Mathias Stumpf: "Bei der Fahrerassistenz kommt die reine QNX-Technologie rund um das Betriebssystem zum Tragen."

Mathias Stumpf: "Bei der Fahrerassistenz kommt die reine QNX-Technologie rund um das Betriebssystem zum Tragen." (Bild: Alfred Vollmer)

AUTOMOBIL-ELEKTRONIK: Wie laufen die Geschäfte?

Matthias Stumpf: Die Geschäfte laufen gut, wir können uns nicht beschweren. Wir können zwar keine Zahlen nennen, aber wir haben ein sehr gutes Wachstum und stellen auch ein.

Wir hatten in Summe über alle Jahre bis einschließlich 2014 hinweg mehr als 40 Millionen QNX-Installationen im Fahrzeug. Bis Mitte 2015 kamen wir auf über 60 Millionen Installationen von QNX. Diese Zahlen zeigen, wie stark der Trend ist, Betriebssystemtechnologie ins Automobil zu bringen. Dabei kann ein Fahrzeug mehr als eine QNX-Version enthalten – zum Beispiel eine Telematikeinheit und eine Headunit oder eine Clustereinheit und eine Headunit oder ähnliches. Ein besonderes Beispiel ist die 2015er Corvette von GM, die das QNX-Betriebssystem in der Telematikeinheit OnStar, im Cluster und in der Headunit enthält.

QNX gehört mittlerweile zu Blackberry. Welche Konsequenzen hat das für den Automotive-Bereich?

Matthias Stumpf: QNX ist Teil der Blackberry Technologies Solutions (BTS), zu der auch noch andere Firmen wie zum Beispiel Paratek Antennentechnik oder Certicom, ein Spezialist in Kryptographie, gehören. Weil QNX einer der großen Technologieträger ist, sprechen wir in der Regel nur von QNX, und Blackberry unterstützt uns in unserem Tagesgeschäft. Wir sind als 100-prozentige Tochter eine eigenständige Firma, können aber auch zentrale Ressourcen wie Finanzen, Personal- oder Rechtsabteilung mitnutzen. Im Endeffekt ist alles, was die Produktentwicklung, den Vertrieb etc. anbetrifft, rein QNX. Natürlich dürfen wir auch andere Produkte von Partnerfirmen mit verkaufen oder Projekte mit vorantreiben, wenn sie ins Geschäft passen, und somit Synergien optimal nutzen.

Auf der fachlichen Ebene arbeiten wir schon seit fast zehn Jahren eng mit Certicom zusammen – einem Unternehmen, das Blackberry bereits 2009 und damit noch ein Jahr vor QNX kaufte – und in 2015 haben wir ein gemeinsames Kryptographie-Tool speziell für Automotive-ECUs vorgestellt. Dabei geht es auch um Schlüsselsysteme, um die Verteilung der Schlüssel und um die extrem sichere Produktion der Systeme. Die Sicherheitstechnologie im Fahrzeug wird immer wichtiger, immer spannender.

Welche Aktivitäten hat QNX im Bereich ADAS?

Matthias Stumpf: Bei der Fahrerassistenz kommt die reine QNX-Technologie rund um das Betriebssystem zum Tragen. In Bezug auf ADAS haben wir auch eine neue Referenzplattform herausgebracht, die speziell für ADAS-Steuergeräte gedacht ist, zum Beispiel in Multi-Kamera- oder V2x-Systemen.

Was genau verstehen Sie unter Multi-Kamera-Systemen?

Mathias Stumpf und AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Chefredakteur Alfred Vollmer freuen sich über das gute Gespräch.

Mathias Stumpf und AUTOMOBIL-ELEKTRONIK-Chefredakteur Alfred Vollmer freuen sich über das gute Gespräch. Alfred Vollmer

Matthias Stumpf: Das System eignet sich sowohl für Kameras mit 360°-Blickwinkel als auch für Stereokameras in Fahrtrichtung, die das teilautonome oder später auch einmal vollautonome Fahren vorantreiben. Mit dieser Referenzplattform, an der sich auch Unternehmen wie Intel, TI und Nvidia beteiligen, wollen wir es den Tier-1s und auch den OEMs ermöglichen, von einer Plattform zu starten und nicht alles selbst entwickeln zu müssen.

