Die Anzahl der elektronischen Märkte wuchs im Zeitraum 1999 – 2000 in Deutschland, Europa und weltweit sehr schnell an. Dieses Wachsturn hat sich mit den weltwirtschaftlichen Veränderungen 2001 deutlich verlangsamt. Der grundsätzliche Trend zu mehr Online-B2B-Marktplätzen wird sich aber voraussichtlich nicht ändern. Das Heft 223 der Reihe HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik gibt einen aktuellen Überblick über die Situation elektronischer Märkte. Mehrere Autoren beschreiben u.a. Erfolgsfaktoren, methodische Vorgehensweisen und Werkzeuge für den Aufbau und Betrieb eines elektronischen Marktplatzes.
„Im Laufe der letzten Jahre waren sie wie Quecksilber: Man gaubte, ihrer habhaft geworden zu sein, sie ergriffen und verstanden zu haben – da haben sich diese lästigen Teilnehmer doch wieder dagegen entschieden.“ Mit bildreichen Worten beschreibt Dr. Michael Merz in seinem Vorwort die aktuelle Situation der Online-Handelsplätze. Mit Blick auf die bedeutsame Frage der Standardisierung fährt er fort: „Das Dilemma der Marktplätze liegt darin, dass erst alles standardisiert werden muss, bevor ein alle befriedigender ROI erreicht werden kann. Ein Marketingleiter fragt nach dem verbleibenden Differenziator seines Unternehmens und seiner Produkte wie Qualität, Lieferzeiten und After-Sales-Service. Wie lässt sich dieser gordische Knoten auflösen?“

Erinnern wir uns des herstellerübergreifenden Online-Marktplatzes Vertacross: Nach 19 Monaten stellte er seinen Betrieb ein. Als Ursache dafür wurde genannt, dass „der Internetmarkt gegenwärtig geprägt sei durch die Zurückhaltung von Herstellern, Kunden und Investoren, in offene Marktplätze wie vertacross.com zu investieren“. War es die direkte (Preis-)Vergleichbarkeit mit Wettbewerben, bei der andere Aspekte wie der Service oder die Machbarkeit alternativer Lösungen vielleicht unberücksichtigt blieben? Noch einmal Michael Merz: „Forrester Research prognostiziert noch bis 2004 zwei parallele Entwicklungen – den der öffentlichen Marktplätze und den der ‚privaten Hubs‘. Die Ersten (z.B. eBay) standardisieren relativ einfache horizontale Prozesse und Schnittstellen für die Massen, die Zweiten (Covisint, Elemica etc.) wagen sich an komplexe vertikale Aufgaben im Supply-Chain-Bereich eines limitierten Teilnehmerkreises heran, häufig aber ohne über horizontale Standards zu verfügen. Damit sind wir jedoch noch Meilen entfernt von der allumfassenden Marktplatz-Lösung!“

Sehr bemerkenswert erscheint der deutliche Hinweis von Prof. Dr. Stefan Klein et al., dass auf einem Marktplatz nicht nur angeboten, sondern auch gehandelt werden können soll. „Elektronische Märkte sind… realisierte Marktplätze, die eine oder alle Phasen der Transaktion (Information, Vereinbarung, Durchführung und ggf. After Sales) unterstützen. Als elektronische Märkte werden nur die Marktplätze verstanden, auf denen marktliche Transaktionen stattfinden. Einseitige Beschaffungs- bzw. Vertriebslösungen, d.h. Marktplätze, auf denen nur ein Anbieter bzw. ein Verkäufer auftritt, stellen keine Märkte im engeren Sine dar, da sich auf ihnen kein Marktpreis bilden kann.“ Ferner erfährt man, „dass der Erfolg eines elektronischen Marktes von der Kombination von Randbedingungen und der Konfiguration von Gestaltungsparametern abhängt.“ Folglich kamen die Autoren zu der Feststellung, „dass in vielen wirtschaftlichen Situationen eine Kombination von Koordinationsmechanismen optimal ist.“ Es ist wie im realen Leben: Kaum jemand geht gleichzeitig auf den Käsemarkt nach Alkmaar, kauft seinen Südtiroler Speck in Bozen, ordert die Salami in Szeged, kauft Oliven und Zitronen auf einem Markt in Palermo sowie Pfifferlinge und Himbeeren in Polen. Die Breite des Angebots auf einem Marktplatz ist also ein entscheidender Erfolgsfaktor.
In weiteren Beiträgen des vorliegenden Heftes stellt Susanne Klaue am Beispiel der Personal-Akquisition einen Elektronischen Marktplatz für „Human Ressources“ vor, beleuchtet Martin Raepple die Sicherheit in elektronischen Märkten und legen Roland Berger et al. die Wandlung eines Schweizer E-Commerce-Unternehmens dar. Ferner behandelt das Heft u.a. elektronische Marktplätze im Handels- und Konsumgüterbereich und stellt eine Kosten-/ Nutzenanalyse der B2B-Kommunikation vor.

Globalisierung und die heutigen Möglichkeiten der IT stützen die Meinung, dass ein wesentlicher Anteil künftiger Marktaktivitäten und -umsätze auf elektronischen Märkten stattfinden wird und dass vorausschauende Unternehmensleitungen es sich demzufolge nicht leisten können, die weitere Entwicklung dieser Märkte zu ignorieren. Gewachsen ist auch die Erkenntnis, dass im E-Business-Bereich ebenso wie im traditionellen Geschäft das Umsatzwachstum die Rentabilitat nicht unbegrenzt ersetzen kann. E-Commerce und Marktplätze werden wohl noch längere Zeit parallel zu herkömmlichen Marktmechanismen betrieben werden. Sehr wichtige Aufgaben für die nächsten Jahre bestehen darin, die Marktplatzfunktionen um zusätzliche Dienstleistungen zu erweitern.
Der Rezensent, selbst als Praktiker bei einem elektronischen Informations-Portal tätig, entnahm diesem Band wichtige Anregungen und möchte ihn daher ausdrücklich empfehlen. Der Tätigkeitsschwerpunkt der Autoren der Publikation liegt klar im Wissenschafts- bzw. Consulting-Bereich. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, ist doch die Anzahl der erfolgreichen, durch konkrete Umsatzkennziffern ausgewiesenen, elektronischen Handelsplätze immmer noch eine durchaus überschaubare Größe. Heute stehen wir zweifellos erst am Anfang einer langen Entwicklung. Das sei „attraktiv für die Wissenschaft und unbefriedigend für den Praktiker“, bemerkt M. Merz.
(Gunthart Mau)


Elektronische Marktplätze
Heidi Heilmann (Hrsg.)
HMD Theorie und Praxis der Wirtschaftsinformatik, Heft 223
dpunkt Verlag, Heidelberg 2002. 128 Seiten, Broschur
Euro 22,50 (D) / 23,20 (A) / sFr 40,00
ISBN 3-89864-153-8

(Antje Nicklas)

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