Im In-Production Warehouse finden auf 13 Meter Länge mehr als 680 Leiterplattenmagazine Platz.

Im In-Production Warehouse finden auf 13 Meter Länge mehr als 680 Leiterplattenmagazine Platz. (Bild: alle CTS)

Für die Entkopplung und kurzzeitige Pufferung von Flach-Baugruppenmagazinen in Verbindung mit einem autonomen Transportroboter suchte die Siemens AG in Karlsruhe nach effizienteren Lösungen für ihre Elektronikfertigung. Etwa 1.000 Mitarbeiter fertigen in diesem Elektronikwerk mehr als 2.000 Produktvarianten vorrangig aus dem Bereich Digital Industry. Bisher wurden die Magazine mit Flachbaugruppen durch Bediener nach der SMT-Bestückung manuell auf Rollwägen gesetzt und auf zugewiesene Stellflächen der Folgeprozesse transportiert und dort von Hand zugeführt. Um den technologischen und qualitativen Standards von Siemens gerecht zu werden und einen höheren Automatisierungsgrad zu erreichen, wurde dringend eine deutlich modernere, produktivere und effizientere Lösung gesucht. Gefunden hat Siemens diese Lösung bei CTS in Burgkirchen an der Alz. Das Unternehmen bietet das komplette Dienstleistungsspektrum im Bereich der Prozess- und Fertigungsautomation an – vom Bau eines einzelnen Schaltschranks bis hin zur Automatisierung einer kompletten Produktionsanlage. „CTS hatte bei Siemens Karlsruhe bereits Transportroboterlösungen implementiert. Nach unserer Anfrage nach einem automatisierten In-Production Warehouse, notwendig zum Erreichen eines geschlossenen Transportkreislaufs ohne manuelle Eingriffe, starteten wir 2019 die gemeinsame Konzept- und Konstruktionsphase. Im Herbst 2020 wurde die Anlage bei uns angeliefert und montiert und nach ausführlichen Funktions- und Integrationstests konnten wir das Smart In-Production Warehouse im März 2021 in unsere Prozesse integrieren und profitieren jetzt von einem vollautomatischen und hocheffizienten Transportprozess bei vollständiger Nachverfolgbarkeit“, führt Sascha Geiger vom Disruptive and Special Technology Support der Siemens AG in Karlsruhe aus.

Automatisierte Lagerlösung mit Open Connectivity

Das Smart In-Production Warehouse ist eine intelligente, modulare und automatisierte Lagerlösung für den Shopfloor. Es erreicht eine signifikante Reduzierung der Belegung wertvoller Fertigungsfläche durch sonst manuell platzierte oder gestapelte PCB-Magazine, Kleinladungsträger (KLT) oder andere Behältnisse. Mit mechanischen und softwaretechnischen Schnittstellen für AMR/AIV (Autonomous Mobile Robots/Autonomous Intelligent Vehicles) ermöglicht das Smart In-Production Warehouse auf Wunsch die vollständige Automatisierung des Materialflusses in der Fertigung.

Die Größe des Lagersystems ist variabel zwischen etwa 8,5 und 20 Meter Länge sowie einer Breite von 4 Meter gestaltbar und bietet damit Platz für 400 bis 1.300 Standard-PCB-Magazine. In seinem Kern sorgt ein innovatives, raumsparendes Greifsystem für ein effektives Ein- und Auslagern im Verhältnis zum Lagerbereich. Die Ein-/Auslager-Ports können dabei flexibel und bedarfsgerecht an verschiedenen Positionen einer Seite platziert werden – sie benötigen jeweils nur einen Regalplatz. Ebenso modular ist die Softwarestruktur ausgelegt. Ein Open-Connectivity-REST-Interface ermöglicht die einfache und umfassende Anbindung an MES- und ERP-Systeme oder eine Middleware für die Steuerung von AIV-/AMR-Flotten.

Die Ein-/Auslager-Ports sind mit Siemens-eigener RFID-Technologie für vollständige Nachverfolgbarkeit jeder einzelnen Leiterplatte ausgestattet.
Die Ein-/Auslager-Ports sind mit Siemens-eigener RFID-Technologie für vollständige Nachverfolgbarkeit jeder einzelnen Leiterplatte ausgestattet.

Die Voraussetzungen schaffen

Auf dem Shopfloor ist eine besonders kompakte Warehouse-Lösung gefordert. Das In-Production Warehouse ist in unterschiedlichen Standardgrößen verfügbar und kann darüber hinaus mit flexiblen Sonderlösungen kundenspezifischen Anforderungen angepasst werden. Für Siemens entwickelten die Spezialisten aus Burgkirchen ein passgenaues Konzept. Darin musste das Verarbeiten von zwei unterschiedlich großen Leiterplattenmagazinen gewährleistet sein, die in der Siemens-Elektronikfertigung zum Einsatz kommen. Für die einzusetzenden AMRs/AIVs wurde eine automatische Breitenverstellung ihrer Transportaufsätze geplant und konstruiert. Die Lagerplätze im Warehouse wurden entsprechend angepasst, um eine optimale Kapazitätsverteilung zu erreichen. Eine Herausforderung war die Bodenbeschaffenheit vor Ort. Für die stabile Aufstellung des Lagersystems und hemmnisfreie Wege für die Transportroboter konzipierte das cts-Installationsteam zusätzlich eine spezielle Bodenbehandlung.