Wann ist der SOP für Ihre ADAS-Design-Wins?

Matthias Stumpf: Wir arbeiten aktuell mit einer Reihe von OEMs und Tier1s zusammen und erwarten den ersten SOP in zwei bis drei Jahren.

Was tut sich bei QNX in punkto ADAS jenseits der Kameras?

Matthias Stumpf: Unsere QNX-Plattform ist zertifiziert nach ISO26262, und letztes Jahr haben wir auch das Betriebssystem zertifiziert auf den Markt gebracht – inklusive der zertifizierten Tool-Chain und einem Hypervisor dazu. Damit haben wir übrigens ein echtes Alleinstellungsmerkmal, denn soweit wir wissen haben Mitbewerber am Markt in der Regel nur einen Teil der Software zertifiziert. Diese Systeme gehen immer mehr in die Richtung teilautonomes Fahren.

A propos Hypervisor: Was macht QNX, damit safety-relevante Systeme auch secure werden?

Matthias Stumpf: "Unser Betriebssystem bietet von Hause aus schon Safety- und Security-Lösungen mit der Zertifizierung nach ISO26262."

Matthias Stumpf: "Unser Betriebssystem bietet von Hause aus schon Safety- und Security-Lösungen mit der Zertifizierung nach ISO26262." Alfred Vollmer

Matthias Stumpf: Unser Betriebssystem bietet von Hause aus schon Safety- und Security-Lösungen mit der Zertifizierung nach ISO26262. Zusammen mit Partnern haben wir auch andere Lösungen im Progamm, zum Beispiel für Over-the-Air-Updates. Exakt an dieser Stelle kommt wieder Certicom mit ins Spiel, denn hier gilt es, das System in der Zusammenwirkung sicher zu machen, um es vor Angriffen zu schützen. Gleichzeitig muss das Betriebssystem QNX selbst mit der Middleware, die wir dazu anbieten, die funktionale Sicherheit gewährleisten, wobei Aspekte wie Hochverfügbarkeit und Ausfallsicherheit eine große Rolle spielen, die wir im Industriebereich, in der Bahntechnik und dem Bankensektor schon seit Jahren bedienen. Für eine breite Aufstellung im ADAS-Bereich sind wir daher sicherlich gut gerüstet. Wir sehen bei ADAS ein sehr, sehr starkes Wachstum.

Wo sehen Sie die Herausforderungen im Bereich Car-to-Car und Car-to-x, also bei C2C und C2x?

Matthias Stumpf: Als erstes wird die Automotive-Branche Car-to-Car-Kommunikation realisieren – zumindest hier in Europa, weil wir schon eine sehr gute Infrastruktur in Form von zum Beispiel Ampel- und Autobahnsystemen haben. Es ist einfach schwieriger, bestehende Systeme aufzurüsten und nachträglich zu vernetzen als eine ganz neue Lösung zu installieren. Die Car-to-Car-Kommunikation lässt sich da einfacher umsetzen, weil ja jedes Jahr neuere Fahrzeugmodelle auf den Markt kommen. Car-to-x ist dann erst der nächste Schritt.

Allerdings hängt das auch von den Regierungen und den entsprechenden geplanten Maßnahmen ab, aber auch davon, welche Standards sich im Endeffekt durchsetzen werden. Ohne diese Standards wird das Ganze nicht erfolgreich sein, egal welches Betriebssystem oder welche Technologie darauf läuft. Eine der größeren Herausforderungen bei C2x besteht darin, die Kommunikation mit der Infrastruktur zu standardisieren.

Weiterhin kommt hier auch die Telekommunikation mit ins Spiel, weil wir die entsprechende Bandbreite benötigen, um überhaupt so viele Geräte vernetzen zu können. Funklöcher sind derzeit ja selbst beim Telefon oft noch ein Problem, sodass mitten im Gespräch die Verbindung abreißt oder kurz aussetzt. Wenn das bei einer Kommunikation passiert, die auf eine zuverlässige Verbindung angewiesen ist, zum Beispiel beim vollautonomen Fahren, dann ist das nicht so gut.

