Bild 1: Gemäß der allgemeinen Komfort-Hierarchie-Pyramide ist Komfort ein menschliches Grundbedürfnis, das sich unter anderem aus verschiedenen Wahrnehmungen des Riechens, Sehens und Hörens zusammensetzt. Das ist wichtig für die Erfolgsfaktoren des automatisiderten Fahrens.

Bild 1: Gemäß der allgemeinen Komfort-Hierarchie-Pyramide ist Komfort ein menschliches Grundbedürfnis, das sich unter anderem aus verschiedenen Wahrnehmungen des Riechens, Sehens und Hörens zusammensetzt. (Bild: BMW Group/FOM Hochschule für Oekonomie und Management München)

Welche Erfolgsfaktoren sind wichtig beim automatisierten Fahren? Automobilhersteller beschäftigen sich inzwischen verstärkt mit den Anforderungen an zukünftige Technologien zur Sicherstellung des psychischen Wohlbefindens bei hochautomatisierten Fahrten. Durch maßgebende Studien erschließen sich immer wieder neue Erkenntnisse, wie sich Passagiere im automatisierten Fahrmodus wirklich wohlfühlen können. Ausgeklügelte Interaktionskonzepte erweisen sich hierbei als einer der Erfolgsfaktoren. Durch tiefgründiges Hinterfragen gelingt es Autoherstellern wie BMW, zunehmend kundenorientierte Produktableitungen für ein passendes Fahrverhalten des Fahrzeuges für automatisierte Fahrstufen zu erzielen.

Dieser Beitrag gibt einen Einblick in eine Untersuchung des wichtigen Akzeptanzaspekts „psychisches Wohlfühlen“ im Zuge einer Forschungsarbeit an der Hochschule für Oekonomie und Management München in Kooperation mit der BMW Group und bringt zugleich Erkenntnisse über das Konstrukt der Komfortwahrnehmung beim hochautomatisierten Fahren.

Eckdaten

Wesentliche Haupttreiber für Komfort beim hochautomatisierten Fahren sind der Fahrstil des autonomen Systems (Driving Style) sowie das Interaktionskonzept mit dem Passagier (Interaction with passenger). Da der Fahrstil (insbesondere das Beschleunigungsempfinden) nicht für jeden Fahrertyp gleich ist und von den Präferenzen der einzelnen Fahrer abhängt, ergeben sich neue Fragen. Das Kommunikationskonzept muss den Fahrer/Passagier stets über die laufenden und bevorstehenden Handlungen informieren – und zwar mit zuverlässigen Prognosen, um Vertrauen aufbauen und halten zu können.

Das automatisierte Fahren wird von Experten grundsätzlich in fünf Levels eingeordnet. Nachdem Level 1 (Fahrerassistenzsysteme) heute bereits weit verbreitet ist und die angebotenen Systeme aus Level 2 (teilautomatisiertes Fahren) mit beispielsweise Lenk- und Spurhaltesystemen oder ferngesteuertem Einparken inzwischen auf einem hohen Entwicklungsstand angelangt sind, rückt die Einführung von Level 3 (hochautomatisiertes Fahren, HAF) immer näher.

Bei Level 3 fährt das Fahrzeug, ohne dass der Mensch am Fahrerarbeitsplatz hierfür seine Sinne Sehen, Hören oder Fühlen einbringen muss. Daher ist es von besonderer Bedeutung herauszufinden, inwieweit dieser Fahrzustand das psychische Empfinden der Fahrer beeinflusst. Der Unterschied zwischen Level 3 und Level 4 (vollautomatisiertes Fahren, jedoch mit fahrtüchtigem Fahrer) besteht im Wesentlichen darin, dass das Fahrzeug schwierigere Verkehrssituationen nun selbst lösen kann und überwiegend selbständig fährt, während sich der Fahrer im Level 3 nur in bestimmten Situationen vom Fahrgeschehen abwenden kann. Das verbleibende Level 5 (Autonomes Fahren, nun mit Passagieren auf allen Plätzen) war nicht Bestandteil der Forschungsarbeit. Generell muss das hochautomatisierte Fahren erst auf die breite Akzeptanz der Gesellschaft stoßen und sich flächendeckend etablieren.