„Die Zusammenarbeit und Kommunikation in der Design- und Entwicklungsphase war konstruktiv und offen. Wir haben von den jahrzehntelangen Erfahrungen in allen Belangen rund um die Automatisierung profitiert“, erläutert Sascha Geiger. „Kristallisierten sich Hindernisse oder Probleme heraus, entwarf CTS schnell passende Lösungen und wir erreichten so eine zielführende, praxisorientierte und für uns passgenaue Umsetzung. Die Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der unser Partner dabei selbst auf unvorhergesehene Herausforderungen reagierte, war vorbildlich.“

Die Transportaufsätze der AIV sind mit einer automatischen Breitenverstellung versehen. So können die verwendeten unterschiedlichen Magazingrößen sicher transportiert werden.
Die Transportaufsätze der AIV sind mit einer automatischen Breitenverstellung versehen. So können die verwendeten unterschiedlichen Magazingrößen sicher transportiert werden.

Zwei Projektphase – ein Ziel

Die erste Projektphase realisierte den Transport der Leiterplattenmagazine zwischen den Linien: Eine Flotte aus sechs AMRs auf Basis des Omron LD90 mit einer Ladekapazität von bis zu 90 Kilogramm sowie ein Transportsystem eines weiteren Herstellers entlasteten die Mitarbeiter an den Anlagen von Laufwegen. Wo erforderlich, wurden die AMRs mit der automatischen Breitenverstellung ausgestattet, um die beiden verwendeten Magazingrößen effizient handhaben zu können. Als Minipuffer wurden dazu von Siemens schwerkraftbasierte Rollenbahnen gefertigt, die durch die AMRs befüllt beziehungsweise entleert werden.

Die Vergabe der Transportaufträge auf die AMR/AIV übernimmt das Middleware AIV-Framework. Über die Lösung lassen sich uneinheitliche Transportroboterflotten von bis zu 100 Fahrzeugen managen. Die Siemens-eigene, Intralogistikplattform kennt den Status jeder Produktionslinie und errechnet daraus das künftig notwendige Material, um die Produktionsplanung zu erfüllen. Über eine offene REST-Schnittstelle kommunizieren die beiden Systeme miteinander und die Intralogistikplattform übermittelt die erforderlichen Anforderungen an das AIV Framework, um die Transportauftragserstellung mit den Siemens-Lösungen zu synchronisieren. Noch konnte allerdings mit diesem Schritt die Nutzung von Teilen der Produktionsfläche als Lager nicht vollständig verhindert werden, da das Produktionsumfeld zu komplex und heterogen waren.

In der Projektphase 2 startete die komplette Automatisierung mit dem Smart In-Production Warehouse. Die Integration des fertigungsnah platzierten Warehouse als zentrale und vollautomatische Materialversorgungsstation befreite die knapp bemessene Produktionsfläche von dort zwischengelagerten Magazinen. Rund 13 Meter Länge, 4 Meter Breite und eine Höhe von 4 Meter bieten nun Lagerplatz für mehr als 680 Leiterplattenmagazine in den beiden verwendeten Größen. Die Lagerlösung ist mit drei Ein-/Auslager-Ports ausgestattet, die sowohl den manuellen Zugriff als auch das Handling über AMR/AIV-Lösungen ermöglichen. So erreicht Siemens die vollständige Automatisierung des Leiterplattenmagazinmaterialflusses und hält sich gleichzeitig die Option offen, dass Bediener bei Bedarf auch selbst eingreifen können.

Vollständige Nachverfolgbarkeit sichergestellt

Ein weiterer Vorteil der neuen Lösung was, dass die Ein-/Auslager-Ports in die Siemens-eigene SCALANCE RFID-Technologie zum WiP-Tracking (Work in Process) der Leiterplatten integriert werden konnten. Dies stellt eine vollständige Nachverfolgbarkeit über die gesamte Produktionskette hinweg sicher. Ein intelligenter Speicher- und Optimierungsalgorithmus macht es dazu möglich, dass das Warehouse eingelagerte Leiterplattenmagazine in Ruhephasen selbstständig optimal verteilt, um so die schnellstmögliche Auslagerung zu ermöglichen.

Das Smart In-Production Warehouse ist damit vollständig in den vollautomatischen Prozessablauf integriert, um die AMR-Flotte zu be- und entladen, die wiederum sämtliche automatisierte und an das System angebundene Produktions- und Montagelinien versorgt beziehungsweise Material von dort einsammelt. Das Middleware AIV-Framework ist dabei an die modulare Intralogistik-Plattform angebunden, welche die gesamte Transportlogik beinhaltet und als Output Transportanforderungen für die AMRs/AIVs, sowie Ein- und Auslageraufträge für das Warehouse an die cts-Middleware übermittelt und von diesen Informationen über Inhalt, Status und Performance erhält. Parallel zu den AMRs/AIVs können Ein- und Auslagerungen durch Mitarbeiter für manuelle beziehungsweise teilautomatisierte oder datentechnisch nicht angebundene Linien erfolgen.

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