Wir müssen erst einmal in der Lage sein, die gigantischen Datenmengen auf dem Übertragungsweg sauber zu verarbeiten. Da wird es sicher noch einige Jahre dauern bis die ersten standardisierten Lösungen auf dem Markt sind. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das alles klappt.

Bei der C2C-Kommunikation geht es darum, genügend Fahrzeuge auf den Straßen zu haben, die entsprechende Daten über Wetter, Verkehrsfluss und andere Informationen austauschen. Eventuell steht bei manchen Fahrzeugen auch eine Nachrüstung ins Haus. Ohne C2x wird ein autonomes Fahren, so wie man sich das heute vorstellt, in 10 bis 15 Jahren schwer möglich sein.

Wie unterstützt QNX die Car-to-X-Kommunikation auf der technischen Seite?

Matthias Stumpf: "QNX kommt bei fahrzeugspezifischen sicherheitsrelevanten Funktionen zum Einsatz, bei Funktionen, die zertifiziert werden müssen. Dafür ist QNX prädestiniert und exzellent aufgestellt."

Matthias Stumpf: "QNX kommt bei fahrzeugspezifischen sicherheitsrelevanten Funktionen zum Einsatz, bei Funktionen, die zertifiziert werden müssen. Dafür ist QNX prädestiniert und exzellent aufgestellt." Alfred Vollmer

Matthias Stumpf: Wir unterstützen C2x mit einem hoch verfügbaren sicheren Betriebssystem, bringen darüber hinaus aber auch Technologie von unserer Muttergesellschaft mit hinein, zum Beispiel für Over-the-Air-Updates. Ganz wichtig dabei ist, dass die Kommunikation sicher abläuft, dass man die Kommunikation nicht manipulieren kann. Auch Datenschutz, Abhörschutz etc. spielen eine wesentliche Rolle, und da können wir mit den Technologien unserer Mutterfirma oder von Certicom aufwarten.

Mit dem QNX Wireless Framework haben wir allerdings auch ein Software-Framework, das sich auf Kommunikationsmodule aufsetzen lässt und eine ganze Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten sowie ein ansprechendes API bietet. In der Vergangenheit wurden viele Controller für Wi-Fi, Bluetooth, die GSM-Kommunikation genutzt, und da haben wir ein Framework, mit dem man diese Funktionalitäten auf einem Chip vereinfachen kann, um so Hardware einzusparen und damit Kosten zu senken, während ganz nebenbei auch der Platzbedarf dieser Elektronik sinkt.

Welche Rolle spielen Over-the-Air-Updates – auch jenseits von C2x?

Matthias Stumpf: C2x und OTA, also Over-the-Air-Updates, gehören zusammen, und Medienberichten zufolge hat Tesla schon die ersten Updates in die Fahrzeuge eingespielt. OTA ist sicherlich der erste Schritt der Kommunikation.

Over-the-Air-Updates sind ein echter Service für den Kunden, weil er zum Beispiel nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit in die Werkstatt muss und der Hersteller ihn informieren kann, wenn etwas an seinem Fahrzeug nicht richtig funktioniert. Damit ist auch während der Fahrt eine Diagnose möglich.

QNX bietet natürlich vom Betriebssystem her entsprechende Möglichkeiten, Aufzeichnungen vorzunehmen oder während der Fahrt das System zu analysieren – aber wir sind natürlich nicht in jedem einzelnen Steuergerät drin.

Bleibt es somit beim klassischen Modell?

Matthias Stumpf: Genau. QNX kommt beispielsweise dort zum Einsatz, wo man das Gateway braucht. Ein Gateway ist im Endeffekt dann das Tor nach draußen, über das die sichere Kommunikation läuft. Diese Kommunikation baut das System jeweils gezielt auf. So könnte der Fahrer den Wunsch haben, eine Kommunikation aufzubauen, weil ein Problem am Fahrzeug auftritt. Je nach Implementierung kann der Hersteller auch von außen auf das Fahrzeug zugreifen und Daten abrufen beziehungsweise in Zukunft auch Software aktualisieren. Alles Weitere hängt vom jeweiligen OEM und teilweise auch von den vorgegebenen Sicherheitsvorschriften ab.

