Transferlinien und MES für Kabelsätze

(Bild: Diit)

Die zunehmende Modernisierung von Kraftfahrzeugen mit elektrischen Teilen und IT-Komponenten erfordern immer mehr hoch spezialisierte Kabelsätze – etwa für ABS-Bremssysteme, für das Auslösen von Airbags oder für die immer zahlreicheren Kamera-, Sensor- und Infotainment-Systeme der Automobile.

Transferlinien und MES für Kabelsätze.

Mit Transferlinien lassen sich Leitungen und Kabel automatisiert verarbeiten. Schleuniger

Diese Kabelsätze sind durch große Komplexität charakterisiert. Auf ihre Leitungen müssen komplexe Steckverbindungen wie Fakra- oder Squib-Stecker aufgebracht werden, um bei der Übertragung von Daten Störsignale zu verhindern, müssen die Leitungen der Kabelsätze verdrillt werden. Gleichzeitig weisen sie einen zunehmend hohen Grad an Miniaturisierung auf. Die Systeme, an die sie angeschlossen werden, sind immer kleiner und bieten damit immer weniger Platz für den Anschluss von Steckverbindungen, wodurch auch die Kabelsätze zwangsläufig immer kleiner werden müssen.

Transferlinien für sicherheitskritische Kabelsätze

Diese große Komplexität und hohe Miniaturisierung lässt sich nur mit Hilfe spezieller Maschinen beherrschen. Deshalb führen immer mehr Hersteller von Bordnetzen und Kabelsätzen für die Automobilindustrie so genannte Transferlinien ein – Linearsysteme, die gezielt für die automatisierte Verarbeitung von Kabeln und Leitungen konzipiert sind. Ein Greifarm transportiert die Leitungen auf einer Führung von Station zu Station, dort werden die Leitungen abisoliert und es werden Hülsen, Stecker und Gehäuse aufgebracht.

Da die Kabelsätze meist sicherheitskritisch sind und deshalb entsprechend hohe Anforderungen an sie bestehen, sind dabei in den Herstellungsprozess auch spezielle Schritte zur Nachverfolgung und Qualitätssicherung integriert. Zur eindeutigen Identifizierung wird auf jedem Kabelsatz automatisch ein Barcode aufgebracht oder eine Nummer eingraviert. Mit Hilfe von Kameras, Vision-Systemen und Sensoren überprüfen die Transferlinien zudem laufend, ob die Kabelsätze richtig verarbeitet werden. Registrieren sie irgendwo einen Fehler, wird die entsprechende Leitung automatisch von der Maschine durch Zerschneiden unbrauchbar gemacht, sodass sie sich auf keinen Fall weiterverwenden lässt.

Daten zentral erfassen und speichern

Jeder Kabelsatz ist also eindeutig identifizierbar und die Transferlinien erzeugen zu jedem von ihnen eine umfassende Historie an Prüf-Rohdaten: Aufnahmen von Kameras, 3D-Bilder von Vision-Systemen oder von Sensoren gemessene Abzugskräfte beim Abisolieren und Drücke beim Verpressen.

Durch die zentrale Erfassung und Speicherung dieser Informationen können die Hersteller der Kabelsätze zahlreiche Anwendungen zur weiteren Steigerung der Qualität realisieren. Implementieren lässt sich die Erfassung und Vorhaltung der Daten mit Hilfe von Manufacturing-Execution-Systemen (MES). Ihre Aufgabe ist es von jeher, die Produktion zu steuern, zu kontrollieren und zu dokumentieren. Das macht sie gewissermaßen auch zur natürlichen Heimat der Transferlinien-Daten. Viele Automobilzulieferer, die Bordnetze und Kabelsätze produzieren, haben ohnehin bereits ein MES im Einsatz und es an die Crimp-Center angebunden, mit denen sie die Kabel für ihre Bordnetze vorproduzieren. Aufgabe der MES-Anbieter ist es deshalb jetzt, Schnittstellen auf Basis offener Standards zu schaffen, die es ermöglichen, die Rohdaten der Transferlinien herstellerunabhängig in das MES einzulesen, dort einen Datensatz für jeden Kabelsatz anzulegen und ihn mit seinem Barcode beziehungsweise seiner Nummer zu verknüpfen.

Predictive-Quality-Anwendungen realisieren

Ist diese Möglichkeit vorhanden, können die Hersteller der Kabelsätze bei einem Störfall im Feldeinsatz beispielsweise gezielte Ursachenforschung betreiben. Der ausgefallene Kabelsatz wird dann gescannt, das MES lädt automatisch den zugehörigen Datensatz und die Verantwortlichen können ermitteln, mit welchen Parametern der Kabelsatz produziert wurde und welche davon letztendlich zum Störfall führten. Der aufgetretene Fehler lässt sich dadurch schnell identifizieren, beseitigen und für die Zukunft ausschließen.

Zudem können die Hersteller der Kabelsätze auf Basis der MES-Daten Predictive-Quality-Anwendungen realisieren. Sie haben die Möglichkeit, mit Hilfe prädiktiver Analytik laufend Analysen durchzuführen und damit etwa festzustellen, dass es bei bestimmten Parametern oder einer bestimmten Kombination verschiedener Parametern immer zu Ausfällen der Kabelsätze kommt. Auf diesem Weg können sie Qualitätsmängel von vornherein vermeiden, die Qualität ihrer Produkte kontinuierlich erhöhen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Aber nicht nur die Qualität, sondern auch die Rentabilität lässt sich mit Hilfe der MES-Daten erhöhen. Die Hersteller der Kabelsätze können sie etwa dazu nutzen, ihre Transferlinien zu „tunen“, sprich: sie ohne Qualitätseinbußen schneller laufen zu lassen und damit ihren Output zu erhöhen. Nicht zuletzt lassen sich die Daten außerdem für das Produktionspersonal und das Management in Echtzeit analysieren und visualisieren, sodass sie die Produktion überwachen und notfalls gezielt eingreifen können, um Business Excellence und hohe Rentabilität sicherzustellen.

 

Christoph Plüss

Leiter Marktmanagement von Diit

(mrc)

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