
(Bild: Rawinski)
Die Elektronikfertigung steht heute unter enormem Innovationsdruck: Miniaturisierung, kürzere Zykluszeiten und kosteneffiziente Prozesse sind Standard. Gleichzeitig werden Fehlfunktionen zunehmend durch unscheinbare, chemisch bedingte Ursachen ausgelöst – und bleiben oft zu lange unerkannt.
Vermeintlich makellose Baugruppen entpuppen sich im Betrieb als instabil. Glänzende Lötstellen, intakte Baugruppen – doch plötzlich gibt es Benetzungsprobleme, Funktionsausfälle oder Ausgasungen. In vielen Fällen liegt die Ursache nicht im sichtbaren Bereich, sondern in der Chemie. Eine unvollständig vernetzte Lötstoppmaske oder ein falsch dosierter Fotoinitiator können massive Auswirkungen auf die Langzeitstabilität und Funktionalität haben.
Ein Beispiel: Wird die Lötstoppmaske nicht vollständig polymerisiert, bleibt eine schwache, instabile Schutzbarriere zurück. Diese chemisch reaktive Oberfläche kann mit Flussmitteln reagieren, Kondensate bilden und sogar toxische Substanzen freisetzen – all das unsichtbar für das bloße Auge. Diese Fehlerquellen bleiben in der Sichtprüfung verborgen – lassen sich aber spektroskopisch nachweisen.
Spektroskopie als Schlüssel zur Ursachenanalyse
Mit der FTIR-Spektroskopie (Fourier-Transformations-Infrarotspektroskopie) lassen sich sogenannte molekulare Fingerabdrücke erfassen. Durch Anregung der Moleküle mit Infrarotlicht werden charakteristische Schwingungen detektiert, die Rückschlüsse auf den chemischen Aufbau und den Zustand von Materialien zulassen. Das ermöglicht unter anderem:
- die Erkennung unvollständig abgeschlossener Reaktionen,
- die Identifikation von Rückständen auf Baugruppen oder in Kondensaten,
- den Nachweis überschüssiger Prozesschemikalien wie Fotoinitiatoren,
- und die Differenzierung zwischen scheinbar ähnlichen Schadensbildern.
Doch so leistungsfähig die Technik auch ist – sie entfaltet ihr Potenzial erst in Kombination mit menschlicher Erfahrung. Denn Datenbankvergleiche liefern zwar schnelle Resultate, versagen aber oft bei komplexen Schadensbildern.
Drei typische Schadensszenarien
In der Praxis zeigt sich immer wieder: Was im ersten Moment wie ein harmloser Rückstand aussieht, ist oft ein Symptom einer gestörten chemischen Reaktion.
Auch die gezielte Kondensatanalyse in Lötanlagen liefert wertvolle Informationen. Rückstände in der Kühlzone oder auf Kondensatblechen können Aufschluss darüber geben, ob Materialien im Prozess instabil reagieren – häufig ein Hinweis auf zu aggressive Prozessoptimierung oder mangelhafte Materialqualität.
1. Reinigungsrückstände nach dem Wellenlöten
Ein unscheinbarer Rückstand auf der Leiterplatte wurde zunächst dem Flussmittel zugeschrieben. Die FT-IR-Analyse zeigte jedoch eine fast vollständige Übereinstimmung mit dem Spektrum der Lötstoppmaske – die Ursache waren unvollständig ausreagierte Molekülketten, die sich bei Temperatur im Lötprozess zusammen mit dem Flussmittel vernetzten und einen Rückstand bildeten, der nicht entfernt werden konnte.

2. Photoinitiatoren im Reflow-Prozess
In einem anderen Fall entstand ein nadelförmiger, weißlicher Belag im Reflow-Ofen. Die Spektroskopie identifizierte „2-Methyl-4'-(methylthio)-2-morpholinopropiophenone“ – ein Fotoinitiator, der Bestandteil der Lötstoppmaske war. Eigentlich hätte er vollständig reagieren sollen. Doch durch Feuchtigkeit und Sauerstoff wurde die Polymerisation gehemmt. Der Überschuss führte zur vermehrten Ausgasung und Kristallisation in der Lötanlage.

