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Elektromechanische Servolenkungen (EPS) bilden die Schnittstelle zwischen dem Fahrzeug und dem Fahrzeuglenker. Die Ablösung veralteter hydraulischer Lenksysteme durch elektromechanische Servolenkungen wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Dabei ist die reine Hilfskraft-Lenkunterstützung nicht mehr ausreichend. Die Servolenkung soll nicht nur die Funktionalität eines Stellglieds im Fahrzeug übernehmen, sondern der Trend der Automobilindustrie geht hin zu aktiven ausfallsicheren Fahrwerkskomponenten, was auch die elektromechanische Lenkung mit einschließt. Neben dem verstärkten Zusammenwachsen der elektrischen und mechanischen Einzelkomponenten in der Servolenkung versuchen OEMs und Zulieferer, das Gesamtsystem so auszulegen, dass Ausfälle und der Verlust der Lenkfunktion vermieden werden. Schwerpunkt ist die deutliche Entlastung des Fahrers bei auftretenden kritischen Problemen im Lenkungsprozess, wodurch das Fahrzeug auch im Fehlerfall sicher und beherrschbar bleibt. Der komplette Ausfall der Lenkunterstützung kann durch die Ablösung konventioneller Elektromotoren und deren Steuerungskonzepte mithilfe der Verwendung von Mehrphasensystemen verhindert werden. Mehrphasensysteme steigern daher nicht nur die Verfügbarkeit, sondern sie erhöhen auch die Fehlertoleranz sowie die funktionale Sicherheit des gesamten Lenksystems.

Bild 1: Das bei Bosch im EPS eingesetzte PowerPack.

Bild 1: Das bei Bosch im EPS eingesetzte PowerPack.Bosch

Stand der Technik

Aktuell kommen in EPS-Systemen asynchrone oder synchrone Drehstrommotoren zum Einsatz, um die Lenkunterstützung bereitzustellen. Besondere Bedeutung findet vor allem der permanentmagnet-erregte Synchronmotor (PMSM). Als ein Vertreter der Induktionsmotoren findet dieser Motorentyp zunehmende Verbreitung im Automobilbereich, besonders aufgrund der Leistungsdichte und des Wirkungsgrades. Synchronmotoren werden mit einem Drehfeld beziehungsweise einer dreiphasigen Wechselspannung versorgt. Das Energieversorgungsnetz des Automobils stellt hingegen eine Gleichspannung zur Verfügung. Die Steuerung des Motors und die notwendige Umwandlung der Gleichspannung in eine frequenzvariable Wechselspannung erfolgt im integrierten Steuergerät (ECU). Hauptkomponenten der ECU sind die Leistungselektronik und die Steuerelektronik. Die Steuerelektronik gibt die Ansteuersignale für die Leistungselektronik zur Bestromung des Motors vor. Für den PMSM ist eine dreiphasige Vollbrücke zur Ansteuerung nötig.

Mehrphasen-Ansteuerung von EPS

Hauptvorteil von Mehrphasensystemen zur Ansteuerung von EPS ist die damit einhergehende Gliederung in Subsysteme. Die Steuerelektronik kann bei Auftreten eines sicherheitskritischen Fehlers, beispielsweise durch Kurzschluss in einem Schaltelement in der Endstufe, das entsprechende Teilsystem abschalten. Der Fahrer verliert somit nicht die komplette Lenkunterstützung und kann mit reduzierter Lenkleistung die Führung des Fahrzeugs aufrechterhalten. Die größten Chancen und Möglichkeiten bei der Verwendung von Mehrphasensystemen im EPS liegen somit in der Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit.

Mithilfe der Brückenschaltung wird die Gleichspannung durch Schalten der Leistungstransistoren auf die jeweiligen Motorphasen geschaltet. Dazu besteht die Vollbrücke aus drei Halbbrücken mit je zwei Leistungstransistoren, welche alternierend angesteuert werden. Als Leistungshalbleiter der Brückenschaltung kommen vorwiegend MOSFETs zum Einsatz. Zudem besteht die Leistungselektronik aus entsprechender Filtertechnik, um Bordnetzschwankungen des Automobils zu entstören, sowie einem Zwischenkreiskondensator für die schnelle Energieversorgung des Wechselrichters.

Funktionale Sicherheit im EPS

Das Steuergerät übernimmt nicht nur die Regelung des Elektromotors und die Ausführung der Lenkanforderung sondern auch Kommunikationsaufgaben und Überwachungsfunktionen. Zu den wichtigsten Bestandteilen der ECU gehört daher die Funktions- und Überwachungseinheit. Ein autarker Sicherheitscontroller ermöglicht eine unabhängige Überwachung der gesamten ECU.

