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Strategy Analytics

BMW begann im Jahr 2008, Ethernet in Serienfahrzeugen einzusetzen – und zwar für das Flashen von Software sowie als Verbindung zwischen Head-Unit und den Rücksitzen. Zwar bewährten sich diese Implementierungen im Betrieb durchaus, aber die Kabel und Steckverbinder, die für diese Verbindung auf der Basis standardmäßiger Ethernet-Technik benötigt wurden, erwiesen sich schlicht als zu teuer für den Einsatz in anderen Anwendungen.

Ebenfalls als zu kostspielig erachtete man bei BMW die Kabel und Steckverbinder für Surround-View-Kamerasysteme. 2006 schätzte das Unternehmen, dass diese rund 60 % der Kosten eines LVDS-basierten Systems mit vier Kameras ausmachen würden. Unabhängig davon entwickelte Broadcom seine Physical-Layer-Lösung BroadR-Reach für die Vollduplex-Übertragung von Ethernet mit 100 MBit/s über kostengünstige ungeschirmte Twisted-Pair-Kabel. Aus einer zwischen BMW und Broadcom begonnenen Zusammenarbeit wird ein ethernet-fähiges Multi-Kamera-System hervorgehen, das in einem BMW des Modelljahres 2013 zum Einsatz kommen wird.

Welcher Weg führt zum Wachstum?

Die Vision von BMW in Sachen Ethernet beschränkt sich keineswegs auf die Senkung der Verkabelungskosten für Kamerasysteme. Vielmehr sieht das Unternehmen in Ethernet das künftige primäre Bord-Netzwerk für Autos und möchte Ethernet möglicherweise bereits 2018 als schnellen Kommunikations-Backbone im Fahrzeug nutzen. Zunächst aber dürfte BMW im Jahr 2015 per Ethernet kommunizierende Infotainment- und Fahrerassistenz-Systeme einführen.

Um diesen Deployment-Level zu erreichen, war jedoch die Zustimmung von Zulieferern der Automobilindustrie erforderlich. Solange keine anderen Hersteller echtes Interesse zeigten, war dies jedoch eher unwahrscheinlich. Ein potenzieller Durchbruch ergab sich, als Broadcom einwilligte, die BroadR-Reach-Spezifikation zu angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen zu lizenzieren. Im November 2011 schlossen sich BMW, Hyundai, Broadcom, NXP, Freescale und Harman zur OPEN Alliance Special Interest Group zusammen, um die Verbreitung der BroadR-Reach-Technologie als offenen Standard zu fördern. Gleichzeitig gab NXP den Erwerb einer BroadR-Reach-Lizenz bekannt.

Verbleibende Hürden

Die noch offenen Fragen werden nach und nach geklärt. Von verschie­denen Seiten wurde die BroadR-Reach-Übertragungsrate von 100 MBit/s als potenziell restriktiv angesehen. Inzwischen aber arbeitet bereits eine „IEEE Reduced Twisted Pair Gigabit Ethernet PHY Group“ an den Standards für Übertragungsraten im Gigabit-Bereich.

Ein weiteres potenzielles Problem besteht darin, dass Ethernet in keiner Weise deterministisch ist. Man kann sich also niemals sicher sein, wann ein Paket ankommen oder ob Bandbreite zur Verfügung stehen wird. Diesen Problemen widmen sich Initiativen wie die branchenübergreifende AVnu Alliance, die für die Verwendung des IEEE 802.1 Audio/Video Bridging (AVB) und der damit zusammenhängenden Standards eintritt.

Es kommt Schwung in die Sache

Im September 2012 richtete Continental den zweiten „Ethernet & IP @ Automotive Technology Day“ in Regensburg aus, an dem über 400 Besucher von 140 Unternehmen aus Europa, Asien und Amerika teilnahmen (siehe Seite 9). Die Tatsache, dass die Veranstaltung bereits zwei Wochen nach Beginn der Anmeldefrist ihren Break-Even-Point erreichte und schon vor Beginn ausgebucht war, verdeutlicht das immense Interesse an Ethernet im Auto.

Sicher gilt es noch Herausforderungen zu bewältigen. Obwohl sich BroadR-Reach bestens positioniert hat, gibt es Alternativen. Marvell und Micrel etwa haben unabhängig davon standardmäßige 100-MBit/s-Ethernet-PHYs entwickelt, die nach Angaben der Unternehmen den Anforderungen von Automotive-Applikationen genügen. Obwohl die OPEN Alliance eine deutlich gestiegene Mitgliederzahl verzeichnet, besteht nach wie vor die Möglichkeit einer Fragmentierung im PHY-Markt, die das Wachstum durchaus bremsen könnte.

Strategy Analytics ist jedoch der Auffassung, dass die Zeit für Automotive-Ethernet reif ist. Wäre das Wachstum dieser Technik davon abhängig, dass eine große Zahl von Automobilherstellern bis 2020 auf die von BMW gehegte Vision eines Ethernet-Backbones setzt, würde Strategy Analytics diesem Markt wohl weiter ein Nischendasein prognostizieren. Es gibt jedoch realistische Szenarien, dass sich Automotive-Ethernet in rasch an Verbreitung gewinnenden Kamera-Applikationen und anderen Fahrerassistenz-, Infotainment- und Diagnosesystemen durchsetzen wird, was nach Ansicht von Strategy Analytics bis 2020 zu Stückzahlen von über 140 Millionen Steckern pro Jahr führen wird.

Ian Riches

ist Director Global Automotive Practice bei Strategy Analytics.

(av)

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