Komponente Mensch

Für Level 3 stehen die Komponente Mensch sowie die Interaktion zwischen Mensch und Maschine im Vordergrund. Neben den rechtlichen und technischen Fragestellungen, deren Klärung bereits Voraussetzung für die Einführung des autonomen Fahrens ist, ist es umso essentieller, sich damit auseinanderzusetzen, unter welchen Voraussetzungen auch der Fahrer gewillt ist, sich dem Fahrzeug so anzuvertrauen, dass er die Fahraufgabe während der exakt definierten Level-3-Fahrphase beruhigt an das Fahrzeug übergibt und dem Fahrzeug wirklich vertraut.

Nur dann, wenn der Fahrer dieses Vertrauen in die Funktionsweise des Systems aufbaut, wird es möglich sein, diesen weiteren Schritt umzusetzen. Da dieses Vertrauen aktuell noch nicht entwickelt ist, muss es erst geschaffen werden.

Die Forschungsfragen aus der Arbeit drehen sich daher um die Identifikation und das Zusammenspiel der Einflussparameter des hochautomatisierten Fahrens auf das Komfortempfinden und somit auf den Vertrauensaufbau. Konkret stellte das Forschungsteam folgende Fragen:

  • Welche Rolle spielt Vertrauen in das System in Bezug auf das Sicherheitsempfinden des Fahrers?
  • Welchen Einfluss hat der Fahrstil des hochautomatisierten Fahrzeugs auf das Komfortempfinden des Fahrers?
  • Inwieweit lässt sich durch umfangreiche Fahrerinformations- und Interaktionssysteme die Akzeptanz der Fahrer beeinflussen?

Das psychologische Konstrukt des Komforts und der Wahrnehmung fahrzeugrelevanter Parameter wie beispielsweise Längs- und Querbeschleunigung oder die Abstandsregelung zum Vorderfahrzeug im Level 3 sowie deren Auswirkung auf das Komfort- und Sicherheitsempfinden sind bislang nicht flächendeckend untersucht worden.

Modifizierte Komfort-Hierarchie-Pyramide

Das Forschungsdesign dieser Arbeit lehnt sich daher an der allgemeinen Komfort-Hierarchie-Pyramide (Bild 1) an, welche die menschlichen Grundbedürfnisse mit den Hierarchiestufen Geruch, Schwingungen und Licht, Klima und Lärm, Anthropometrie (Ermittlung und Anwendung der Maße des menschlichen Körpers) sowie Entspannung abbildet.

Bild 1: Gemäß der allgemeinen Komfort-Hierarchie-Pyramide ist Komfort ein menschliches Grundbedürfnis, das sich unter anderem aus verschiedenen Wahrnehmungen des Riechens, Sehens und Hörens zusammensetzt. Das ist wichtig für die Erfolgsfaktoren des automatisiderten Fahrens.

Bild 1: Gemäß der allgemeinen Komfort-Hierarchie-Pyramide ist Komfort ein menschliches Grundbedürfnis, das sich unter anderem aus verschiedenen Wahrnehmungen des Riechens, Sehens und Hörens zusammensetzt. BMW Group/FOM Hochschule für Oekonomie und Management München

Bei der qualitativen Studie wählte das Forschungsteam Experten aus verschiedenen Entwicklungsfeldern und Leveln des autonomen Fahrens aus, die zunächst für Level 3 eine gemeinsame Definition von Komfortstufen erarbeiteten. Zudem definierten sie spezifische relevante Fahr-Performance-Indikatoren für Level 3.

Die erarbeiteten Komfortstufen waren Sicherheitswahrnehmung, Vertrauen, Transparenz, Nutzung der Zeit im hochautomatisierten Fahrmodus für fahrfremde Tätigkeiten wie zum Beispiel lesen oder E-Mail beantworten und physischer Komfort (beispielsweise das Gefühl auf der Couch zu sitzen, aber auch die Abwesenheit von Diskomfort und Reisekrankheitssymptomen). Die ermittelten Fahr-Performance-Indikatoren waren Längs- und Querbeschleunigung, Sicherheitsabstand, Verfügbarkeit von HAF, Interaktion mit dem Passagier sowie Interaktion mit der Umgebung.

Aus diesen beiden Perspektiven haben die Experten eine Matrix entwickelt, auf deren Basis das jeweilige Zusammenspiel aus Komfort und Fahr-Performance-Indikatoren ermittelt und bewertet werden konnte.

Im Rahmen einer anschließenden qualitativen Untersuchung mit Bewertung zum Thema Komfortwahrnehmung im hochautomatisierten Fahrzeug auf einer dreispurigen Autobahn mit normalen Verkehrsaufkommen gelang es dem Forschungsteam, eine neue Komfort-Hierarchie-Pyramide für Level 3 abzuleiten (Bild 2).