Die Überwachung wird in drei Ebenen eingeteilt. Die erste Ebene übernimmt die generelle Überwachung der Lenkfunktionen. Auf der zweiten Ebene finden die Funktionsüberwachung und die Kontrolle beziehungsweise der Vergleich mit der ersten Ebene statt. In der dritten Ebene werden die Prozesse auf der Hardware umgesetzt und zusätzlich durch den Sicherheitscontroller überprüft. Ebene 1 und 2 können daher Funktions- und Sensorfehler aufdecken, die dritte Ebene dient zur Verifikation des Controllers. Ein geeignetes Fehlermanagement sowie die Fehlerdiagnose der Überwachungseinheit erkennen auftretende kritische Fehler in der elektromechanischen Servolenkung und leiten entsprechende Gegenmaßnahmen ein.

Bild 2: Das Drei-Ebenen-Sicherheitskonzept.

Bild 2: Das Drei-Ebenen-Sicherheitskonzept.Bosch

Zwei sicherheitskritische Fehlerfälle

In der Lenkung werden zwei Fehlerfälle als sicherheitskritisch bewertet. Einer dieser Fehlerfälle ist der Selbstlenker, bei dem der elektrische Antrieb selbsttätig ein Drehmoment erzeugt. Für den Fahrer bedeutet dies eine nicht beherrschbare Selbstaktivität der Lenkung. Der zweite sicherheitskritische Fehlerfall ist der Blockierfall, welcher zu einer Schwergängigkeit bis hin zum Blockieren des Lenkantriebs führt. Anhand der Sicherheitsnorm ISO 26262 und der damit verbundenen Sicherheitsanforderung steigt die Anforderung an die Sicherheit und die Beherrschbarkeit des Fahrzeugs hinsichtlich kritischer Fehler. Die Klassifizierung anhand der Gefahren- und Risikoanalyse ergibt die höchste Einstufung in die Sicherheitsanforderungsstufe ASIL D. Die Fehlerauswirkungen stellen daher extreme Anforderungen an die Erkennung, Fehlerdiagnose und die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen. Zu jedem Zeitpunkt muss somit gewährleistet werden, dass vom Gesamtsystem keine Gefahr ausgeht und das Fahrzeug lenkbar bleibt.

Bild 3: Hauptkomponenten des Steuergeräts.

Bild 3: Hauptkomponenten des Steuergeräts.Bosch

Wird ein kritischer Zustand durch Eigendiagnose erkannt, muss innerhalb der Fehlerlatenzzeit der sichere Zustand erreicht werden. Die Fehlerlatenz- oder Fehlertoleranzzeit kennzeichnet dabei die Zeit, in der das System mit fehlerhaften Signalen beaufschlagt werden kann, bevor das System gefährlich ausfällt. Diese Zeit ist zur Fehlerdetektion sowie für die Überführung in den sicheren Zustand erforderlich. Um den sicheren Zustand einzuleiten, verfügt die Leistungselektronik über redundante Abschaltpfade mit entsprechender Überwachung. Die Abkopplung des elektrischen Antriebs vom Bordnetz erfolgt mittels Phasentrenner. Der zusätzliche Sicherheitscontroller dient zur Überwachung der Steuerelektronik und hat direkten Zugriff auf die Abschaltpfade der Endstufe. Der Motor wird im sicheren Zustand stromlos geschaltet, und es kann kein Blockier- oder Drehmoment mehr aufgebaut werden. Nachteil dieses Zustandwechsels für den Fahrer ist das abrupte Verlieren der Lenkunterstützung. Eine Fehlerstrategie zur Verhinderung des harten Abschaltens ist ein langsamer Übergang in den sicheren Zustand, beispielsweise durch schrittweise Reduzierung der Lenkunterstützung.

Schwachpunkte und Gegenmaßnahmen

Die Betrachtung von Fehlerstatistiken und die Analyse der Ausfälle im EPS zeigen eine erhöhte Ausfallwahrscheinlichkeit der Leistungshalbleiter gegenüber anderen Komponenten. Defekte Leistungshalbleiter führen zu einem harten Abschalten des Servomotors. Das Sicherheitskonzept und die Fehlerstrategie sind somit im Wesentlichen von dem Aufbau der Leistungselektronik und im Speziellen vom Wechselrichter sowie der verwendeten Endstufe abhängig. Um die Verfügbarkeit des Wechselrichters und damit des Gesamtsystems zu erhöhen, wird der Inverter redundant ausgeführt. Fehler in einem Leistungshalbleiter des Teilsystems sorgen somit nicht zum Komplettverlust der Servo-Unterstützung. Durch die Eigendiagnose und Fehlerlokalisierung der Steuerelektronik und des Sicherheitscontrollers lassen sich diese Fehler der Leistungshalbleiter entdecken und das entsprechende Teilsystem abschalten.

Bild 4: Vereinfachtes redundantes Dreiphasensystem.