Wie reagiert QNX auf den Trend Richtung Linux im Infotainment?

Matthias Stumpf: Ich sehe gar keinen strikten Trend Richtung Linux. Die Situation war teilweise schon immer so; früher war es im Multimedia-Bereich halt ein Betriebssystem von Microsoft, heute ist es ein Linux. QNX ist im Infotainment nach wie vor sehr stark vertreten. Dieser Bereich wird auch für unser Unternehmen wieder wesentlich interessanter, weil mehr Sicherheitstechnik ins Fahrzeug hineinkommt – oder reinkommen  soll, denn die OEMs wie auch der Markt treiben das Thema voran.

Manchmal überlappen sich auch die Funktionalitäten der Steuergeräte. Für mich stellt sich zum Bespiel die Frage, warum in einem Fahrzeug sowohl die Telematik-Recheneinheit als auch das Onstar-System eine Freisprecheinrichtung für ein Telefon enthält. Der Kunde selbst benötigt nur eine Freisprecheinrichtung und keine zwei. Diese Konstellation ergibt sich, weil verschiedene Tier-1s die unterschiedlichen Steuergeräte liefern. Die OEMs fragen sich daher, wie sie die Systeme auf einer Plattform konsolidieren können. Daher sehen wir den Trend in folgende Richtung gehen: QNX kommt bei fahrzeugspezifischen sicherheitsrelevanten Funktionen zum Einsatz, bei Funktionen, die zertifiziert werden müssen. Dafür ist QNX prädestiniert und exzellent aufgestellt.

Warum ist QNX nach Ihrer Ansicht dafür prädestiniert?

Matthias Stumpf: Wir haben in unserer über 35-jährigen Firmengeschichte sehr viel Erfahrung im Bereich Sicherheitstechnik und Zertifizierung gewonnen; seit einiger Zeit bringen wir dieses Wissen auch in das Automobil hinein: mit der Hochverfügbarkeit und Ausfallsicherheit eines QNX-Betriebssystems, das als kommerzielles Betriebssystem natürlich auch entsprechend gewartet wird. So bekommen Hersteller und Endkunden eine gewisse Zusage mit, dass ein solches System auch noch in 10, 15 Jahren am Markt sein wird und auch gepflegt wird.

Andere Technologien, die wir für den Industriebereich, die Bahntechnik, oder in die Luft- und Raumfahrt liefern, sind oft auch 20 Jahre und länger im Einsatz. Da müssen wir natürlich zum einen eine Verfügbarkeit, aber auch die Update-Fähigkeit und Wartungsfähigkeit liefern können. Das sind Aspekte, die wir entsprechend auch zusagen können und uns somit von freien Versionen am Markt unterscheiden.

Bietet QNX die Möglichkeit, Betriebssystem-Updates während des laufenden Betriebs durchzuführen?

Matthias Stumpf: Im Bankensektor und bei Industriesteuerungen, wo die Systeme jeden Tag rund um die Uhr im 24/7-Betrieb laufen, können wir im laufenden Betrieb Treiber und betriebssystemnahe Software updaten und sogar Hardware austauschen. Der sicherheitsrelevante zertifizierte Kernel bleibt dabei aber gleich – bei manchen Systemen über 15 Jahre lang. So extreme Szenarien wie Hardwaretausch bei laufenden Betrieb brauchen wir im Fahrzeug wohl nicht, weil es nicht täglich 24 Stunden im Einsatz ist. Aber man könnte die Software im laufenden Betrieb austauschen beziehungsweise updaten.

Woher kommt eigentlich der Name QNX?

Matthias Stumpf: Es gibt keine genaue Erklärung dafür, wie der Firmenname QNX entstanden ist, aber es gibt eine Anekdote aus den 80er Jahren, die besagt, dass die QNX-Gründer Dan Dodge und Gordon Bell das Produkt Quick Unix nannten. Auf Grund von Problemen mit dem Markenzeichen von AT&T haben sie aus dem Quick Unix ein kurzes QNX gemacht.

Alfred Vollmer

Chefredakteur AUTOMOBIL-ELEKTRONIK

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