zu geraten, müsse die Kompetenz- und Ausbildungslücke in der Schweiz im Bereich KI geschlossen werden.
Empfehlung: eine kohärente KI-Strategie entwickeln
Es gibt noch einen weiteren Grund, dass Schweizer Unternehmen international auf Augenhöhe sind. Schweizer Industrieunternehmen seien pragmatisch und intelligent; sie würden nicht auf den fahrenden Zug aufspringen, nur um den Hype nicht zu verpassen. In der Umfrage gab nur ein Fünftel der Unternehmen an, dass ihr Einsatz von KI in hohem Maße von aktuellen Trends in der Branche getrieben wird – wichtigster Treiber war die Effizienzsteigerung. Dementsprechend sind auch die meisten, die KI implementieren und nutzen, mit den Ergebnissen zufrieden. Netland betont denn auch die Produktivitätssteigerung, die KI für Unternehmen bringen kann. Doch bis heute seien die meisten Unternehmen noch nicht bereit für KI, es fehle beispielsweise an der erforderlichen Datenverwaltung oder IT-Infrastruktur.
Wie aber sollen Unternehmen vorgehen, die vermehrt KI nutzen wollen? Der Bericht empfiehlt die Formulierung einer kohärenten KI-Strategie für das Unternehmen, die auf die Ziele der digitalen Transformation abgestimmt ist. Allerdings gab nur eines von vier Unternehmen in der Umfrage an, über eine solche Strategie zu verfügen. Die Experten raten den Unternehmen auch, intern in KI-Fachkräfte zu investieren, und empfehlen darüber hinaus, die Einführung von KI realistisch einzuschätzen. Am Anfang solle die Frage stehen, welches Problem die KI lösen soll.
Als Fallstricke nennt der Bericht übermäßiges Vertrauen und generelles Misstrauen in die KI. Übermäßiges Vertrauen birgt die Gefahr, dass über die Zeit das Knowhow der Arbeitnehmer abnimmt; Misstrauen dagegen lässt das Potenzial ungenutzt.