Bild 2: Für das hochautomatisierte Fahren auf Level 3 ergibt sich eine abgeleitete Komfort-Hierarchie-Pyramide, denn speziell beim hochautomatisierten Fahren setzt sich Komfort in der Basis aus dem Fahrstil und dem Interaktionskonzept mit dem Passagier zusammen. Transparenz, Sicherheitsempfinden und schließlich Vertrauen bauen dann darauf auf. Mit Vertrauen ist die höchste Form von Komfort beim hochautomatisierten Fahren erreicht. Welche Erfolgsfaktoren sind nötig`?

Bild 2: Für das hochautomatisierte Fahren auf Level 3 ergibt sich eine abgeleitete Komfort-Hierarchie-Pyramide, denn speziell beim hochautomatisierten Fahren setzt sich Komfort in der Basis aus dem Fahrstil und dem Interaktionskonzept mit dem Passagier zusammen. Transparenz, Sicherheitsempfinden und schließlich Vertrauen bauen dann darauf auf. Mit Vertrauen ist die höchste Form von Komfort beim hochautomatisierten Fahren erreicht. BMW Group/FOM Hochschule für Oekonomie und Management München

Die so entwickelte Matrix liefert interessante Erkenntnisse über die Einflussgrößen von Komfort im Level 3. Die wesentlichen Aspekte waren dabei Vertrauen, Beschleunigungsmuster und Information.

Vertrauen

Vertrauen bildet die Grundvoraussetzung, um sich beim hochautomatisierten Fahren sicher zu fühlen. Wenn der Fahrer/Passagier dem automatisierten System nicht traut, lässt sich kein Sicherheitsempfinden während einer automatisierten Fahrphase erreichen. Im Zuge der Querschnittstudie ergaben sich zudem folgende Gleichungen einzelner Experten:

Empfundene Sicherheit = Vertrauen + objektive Sicherheit

Vertrauen = Transparenz + Erfahrung + Sicherheit

Die wesentliche Erkenntnis lautet: Ohne Sicherheitsempfinden entsteht kein Vertrauen in das hochautomatisierte Fahren.

Beschleunigungsmuster

Das Design der Beschleunigungsmuster beeinflusst das Komfortempfinden der Fahrer. Wenn der Fahrstil aggressiv ist und daher eine Reihe von Beschleunigungen und Spurwechseln auf der Autobahn beinhaltet, dann empfinden die Passiere die Fahrt nicht als komfortabel.

Es besteht ein großer Einfluss des Beschleunigungsverhaltens auf das Sicherheitsempfinden. Ein wesentlicher Faktor ist hierbei jedoch der Fahrstil des Fahrers im manuellen Modus, mit Fahrerassistenzsystemen oder sogar im teilautomatisierten Level. Letztendlich entspricht dieser Fahrstil auch beim hochautomatisierten Fahren den Präferenzen des Individuums.

Information

Das Angebot eines umfangreichen Informationssystems im Fahrzeug trägt zu einer verbesserten Akzeptanz des Fahrers bei. Wenn die Interaktion mit dem Fahrer durch visuelle oder hörbare Information sichergestellt ist, erhöht sich die Akzeptanz des Fahrers/Passagiers beim hochautomatisierten Fahren. Die empfundene Sicherheit und der Komfort sind die wesentlichen Elemente für die Akzeptanz des hochautomatisierten Fahrens. Die Analyse ergab, dass der Interaktion mit dem Fahrer/Passagier eine hohe Bedeutung zukommt, woraus sich zudem folgende Komfortgleichung aus dem Expertenkreis ergab:

Komfort = mentaler Komfort + körperlicher Komfort

Hieraus ergab sich die wesentliche Erkenntnis, dass zwei Haupttreiber maßgeblich das Komfortempfinden beeinflussen: Der eine Haupttreiber ist der Fahrstil des autonomen Systems (Driving Style) als Basis und Grundvoraussetzung für aufbauende Komfortelemente. Der andere Haupttreiber basiert direkt auf dem Interaktionskonzept mit dem Passagier (Interaction with passenger).