3. Benetzungsprobleme mit Lotperlenbildung
In einer dritten Analyse verursachte eine unvollständig ausgehärtete Lötstoppmaske Benetzungsprobleme – erkennbar an glänzenden Stellen nur am Rand der Leiterplatte. Die FT-IR-Spektren von Lotpad und Maske zeigten nahezu deckungsgleiche Peaks, was auf eine gleichmäßige Verteilung des Maskenmaterials über die gesamte Leiterplattenoberfläche hindeutete. Die Folge: mangelhafte Benetzung, Funktionsausfälle.

Chemie kennt keine Abkürzungen
Ein zentrales Fazit aus zahlreichen Analysen: Prozesszeitverkürzungen, aggressive Aushärtemethoden oder Materialeinsparungen mögen kurzfristig wirtschaftlich erscheinen – langfristig verursachen sie jedoch häufig versteckte Qualitätsprobleme. Denn chemische Reaktionen lassen sich nicht beliebig beschleunigen, ohne die Stabilität zu gefährden. Die Folgen zeigen sich oft erst nach Monaten im Feld.
So konnten beispielsweise durch Spektralanalyse Foto-Initiatoren in Rückständen identifiziert werden, die eigentlich nicht mehr vorhanden sein sollten. Der Grund: ein Überdosieren zur Reduktion der Belichtungszeit. Das Resultat: eine chemisch instabile Maske, die bei Löthitze thermisch angegriffen wurde – mit allen bekannten Nebenwirkungen bis hin zur Kondensatbildung und Elektromigration.
Prävention statt Schadensanalyse
FT-IR-Spektroskopie ist nicht nur ein Werkzeug zur Ursachenforschung im Schadensfall. Richtig eingesetzt, dient sie der Prävention – etwa durch regelmäßige Prüfung von Rohmaterialien, Prozessrückständen oder kritischen Prozessschritten. Besonders wertvoll ist sie in der Kombination mit prozesstechnischem Wissen und der Fähigkeit, Spektren „lesen“ zu können. Denn die wahren Ursachen verstecken sich oft unter der sichtbaren Oberfläche.
Wer früh prüft, spart später

Moderne Materialanalytik, insbesondere spektroskopische Verfahren, ermöglichen tiefgreifende Einblicke in chemische Prozesse der Elektronikfertigung. Richtig eingesetzt, helfen sie nicht nur bei der Ursachenfindung im Schadensfall, sondern vor allem bei der Prävention. Denn viele Probleme lassen sich vermeiden, wenn man versteht, wie Materialien tatsächlich reagieren – und nicht nur, wie sie laut Datenblatt reagieren sollten.
Dabei ist nicht nur das Analysegerät entscheidend, sondern vor allem die Erfahrung bei der Interpretation. Die „Spitze des Eisbergs“, wie Viktoria Rawinski es treffend formuliert, ist selten das eigentliche Problem – aber immer ein Warnsignal. Wer früh hinsieht, kann langfristige Schäden vermeiden und die Zuverlässigkeit seiner Produkte deutlich steigern.
Die Rawinski GmbH kombiniert moderne Analytik mit langjähriger Praxiserfahrung. Ihr Fokus liegt auf der qualitativen und quantitativen Analyse chemischer Ursachen von Fehlern und Schadensbildern in elektronischen Baugruppen – insbesondere dort, wo klassische Prüfverfahren nicht weiterhelfen. Ihre Stärke liegt nicht nur in der Gerätetechnik, sondern vor allem in der Interpretation der Messergebnisse – also darin, die „Sprache der Moleküle“ richtig zu deuten.