Bild 4: Vereinfachtes redundantes Dreiphasensystem.Bosch

Die redundante Auslegung des Wechselrichters und damit der kompletten Endstufe beeinflusst gleichermaßen die Ansteuerung sowie die Konstruktion des Motors. Besonders eignen sich Vielfache der Dreiphasensysteme, in erster Linie zweifach- und dreifach-redundante Dreiphasensysteme. So lassen sich etablierte Systeme leicht erweitern und bisherige Synergien optimal nutzen. Die Verwendung von Mehrphasensystemen steigert deutlich die Verfügbarkeit der Servolenkung. Dazu muss der Wechselrichter an das Mehrphasensystem angepasst werden. Um Quereinflüsse und Kopplungen der einzelnen Subsysteme zu vermeiden, müssen diese weitestgehend voneinander getrennt werden. Kurzschlüsse einzelner oder mehrerer Phasen eines Teilsystems lassen sich durch Deaktivieren des fehlerhaften Teilsystems kompensieren. Phasentrenn-Einrichtungen in den einzelnen Brückenzweigen können entfallen, wenn die maximal auftretenden Blockiermomente in einem Teilsystem innerhalb der Anforderungen liegen.

Ansteuerung von Leistungshalbleitern und Wechselrichter

Die Ansteuerung der Leistungshalbleiter muss auf den mehrphasigen Motor abgestimmt werden. Nicht jeder eigensichere Motor kann mehrphasig ausgelegt werden. Entscheidend ist hierbei die Motortopologie. Die Motortopologien unterscheiden sich per Definition anhand der Statornuten und der Anzahl der Magnetpole des Rotors. Anhand der Motortopologie können die Wicklungen des Stators für das Mehrphasensystem angeordnet und mit der Endstufe verschaltet werden. Um wechselseitige Einflüsse der Wicklungen zu verhindern, ist es erforderlich, die Phasen der Teilsysteme elektrisch im Motor zu trennen. Bei einer mehrphasigen Ringschaltung erfolgt die Auftrennung in einzelne Dreiecks-Verschaltungen, und bei einer gewünschten Sternschaltung erfolgt die Aufteilung in einzelne Sternschaltungen mit jeweiligem Sternpunkt.

Bild 5: Redundante Ringschaltung (links) beziehungsweise redundante Sternschaltung (rechts).

Bild 5: Redundante Ringschaltung (links) beziehungsweise redundante Sternschaltung (rechts).Bosch

Gleichermaßen verhält es sich mit der Ansteuerung des Wechselrichters. Die Steuerelektronik, insbesondere das Schalten der Leistungshalbleiter, muss auf die Verschaltung des Motors abgestimmt sein. In Abhängigkeit vom Mehrphasensystem heißt es, die jeweiligen Teilsysteme durch die Steuereinheit zu synchronisieren und parallel zu verarbeiten. Auf diese Art lassen sich Drifteffekte, die zwischen den Teilsystemen entstehen können, bis hin zu Fertigungstoleranzen zwischen den Wicklungen ausgleichen. Dazu ist auch die synchronisierte Ansteuerung der Halbbrücken unverzichtbar.

Der heute übliche Standard zur Steuerung der Leistungshalbleiter ist das Verfahren der Raumzeigermodulation, um mittels Pulsbreitenmodulation der Endstufentransistoren eine sinusförmige Drehspannung zu erzeugen. Grundlage für die Modulationsart ist die feldorientierte Regelung (FOR). Zur Berechnung der drehmomentbildenden und flussbildenden Komponente der PMSM passt das Entwicklungsteam hierbei die Transformationen der Motorgrößen in das zweiachsige System der FOR auf das mehrphasige System an. Durch die Umwandlung in die Raumzeigermodulation lassen sich die physikalischen Größen der mehrphasigen PMSM einfach regeln.

Bild 6: Elektrolenkung ZF-Servolectric für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

Bild 6: Elektrolenkung ZF-Servolectric für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.ZF

Fazit

Ein Vorteil bei der redundanten Auslegung der Endstufe ist die Aufteilung des Stromes auf die jeweiligen Phasen. Das resultierende Drehmoment bleibt gleich, und die stromtragfähigen Bauteile, insbesondere die Leistungshalbleiter der Endstufe, können für einen kleineren Phasenstrom dimensioniert werden. Die Verwendung des Mehrphasensystems bewirkt eine deutliche Verringerung des Phasenstroms und benötigt weniger Platz durch die Nutzung von kleineren Leistungshalbleitern. Hauptvorteil ist jedoch die Gliederung des Mehrphasensystems in Subsysteme. Die Steuerelektronik kann bei Auftreten eines sicherheitskritischen Fehlers, beispielsweise durch Kurzschluss in einem Schaltelement in der Endstufe, das entsprechende Teilsystem abschalten. Der Fahrer verliert somit nicht die komplette Lenkunterstützung und kann mit reduzierter Lenkleistung die Führung des Fahrzeugs aufrechterhalten. Die größten Chancen und Möglichkeiten bei der Verwendung von Mehrphasensystemen im EPS liegen somit in der Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit.

Bruno Andreas Basler

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Pforzheim und Doktorand im gemeinsam mit der Universität Tübingen angebotenen kooperativen Promotionskolleg „Entwurf und Architektur Eingebetteter Systeme (EAES)“, finanziert vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Baden-Württemberg.

(av)

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