Weitere Einflussgrößen

Die Ergebnisse aus der Expertenbefragung und den Analysen ermöglichen es zudem, mit diesen beiden Grundlagen (Driving Style + Interaction with passenger) weitere Einflussgrößen auf den Komfort im hochautomatisierten Fahrzeug zu erzeugen. Wenn der Passagier die Entscheidungen des Systems nachvollziehen kann, indem das Display anzeigt, warum das Fahrzeug nun plötzlich bremst, entsteht die notwendige Transparenz, sodass der Fahrer/Passagier Vertrauen in das System aufbauen kann. Allerdings ist für die Komfortwahrnehmung auch der Fahrstil entscheidend. Hier stellt sich die Frage, ob ein sportlicher, agiler Autofahrer einen konservativen Fahrstil im HAF-Modus als unkomfortabel wahrnimmt.

Interaktionskonzept

Für die Etablierung des hochautomatisierten Fahrens auf der Autobahn müssen Autohersteller ein gutes Interaktionskonzept anbieten, um Kunden und deren Vertrauen zu gewinnen. Anzeigefunktionen wie beispielsweise „Fahrzeug beschleunigt, da keine absehbaren Hindernisse vorhanden“ oder „HAF-Mode derzeit nicht verfügbar, da 1 km bis zu einer Baustelle“ tragen maßgeblich zur Vertrauensbildung bei den Fahrern bei. Auch entsprechende Informationen im Headup-Display könnte diese Funktion erfüllen.

Wichtig ist hierbei jedoch, dass diese Informationen von Anfang an auch der Wahrheit entsprechen, denn hier wirken dieselben Mechanismen wie unter Menschen. Hier stellt sich die Frage, wie häufig der Kommunikationsfluss vom System zum Fahrer/Passagier erfolgt und wie häufig dieser Kommunikationsfluss aufrechterhalten werden muss.

Ist die Information des Systems falsch oder nicht nachvollziehbar, dann wird nicht nur kein Vertrauen aufgebaut, sondern sogar Vertrauen zerstört, frei nach der Redensart „Wer einmal lügt…“. Daher darf das Kommunikationskonzept nur Informationen anzeigen, die eine sehr hohe Richtigkeitswahrscheinlichkeit  haben. Experten stufen auch die Übertragung von Informationen vom Fahrzeug auf persönliche Geräte der Fahrer wie Smartphones oder E-Books als sehr erfolgsversprechend ein.

Fahrstil

Zudem müssen Hersteller einen adäquaten Fahrstil des Fahrzeugs implementieren, um die Komfortanforderungen der Kunden (sportlich-agil oder konservativ) zu erfüllen, denn die Untersuchung hat ergeben, dass je nach Fahrertyp unterschiedliche Komfortempfindungen auftreten. Auch hier ist es wieder wichtig, den Fahrstil dem Fahrertypus anzupassen oder ihn idealerweise individuell einstellbar zu gestalten. Hier besteht noch größerer Forschungsbedarf. Da die unterschiedlichen Fahrertypen sich nicht in einfache Schemata pressen lassen, müssen Cluster erarbeitet werden, die dann subsummiert den Typus möglichst vieler Menschen treffen. Es stellt sich die Frage, ob Kunden zwischen verschiedenen Fahrstilen wählen können sollen oder ob die Hersteller einen universellen Fahrstil entwickeln, um ein maximales Komfortgefühl zu erzeugen. Die passenden oder idealerweise einstellbaren Algorithmen hierfür müssen noch weiter erforscht werden.

Fazit

Die Ergebnisse zeigen, dass neben den technischen und gesetzlichen Hürden, die noch bewältigt werden müssen, auch die menschliche Komponente beim autonomen Fahren mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Schließlich ist es weder der Gesetzgeber noch der Ingenieur, der am Ende im Fahrzeug sitzt. Deshalb muss die Person auf dem Fahrersitz auch hier ganz klar im Mittelpunkt stehen. Hierzu hat die beschriebene Forschungsarbeit einen Beitrag geleistet. Diese ersten Forschungsansätze können bei entsprechender Fortführung und weiterem Ausbau wichtige Erkenntnisse bei der Gestaltung der Algorithmen und Produktableitungen der zukünftigen autonomen Fahrzeuge bringen.

 

Dr. Roland Vogt

Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Strategisches Management an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management München, sowie Direktor des Zentrums für geschäftliche Mobilität (Zegemo) in München

Sarah Christin Reichmann

M. Sc. in Economic Psychology, Einkauf ConnectedRide und Digitalisierung im Bereich Motorrad bei der BMW Group

(av)

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